
Stoßverkehr auf der Corneliusstraße in Düsseldorf: Hier sollte es ein Fahrverbot für Autos mit älterem Dieselmotor geben. Doch die Regierung weigert sich.
Bundesverwaltungsgericht und Gericht der Europäischen Union haben geurteilt: Behörden müssen Luftreinhaltepläne verschärfen und Fahrverbote für Fahrzeuge mit hohem Stickoxidausstoß anordnen, wenn die Grenzwerte anders nicht einzuhalten sind. In einzelnen Städten gelten bereits Dieselfahrverbote. Neues Urteil: Lassen sich Schadstoffgrenzwerte bald auch ohne Fahrverbot einhalten, dann sind Fahrverbote rechtswidrig.
Fahrverbote – wo, ab wann, für wen
Was bedeuten die Urteile des Bundesverwaltungsgerichts zu Luftreinhalteplänen?
Die beiden Grundsatz-Urteile vom 27. Februar 2018 (Aktenzeichen 7 C 26.16 und Aktenzeichen 7 C 30.17) verpflichten die Behörden in Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen, die Luftreinhaltepläne für Stuttgart und Düsseldorf so zu verschärfen, dass die Grenzwerte vor allem für Stickoxid und Feinstaub so bald als möglich eingehalten werden. Das Bundesimmissionsschutzgesetz schreibt entsprechende Maßnahmen vor, wenn die Schadstoffgrenzwerte in der Luft überschritten werden. Unstrittig ist, dass ein Großteil der Stickoxide und des Feinstaubs in stark belasteten Innenstädten aus Dieselmotoren von Autos und Lastwagen stammen. Deshalb werden die verschärften Luftreinhaltepläne nach den Urteilen des Bundesverwaltungsgerichts auch Fahrverbote enthalten müssen.
Allerdings: Zeichnet sich ab, dass der Grenzwert für Stickoxide in der Luft sich in absehbarer Zeit auch ohne Diesel-Fahrverbot einhalten lässt, dann kann das Fahrverbot unverhältnismäßig und damit rechtswidrig sein. So urteilte das Bundesverwaltungsgericht am 27. Februar 2020 im Verfahren mit dem Aktenzeichen: 7 C 3.19.
Es ging um Dieselfahrverbote für Reutlingen. Der Verwaltungsgerichtshof in Mannheim hatte das Land Baden-Württemberg dazu verurteilt, einen neuen Luftreinhalteplan mit Fahrverboten zu verabschieden. Ein neuer Luftreinhalteplan muss wirklich her, urteilten die Bundesverwaltungsrichter. Ob Fahrverbote wirklich nötig sind, stehe aber noch nicht fest. Der Verwaltungsgerichtshof muss jetzt prüfen, ob das Land für seine Prognose, wonach der Stickoxidgrenzwert bald auch ohne Fahrverbot eingehalten wird, ausreichende Belege hat.
Haben sich die EU-Gerichte inzwischen zu Fahrverboten geäußert?
Ein Urteil direkt zu Fahrverboten hat bisher kein EU-Gericht gefällt. Allerdings hat das Gericht der Europäischen Union in Luxemburg indirekt Stellung genommen. Nach dem Urteil vom 13.12.2018 zu den Aktenzeichen T-339/16, T-352/16 und T-391/16 sind selbstverständlich Fahrverbote zu verhängen, wenn es nötig ist, um die Schadstoffgrenzwerte in der Luft einzuhalten.
Es erklärte auf eine Klage der Städte Paris, Brüssel und Madrid eine Verordnung der EU-Kommission für nichtig. Darin hatte die Kommission für den Schadstoffausstoß im Fahrbetrieb erheblich höhere Grenzwerte aufgestellt, als EU-Parlament und -Rat sie zuvor festgesetzt hatten.
Die EU-Kommission hatte für nach der neuen RDE-Norm (RDE für „Real Driving Emmission“) gemessenen Schadstoffausstoß festgesetzt: Euro 6-Autos dürfen zunächst 168 und später 120 Milligramm Stickoxid je Kilometer Fahrt ausstoßen. EU-Parlament und -Rat hatten den Grenzwert 2007 dagegen auf höchstens 80 Milligramm je Kilometer festgesetzt. Gemessen wurde der Schadstoffausstoß zunächst jedoch nur im Prüfstand unter genau definierten Bedingungen.
