Flugangst Vertrauen fassen

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Zwölf Millionen Deutsche leiden unter Flugangst ­ nicht erst seit dem Concorde-Absturz in Paris. Die Ängste lassen sich behandeln.

Ich schließe bei jedem Flug mit dem Leben ab", erzählt Barbara. "Und ich mache vorher mein Testament", ergänzt Susanne. Rudolf erschreckt die Phantasie, dass er im Flugzeug den Drang haben könnte, die Tür aufzumachen und ins Nichts zu springen. Anja hat Angst vor den unbekannten Geräuschen und befürchtet, ohnmächtig zu werden. Katja plagen schon tagelang vor einer Flugreise Alpträume, Sibylle sitzt während eines Flugs meist wie festgenagelt auf ihrem Platz ­ bei einem Langstreckenflug auch schon mal 13 Stunden.

13 Frauen und Männer zwischen 20 und 55 Jahren nehmen am Hamburger Flughafen an einem zweitägigen Seminar gegen Flugangst teil. Zwei von ihnen haben bisher noch nie eine Flugreise gemacht, zwei ein einziges Mal. Alle anderen sind Vielflieger ­ aus beruflichen Gründen, weil sie im Ausland leben, weil ihre Familien oder Freunde rund um den Globus verstreut sind, weil sie gern Urlaub in fernen Ländern machen. "Nach vielen Flügen hatte ich plötzlich unbegründete Angst", sagt Barbara, "und sie wird immer stärker."

Feuchte oder kalte Hände, weiße Knöchel, Schweißausbrüche, Herzrasen, Kurzatmigkeit, Appetitlosigkeit oder Übelkeit. Die Angst äußert sich bei jedem anders, aber immer körperlich. Die Kursteilnehmer empfinden die psychische und körperliche Belastung so stark, dass sie endlich etwas ändern wollen. "Ich habe mein Leben so eingerichtet, dass ich nicht fliegen muss", erklärt Michael, "aber ich will frei von dieser Einschränkung sein." Andere wollen entspannter und weiter als bisher fliegen oder zu ihrer alten Selbstsicherheit und Stärke zurückfinden. Einige haben sogar schon ein Flugticket für den nächsten Urlaub oder Familienbesuch in der Tasche, nach Südspanien, Kapstadt und Acapulco.

"Es ist möglich, die Angst auf ein erträgliches Niveau zurückzuführen und den Aufschauklungsprozess zu stoppen", erklärt Kursleiter Rudolf Krefting. Der Psychologe nennt mehrere Ansatzpunkte hierfür: "Sie können versuchen, die Entstehung von Angst zu verhindern, entstehende Angst im Keim zu ersticken oder entstandene Angst aktiv zu bewältigen." Das soll an diesem Wochenende in Hamburg erklärt und trainiert werden.

Etwa 15 Prozent der Deutschen leiden einer Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach zufolge unter Flugangst. Weitere 20 Prozent fühlen sich im Clipper deutlich unbehaglich. Die Angst ist unter anderem Folge des Kontrollverlusts in der Maschine ­ man begibt sich auf Gedeih und Verderb in die Obhut des Piloten. Im Extremfall steigert sich Flugangst bis zur Panik, die Situation wird als lebensbedrohlich empfunden. Jedes Zittern der Maschine ist dann das Signal der kommenden Katastrophe.

Wer unter Flugangst leidet, könnte nun schlicht auf Flugreisen verzichten und mit Bahn und Auto verreisen. Nicht immer lässt sich das machen, von Führungskräften mit internationalen Kontakten wird Fliegen erwartet. "Flugangst kann da ein Karriereblocker sein", sagt Rudolf Krefting. Doch sie lässt sich behandeln, die leichteren Fälle in Selbsttherapie zum Beispiel mit Anleitung aus einem Buch, schwerere mit professioneller psychologischer Unterstützung.

Seit 1981 veranstaltet die Münchner Agentur Texter-Millott in Zusammenarbeit mit der Lufthansa "Seminare für entspanntes Fliegen". Sie finden an zwölf deutschen Flughäfen statt. Das Programm beinhaltet Informationen darüber, wie Angst ausgelöst wird, wozu sie gut ist und warum sie krankhaft übersteigert sein kann. Die Seminarleiter vermitteln psychologische Angstbewältigungsstrategien und körperliche Entspannungsmethoden. Technische Informationen zu Flugzeugen und Aerodynamik setzen darauf, dass Wissen Angst reduzieren kann. Im Cockpit eines geparkten Flugzeugs erläutert ein Pilot die Instrumente und den Ablauf eines Flugs.

Zum Schluss dann die Nagelprobe: ein gemeinsamer Inlands-Hin- und Rückflug mit Psychologen-Begleitung. In Hamburg wagten sich 12 der 13 Kursteilnehmer in die Luft, nach der Agentur-internen Langzeitstatistik nehmen 94 Prozent an dem Abschlussflug teil.

Auf mehr Eigeninitiative setzt das Institut für Flugpsychologie. Interessenten erhalten dort ein Selbsthilfe-Handbuch mit Informationen über das Fliegen, die Ursachen und Auswirkungen von Angst sowie gedankliche und körperliche Strategien zu ihrer Bewältigung. Das Trainingsprogramm soll innerhalb von drei Wochen mit einem täglichen Zeitaufwand von einer halben Stunde zu Hause erarbeitet werden. Einmal pro Woche bietet ein Psychologe zusätzlich telefonische Unterstützung an und beantwortet Fragen. Ergebnis einer wissenschaftlichen Begleitstudie: Die Methode ist zur Reduzierung von Flugangst geeignet.

Einen anderen Therapieansatz testen Psychologen der Universität Tübingen. Sie setzen Flugängstliche mehreren simulierten Flügen aus. In einer ersten Studie erwies sich der Versuch als erfolgreich: Ein Datenhelm mit Bildschirm-Brille schirmt die Probanden von der Umwelt ab, sie schauen aus einem Flugzeugfenster und hören Fluggeräusche. Angstgefühle und körperliche Angstreaktion waren nach mehreren virtuellen Flügen geringer als vorher.

Die Christoph-Dornier-Stiftung für Klinische Psychologie bietet eine zwei- bis dreiwöchige Einzelbehandlung an. Wie bei anderen Ängsten setzt man auch bei der Flugangst die "Konfrontationstherapie" ein: Nach Vorgespräch, eingehender psychologischer Diagnostik und einer ärztlichen Untersuchung wird der Patient der Angst auslösenden Situation in Begleitung eines Therapeuten mehrfach ausgesetzt. So kann er die Erfahrung machen, dass die Angst nicht lebensgefährlich ist und nach einiger Zeit nachlässt. Das automatisch ablaufende körperliche Angstprogramm kann wieder "verlernt" werden.

Wer es schafft, die Angst durch solche Maßnahmen zu lindern und durchzustehen, wird mit zunehmend abklingender Angst belohnt. Wer ein Seminar oder gar eine Einzeltherapie nicht für notwendig hält, kann alleine und mithilfe von Büchern der Angst die Stirn bieten. Die Ratschläge und Bewältigungsstrategien reichen von der richtigen Vorbereitung des Flugs über Routineprogramme zur Angstdämpfung bis hin zu Notprogrammen, falls man an Bord der Maschine doch in Panik geraten sollte.

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