Produktionsbedingungen von Espresso: Dürre Zeiten

Bundesstaat Bahia, Brasilien. In der Region Vitória da Conquista besuchten wir mehrere Bauern.
Kaffeeanbau ist ein hartes Geschäft. Im Hauptanbauland Brasilien überlegen viele Bauern, aufzugeben. Was die Espresso-Anbieter tun, um die Produzenten vor Ort zu unterstützen, zeigt unsere Recherche.

César Neri, Plantagenbesitzer, „Früher brauchte ich für die Ernte 100 Saisonarbeiter, heute nur noch 30. Erntemaschinen helfen mir, Kosten zu sparen. Eine Maschine schafft pro Stunde so viel wie 70 Mann an einem Tag.“
Es ist gerade Frühjahr in Brasilien, die Sonne hat enorme Kraft entfaltet. Vielerorts glänzen Kaffeesträucher in sattem Grün, auch im Osten des Landes, wo César Neri 70 Hektar sein Eigen nennt. Seine Plantage erstreckt sich über die Hochebene von Vitória da Conquista im Bundesstaat Bahia. Dort reifen Arabica-Bohnen, die Spitzenqualität erreichen und auch nach Deutschland exportiert werden. Neri winkt ab und macht klar: Das üppige Bild täuscht. „Die Dürre hat mich einen Großteil der Ernte gekostet“, sagt er. Dieses Jahr brachte er es auf 1 200 Säcke, üblich seien 2 000. Die Gegend leide unter großer Trockenheit.
Klimawandel bedroht Kaffeepflanze

Sivaldo Rodrigo Souza, Kleinbauer, „Von uns Kleinen sind heute bestimmt 80 Prozent verschuldet. Wegen der Dürre konnten wir unsere Kredite nicht wie geplant bezahlen.“
Nicht nur in Brasilien, dem größten Anbauland, hadern Bauern mit widrigen Wetterbedingungen. Weltweit verdienen rund 25 Millionen Menschen ihren Lebensunterhalt im Kaffeeanbau, die meisten davon Kleinbauern mit wenigen Hektar Land. Gerade ihnen fehlt es oft am Know-how, um schwankenden Erträgen gegensteuern zu können. Menschen wie Sivaldo Rodrigo Souza. Der Nachbar von César Neri kämpft mit den Kosten für Erntehelfer und Düngemittel. „Von uns Kleinen sind bestimmt 80 Prozent verschuldet“, klagt er. „Wegen der Dürre konnten wir unsere Kredite nicht wie geplant bezahlen. Viele geben auf.“
Dürre, Starkregen – der Klimawandel macht der Kaffeepflanze zu schaffen. Sie mag es weder zu heiß noch zu kalt, bei geringen Niederschlägen trägt sie keine Früchte. Düsteren Prognosen zufolge könnte es in Zukunft kaum noch geeignete Standorte für den Anbau geben.
Bauern brauchen Hilfe
Damit es nicht so weit kommt, brauchen die Kaffeebauern Unterstützung und Schulungen. Pflanzen und Böden lassen sich widerstandsfähiger machen, Filtersysteme und Sammelbecken helfen, den Wasserverbrauch zu regulieren. In Brasilien gibt es dafür Regierungsprogramme, doch die Bauern erzählen, in Bahia sei die Hilfe erlahmt. Sie brauchen mehr denn je Abnehmer, die sie stärken und Verantwortung tragen – auch im fernen Deutschland, einer der größten Kaffeetrinkernationen.
17 Anbieter im Nachhaltigkeitscheck