Auf Drängen der Autoindustrie hatte die EU-Kommission beim Wechsel der Norm für die Messung des Schadstoffausstoßes auf das RDE-Verfahren erheblich höhere Grenzwerte festgesetzt. Die Städte Paris, Brüssel und Madrid sahen sich dadurch gehindert, die Belastung der Luft mit Stickoxid auf die von EU verordneten Höchstwert von 40 Milligramm je Kubikmeter Luft zu begrenzen. Sie klagten gegen die industriefreundliche Regelung. Jetzt muss die EU-Kommission innerhalb von 14 Monaten neue Regelungen finden. Tut sie es nicht, bleibt es bei für nach Euro 6 zugelassene Dieselautos bei dem Grenzwert von 80 Milligramm je Kilometer Fahrt. Offen ist dann, wie der Schadstoffausstoß gemessen wird.
Allerdings: Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Die EU-Kommission hat Berufung eingelegt. Jetzt entscheidet der Europäische Gerichtshof. Einzelheiten zum erstinstanzlichen Urteil in der Pressemitteilung des Gerichts.
Was ist mit der Regelung im Bundesimmissionsschutzgesetz, wonach Fahrverbote nur zulässig sind, wenn 50 oder mehr Mikrogramm Stickoxid je Kubikmeter Luft gemessen werden?
Die Regelung des § 47 Absatz 4a Satz 1 Bundesimmissionsschutzgesetz, die der Bundestag verabschiedet hat, um Fahrverbote zu verhindern, verstößt gegen EU-Recht und ist unwirksam. So hat es das nordrhein-westfälische Oberverwaltungsgericht entschieden (Urteil vom 31.07.2019, Aktenzeichen: 8 A 2851/18). Zuvor hatten bereits zahlreiche Juristen das so gesehen. Gegen Deutschland läuft in Brüssel bereits ein Vertragsverletzungsverfahren wegen unzureichender Umsetzung der Luftreinhalte-Richtlinien.
Für welche Fahrzeuge werden Fahrverbote gelten?
Das Bundesverwaltungsgericht unterscheidet: Wird nur eine bestimmte Straße gesperrt, darf die Sperrung alle Autos und Lastwagen erfassen, die für die Überschreitung von Schadstoffgrenzwerten mit verantwortlich sind. Viele Experten vermuten: Das Fahrverbot wird für Bereiche, in denen die Stickoxid-Konzentration in der Luft die Grenzwerte überschreitet, alle Kraftfahrzeuge mit Dieselmotor betreffen müssen, die nicht im Sinne der neuesten und strengsten Norm Euro 6d temp oder Euro 6d schadstoffarm sind – also Autos genauso wie Last- und Lieferwagen. Ausreichend ist, wenn einzelne besonders hart betroffene Autobesitzer Ausnahmen im Einzelfall beantragen können. Für die Sperrung ganzer Bereiche für Diesel allerdings sind Fahrverbote nur mit Einschränkungen zulässig. Für Euro-6-Autos dürfen nach den Urteilen des Bundesverwaltungsgerichts solche Gebiets-Fahrverbote frühestens am 1. September 2021 in Kraft treten. Sie sind dann mindestens vier Jahre alt. Erst danach sind Fahrverbote für solche Autos nach Auffassung der Bundesrichter verhältnismäßig.
Einem Bericht des Spiegel zufolge befürchtet die Bundesregierung allerdings, dass die aktuellen Fahrverbote, die nur bis einschließlich nach Euro 5 zugelassene Diesel erfassen, nicht reichen werden, um die EU-Grenzwerte einzuhalten. Zumindest ein großer Teil der Euro-6-Diesel stößt im Straßenverkehr kaum weniger Stickoxid aus als Autos mit älteren Motoren.
Wo muss es Fahrverbote geben?
Nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgericht steht fest: Diesel-Fahrverbote sind überall dort zu verhängen, wo die Stickoxid-Konzentration in der Luft den Grenzwert überschreitet und ohne Dieselfahrverbot keine Besserung in Sicht ist. Kandidaten sind für Fahrverbote sind damit:
Stadt (Mikrogramm Stickoxid je Kubikmeter Luft im Durchschnitt 2016/2017/2018):
Aachen (49/46/43)
Augsburg (46/44/43)
Backnang (-/53/-)
Bensheim (-/41/-)
Berlin (52/49/49)
Bonn (-/48/-)
Darmstadt (55/52/-)
Dinslaken (-/41/-)
Duisburg (-/44/-)
Dortmund (51/50/51)
Düsseldorf (58/56/53)
Essen (51/50/-)
Esslingen (-/48/-)
Frankfurt am Main (52/54/-)
Freiburg im Breisgau (41/49/50)
Gießen (44/42/44)
Gladbeck (-/42/-)
Halle (Saale) (46/43/40)
Hamburg (62/58/55)
Hannover (55/44/48)
Heilbronn (57/55/52)
Herrenberg (-/47/-)
Hildesheim (-/42/-)
Hürth (-/44/-)
Kiel (65/56/60)
Köln (63/62/59)
Leonberg (47/43/45)
Leverkusen (45/46/43)
Limburg (Lahn) (60/58/-)
Ludwigsburg (53/51/51)
Ludwigshafen (Rhein) (46/44/40)
Mainz (53/48/47)
Mannheim (-/45/47)
Mönchengladbach (-/42/-)
Mühlacker (-/47/-)
München (80/78/66)
Neuss (-/45/-)
Nürnberg (46/43/46)
Offenbach am Main (-/48/-)
Oldenburg (Oldb.) (50/49/48)
Osnabrück (48/46/-)
Overath (-/43/-)
Pleidelsheim (-/44/-)
Reutlingen (66/60/53)
Schwerte (-/46/-)
Siegen (-/46/-)
Stuttgart (82/73/71)
Tübingen (48/48/46)
Walzbachtal (-/42/-)
Wiesbaden (53/50/48)
Witten (-/43/-)
Wuppertal (49/49/45)
„-“ = Messwert liegt (noch) nicht vor
Quelle: Umweltbundesamt
Es muss nicht unbedingt die gesamte Umweltzone für Diesel gesperrt werden. Je nach Verteilung der Belastung mit Stickoxid kann ausreichen, kleinere Bereiche oder einzelne Straßen für Autos mit hohem Stickoxid-Ausstoß zu sperren. In Städten, wo die durchschnittliche Belastung der Luft mit Stickoxid nur knapp über dem Grenzwert von 40 Mikrogramm je Kubikmeter liegt und die Belastung zuletzt gesunken ist, sind Fahrverbote möglicherweise gar nicht nötig. Dort könnten die Behörden andere Wege finden, die Stickoxidbelastung auf das zulässige Maß zu begrenzen.
Wo gibt es bereits Fahrverbote?
Die ersten Fahrverbote hat Hamburg verhängt. Ein knapp 600 Meter langer Abschnitt der Max-Brauer-Allee ist für alle Autos mit Dieselmotoren unterhalb von Euro 6 gesperrt. Auf der Stresemannstraße in Altona sind Lastwagen mit älteren Dieselmotoren verboten. Für beide Dieselverbotsstrecken gilt: Freie Fahrt für Anlieger.
Inzwischen sind auch in Berlin erste Diesel-Fahrverbote in Kraft getreten, weitere sollen folgen. Gesperrt werden:
Silbersteinstraße ist zwischen Hermannstraße und Karl-Marx-Straße
Herrmannstraße zwischen Emser Straße und Silbersteinstraße
Alt-Moabit zwischen Gotzkowsky- und Beusselstraße
Brückenstraße zwischen Köpenicker Straße und Holzmarktstraße
Friedrichstraße zwischen Unter den Linden und Dorotheenstraße
Hermannstraße zwischen Silbersteinstraße und Emser Straße
Leipziger Straße zwischen Leipziger Platz und Charlottenstraße
Reinhardtstraße zwischen Charitéstraße und Kapelle-Ufer und
Stromstraße zwischen Bugenhagen- und Turmstraße
für Diesel bis Schadstoffklasse Euro 5 gesperrt, Anlieger frei.
In Darmstadt sind Abschnitte von Hügel- und Heinrichstraße für Dieselautos bis einschließlich Schadstoffklasse Euro 5 und für Benziner bis einschließlich Euro 2 gesperrt.
In Stuttgart ist die Umweltzone und damit weite Teile des Stadtgebiets für Diesel bis zur Schadstoffklasse Euro 5 gesperrt. Das Land setzt damit die Vorgaben des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg um. Wegen zu zögerlicher Umsetzung hatte das Land bereits wiederholt Zwangsgelder zahlen müssen. Es gelten Ausnahmen oder Einschränkungen für Einsatzkräfte, Lieferverkehr und Menschen mit Behinderung oder in medizinischen Notfällen geben. Die Stadt informiert unter stuttgart.de/diesel-verkehrsverbot über Einzelheiten und den aktuellen Stand.
