
Früher mussten Verbraucher stets für sich klagen. Heute können sie sich an Musterfeststellungsklagen beteiligen – ohne Risiko. Gewinnen Verbraucherschutzverbände die Klagen, kommen registrierte Verfahrensteilnehmer zu ihrem Recht. So können Sparkassen-Kunden mit Prämiensparverträgen eine womöglich satt vierstellige Zins-Nachzahlung durchsetzen. Die Verbraucherzentrale Brandenburg will jetzt auch gegen die Sparkasse Barnim klagen und sucht nach Betroffenen. test.de sagt, wie Musterfeststellungsklagen funktionieren und wie Verbraucher profitieren können.
Musterfeststellungsklage – alle Informationen, alle Klagen
Prämienspar-Klagen gegen Sparkassen. Bei vielen Prämienspar-Verträgen sanken die Zinsen schnell und stiegen langsam. Die Verbraucherzentrale Sachsen klagt gegen Erzgebirgs- und Saalesparkasse sowie die Sparkassen Leipzig, Meißen, Muldental, Nürnberg, Vogtland und Zwickau, der Verbraucherzentrale Bundesverband gegen Saalesparkasse und Sparkasse Nürnberg und die Verbraucherzentrale Bayern gegen die Sparkasse München. Die Verbraucherzentrale Brandenburg will gegen die Sparkasse Barnim vorgehen und sucht nach betroffenen Verbrauchern. Sparer haben nach ersten verbraucherfreundlichen Urteilen gute Chancen auf einen vierstelligen Zinsnachschlag. Allerdings: Viele Sparkassen haben inzwischen Prämienspar-Verträge gekündigt. Dann läuft die Verjährung. Hier lesen Sie alle Details zu den Prämienspar-Klagen gegen die Sparkassen.
Klage gegen VW. Das Verfahren ist bereits beendet. Der Verbraucherzentrale Bundesverband hatte mit Unterstützung des ADAC gegen Volkswagen geklagt. Rund 240 000 Autobesitzer erhalten insgesamt gut 800 Millionen Euro. Hier lesen Sie alle Details zur Klage gegen VW.
Klage gegen die Bisnode Deutschland GmbH. Die Schutzgemeinschaft für Bankkunden hat vergeblich gegen die frühere Hoppenstedt Kreditinformationen GmbH geklagt. Der Bundesgerichtshof hält den Verein für nicht klagebefugt. Betroffene Verbraucher behalten ihre Rechte. Details zur Klage gegen die Bisnode GmbH.
Klage gegen den Insolvenzverwalter der BEV Bayerische Energieversorgungsgesellschaft mbH. Auf die Klage des Verbraucherzentrale Bundesverbands (vzbv) hin hat das Oberlandesgericht München festgestellt: Der Neukundenbonus von bis zu 25 Prozent der Jahresstromrechnung ist auch Kunden gutzuschreiben, die weniger als ein Jahr vor der Pleite beim Billigstromanbieter unterschrieben haben. Hier lesen Sie alle Details zur Klage gegen den Insolvenzverwalter der BEV Bayerische Energieversorgungsgesellschaft mbH.
Klage gegen die Max-Emanuel Immobilien GmbH. Der DMB Mieterverein München klagt gegen die Eigentümerin des Hohenzollernkarrees in München-Schwabing. Sie will es modernisieren und die Mieten dramatisch erhöhen. Das Oberlandesgericht München hat die Gesellschaft bereits verurteilt. Das Urteil ist aber noch nicht rechtskräftig. Details zur Klage gegen die Max-Emanuel Immobilien GmbH.
Klage gegen die Mercedes-Bank. Die Schutzgemeinschaft für Bankkunden hat wegen der Verweigerung des Kreditwiderrufs vergeblich gegen die Mercedes-Bank geklagt. Der Bundesgerichtshof hält den Verein für nicht klagebefugt. Betroffene Verbraucher behalten ihre Rechte. Hier lesen Sie alle Details zur Klage gegen die Mercedes-Bank.
Klage gegen die VW-Bank. Die Schutzgemeinschaft für Bankkunden hat wegen der Verweigerung des Kreditwiderrufs vergeblich gegen die VW-Bank geklagt. Der Bundesgerichtshof hält den Verein für nicht klagebefugt. Betroffene Verbraucher behalten ihre Rechte. Hier lesen Sie alle Details zur Klage gegen die VW-Bank.
Wie funktioniert die Musterfeststellungsklage?
Seit dem 1. November 2018 gibt es diese neue Klagemöglichkeit für registrierte Verbraucherschutzverbände wie den vzbv und die verschiedenen Verbraucherzentralen. Sie sind schon jetzt berechtigt, von Unternehmen zu fordern, verbraucherfeindliche Praktiken zu unterlassen. Nun können Verbände mit mindestens 350 Mitgliedern oder zehn Mitgliedsverbänden, die seit mindestens vier Jahren für Unterlassungsklagen registriert sind, auch Musterfeststellungsklagen erheben. Weitere Voraussetzung: Höchstens fünf Prozent der Finanzen des Verbandes kommen von Unternehmen.
