Eigentlich sollen Patienten höchstens vier Wochen warten müssen, bis sie einen Facharzt sehen. Doch bei den vor zwei Jahren eingeführten Terminservicestellen ist noch Luft nach oben. Das neue Terminservice- und Versorgungsgesetz soll helfen, die langen Wartezeiten zu verkürzen. Wir zeigen, was das Gesetz noch für gesetzlich Versicherte bereithält.
Gesetz vom Bundestag verabschiedet
Gesetzlich Krankenversicherte sollen schneller einen Termin beim Arzt bekommen – das ist ein Kernziel des im März 2019 verabschiedeten Terminservice- und Versorgungsgesetzes. Es wird voraussichtlich im Mai 2019 in Kraft treten, einige Änderungen des Gesetzes sind aber erst für 2020 oder später geplant. Wesentliche Punkte des neuen Gesetzes:
- Schnellere Terminvergabe. Niedergelassene Ärzte sollen für gesetzlich Versicherte mindestens 25 Sprechstunden pro Woche statt bisher mindestens 20 Stunden anbieten.
- Mehr Sprechstunden ohne Termin. Fachärzte wie Gynäkologen, Augen- und HNO-Ärzte müssen künftig mindestens 5 Stunden pro Woche eine offene Sprechstunde anbieten, zu der Patienten ohne Termin kommen können.
- Bessere ärztliche Versorgung auf dem Land. In Gebieten mit zu wenigen Arztpraxen ist die jeweils zuständige Kassenärztliche Vereinigung verpflichtet, eigene Praxen oder mobile und telemedizinische Versorgungsalternativen anzubieten. Die Kassenärztlichen Vereinigungen sind jeweils für ein festgelegtes Gebiet (zum Beispiel Berlin, Mecklenburg-Vorpommern oder Bayern) für die vertragsärztliche Versorgung der Versicherten der Gesetzlichen Krankenversicherungen zuständig.
- Ausbau der Terminservicestellen bis Anfang 2020.
- Vermittlung zu Haus- und Kinderärzten und Unterstützung bei der Suche nach einem festen und dauerhaften Haus-, Kinder- und Jugendarzt.
- Vermittlung von Terminen zu Vorsorgeuntersuchungen („U“-Untersuchungen) für Kinder innerhalb von 4 Wochen.
- Bundeseinheitliche Nummer 116117 soll künftig rund um die Uhr (24/7) erreichbar sein.
- Wartezeit für eine psychotherapeutische Akutbehandlung darf maximal 2 Wochen betragen.
- Terminservicestellen sollen auch online oder per App für Terminvereinbarung erreichbar sein. - Krankenkassen übernehmen die Kosten für
- Kryokonservierung von Ei- und Samenzellen. Junge Erwachsene, die an Krebs erkrankt sind, können vor einer fruchtschädigenden Behandlung Keimzellgewebe, Ei- und Samenzellen einfrieren lassen, um später die Chance auf eigene Kinder zu erhöhen. Die Kassen tragen in diesen Fällen die Kosten für Frauen bis zum 40. Geburtstag und für Männer bis zum 50. Geburtstag.
- Präexpositionsprophylaxe (PrEP). Arzneimittel zur Vorbeugung einer HIV-Infektion bei Menschen mit erhöhtem Infektionsrisiko (siehe Meldung HIV-Schutz). - Festzuschuss für Zahnersatz erhöht sich. Von 50 auf 60 Prozent der Regelversorgung bei Zahnersatz. Das ist die Versorgung, die medizinisch ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich ist und auf die gesetzlich Krankenversicherte Anspruch haben – Goldlegierungen und Implantate etwa gehören nicht dazu.
- Verbesserte Qualität von Hilfsmitteln. Die Ausschreibungen für Inkontinenzprodukte, Rollstühle, Rollatoren und andere Hilfsmittel werden abgeschafft – Krankenkassen und Hilfsmittelerbringer müssen dann neu verhandeln. Patienten können damit auf bessere zuzahlungsfreie Hilfsmittel hoffen.