Ob die bisherigen Fahrverbote ausreichen, um die Stickoxid-Konzentration in der Luft unter 40 Mikrogramm je Kubikmeter Luft zu senken, erscheint zweifelhaft. Laut Bundesverwaltungsgericht sind streckenbezogene Fahrverbote auch für Anwohner verhältnismäßig. Niemand habe ein Recht darauf, mit seinem Auto bis vors Haus fahren zu dürfen, heißt es in den Urteilsbegründungen. Für Hamburg hat das Oberverwaltungsgericht bereits entschieden: Der Luftreinhalteplan muss um weitere Fahrverbote ergänzt werden. Welche das sind, steht aber noch nicht fest. In der Pressemitteilung zum Urteil (vom 5. Dezember 2019, Aktenzeichen. 1 E 23/18) ist die Rede von „...den Bereichen Habichtstraße sowie dem Straßenkomplex Högerdamm, Spalding- und Nordkanalstraße“.
Nicht Thema in den bisherigen Urteilen, aber naheliegend: Streckenverbote müssen anders als Zonenfahrverbote auch Euro 6-Diesel erfassen. Die stoßen kaum weniger Stickoxid aus als Euro 5-Diesel. Erst nach der Norm Euro 6d-temp zugelassene Diesel stoßen erheblich weniger Stickoxid aus. Für Fahrverbote für ganze Bereiche wie in Stuttgart allerdings gilt: Sie sind nur verhältnismäßig, wenn betroffene Autos mindestens 4 Jahre alt sind. Fahrten mit Euro 6-Diesel dürfen danach frühestens im Herbst 2021 verboten werden.
Wo sind Fahrverbote konkret geplant?
Für Aachen ist nach einem Urteil des nordrhein-westfälischen Oberverwaltungsgerichts (vom 31.07.2019, Aktenzeichen: 8 A 2851/18) offen, ob Fahrverbote nötig sind. So hatte es das Verwaltungsgericht in erster Instanz gesehen. Der aktuelle Luftreinhalteplan für Aachen sei aber unzureichend und damit rechtswidrig, urteilten die Oberverwaltungsrichter jetzt. Die Behörden müssen neu prüfen, welche Maßnahmen nötig sind, um die Belastung der Luft mit Stickoxid auf höchstens 40 Mikrogramm je Kubikmeter Luft zu begrenzen. Dabei kommen Fahrverbote auch in Frage, wenn die Stickoxidkonzentration nicht 50 oder mehr Mikrogramm je Kubikmeter Luft beträgt, stellten die Richter klar. Die vom Bundestag verabschiedete gesetzliche Regelung, die genau dies vorsah, sei ein Verstoß gegen das EU-Recht und daher unwirksam. Weitere Einzelheiten zum Urteil in der ausführlichen Pressemitteilung des Gerichts.
In Bonn reichen den Verwaltungsrichtern streckenbezogene Fahrverbote aus. Die Straße Belderberg sollte demnach ab April 2019 für Diesel bis Euro 4 tabu sein. Auf der Reuterstraße sollten sogar nicht mal mehr Euro 5-Diesel fahren dürfen. Außerdem wollten die Verwaltungsrichter die städtische Busflotte mit Stickoxid-Speicherkatalysatoren nachgerüstet wissen. Die Fahrverbote kommen aber erst einmal nicht. Das Land Nordrhein-Westfalen hat Berufung eingelegt. Es hat einen neuen Luftreinhalteplan vorgelegt, der ganz ohne Fahrverbote auskommt. Ob das rechtlich haltbar ist, erscheint zweifelhaft. Das Oberverwaltungsgericht in Münster hat zum Luftreinhalteplan für Köln geurteilt und hält dort Dieselfahrverbote rund um vier Messstellen mit deutlicher Überschreitung des Grenzwerts für die Stickoxidbelastung für zwingend. Doch auch gegen dieses Urteil hat das Land Rechtsmittel eingelegt und muss sich erneut das Bundesverwaltungsgericht mit dem Luftreinhalteplan für Köln befassen.