Zusätzliche Hürde für Musterfeststellungsklagen: Innerhalb von zwei Monaten ab öffentlicher Bekanntmachung der Musterklage müssen mindestens 50 Verbraucher ihre Rechte zur Eintragung in das Klageregister angemeldet haben.
Was Verbraucher tun müssen, um zu profitieren
Verbraucher müssen sich für eine Musterklage, die sie betrifft, registrieren lassen. Das ist kostenlos. Links zur Anmeldung finden Sie in den Informationen zu den Musterklagen gegen die Sparkassen.
Aktuell sind nur Anmeldungen zu einigen dieser Musterfeststellungsklagen möglich. Alle anderen Verfahren sind noch nicht bekanntgemacht oder die Anmeldefrist schon wieder abgelaufen. Die Anmeldung ist nur zwischen Klageerhebung und erstem Verhandlungstermin möglich. Das Verfahren geht nur weiter, wenn sich innerhalb von zwei Monaten mindestens 50 Betroffene registrieren.
Das bringt die Musterfeststellungsklage den Verbrauchern
Sie ermöglicht es Verbrauchern, sich ohne eigenes Risiko Verbraucherschutzklagen verbindlich und mit minimalem Aufwand anzuschließen. Sogar die Erstattung von illegalen Gebühren in Höhe von wenigen Euro wie zum Beispiel für die Benachrichtigung über Rücklastschriften lässt sich auf diese Weise mit vertretbarem Aufwand durchsetzen. Das Interesse ist gewaltig. Für die Musterfeststellungsklage des vzbv gegen VW hatten sich fast 500 000 Käufer von Skandal-Autos mit illegaler Motorsteuerung angemeldet.
Die Musterfeststellungsklage ist keine Sammelklage
Die Musterfeststellungsklage ist keine regelrechte Sammelklage, wie es sie vor allem in den USA gibt. Dort können die Gerichte Unternehmen verurteilen, an eine unbestimmte Vielzahl von Menschen mehr oder weniger hohe Entschädigungen zu zahlen. Das dürfen deutsche Gerichte auch in Zukunft nicht. Immerhin: Die Musterfeststellungsklage ermöglicht es, gesammelt für alle Betroffenen feststellen zu lassen, dass grundsätzlich eine Entschädigung zu zahlen ist. Wie hoch die ist, wird allerdings weiter im Einzelfall geklärt.
So viel Schlagkraft haben die Verbraucherschutzverbände
Die Erfahrungen mit Unterlassungsklagen etwa gegen Unternehmen mit verbraucherfeindlichen Geschäftsbedingungen zeigen: Die Verbände haben genug Schlagkraft, um wichtige Rechtsfragen klären zu lassen. Viel hängt allerdings davon ab, wie hoch die Gerichte den Streitwert von Musterfeststellungsverfahren ansetzen werden.
Streitwert. Das neue Gesetz enthält dazu nur eine einzige Regelung: Höchstgrenze für den Streitwert von Musterfeststellungsverfahren sind 250 000 Euro. Gehen die Gerichte – wie bei Unterlassungsklagen üblich – von einem Streitwert von 2 500 Euro je Fall aus, werden sich Verbraucherschutzverbände eine ganze Reihe von Klagen leisten können.
Prozesskosten. Setzen die Gerichte höhere Streitwerte an, wird es schwierig. Das Prozesskostenrisiko steigt dann. Eine Klage mit einem Streitwert von 250 000 Euro kostet, wenn es – wie bei Verbraucherschutzstreitigkeiten oft – durch alle möglichen Instanzen geht, mindestens etwas mehr als 50 000 Euro. Sind aufwendige Sachverständigengutachten oder andere Beweiserhebungen nötig, dann wir es noch teurer. Zahlen muss, wer am Ende verliert.
Unterstützung. Der vzbv erhält zusätzliche Mittel von der Bundesregierung, um das Prozesskostenrisiko und das erforderliche zusätzliche Personal für die Musterfeststellungsklage gegen VW zu finanzieren.
Alternative Wege bleiben für Verbraucher bestehen
An der Möglichkeit, Forderungen an Verbraucherinkassounternehmen wie Myright.de, Metaclaims, Flightright oder Fairplane abzutreten, ändert sich nichts – egal, ob es um den VW-Skandal oder um Fluggastrechte geht. Solche zuweilen ebenfalls als „Sammelklage“ bezeichnete Verfahren bleiben zulässig.
In Zukunft: EU-Verbandsklage
Die Europäische Union (EU) hat beschlossen: Verbraucherverbände bekommen das Recht, Unternehmen auch auf die Zahlung von Schadenersatz direkt an betroffene Verbraucher zu verklagen. Die ist Anfang Januar in Kraft getreten. Die Bundesrepublik Deutschland und die übrigen EU-Mitgliedsstaaten haben jetzt zwei Jahre lang Zeit, gesetzliche Regeln für das Verfahren zu schaffen. Ab 2023 werden EU-Sammelklagen möglich sein.
Das gibt die EU-Richtlinie vor
Verbraucher, die sich einer solchen Klage ausdrücklich oder stillschweigend anschließen, profitieren von einer Verurteilung des Unternehmens direkt, ohne dass sie selbst erneut vor Gericht ziehen müssen.
Dieses Special wird regelmäßig aktualisiert. Jüngstes Update: 1. Februar 2021.