- Ambulante Pflege. Hier sind künftig auch reine Betreuungsdienste, die sich auf pflegerische Betreuungsmaßnahmen konzentrierenals Leistungserbringer für Sachleistungen zugelassen (etwa Haushaltshilfen, Begleitung für Spaziergänge, gedächtnisfördernde Beschäftigungen). Das heißt: Die Pflegenden müssen für die Betreuung nicht in Vorleistung gehen, sondern die Betreuungsdienste rechnen gleich mit der Pflegekasse ab.
- Elektronische Patientenakte. Krankenkassen müssen ihren Versicherten bis spätestens 2021 eine anbieten. So sollen Patienten schnell und sicher auf ihre Behandlungsdaten zugreifen können.
- Hebammenverzeichnis. Für Schwangere soll es ein Suchverzeichnis mit den Kontaktdaten und Leistungsspektren von Hebammen geben (Website/App).
Unser Rat
- Termin.
- Wenn Sie als gesetzlich Krankenversicherter einen Termin beim Facharzt brauchen, können Sie direkt dort anrufen. Sie können auch die Hilfe Ihres Hausarztes in Anspruch nehmen, bei der Terminservicestelle in Ihrem Bundesland anrufen oder den Service Ihrer Krankenkasse nutzen.
- Terminservicestelle.
- Termine beim Frauenarzt und beim Augenarzt vermittelt der Terminservice ohne Überweisung. Für alle anderen benötigen Sie eine Überweisung Ihres Hausarztes mit einer Codenummer, die Sie am Telefon nennen müssen.
- Krankenkasse.
- Fragen Sie Ihre Kasse nach Hilfe bei der Facharztsuche. Rund 50 Kassen haben als Extraleistung einen eigenen Terminservice, der ihren Mitgliedern telefonisch einen Termin beim Facharzt vermittelt – auch ohne Überweisung. Informationen zum Terminservice der zehn mitgliederstärksten Kassen finden Sie in der Tabelle Terminservicestellen der Kassenärztlichen Vereinigung.
- Terminabsage.
- Wenn Sie einen Arzttermin nicht wahrnehmen können, sagen Sie spätestens am Vormittag des Vortags in der Praxis ab. So kann jemand anders profitieren.
Terminservicestellen: Was schon klappt und was nicht
Mehr Gerechtigkeit bei der Terminvergabe. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hat mit dem neuen Gesetz auf das reagiert, was sein Vorgänger Hermann Gröhe schon vor über drei Jahren festgestellt hatte: Gesetzlich Krankenversicherte warten meist viel länger auf einen Termin beim Facharzt als privat Versicherte. Bei der Terminvergabe „machen viele Ärzte keinen Unterschied zwischen privat und gesetzlich, aber zu oft wird er eben doch gemacht“, sagte Spahn im September 2018 in der Haushaltsdebatte des Bundestages. Deshalb hat er das Terminservice- und Versorgungsgesetz auf den Weg gebracht.
Wartezeiten noch immer lang. Sein Vorgänger hatte die Terminservicestellen eingeführt. Doch unsere Umfrage aus dem Herbst 2018 zeigt: Viele Patienten haben noch nichts davon. Die 2016 eingeführten Servicestellen sollen dafür sorgen, dass die 72,7 Millionen gesetzlich Versicherten innerhalb von spätestens vier Wochen einen Termin bei einem Facharzt bekommen. Den Termin gibt es allerdings nicht unbedingt bei dem Arzt ihrer Wahl. Seit April 2017 sollen die Stellen auch Termine bei Psychotherapeuten vermitteln. Doch die Wartezeiten sind noch immer lang. Während 34 Prozent der gesetzlich Krankenversicherten länger als drei Wochen auf einen Termin beim Facharzt warten, sind es bei den Privatpatienten nur 18 Prozent. Das ergab eine Patientenbefragung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung im Frühjahr 2018.
