
Das Gewicht des Fahrradfahrers lastet auf einer handtellergroßen Fläche. Ob sportlich oder aufrecht fahrend, schmaler oder breiter Po – es gibt den richtigen Sattel.
Testergebnisse für 13 Fahrradsättel 08/2013

Druckbilder. Das linke Bild zeigt einen starken Druck im Dammbereich. Die Sitzknochen sind entlastet. Das ist medizinisch bedenklich. Rechts sind die Sitzknochen belastet. So ist es richtig.

Breitbeinig stehen die Radler im Ausflugslokal und warten auf freie Plätze. Das Bild erinnert an Cowboys: Nach langem Ritt gönnen sie sich und ihrem vom Sattel geschundenen Hinterteil Erholung mit einem Whiskey an der Bar. Statt Whiskey gibt es im Ausflugslokal Schorle. Die Probleme mit dem Sattel ähneln sich.
Die Stiftung Warentest hat 17 passionierte Fahrradfahrer samt ihren Rädern zum Satteltest geladen – Frauen und Männer, von gemütlich aufrecht bis sportlich nach vorn geneigt radelnd. Sie sind 25 bis 60 Jahre alt. Sie sollten mehrere Fahrradsättel probefahren und beschreiben, wie bequem sie darauf sitzen. Fachleute haben diese Eindrücke ausgewertet – auch mithilfe elektronischer Abbildung der Kontaktflächen zwischen Po und Sattel. Das Ziel: für jeden den passenden Fahrradsattel zu finden – egal ob für sportliche oder aufrecht Fahrende mit schmalem oder breitem Po.
Viele Reib- und Druckstellen

Breiter Sattel. Wer aufrecht sitzt, kommt mit einem breiten Sattel besser klar. Der sollte nicht zu weich sein, sonst sinkt der Po ein.

Schmaler Sattel. Er ist bequem für sportlich nach vorn gebeugte Fahrer. Wer nach vorn rutscht, sollte noch schmalere ausprobieren.
Zunächst prüften die Tester, ob der am Fahrrad der Probanden montierte Sattel zu ihnen passt. Erstaunlich: Nur ein einziger radelt auf dem richtigen Polster. Bei allen anderen registrierte die Kontaktprüfung Reib- und Druckstellen dort, wo sie besser nicht auftreten sollten – im Damm- und Genitalbereich. Das kann mehr als die Lust am Radfahren vereiteln. Nerven werden gedrückt, Adern abgeklemmt. „Bei mir ist alles taub“, klagen viele Männer und Frauen. Wo etwas taub wird, gibt es keine Schmerzen. An die Taubheit kann man sich gewöhnen. So werden Warnsignale des Körpers ignoriert. Im Extremfall droht Impotenz, Fachleute warnen sogar vor Inkontinenz. Der Dammbereich liegt zwar auf der Sattelnase auf, sie darf aber nicht drücken – weder auf den Damm noch in die Genitalien.
Die Tester haben den Probanden Sättel ausgesucht, die zu ihrem Fahrstil und Sitzknochenabstand passen. Die Sitzknochen sind die beiden Höcker am Po, auf denen der Mensch sitzt. Meist haben Frauen einen etwas größeren Sitzknochenabstand als Männer. Deshalb bieten Hersteller bei vielen Sätteln breitere Frauen- und schmalere Männermodelle an. Doch es gibt ebenso Männer mit breitem und Frauen mit schmalem Po. Viele Anbieter nennen inzwischen den Sitzknochenabstand, für den ihre Sättel optimiert sind.