Für Düsseldorf verlangen Urteile des Verwaltungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts, Fahrverbote zu planen. Doch Bezirks- und Landesregierung weigerten sich. Stattdessen haben die Behörde auf Merowingerstraße und Prinz-Georg-Straße so genannte Umweltspuren eingerichtet. Die dürfen nur Fahrräder, Busse, Elektroautos und Taxis befahren. Nach dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts in Münster, nach dem in Köln rund um Messstellen mit Überschreitung der Stickoxid-Grenzwerte Fahrverbote nötig sind, erwarten die Richter dort, dass Umweltverbände und Behörden sich für Düsseldorf auf Grundlage ihrer Ansagen einigen.
In Essen sollten zunächst weite Teile der Innenstadt und erstmals auch ein Stück Autobahn für Autos mit Dieselmotoren gesperrt werden. Doch das ist jetzt vom Tisch. Land und Umwelthilfe haben sich auf einen Vergleich geeinigt, der unter anderem Umweltspuren und die Umrüstung von Bussen umfasst und die Einhaltung der Stickoxid-Grenzwerte bereits im kommenden Jahr gewährleistet, aber der keine Fahrverbote umfasst. Einzelheiten in der Pressemitteilung des Oberverwaltungsgerichts in Münster.
Für Frankfurt am Main urteilte das Verwaltungsgericht Wiesbaden: Die hessische Landesregierung ist verpflichtet, die Umweltzone für alle Diesel bis zur Schadstoffklasse Euro 4 und von September 2019 an bis zu Schadstoffklasse Euro 5 zu sperren. Allerdings hat der Verwaltungsgerichtshof in Kassel inzwischen auf Antrag des Landes Hessen die Berufung gegen das Urteil zugelassen. Ob und wann das Fahrverbot kommt, ist damit wieder offen.
In Hamburg müssen nach einem Urteil des Oberverwaltungsgerichts dort (Aktenzeichen: 1 E 23/18) zusätzlich auch noch unverzüglich die Straßenzüge Habichtstraße sowie Högerdamm, Spalding- und Nordkanalstraße für Diesel zu sperren. Das Urteil ist allerdings noch nicht rechtskräftig. Wenn Hamburg in Revision geht, wird sich das Verfahren zumindest noch für Monate hinziehen.
In Köln sollen Autos mit Dieselmotor und Euro 5 oder älter rund um die Messstellen
- Clevischer Ring
- Justinianstraße
- Luxemburger Straße und
- Neumarkt
nicht mehr fahren dürfen. So hat es das Oberverwaltungsgericht in Münster entschieden (Urteil vom 12.09.2019, Aktenzeichen: 8 A 4775/18). Einzelheiten und Ausnahmen muss die Bezirksregierung Köln festlegen. Das Land Nordrhein-Westfalen hat gegen das Urteil inzwischen Revision eingelegt. Jetzt muss sich das Bundesverwaltungsgericht erneut mit Dieselfahrverboten befassen. Bis Fahrverbote kommen, werden zumindest noch Monate vergehen.
Für München verzichtet die bayerische Landesregierung weiterhin auf Dieselfahrverbote, obwohl Verwaltungsgericht und Verwaltungsgerichtshof sie längst dazu verurteilt haben. Die Justiz hat sogar zweimal Zwangsgelder verhängt. Die hat das Land gezahlt, Adressat solcher Zahlungen allerdings: die Landeskasse. Aktuell prüft daher der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, ob er verantwortliche Politiker und Behördenvertreter von Ministerpräsident Markus Söder bis hin zu den zuständigen Sachgebietsleitern im Umweltministerium und der Regierung Oberbayern in Zwangshaft zu nehmen hat. Nach deutschem Recht ist das schwierig. Der Gerichtshof hat deshalb den Europäischen Gerichtshof in Luxemburg angerufen.
In Reutlingen muss es nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshof Mannheim Fahrverbote geben (Urteil vom 18.03.2019, Aktenzeichen: 10 S 1977/18). Das Bundesverwaltungsgericht allerdings meint: Wenn die Landesregierung ihre Prognose belegen kann, wonach die Stickoxidgrenzwerte in Reutlingen bald auch ohne Dieselfahrverbote eingehalten werden können, dann dürfen sie nicht verhängt werden (Urteil vom 27.02.2020, Aktenzeichen: 7 C 3.19).