Finanztest-Recherche: 345 000 Anrufe von Patienten
Zuständig für die Terminservicestellen sind die Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) in den Bundesländern. Sie organisieren die Stellen in eigener Regie. Im Jahr 2017 haben wir alle Kassenärztlichen Vereinigungen angeschrieben: Wir wollten wissen, wie viele Patienten die Stellen nutzen. Ergebnis: Im Jahr 2017 haben sich mehr als 345 000 Patienten an die 17 Terminservicestellen gewandt.
146 000 Patienten bekamen einen Termin
An einen Facharzt oder einen Psychotherapeuten vermittelt wurden knapp 146 000 Patienten, also viel weniger als angerufen hatten. Jens Flintrop, Sprecher der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe, erklärt: Ein Grund sei, dass „viele Anrufer zum Beispiel allgemeine Fragen zur Versorgung haben oder keine dringliche Überweisung zum Facharzt vorweisen können“. Womöglich können viele Anrufer auch den Code auf ihrer Überweisung vom Hausarzt am Telefon nicht nennen oder haben gar keinen bekommen.
Psychotherapie am begehrtesten
Weiteres Ergebnis unserer Umfrage: Die größte Nachfrage gab es nach einem Termin beim Psychotherapeuten. Danach kamen Augenärzte, Neurologen und Internisten.
Leserumfrage
Schildern Sie uns Ihre Erfahrungen bei der Facharztsuche, gerne auch die mit Terminservicestellen! Hatten Sie Schwierigkeiten oder hat es gut geklappt? Schreiben Sie uns bitte eine E-Mail an: arzttermin@stiftung-warentest.de.
Termine für Privatpatienten ...
Viele Kassenpatienten klagen über Unterschiede zwischen gesetzlich und privat Versicherten bei der Terminvergabe. Die sind schon auf den ersten Blick sichtbar. Beispiel: Ein Orthopäde in Hamburg fragt bei der Online-Terminvergabe zunächst nach dem Versichertenstatus. Ein gesetzlich Versicherter, der am 1. Oktober online nach einem Termin gefragt hat, bekommt frühestens am 26. November einen Termin. Ein privat Versicherter, der am gleichen Tag nach einem Termin fragt, kommt schon am 5. Oktober dran.
... sind lukrativer
Dieses Vorgehen ist weit verbreitet, bestätigt Bernhard Winter, einer der Vorsitzenden des Vereins Demokratischer Ärztinnen und Ärzte: „Auf den Websites vieler Ärzte ist die Terminvergabe getrennt nach privat und gesetzlich Versicherten.“ Es werden „Terminslots für Privatpatienten freigehalten, weil Ärzte an ihnen mehr verdienen“, sagt Winter (mehr im Interview).
„Wer kontrolliert das?“
Ob fünf Sprechstunden mindestens mehr pro Woche ab Frühjahr 2019 eine Verbesserung bringen, ist ungewiss. „Wer kontrolliert das?“, fragt Winter. Schon jetzt weiß das Gesundheitsministerium nichts über das Thema. Es antwortete auf eine parlamentarische Anfrage zum „Sprechstundenumfang“ für gesetzlich Versicherte: „Informationen bezüglich der wöchentlichen Sprechstundenzeiten liegen der Bundesregierung nicht vor.“
Dieses Special erschien erstmals am 6. Februar 2016 auf test.de. Es wurde seitdem mehrfach aktualisiert, zuletzt am 12. April 2019.
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Ich habe früher in einer Zahnarztpraxis gearbeitet.
Die Sprechstunde startete um 8:00. Termine sind im 15 Minuten Rhythmus vergeben worden. Also 8:00/ 8:15 / 8:30/ 8:45. Das sind schon 4 Patienten welche in der Zeit in der Praxis eingetroffen sind.
Wer kommt aber regelmäßig fröhlich pfeifend um 8:50 in die Praxis ... der Behandler!
Also Warten schon 4 Patienten, der 5.Patient kommt um 9:00. Voraussichtlich noch ein Schmerzfall.
Und ich weiß das dies kein Einzelfall ist! Läuft in anderen Praxen genau so!
Die Mitarbeiter können hier nichts für! Sie müssen die Termine so vergeben wie der Chef dies wünscht!
