
Rue du Fort Niedergrünewald, Luxemburg: Hier residieren die Richter des Europäischen Gerichtshofs.
Der Europäische Gerichtshof (EugH) hat geurteilt: Die deutschen Regeln zum Schutz von Kreditnehmern sind unzureichend. Verbrauchern bringt das die Chance auf viele Milliarden Euro Entlastung. Die Rechtsexperten der Stiftung Warentest erklären das Urteil und fassen zusammen, was es Verbrauchern bringt.
Information über Widerrufsrecht muss klar und prägnant sein
In Millionen von deutschen Verbraucherkreditverträgen steht: „Die Frist beginnt nach Abschluss des Vertrags, aber erst, nachdem der Darlehensnehmer alle Pflichtangaben nach § 492 Absatz 2 BGB (z. B. Angabe zur Art des Darlehens, Angabe zum Nettodarlehensbetrag, Angabe zur Vertragslaufzeit) erhalten hat“. Die Formulierung entspricht dem gesetzlichen Mustertext. Um herauszufinden, was sie genau bedeutet, müssen Verbraucher g im Bürgerlichen Gesetzbuch nachschauen. Dort erfahren sie: „Der Vertrag muss die (...) Angaben nach Artikel 247 §§ 6 bis 13 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuche enthalten.“ Das geht so nicht, urteilte jetzt der Europäische Gerichtshof am 26. März 2020 (Aktenzeichen: C-66/19). Die Information über das Widerrufsrecht muss laut EU-Richtlinie klar und prägnant sein, und das sei der Verweis auf komplizierte gesetzliche Regelungen nun ganz und gar nicht.
Recht zum Widerruf
Die für deutsche Banken und Sparkassen dramatische Folge: Ihre Kreditkunden können praktisch jeden seit dem 14. Juni 2010 geschlossenen Kreditvertrag noch widerrufen. Sie erhalten dann alle Zahlungen zurück, bekommen oft Zinsen auf ihre Zahlungen und können den Kredit sofort ablösen. Im Einzelnen:
- Ratenkreditverträge: Insbesondere hoch verschuldete Verbraucher, die immer wieder neue Kreditverträge abgeschlossen haben, können ihre Schulden durch den Widerruf in der Regel um viele Tausend Euro senken. Einzelheiten dazu in unserer ausführlichen Meldung Ratenkredite: So wehren sich Kunden gegen Kreditwucher
- Autokreditverträge: Für vom Autohändler vermittelte Kreditverträge zur Finanzierung von Neu- und Gebrauchtwagen gilt darüber hinaus: Der Widerruf ermöglicht die Rückgabe des Autos, oft sogar ohne dass der Kreditnehmer eine Entschädigung für die damit gefahrenen Kilometer zahlen muss. Details erläutern wir in unserer Meldung Autofinanzierung: Kreditwiderruf bringt Chance auf Rückgabe
- Immobilienkreditverträge: Für von 14. Juni 2010 bis 20. März 2016 geschlossene Kreditverträge gilt: Kreditnehmer können sich von den meist recht hoch verzinsten Verträgen lösen und einen neuen, sehr viel günstigeren Vertrag abschließen und so ebenfalls viele Tausend Euro sparen. Alle Einzelheiten finden Sie in unserem umfangreichen Special: Immobilienkredite: So kommen Sie aus teuren Kreditverträgen raus
Klare Absage an Bundesgerichtshof
Der Europäische Gerichtshof korrigiert mit seinem Urteil die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, des höchsten deutschen Zivilgerichts. Dessen XI. Senat hatte im Jahr 2016 geurteilt: Die Widerrufsinformationen mit Verweis aufs Bürgerliche Gesetzbuch sind völlig in Ordnung. Er sah nicht mal Anlass, beim EuGH nachzufragen. Dabei ist der Fall aus Sicht der Europa-Richter in Luxemburg sonnenklar: Sie hielten es ihrerseits nicht für erforderlich, das Votum der zuständigen EU-Generalanwältin einzuholen – wie es das EU-Recht vorschreibt, wenn die Rechtslage nicht ganz eindeutig ist.