
Rue du Fort Niedergrünewald, Luxemburg: Hier residieren die Richter des Europäischen Gerichtshofs. © picture alliance / dpa / Arne Immanuel Bänsch
Der Europäische Gerichtshof (EugH) hat geurteilt: Die deutschen Regeln zum Schutz von Kreditnehmern sind unzureichend. Verbrauchern bringt das die Chance auf viele Milliarden Euro Entlastung. Die Rechtsexperten der Stiftung Warentest erklären das Urteil und fassen zusammen, was es Verbrauchern bringt.
Information über Widerrufsrecht muss klar und prägnant sein
In Millionen von deutschen Verbraucherkreditverträgen steht: „Die Frist beginnt nach Abschluss des Vertrags, aber erst, nachdem der Darlehensnehmer alle Pflichtangaben nach § 492 Absatz 2 BGB (z. B. Angabe zur Art des Darlehens, Angabe zum Nettodarlehensbetrag, Angabe zur Vertragslaufzeit) erhalten hat“. Die Formulierung entspricht dem gesetzlichen Mustertext. Um herauszufinden, was sie genau bedeutet, müssen Verbraucher g im Bürgerlichen Gesetzbuch nachschauen. Dort erfahren sie: „Der Vertrag muss die (...) Angaben nach Artikel 247 §§ 6 bis 13 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuche enthalten.“ Das geht so nicht, urteilte jetzt der Europäische Gerichtshof am 26. März 2020 (Aktenzeichen: C-66/19). Die Information über das Widerrufsrecht muss laut EU-Richtlinie klar und prägnant sein, und das sei der Verweis auf komplizierte gesetzliche Regelungen nun ganz und gar nicht.
Recht zum Widerruf
Die für deutsche Banken und Sparkassen dramatische Folge: Ihre Kreditkunden können praktisch jeden seit dem 14. Juni 2010 geschlossenen Kreditvertrag noch widerrufen. Sie erhalten dann alle Zahlungen zurück, bekommen oft Zinsen auf ihre Zahlungen und können den Kredit sofort ablösen. Im Einzelnen:
- Ratenkreditverträge: Insbesondere hoch verschuldete Verbraucher, die immer wieder neue Kreditverträge abgeschlossen haben, können ihre Schulden durch den Widerruf in der Regel um viele Tausend Euro senken. Einzelheiten dazu in unserer ausführlichen Meldung Ratenkredite: So wehren sich Kunden gegen Kreditwucher
- Autokreditverträge: Für vom Autohändler vermittelte Kreditverträge zur Finanzierung von Neu- und Gebrauchtwagen gilt darüber hinaus: Der Widerruf ermöglicht die Rückgabe des Autos, oft sogar ohne dass der Kreditnehmer eine Entschädigung für die damit gefahrenen Kilometer zahlen muss. Details erläutern wir in unserer Meldung Autofinanzierung: Kreditwiderruf bringt Chance auf Rückgabe
- Immobilienkreditverträge: Für von 14. Juni 2010 bis 20. März 2016 geschlossene Kreditverträge gilt: Kreditnehmer können sich von den meist recht hoch verzinsten Verträgen lösen und einen neuen, sehr viel günstigeren Vertrag abschließen und so ebenfalls viele Tausend Euro sparen. Alle Einzelheiten finden Sie in unserem umfangreichen Special: Immobilienkredite: So kommen Sie aus teuren Kreditverträgen raus
Klare Absage an Bundesgerichtshof
Der Europäische Gerichtshof korrigiert mit seinem Urteil die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, des höchsten deutschen Zivilgerichts. Dessen XI. Senat hatte im Jahr 2016 geurteilt: Die Widerrufsinformationen mit Verweis aufs Bürgerliche Gesetzbuch sind völlig in Ordnung. Er sah nicht mal Anlass, beim EuGH nachzufragen. Dabei ist der Fall aus Sicht der Europa-Richter in Luxemburg sonnenklar: Sie hielten es ihrerseits nicht für erforderlich, das Votum der zuständigen EU-Generalanwältin einzuholen – wie es das EU-Recht vorschreibt, wenn die Rechtslage nicht ganz eindeutig ist.
