
Strippenzieher. Agenturen verkaufen geschönte Bewertungen und beeinflussen so die Sterne – das zeigt unser Test. © Getty Images
Kundenbewertungen sollen Onlineshopping erleichtern, aber längst nicht alle sind echt. Wir haben inkognito bei Agenturen angeheuert, die frisierte Rezensionen verkaufen.
Die Idee: Kunden helfen Kunden
Das Internet ist voller Sterne. Sie lassen das Profil des Lieblingsitalieners bei Google erstrahlen, den Toaster bei Amazon, das Urlaubshotel auf dem Reiseportal, die Zimmerpalme auf der Internetseite des Pflanzenversands. Anhand einer Skala von eins bis fünf Sternen bewerten Kunden Waren oder Dienstleistungen, die sie ausprobiert haben. Sie erleichtern anderen die Kaufentscheidung.
Die Realität: Zehn Bewertungen für 99 Euro
So sollte es zumindest sein. Längst mischen sich unter Rezensionen echter Verbraucher auch Fake-Bewertungen – geschönte Kritiken. Damit polieren einige Händler oder Dienstleister ihre Sterne-Bilanz auf. Top-Bewertungen können sie bei Agenturen im Internet kaufen, zum Beispiel zehn Stück für 99 Euro.
[Update vom 07.07.2022] Neues Gesetz gegen Fake-Bewertungen
Am 28. Mai 2022 trat eine Reform des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) in Kraft, die gefälschten Bewertungen Einhalt gebieten und für mehr Transparenz sorgen soll. Ab sofort müssen Plattformen und Unternehmen offenlegen, ob und wie sie die im Netz dargestellten Verbraucherbewertungen auf Echtheit überprüfen – findet keine Überprüfung statt, müssen sie das ausdrücklich angeben. Auch „die Übermittlung oder Beauftragung gefälschter Bewertungen“ ist nun explizit verboten.
Stiftung Warentest undercover: So sind wir vorgegangen
Wir haben hinter die Kulissen der Sterne-Industrie gesehen. Die Agenturen fanden wir per Internetrecherche. Jeder kann sich dort als Rezensent registrieren, die Texte werden oft von Privatleuten für ein kleines Zubrot geschrieben. Unsere Tester meldeten sich inkognito bei sieben Agenturen an und verfassten Dutzende Bewertungen. Mal bekamen wir 0,01 Dollar pro Auftrag, häufig durften wir die Ware behalten oder günstiger kaufen. Den Haushalt kann man auf diese Weise nur bedingt aufpeppen, da sich nicht beeinflussen lässt, für welche Produktbewertungen man zugelassen wird.
Gekaufter Jubel: Fünf Sterne auf Ansage
Wir wollten wissen, ob die Agenturen auch negative Aussagen akzeptieren, und verfassten bewusst kritische Texte. Tatsächlich mischten sich die Agenturen in 63 Prozent aller Rezensionen ein. Bei jeder vierten Kritik wiesen sie uns an, vier oder fünf Sterne zu vergeben. In 21 Prozent der Fälle durften wir die Waren nicht einmal ausprobieren.
Rezensionen am laufenden Band
Von Dezember bis Mai haben unsere Tester für diese Agentur-Webseiten Bewertungen geschrieben: slicethepie.com, lutendo.com, empfohlen.de, rezendo.com, testerjob.net, fivestar-oms.net und shopdoc.de/produkttester. Pro Agentur wurden wir für unterschiedlich viele Rezensionen zugelassen. Um die Agenturen gleich zu behandeln, ging jede mit sechs Fällen in unsere Auswertung ein – macht insgesamt 42 Bewertungen. Die Ergebnisse der überzähligen Fälle sind gewichtet eingeflossen.
Testberichte als PDF
Neben dem Testbericht aus test 7/2020 können Sie auch eine weitere Veröffentlichung zum Thema „Kundenbewertungen vs. Testurteile: Wie aussagekräftig sind Amazons Sterne?“ (test 3/2019) hier kostenlos herunterladen.
Von der Mausefalle bis zum Fernseher
Nachdem wir uns auf den Internetseiten der Agenturen angemeldet hatten, durften wir uns dort auf Produktbewertungen bewerben. Zugelassen wurden wir nicht immer. Scheinbar willkürlich erhielten wir den Zuschlag für unterschiedliche Produkte: Kopfhörer, Toilettenbürsten, Lichterketten, Perücken oder Apps. Bewertet wird so ziemlich alles und in jedem Preisbereich – von der Mausefalle bis zum XL-Fernseher.
Voraussetzung: Konto bei Amazon
Wer für eine Bewertung zugelassen wird, erhält genaue Anweisungen von den Agenturen. Voraussetzung ist oft, dass der Rezensent ein Konto bei Amazon hat. Für Waren aus dem Onlineshop des US-Giganten ließen uns die Agenturen den Löwenanteil der Rezensionen verfassen.
Alles soll echt wirken
Die Produkte sollten wir zunächst wie jeder normale Kunde über unser Amazon-Konto und auf unsere Kosten bestellen. Amazon kennzeichnet das als „verifizierten Kauf“, alles soll echt aussehen. Nachdem wir die Ware erhalten hatten, reichten wir die Rezension bei Amazon ein, gleichzeitig prüfte die Agentur unsere Bewertung.
Mogeln, was das Zeug hält
Um herauszufinden, ob die Agenturen auch Kritik akzeptieren, haben wir konsequent mittelmäßige Rezensionen geschrieben. Wir vergaben zum Beispiel nur drei Sterne. Eine geringere Zahl kam nicht infrage, da wir keinem Produkt schaden wollten. Doch selbst unsere mittelprächtige Bewertung billigte nicht jede Agentur.
