
Drei von vier Autofahrern setzen sich ans Steuer, auch wenn sie sich nicht fit genug fühlen. Dabei geht es längst nicht nur um Alkohol.
Heinz Wilke (Name von der Redaktion geändert) wohnt im Dorf, seit er denken kann. Hier ist der 85-Jährige zuhause. Hier möchte er wohnen bleiben, so lange es geht. Täglich fährt er mit dem Auto in die benachbarte Stadt, um einzukaufen, in die Apotheke oder zum Arzt zu gehen. „Das Auto gibt mir Freiheit. So kann ich über meinen Tag selbst entscheiden“, sagt er.
Wie Wilke geht es vielen älteren Menschen. Besonders, wenn es im Dorf keinen Laden gibt und öffentliche Verkehrsmittel fehlen, sind sie auf das Auto angewiesen.
Die Menschen in ihrer Umgebung sind nicht immer damit einverstanden. Oft sind es die erwachsenen Kinder, der Ehepartner oder Nachbarn, die sich Sorgen machen: „Mein Vater fährt zwar inzwischen vorsichtiger als früher. Jedoch baut er körperlich immer mehr ab und ich weiß nicht, ob man ihm das Fahren nicht irgendwann verbieten muss“, sagt Wilkes Sohn.
Das Alter ist unerheblich
„Über die Fahrtüchtigkeit entscheidet nicht das Alter, sondern der Gesundheitszustand des Fahrers“, sagt Rechtsanwalt Christian Janeczek aus Dresden. Mit dem Alter nimmt aber oft die Zahl der Erkrankungen und Medikamente zu. Neben- und Wechselwirkungen ähneln in vielen Fällen der Wirkung von Alkohol. Wahrnehmungs- und Reaktionsvermögen nehmen ab, der Fahrer fühlt sich unwohl, müde und schwindelig. In dieser Situation muss sich jeder Verkehrsteilnehmer selbst fragen, ob er noch sicher fahren kann.
Eine Faustregel gibt es nicht. „Dennoch muss ich ständig prüfen, ob ich fahrtauglich bin. Etwa indem ich mich frage, ob ich vor kurzem Alkohol getrunken habe und noch nicht nüchtern bin oder ob ich mit dem Gipsarm überhaupt fahren kann“, sagt Oliver Monschau, Verkehrspsychologe bei der Kfz-Prüfgesellschaft Dekra.
Wirkung von Medikamenten

Das machen viele Menschen aber nicht. Sie ignorieren ihre Erkrankung und die Nebenwirkungen von Medikamenten. Eine Umfrage von ADAC und Bundesapothekerverband ergab: Drei von vier Autofahrern sind mindestens einmal selbst gefahren, obwohl sie sich nicht fit genug fühlten.
Schon eine kleine Erkältung kann sich auf Konzentration und Fahrtüchtigkeit auswirken. „Auch die Einnahme eines Arzneimittels wie eines Hustenblockers kann die Reaktionsgeschwindigkeit verlangsamen“, sagt Bettina Sauer, Apothekerin und Redakteurin unserer Schwesterzeitschrift test.
Keine Rolle spielt, ob das Arzneimittel mit oder ohne Rezept erhältlich ist. „Besonders vorsichtig müssen Fahrer sein, wenn sie Schlaf-und Beruhigungsmittel sowie antiallergisch wirkende Arzneimittel eingenommen haben, die auf das zentrale Nervensystem wirken“, warnt Sauer
Zu den kritischen rezeptpflichtigen Mitteln gehören Medikamente gegen Epilepsie, Psychopharmaka, Schmerz- und Schlafmittel. Trinkt der Patient Alkohol, kann das die Wirkung verstärken.
Verbot nach ambulanter Operation
Wirkungen und Nebenwirkungen hängen von Alter, Geschlecht und Gewicht ab. Doch in manchen Fällen gilt für jeden absolutes Fahrverbot, zum Beispiel innerhalb von 24 Stunden nach einer Narkose. Fahren ist deshalb tabu, wenn der Zahnarzt die Weisheitszähne gezogen hat oder der Patient eine Magen- oder Darmspiegelung mit Betäubung hinter sich hat.
Auch ohne Narkose darf ein Patient nach einer Augenoperation nicht ans Steuer. Das Sehvermögen ist zu sehr eingeschränkt.
Fahren darf nur, wer körperlich und geistig dazu in der Lage ist. Das legt Paragraph 11 der Fahrerlaubnisverordnung (FeV) fest. Anlage 4 zählt langandauernde Erkrankungen auf, von denen bekannt ist, dass sie die Fahrtauglichkeit beeinträchtigen oder verhindern. Diabetiker, Schmerzpatienten und Menschen mit Bluthochdruck dürfen zum Beispiel nur fahren, wenn sie mit Medikamenten richtig eingestellt sind.
„Besonders wenn Diabetes unbehandelt bleibt, besteht die Gefahr eines Blackouts“, sagt Thomas Mach vom Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten Berlin. „Das Auto fährt dann wenige Sekunden unkontrolliert.“
Anlage 4 führt auch die vor allem im Alter auftretende Demenz auf. Bei leichter Erkrankung im frühen Stadium darf der Patient noch Auto fahren. Verschlimmert sich die Krankheit, geht das nicht mehr. Wann es so weit ist, zeigt sich zum Beispiel daran, dass der Demenzkranke immer wieder versucht wegzulaufen und sich seine Persönlichkeit verändert .