Für Bielefeld, Bochum, Düren, Gelsenkirchen, Hagen, Oberhausen und Paderborn dagegen sind Fahrverbote inzwischen endgültig vom Tisch. Umweltschützer und Landesregierung einigetn sich jeweils auf Vergleiche mit Tempobeschränkungen, Verpflichtung zum Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs und weiterer Maßnahmen.
Woran erkenne ich Fahrverbote?
Dieselfahrverbote zeigen entweder das Schild Verbot für Kraftwagen oder Umweltzone an. In Umweltzonen wird ein Zusatzschild allen Autos außer Diesel bis einschließlich Euro 4 oder Euro 5 die Fortsetzung der Fahrt erlauben. Oft werden die Behörden noch ergänzen: „Anlieger frei“. Mit anderen Worten: Wer zu einer Wohnung oder einem Unternehmen an der verbotenen Strecke oder in der verbotenen Zone will, darf auch mit Drecks-Diesel weiterfahren.
Gibt es Ausnahmen von Umweltzonen-Fahrverboten?
Ausgenommen vom Verbot, in Umweltzonen mit nicht ausreichend umweltfreundlichen Autos zu fahren, sind aktuell nur Einsatzfahrzeuge, Maschinen, Kraftfahrzeuge zur Beförderung schwerbehinderter Menschen sowie Oldtimer mit H-Kennzeichen. Bei Verschärfung von Umweltzonen um ein Dieselfahrverbot sind weitere Ausnahmen für Anwohner und anliegende Gewerbebetriebe möglich, die besonders hart betroffen sind. Die werden dies wohl einzeln beantragen müssen. Generelle Einschränkung: Dieselverbotszonen dürfen Euro 6-Autos erst ab September 2021 erfassen. Dann sind sie mindestens vier Jahre alt. Zuvor sind flächendeckende Fahrverbote dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zu Folge unverhältnismäßig.
Wie will die Bundesregierung jetzt Fahrverbote noch verhindern?
Die Bundesregierung hat eine ganze Reihe von Maßnahmen beschlossen, um Fahrverbote zurückzudrängen. Im Einzelnen:
Kein Verbot. Autos mit Schadstoffklasse Euro 4 und Euro 5 werden von Fahrverboten verschont, wenn sie weniger 270 Milligramm Stickoxid je Kilometer Fahrt ausstoßen. Entsprechend nachgerüstete Autos dürfen auch in Fahrverbotszonen weiterfahren.
Tauschprämie. Besitzer von Autos mit Euro 4 oder Euro 5 und über 270 Milligramm Stickoxid-Ausstoß je Kilometer sollen eine Tauschprämie erhalten. Voraussetzungen: Sie wohnen in einer Stadt mit Dieselfahrverboten. Oder Sie arbeiten dort und wohnen in einem angrenzenden Landkreis. Oder sie würden von einem Fahrverbot aus anderem Grund besonders hart getroffen. Die Tauschprämie soll den besonderen Wertverlust ausgleichen, den Autos mit Dieselmotor durch die Debatte um ihren Schadstoffausstoß erlitten haben. Sie soll auch für den Kauf eines sauberen Gebrauchtwagens eingesetzt werden können.
Nachrüstungsoption. Sofern es sich um einen Wagen mit Euro 5 handelt, soll der Besitzer zusätzlich die Option auf Nachrüstung haben. Die Hersteller selbst weigern sich, Nachrüsttechnik zu entwickeln. Mercedes, BMW und VW sind jedoch bereit, für Autofahrer in Dieselfahrverbots-Regionen die Kosten von bis zu 3 000 Euro zu übernehmen, wenn sie nicht bereits mit Tauschprämie einen neuen Wagen bekommen haben.
Busse und Müllwagen. Für die Nachrüstung von schweren Kommunalfahrzeugen wie Müllwagen oder Straßenreinigungsmaschinen und für Handwerker und Lieferfahrzeuge soll es einen Zuschuss von 80 Prozent der Kosten geben. Das Kraftfahrtbundesamt hat inzwischen eine ganze Reihe von Nachrüsttechniken zugelassen.