Selbsttest. Den Abstand der Sitzknochen kann jeder selbst messen: Wellpappe auf eine glatte Fläche und den Po auf die Pappe drücken. Viele Sättel sind auf ein bestimmtes, angegebenes Maß optimiert.
Wie groß der Knochenabstand ist, kann jeder selbst ermitteln. Einfach auf ein Stück Wellpappe setzen und den Abstand der Mittelpunkte der plattgedrückten Stellen messen – fertig.
Auf den von den Testern ausgewählten Sätteln saßen die Radler besser als auf ihren alten. Der Druck im Dammbereich nahm ab, wurde aber am Po stärker. An dieser Stelle ist es nicht schlimm – der Po ist zum Sitzen da. Nach ein paar Tagen hatten sich die Radler daran gewöhnt.
Für diejenigen, die wenig Fahrrad fahren und sich nie an den Sattel gewöhnen, gibt es Modelle mit Gelpolster. Das fühlt sich erst einmal gut an. Doch das Gel vergrößert die Kontaktfläche zwischen Po und Sattel und walkt die Gesäßhaut durch. Folge: Nach etwa 30 Kilometern tut der Po weh. Gelsättel taugen eher für Kurzstrecken.
Brooks Kernleder geliebt und gehasst
Ein Modell indes gewöhnt sich an den Radler: Brooks. Dessen Lederdecke wirkt erst einmal extrem hart. Sie gibt aber nach einigen hundert Radelkilometern an Druckstellen nach. Zum ausgiebigen Einfahren hatte kaum einer unserer Probanden Zeit. So fielen die Bewertungen durchwachsen aus. Hinzu kommt: Das Leder des Brooks ist nicht nur hart, sondern auch rutschig. Es bedarf besonderer Pflege. Nass werden darf es nicht, regelmäßig fetten ist Pflicht.
Ein Sattel fiel bei allen Probanden durch: Die Testfahrten mit dem Comfort Line Relax haben alle vorzeitig abgebrochen. Der Fahrer sitzt darauf wie auf einem Stuhl. Wer die Höhe des Sattels korrekt einstellt, schiebt seinen Po bei jedem Tritt nach vorn. Ist er so niedrig, dass das nicht passiert, bleiben die Knie zu stark gebeugt. Das ist unbequem, die Beine tun weh, lockeres Radeln ist unmöglich.
Beliebt bei den Probanden war dagegen der Comfort Line Wings – besonders bei Frauen. Eine hätte ihn am liebsten gleich gekauft. Er besteht aus zwei zueinander beweglichen Hälften. Die bewegen sich beim Treten mit den Oberschenkeln mit.
Wo nichts ist, kann nichts drücken. Nach diesem Motto bauen Hersteller Sättel mit Durchbrüchen und Mulden im Damm- und Genitalbereich. Das verlagert die Problemzonen an den Rand der Durchbrüche. Dort drücken sie im Extremfall umso mehr. Beim Selle Royal Ergogel Plugin soll sich der Druck im Dammbereich mithilfe eines Gelkissens verteilen. Ob das angenehm ist, kann der Radler nur bei einer ausgiebigen Probefahrt selbst erfühlen.
Beim Terry GT Gel sammelt sich in der Mulde Schnee. Nach einer Frostnacht im Test hat das zu wenig freundlichen Kommentaren im Protokoll geführt. Eis gehört in den Whiskey, nicht in den Sattel.
-
- Rauf auf’s Rad! Wir sagen, worauf Sie beim Fahrradkauf achten müssen oder wie Sie Ihr Rad wieder flott machen. Außerdem alles zu Zubehör, Verkehrsregeln und Radreisen.
-
- In den Wintermonaten Fahrrad zu fahren, kann Spaß machen und sicher sein – wenn Reifen und Fahrweise der Jahreszeit angepasst sind. Wir sagen, worauf es ankommt.
-
- Schadstoffe, schwache Bremsen, Risse im Dauertest: Einige Kinderfahrräder haben dicke Probleme. Wir fanden im Test aber auch sichere Räder – darunter das günstigste.
Diskutieren Sie mit
Nur registrierte Nutzer können Kommentare verfassen. Bitte melden Sie sich an. Individuelle Fragen richten Sie bitte an den Leserservice.
Nutzerkommentare können sich auf einen früheren Stand oder einen älteren Test beziehen.
@bolander1: Ja, die Aussagen gelten auch für schwerere Personen, da die punktuelle Belastung mit dem Körpergewicht steigt. Zu eruieren wäre, ob ein Sattel der hohen Belastung gewachsen ist. Um das zu erfahren, sollten Sie mit Hilfe eines Fachhändlers eine Wahl treffen. Sie können auch vor dem Kontakt mit dem Sattelhersteller Ihrer Wahl diesbezüglich Kontakt aufnehmen. (Se)
Hallo, in wie fern spielt das Gewicht des Fahrers für das Ergebnis eine Rolle (z.B. 140kg)? Gelten dann noch die gleichen Aussagen?
Nachdem mir mein Fahrrad geklaut worden war (sehr mittelmäßiger Sattel), hat mir eine Nachbarin ihr altes Markenrad geschenkt. Der Sattel war noch unbequemer als der alte, also war es höchste Zeit, endlich was für meinen Po zu tun. Den habe ich mir nach der Anleitung in diesem Artikel mittels Sitzens auf Wellpappe vermessen, dann drei verschiedene Sättel zum Testen bestellt und sie nacheinander auf der gleichen Strecke ausprobiert (Ebene mit verschiedenen Belägen und bergauf). Mit dem WIngs bin ich die Strecke zweimal gefahren, weil ich dauernd vergaß, dass ich ja eigentlich den Sattel testen wollte. Aber ist sehr schwierig, etwas zu testen, das man kaum spürt. Ich hatte gedacht, man würde das Schwingen der beiden Teile bemerken - nichts davon.
Der Sattel ist mittlerweile 230 EUR teuer, dafür habe ich das Geld ausgegeben, das mir die Versicherung fürs geklaute Rad bezahlt hat. Ein guter Tausch! Jetzt macht mir seit Jahren endlich das Radfahren wieder Spaß. Danke für den Test!
Ich bin jahrelang einen Idéale No. 92 gefahren. Für ein Rennsportrad ein guter Sattel. Das Leder war deutlich dicker als bei Brooks. Man braucht mindesten 1000 km, bis der eingefahren ist. Brooks hat recht dünnes Leder, muß ziemlich bald nachgespannt werden. Das große Problem an der Sitzposition: viele Rahmen sind für die Fahrer zu kurz, man braucht einen rechten Winkel zwischen Armen und Oberkörper. Die Lenkerhöhe läßt sich bei den Ahead Steuersätzen auch nicht mehr einfach verstellen.
Der Test ist sehr schön zur Orientierung.
Ich kann selber auf keiner Kirchenbank länger als 20 min schmerzfrei sitzen.
War darum Jahre auf der Suche nach möglichst wenig Schmerzen an den beiden Sitzknochen beim "Herrenfahren", also beim aufrecht-Sitzen dabei.
Meine diesbezüglichen Ergebnisse:
1) Selle Royal Model: Lagoon,
Royal-Gel Polsterung, extra breit, Maße: 275 x 252 mm, aus dem Baumarkt.
2) CONTEC City-/Tourensattel "Cruiser Comfort"
auch sehr breit, 265 x 275 mm
festere (wie also von Warentest empfohlen) Schaumstoff-Polsterung, Luftschlitz in der Mitte.
Beide Sattel rund 29 - 32€, d.h. günstiger als die getesteten