Nur wenn er nicht da ist....
Zu Privatpatient: Im unserem Haushalt leben auch Privatversicherte. Die warten im Wartezimmer beim Hausarzt genau so wie die GKV-Patienten! Jeder kommt der Reihe nach dran!
Termine zum MRT hat der GKV-Pat. sogar schon schneller bekomme als der PKV Patient. Kommt wohl auch auf die Praxis an.
Sie schreiben: "Sie [GKV, GuessWhat] sorgt dafür, dass nicht mehr erwerbsfähige Menschen wieder ihrer Arbeit nachgehen und dann Beiträge leisten können."
Den Satz verstehe ich nicht. Ärzte sorgen dafür, dass kranke Menschen wieder (hoffentlich) gesund werden und ihrem normalen Leben nachgehen können. Das machen weder PKV noch GKV. Beide regeln jedoch, ob und in welchem Umfang ein Patient die Kosten für ärztliche Behandlungen und Medikamente erstattet bekommt. Das ist keine Errungenschaft des Staates (GKV). Private Krankenversicherungen gibt es in Deutschland seit über 150 Jahren.
Mir selbst aussuchen zu können, ob und falls wo und in welchem Umfang ich mich versichere, halte ich dagegen schon für eine Errungenschaft ... des Kapitalismus. Der Staat nimmt ca. 90 % der Bürger (ca. 10 % sind privatversichert) diese Wahlfreiheit aber weg und bestimmt, welche Leistungen sie zu welchen Preisen erstattet bekommen oder eben nicht.
Schnellere Termine per Gesetz, ist das die Lösung? Eher nein.
Es mag ja sein, das privatversichterte Personen eher eine Termin beim Facharzt erhalten, als ein "normal sterblicher". Da habe ich nichts dagegen. Aber wenn ich GKV-Patient, wegen einer Muskelverletzung, die schnellstmöglich behandelt werden soll, für eine MRT Untersuchung beim Radiologen, knapp 3(!) Monate warten soll, dann kann der PKV Vorzug nicht die Ursache sein. Ich sehe eher einen generellen Mangel an Fachärzten und Gerätschaften als Ursache für das Desaster.
Vielleicht ist auch die katastrophale Terminorganisation wegen unzureichend geschultem und unterbezahltem Personal die Ursache. Da kann das basteln an neuen Gesetzen wenig bewirken.
Die Überschüsse der GKV-Kassen müssen überlegt eingesetzt werden, damit Beitragszahler im Ernstfall die versprochenen Leistungen zeitnah erhalten.
Die gesetzliche Pflicht-Krankenversicherung ist eine zivilisatorische Errungenschaft. Sie sorgt dafür, dass nicht mehr erwerbsfähige Menschen wieder ihrer Arbeit nachgehen und dann Beiträge leisten können.
Problematisch hingegen ist, wenn Unternehmen, die sich im Preiskampf befinden, Krankheitskosten bei ihren Angestellten durch Überlastung erzeugen. Andere Unternehmen müssen dem Preisdruck standhalten, was zu einer Intensivierung der Arbeitsbelastung führt. Diese "modernen" Krankheitskosten belasten die Krankenkassen und führen zu höheren Beiträgen oder weniger Leistungen als sonst möglich. Dazu kommen mangelndes Wissen über Gesunderhaltung (Bewegung und Ernährung). Die Kostentreiber sind nicht mehr Unfälle oder Bakterien, Pilze und Viren.
Die Lösung ist nicht die Privatversicherung, sondern Prävention und Schutz in bestimmten Branchen.
Wenn ich bei einem Handwerker anrufe und um einen Termin für die Sanierung meines Bads bitte und dann sage, ich zahle ihm aber nur ein Drittel des Preises, den mein Nachbar für dieselben Arbeiten zahlt und belaste ihn noch mit drei Stunden Papierkrieg ... wer wird dann wohl eher einen Termin bekommen, ich oder mein Nachbar?
So werden natürlich Privatpatienten immer bei Ärzten bevorzugt. Alles andere wäre auch absurd.