Begrenzter Wirkungskreis der Maßnahmen. Rechtlich gewagt: Die Maßnahmen gelten nur für Städte, in denen die bisherigen Messungen eine Belastung der Luft mit über 50 Mikrogramm Stickoxid je Kubikmeter Luft ergeben haben. Die Bundesregierung geht davon aus, dass Städte mit einer Belastung der Luft von durchschnittlich nicht mehr als 50 Mikrogramm je Kubikmeter Luft den EU-Grenzwert künftig ohne Verkehrsbeschränkungen einhalten können. Die Rechtsexperten der Stiftung Warentest können das nicht nachvollziehen. Der EU-Grenzwert liegt bei 40 Mikrogramm Stickoxid je Kubikmeter Luft. Die Behörden in Brüssel haben ohnehin schon ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland eingeleitet. Das Oberverwaltungsgericht in Münster hat bereits entschieden: Die Regelung, wonach Fahrverbote nur zulässig sind, wo 50 und mehr Mikrogramm Stickoxid in der Luft sind, verstößt gegen EU-Recht und ist deshalb unwirksam (Urteil vom 01.07.2019, Aktenzeichen: 8 A 2851/18)
Kritik von Verbraucherschützern. „Leider bleiben wichtige Fragen weiterhin offen und zentrale Punkte vage“, moniert Klaus Müller, Vorstand des Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv). Vor allem sei noch unklar, ob es einen individuellen Anspruch auf Nachrüstung gibt. Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) bezeichnete den Regierungsplan sogar als „doppelte Nulllösung“. Die Regelungen seien nicht ausreichend, um Gesundheit und Umwelt so zu schützen, wie die EU-Grenzwerte es verlangen. „Fahrverbote lassen sich so nicht vermeiden“, sagte Jürgen Resch, Bundesgeschäftsführer der DUH.
Fahrverbote – Weiterfahren mit Nachrüstung
Kann ich meinen Euro 4- oder Euro 5-Diesel so nachrüsten lassen, dass ich trotz Fahrverbot weiterfahren darf?
Für viele Euro 5-Diesel wird die Nachrüstung möglich sein, für Euro 4-Diesel offenbar nicht. Für die Volvo-Modelle S60, V60, V70, XC60 und XC70 sowie Mercedes C 220d, C 250d, E 220d, E 250d und GLK, zahlreiche Audi, Seat, Skoda und VW mit 1.6 und 2.0 TDI-Motor und die BMW-Modelle 320d, 520d, X1 18d/20d und X3 20d hat das Kraftfahrbundesamt inzwischen Bausätze genehmigt. Einzelheiten zu den bereits zugelassenen Nachrüstsätzen für BMW, Mercedes und Volvo sowie Audi, Seat, Skoda und VW jeweils beim Anbieter. Der Stickoxid-Ausstoß sinkt durch die Nachrüstung auf maximal noch 270 Milligramm je Kilometer Fahrt.
Beachten Sie: Das Gesetz, wonach nachgerüstete Diesel mit einem Ausstoß von bis zu 270 Mikrogramm Stickoxid je Kilometer trotz Dieselfahrverbot weiterfahren dürfen, könnte gegen EU-Recht verstoßen. Für die Regelung, wonach Dieselfahrverbote erst ab einer Belastung der Luft mit 50 und mehr Mikrogramm Stickoxid verhängt werden sollen, hat das Oberverwaltungsgericht in Münster bereits so entschieden (s. o. Antwort auf die Frage „Was ist mit der Regelung, wonach Fahrverbote erst ab 50 Mikrogramm Stickoxid je Kubikmeter Luft zulässig sind?“). Ob die Regelung mit der freien Fahrt für nachgerüstete Motoren trotz Überschreitung der EU-Abgasgrenzwerte für Stickoxid vor Gericht kommt und wann eine Entscheidung dazu rechtskräftig wird, ist allerdings nicht absehbar. Es werden mindestens Jahre ins Land gehen.
Was kostet eine solche Nachrüstung?
Laut ADAC kostet die Nachrüstung von Euro 5-Dieselmotoren mindestens knapp 1 500 Euro. Der Anbieter des für BMW-, Mercedes- und Volvo-Modelle zugelassenen Systems nennt durchschnittliche Kosten von 3 000 bis 3 600 Euro einschließlich Einbau. Für einen VW Passat nennt der Anbieter der bisher einzigen für diesen Autotyp zugelassenen Technik einen Preis von 1 479 Euro. Hinzu kommen noch rund 300 Euro, die für den Einbau an die Werkstatt zu zahlen sind. Zumindest alle Vertragswerkstätten des jeweiligen Herstellers sollen ihn vornehmen können.
Bekomme ich Geld vom Hersteller oder vom Händler für die Nachrüstung?