Geld gibts erst, wenn die Bewertung stimmt
Lutendo und Testerjob wiesen uns an, unsere drei Sterne auf mindestens vier oder gar fünf Sterne zu korrigieren. Sonst hätten wir keine Bewertung abgeben dürfen und den Aufwand umsonst betrieben. Auch die Ausgaben für die Produkte erstattet die Agentur erst, nachdem sie die Bewertung freigegeben hat. Bei Slicethepie sollten wir Kopfhörer, Pullover und Schuhe nur anhand eines Fotos bewerten, für Fivestar schrieben wir Rezensionen zu einer imaginären Dating-App. Rezendo hinterfragte all unsere Drei-Sterne-Bewertungen, Fivestar forderte uns auf, Bewertungen anderer Amazon-Kunden als nützlich zu markieren (Mit diesen Methoden arbeiten die Fake-Rezensenten).
Zwei manipulierten nicht
Nur zwei Agenturen versuchten nicht, unsere Bewertungen zu beeinflussen – Empfohlen und Shopdoc. Hier lief alles etwas anders. Bei Empfohlen sollten wir etwa nur kurze Fragen zu Amazons Videostreamingdienst Prime beantworten, bei Shopdoc vor allem rabattierte Produkte bewerten.
Reich werden andere
Attraktiv ist der „Nebenjob“ des Produktbewerters nicht. Die Agenturen und deren Kunden dagegen profitieren ordentlich von dem Geschäft: Wir haben den Spieß am Ende umgedreht und mithilfe eines Internethändlers gefälschte Rezensionen gekauft. Alles ging ganz einfach.
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- Bei Online-Käufen außerhalb der EU werden Steuern und Zoll fällig. Paketdienste verlangen Extra-Gebühren. Infos zu Zoll und Steuern und ein Zollrechner.
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- Bei Onlinekäufen dürfen Händler von den Kunden Gebühren für die Nutzung von Paypal oder Sofortüberweisung erheben. Sie müssen aber ein kostenfreies Zahlungsmittel...
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- Digitale Kundenkarten bringen meist wenig Ersparnis. Dafür sammeln sie Daten ohne Ende. Sind Rabatt-Apps eher Köder als Sparangebot? Wir haben 13 Programme getestet.
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Hallo zusammen,
erstmal Danke für den Artikel. Mein Kommentar dazu:
Leider ist es so, dass die meisten erst dann eine Bewertung abgeben, wenn etwas negativ ist. Wenn alles gut läuft, bemüht sich keiner eine positive Bewertung zu schreiben. Damit haben viele Firmen zu kämpfen, da z. B. bei Kununu die meisten Bewertungen von Ex-Mitarbeitern geschrieben werden. Wie diese ausfallen, ist nicht schwer zu erraten. https://www.creaticom.de/arbeitgeber-bewertungen-kaufen/ Deswegen muss man seine Mitarbeiter und Kunden dazu animieren Erfahrungen zu schreiben und bei Problemen einen direkten Weg zum Dialog zu suchen.
Grüße
Alex
Fake-Bewertungen sind nicht nur ein Mittel der Beeinflussung der Anbieter.
Auch Kunden, Käufer und Trolle sind oft Verfasser von unsinnigen,
irreführenden und fehlbeeinflussenden "Bewertungen".
Es wird gelogen, aus dem Zusammenhang gerissen, wichtige Fakten werden
weggelassen, überforderte Nichtfachleute richten über Meister.
Sehr fiese Aussagen wurden zB. gemacht, wenn unser Betrieb nicht zulässige
Baumaßnahmen freundlich ablehnte. Die Kunden verstanden nicht, daß man sich und sie
nur so vor einem Baustop und teuren Rückbaukosten schützen konnte.
Falschbewertungen sind also keine einseitige Sache.
Ein großer Skandal ist, daß rufschädigende Falschbewertungen
rechtlich kaum geahndet werden ("Meinungsfreiheit") und sie (zB. Google)
von nur seltenst gelöscht werden!
Sagt man einem Richter mal freundlich seine freie Meinung, ist es
mit der Meinungsfreiheit aber schnell Essig.
Von ausgewogener Fairness sind wir weit entfernt. Im Kleinen sind ein
paar "Schummel-Bewertungen" oft nur Notwehr.
https://www.heise.de/news/Ein-Datenleck-zeigt-wie-Amazon-Bewertungen-gekauft-werden-4944863.html
https://www.amazon.de/dp/B086G7XMN2/ref=pe_1604851
kostet bei Amazon 7,19 € "cleverer Verkäufer"
Bei Rossmann kostete dieses Produkt 0,65 @ (500ml Flasche)
Mir ist es zufällig aufgefallen und hab eine Bewertung geschrieben.
Wurde natürlich nicht veröffentlicht....
@Alechs: Die üblichen Zahnbürsten (elektrische Rundkopf- und Schallzahnbürsten sowie Handbürsten) arbeiten mechanisch durch Bürsten, die per Druck durch die Hand oder mit Schwingungen (Vibrationen) die Zahnoberfläche reinigen. Die Ultraschallzahnbürste soll hingegen ohne Bewegung - bisher nur mit einer Spezialzahncreme - und durch Ultraschall die Zähne reinigen. Sie ist damit nicht mit den üblichen elektrischen Bürsten vergleichbar. Ein Vergleichstest, wie test ihn durchführt, ist hier nicht möglich. Daher haben wir diese Produkte bisher nicht in unsere Tests einbezogen. Laut unserer Marktanalyse ist der Marktanteil dieser Bürsten übrigens sehr gering. Sollten Sie sich für eine solche Ultraschallzahnbürste interessieren, bitten wir Sie, Ihren Zahnarzt bezüglich der Wirksamkeit zu Rate zu ziehen. (bp)