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Bei vollständig abgewickelten Ratenkrediten lohnt es sich oft nicht, die Widerrufsbelehrung prüfen zu lassen. Laut BGH ist in solchen Fällen das Widerrufsrecht in der Regel verwirkt. Anderes gilt, wenn der alte Ratenkredit mit einem neuen abgelöst wurde. Dann lohnt es sich oft, beide Verträge prüfen zu lassen. Das macht die Verbraucherzentrale Hamburg sowie die Rechtsanwälte, die wir unter www.test.de/kreditwucher und www.test.de/kreditwiderruf nennen.
Haben bei der KSK Halle/W. 2014 einen Ratenkredit incl. Restschuldversicherung abgeschlossen. Dieser ist in Januar 2020 zurückgezahlt gewesen. Wo können wir die Widerrufsbelehrung daraus seriös auf Korrektheit prüfen lassen? Hat jemand mit dieser Bank schon gleiche Verfahren hier? VG
Wie oben beschrieben: Bei nach März 2016 geschlossenen Immobilienkreditverträgen galt eine andere Muster-Widerrufsinformation als bei Kreditverträgen ohne Absicherung übers Grundbuch und erlosch das Widerrufsrecht in der Tat oft unabhängig von möglichen Fehlern ein Jahr und zwei Wochen nach Vertragsschluss. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich ein solcher Kreditvertrag wegen Fehlern nach wie vor widerrufen lässt, ist gering.
In meinem Immobilienkreditvertrag (10/2016) gibt es gar keinen Verweis zu einem Gesetzt. Ansonsten ist der Text ähnlich, wie von kai9473. Weiter steht noch, dass das Widerrufsrecht nach 12 Monaten und 14 Tagen erlischt - auch, wenn die Angaben/Informationen fehlerhaft waren oder ganz unterblieben sind.
Ist das Erlöschen des Widerrufsrechts statthaft und greift damit das EuGH-Urteil nicht mehr?
Die Widerrufsbelehrung zur Grundschuld verweist auf Artikel 246b § 2 EGBGB und dass man bei Widerruf auch nicht mehr an einen damit zusammenhängenden Vertrag gebunden ist. 246 §2 EGBGB habe ich in diesem Zusammenhang bisher nirgends gesehen. Ist dieser Punkt ggf. auch vom EuGH-Urteil abgedeckt?
Wo kann ich mich beraten lassen? Es gibt Anwaltsseiten, die eine kostenlose Ersteinschätzung bieten. Die Empfehlung wird aber sicher nicht wirklich unabhängig sein und vielleicht unseriös - das Kostenrisiko liegt nicht bei dene. Sind die Verbraucherzentralen in der Hinsicht schon Kompetent genug?
Nach dem EuGH-Urteil ist jeder Verweis auf gesetzliche Vorschriften nicht ausreichend, weil Verbraucher dann nicht aus der Widerrufsinformation selbst erkennen können, wann die Frist für den Widerruf genau beginnt. Jetzt kommt es noch darauf an, ob die deutsche gesetzliche Regelung, wonach eine Widerrufserklärung als korrekt gilt, wenn die jeweilige Bank oder Sparkasse das gesetzliche Muster verwendet haben. Bei test.de glauben wir: Das ist wegen Verstoßes gegen die EU-Richtlinien entsprechend der Ansagen des EuGH auch nicht möglich. Es kann sein, dass der Bundesgerichtshof das anders sieht & wird letztlich wohl maßgebend sein, wie der EuGH die Rechtslage sieht.
Klar: Unabhängig von dem Urteil können die Vertragsinformationen noch ganz andere Fehler haben & zum Beispiel Pflichtangaben fehlen oder - auch häufig - die Formulierung der Widerrufsinformation den Irrtum nahelegen, dass die Frist für den Widerruf bereits beginnt, wenn die Bank oder Sparkasse die zu unterschreibenden Unterlagen schickt.