Jenseits der Regionen mit Dieselfahrverboten: Wohl kaum. BMW, Mercedes und VW haben versprochen, Besitzern betroffener Autos in Fahrverbotsregionen bis zu 3 000 Euro für die Nachrüstung zu zahlen. Die Förderung hängt aber von einer ganzen Reihe von Bedingungen ab. Mercedesbesitzer können hw-zuschuss.daimler.com prüfen, ob sie eine Chance auf den Zuschuss haben.
Bei Autos mit illegaler Motorsteuerung oder bei Kreditfinanzierung haben Sie die Chance, rechtlich gegen Händler oder Hersteller vorzugehen, und so den Wagen komplett loszuwerden. Einzelheiten dazu unter test.de/abgasskandal. Haben Sie Ihren Wagen mit einem Kredit finanziert, können Sie den Wagen nicht selten über den Widerruf des Kreditvertrags noch wieder loswerden. Details dazu in unserer Meldung Autofinanzierung: Kreditwiderruf bringt Chance auf Rückgabe.
Fahrverbote – Strafen & Entschädigungen
Was passiert, wenn ich gegen ein Fahrverbot verstoße?
Die Buße für eine verbotene Fahrt in eine Umweltzone liegt bei 80 Euro. Sogar 160 Euro sind fällig, wenn die zuständige Bußgeldbehörde oder der Richter davon überzeugt sind, dass Sie vorsätzlich gehandelt haben, also bewusst gegen das Verbot verstoßen haben. Wer das Schild „Verbot für Kraftwagen“ nicht beachtet hat, zahlt dagegen stets nur 20 oder – mit Anhänger oder mehr als 3,5 Tonnen zulässigem Gesamtgewicht – 25 Euro.
Wie groß ist das Risiko, erwischt zu werden?
Das lässt sich kaum einschätzen und wird von Ort zu Ort unterschiedlich sein. Polizeibeamte haben im Vorfeld erklärt, sie sähen sich nicht in der Lage, Fahrverbote effektiv zu kontrollieren, da für sie oft nicht zu erkennen sei, ob ein Auto mit einem Dieselmotor neuester Bauart ausgestattet sei. Die Polizei in Hamburg hat Verkehrkontrollen vorgenommen und zahlreiche Bußgeldverfahren eingeleitet.
Was kann ich tun, wenn ich aufs Auto angewiesen bin und wichtige Ziele nicht mehr erreiche?
Wenn Sie nicht auf Fahrrad, Bus oder Bahn ausweichen können, sollten Sie nachfragen, ob die Behörde zu Ihren Gunsten eine Ausnahme macht oder Ihnen eine Übergangsfrist einräumt. Vielleicht werden Sie das Fahrverbot auch durch Nachrüstung ihres Wagens abwenden können. Ansonsten bleibt Ihnen nur, sich ein neues Auto anzuschaffen, für das kein Fahrverbot gilt.
Bekomme ich eine Entschädigung, wenn ich in vielen Innenstädte nicht mehr fahren darf?
Mit Entschädigungen können Sie als Besitzer eines von Fahrverboten betroffenen Diesel-Autos nicht rechnen. Den mit Fahrverboten verbundenen Wertverlust müssen sie hinnehmen, urteilten die Richter am Bundesverwaltungsgericht. Dafür dürfen Fahrverbotszonen erst für Autos verhängt werden, die mindestens vier Jahre alt sind. Vom Verkäufer und unter Umständen auch vom Hersteller des Wagens können Sie nur dann Erstattung vom Kaufpreis verlangen, wenn es sich um einen Wagen mit illegaler Motorsteuerung handelt. Selbst das ist noch nicht endgültig geklärt; Einzelheiten erläutern wir in unseren FAQ zum Dieselskandal. Haben Sie Ihren Wagen mit einem Kredit finanziert, können Sie den Wagen oft über den Widerruf des Kreditvertrags noch wieder loswerden. Details dazu in unserer Meldung Autofinanzierung: Kreditwiderruf bringt Chance auf Rückgabe.
Tipp: Mit den Newslettern der Stiftung Warentest haben Sie die neuesten Nachrichten für Verbraucher immer im Blick test.de-Newsletter bestellen.
Diese FAQ sind im Februar 2018 auf test.de erschienen. Sie wurden seitdem regelmäßig aktualisiert, zuletzt am 9. März 2020. Zuvor gepostete Nutzerkommentare beziehen sich auf frühere Fassungen des Artikels.