Die Liste der Erkrankungen nennt nicht jedes Leiden, das zur Fahruntauglichkeit führt. „Für solche, die hier nicht genannt werden, sind die Begutachtungs-Leitlinien zur Kraftfahrereignung bindend“, sagt Verkehrspsychologe Monschau. Darin sind körperliche und geistige Mängel zusammengefasst, anhand derer die Fahreignung im Einzelfall festgestellt wird.
Wie ein Medikament auf die Fahrtauglichkeit wirkt, erfahren Verkehrsteilnehmer aus dem Beipackzettel oder in der Apotheke. Auch der behandelnde Arzt muss sie informieren. Er ist verpflichtet, seine Patienten über ihren Gesundheitszustand und die Gefahren aufzuklären.
Schweigepflicht gilt nicht immer
Der Arzt steht unter Schweigepflicht und darf Informationen über seine Patienten weder an die Polizei noch an die Führerscheinstelle weitergeben, die über den Entzug der Fahrerlaubnis entscheidet. Eine Ausnahme gilt nur, wenn er seinen Patienten aufgeklärt hat, dass er wegen seiner Erkrankung fahruntüchtig ist und dieser trotz Warnung Auto fährt.
Bereits im Jahr 1968 hatte der Bundesgerichtshof zugunsten eines Arztes entschieden, der sich trotz seiner Schweigepflicht an die Fahrzeugbehörde gewandt hatte. Der Mediziner hatte seine Patientin, die an Schizophrenie litt, über ihre Erkrankung aufgeklärt und sie fuhr trotzdem Auto (Az. VI ZR 168/67). „In so einem Fall überwiegt das öffentliche Interesse an der Sicherheit im Straßenverkehr eindeutig das Interesse des Patienten an der Schweigepflicht“, sagt Anwalt Christian Janeczek.
Ist jemand wegen schlechter Gesundheit oder Medikamenten nicht fahrtüchtig und fährt trotzdem, wird die Polizei irgendwann auf ihn aufmerksam. „Im Extremfall kann es tödlich enden, wenn der Fahrer zum Beispiel wegen eines Blackouts in den Gegenverkehr fährt“, sagt Thomas Mach.
Ältere Menschen zeigen mehr Auffälligkeiten beim Fahren, je mehr sie körperlich und geistig abbauen. „Sie verursachen dann zum Beispiel kleine Unfälle wie Blechschäden, ohne dass sie es bemerken“, sagt Michael Posch vom Landesbetrieb Verkehr in Hamburg.
Fahren sie dann davon, gilt das als unerlaubtes Entfernen vom Unfallort und wird als Straftat geahndet. Dafür drohen ihnen mindestens eine Geldstrafe, sieben Punkte beim Kraftfahrzeugbundesamt in Flensburg und der Verlust der Fahrerlaubnis.
„Ist ein Unfall passiert oder zeigt ein Mensch ein auffälliges Verhalten in einer Kontrolle, wird die Polizei an der Eignung des Fahrers zweifeln und das in einem Bericht an die Führerscheinstelle weiterleiten“, erklärt Posch. Damit kommen zwei Verfahren gegen den Fahrer in Gang: Neben einem Strafverfahren bei der Staatsanwaltschaft gibt es dann ein Verfahren bei der Führerscheinstelle.
Ein Facharzt entscheidet
Die Führerscheinstelle teilt dem Fahrer mit, dass es begründete Zweifel an seiner Eignung gibt und fordert ihn auf, ein fachärztliches Gutachten vorzulegen. „Für Diabetiker ist der Facharzt ein Internist. Er muss dokumentieren, wie der Patient mit seiner Erkrankung umgeht“, sagt Mach vom Landesordnungsamt.
Entscheidet der Arzt, dass das Fahren nicht mehr geht, oder weigert sich der Fahrer, ein Gutachten vorzulegen, wird ihm der Führerschein entzogen.
Heinz Wilke besitzt noch die Fähigkeit, Auto zu fahren. Für den Fall, dass er sich einmal nicht mehr einschätzen kann, hat sein Sohn ihn im Blick: „Ich hoffe, er merkt es von selbst. Wenn nicht, werde ich mit ihm reden müssen und darauf bestehen, dass er nicht mehr fährt – auch auf die Gefahr hin, dass es zum Streit kommt.“
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@wos5
Es geht in diesem Artikel vor Allem um das Fahren unter Medikamenteneinfluss.
Bitte berücksichtigen Sie: Rechtsberatung im Einzelfall ist Rechtsanwälten und Menschen mit besonderer Genehmigung vorbehalten. test.de informiert über die Rechtslage allgemein.
Allgemein gilt:
Nach Fahrerlaubnisverordnung darf nur der fahren, der körperlich und geistig dazu in der Lage ist. Mit eingegipstem Arm oder eingegipstem Bein ist davon auszugehen, dass man nicht fahrtüchtig ist. Wer trotzdem fährt und dabei Leib oder Leben anderer gefährdet, macht sich u.U. sogar strafbar. (TK)
Kommentar vom Administrator gelöscht.
Ich habe in diesem Artikel nichts gelesen (vielleicht habe ich es ja auch überlesen) über die Bedingungen z.B. bei einem Gipsarm oder einem Gipsfuß. Diese trägt man ja i..d.R. über 6 ca. Wochen.
Wie ist denn hier die Rechtslage?