Verantwortungsvolle Kaffeeunternehmen – ist das Wirklichkeit oder frommer Wunsch? Wir haben bei den 17 Anbietern der Espressi im Test nachgeforscht: bei italienischen Herstellern wie Lavazza und Segafredo, deutschen Röstern wie Dallmayr und Tchibo, Kaffeehausketten wie Balzac Coffee und Starbucks. Wie wählen sie Lieferanten aus? Wie unterstützen sie Produzenten? Welche Preise zahlen sie? Machen sie Vorgaben für den Einsatz von Pestiziden? Lassen sie kontrollieren, was wirklich geschieht? Die Firmen sollten ihre Angaben belegen, etwa mit Lieferantenbewertungen und Kontrollberichten.
Größter Schwachpunkt: Kontrollen
Ergebnis: Es macht einen großen Unterschied, wessen Espresso man kauft. Die Bandbreite reicht von sehr engagierten bis zu intransparenten Anbietern. Die meisten stellen hohe Anforderungen an den Einkauf des Kaffees. Nur etwa jeder Zweite fordert im Anbau hohe soziale Standards, für den Bereich Umwelt sind es noch weniger. Am Ende belegen nur sieben Firmen gut bis sehr gut, dass sie die Umsetzung ihrer Anforderungen auch kontrollieren.
Rapunzel, Gepa, Lebensbaum stark
Besonders hoch ist das Engagement von Rapunzel, Gepa und Lebensbaum. Nachhaltigkeit ist Basis ihrer Unternehmensphilosophie. Ihre Kaffees im Test kommen überwiegend aus Tansania oder Indien. Sie kennen ihre Lieferanten, tragen umfassend Verantwortung und können dies belegen.
Wer beim Kaffee am Morgen nicht grübeln will, sollte zu Bohnen mit Nachhaltigkeitssiegel greifen. Ob Fairtrade oder Utz – die Zahl der Kaffees mit solchen Labeln ist rasant gestiegen (Nachhaltigkeitssiegel). Die Siegelorganisationen lassen Bauern schulen. Das Ziel: Erträge umweltverträglich steigern, stabile Einkommen beziehen.
12 der 18 Espressi tragen ein Nachhaltigkeitssiegel. Sie unterscheiden sich in Anspruch und Ausrichtung. In unserem Test Nachhaltigkeitssiegel (test 5/2016) erwiesen sich Naturland Fair, Fairtrade und Hand in Hand als sehr aussagekräftig.
Siegelorganisationen nehmen Unternehmen Arbeit ab, sie stellen Anforderungen und verantworten Kontrollen. Anbieter sind damit nicht aus der Pflicht entlassen: Sie sollten Kontrollberichte kennen und auswerten. Tchibo zum Beispiel blieb aussagekräftige Nachweise schuldig, dass er das tut.
Nichts Neues bei Dallmayr und Melitta
Kaffee ist eine Mischung aus mehreren Herkunftsländern. Firmen sollten ihre Lieferkette überblicken können. Das gelingt heute auch konventionellen Anbietern – in einem früheren Test war das fast nur Bio- und Fairtrade-Anbietern möglich (Test Kaffee-CSR, test 5/2009). Melitta und Dallmayr – Nummer vier und fünf auf dem deutschen Kaffeemarkt – belegten auch dieses Mal nicht, woher ihr Espresso kommt. Sie gaben insgesamt wenige Informationen preis.
Schlusslicht ist die Kaffeehauskette Balzac Coffee. Ihr Management nahm an der Befragung nicht teil. Ihre Konkurrenten stehen deutlich besser da: McDonald‘s ist sehr engagiert, Starbucks engagiert.
Fairtrade-Kaffees mit Fragen
Starbucks ist ein großer Händler von fairem Kaffee, seit 2010 bietet er Fairtrade-zertifizierte Espressogetränke an. Ein Zertifikat, dass der Espresso im Test aus einer Fairtrade-Kooperative kommt, sahen wir nicht. Diese Unterlagen sollte ein Händler, der offensiv mit dem Fairtrade-Logo wirbt, liefern können. Der Gesamteindruck ist dennoch positiv: Starbucks verfügt über ein eigenes starkes Nachhaltigkeitsprogramm für Kaffee-Lieferanten.
Intransparent blieb hingegen der Anbieter von Biopur, einem weiteren Fairtrade-Espresso. Händler Wertform legte ebenfalls kein Zertifikat vor, dass der Anbau Fairtrade-zertifiziert ist. Im Gegensatz zu Starbucks hat er keine schriftlichen Nachhaltigkeitsgrundsätze eingereicht – weder für sich selbst noch für die Lieferkette. Er verkauft einfach zertifizierten Kaffee weiter.
Maschinen ersetzen Erntehelfer
Neun Espressi im Test kommen überwiegend aus Brasilien. Die Mehrzahl der Pflanzungen gehört Kleinbauern. Sie erwirtschaften weniger als Plantagenbesitzer wie César Neri. Er erntet größere Mengen und verkauft sie zu besseren Preisen. Pro Hektar pflanzt er jetzt mehr Sträucher als früher an. Bald will er nur noch mit Maschinen ernten und so Kosten sparen. „Mit der Maschine ernte ich in einer Stunde so viel wie sonst 70 Mann an einem Tag“, schwärmt er.
In Brasilien werden Kaffeekirschen meistens mit der Hand vom Ast gestreift. Derzeit erhalten Saisonarbeiter pro 20 Kilo 1,50 bis 3 Real – weniger als einen Euro. Als unterstes Glied der Liefererkette verdienen sie besonders wenig. Ihr Lohnanteil macht nur etwa fünf Prozent des Endpreises im Supermarkt aus.
Die Börse gibt den Ton an

Carlos Novaes, Kaffeemakler, „Kaffee ist der Rohstoff mit den instabilsten Preisen. Die Börse in New York ist ausschlaggebend. Der Preis hängt auch von Sorte, Aussehen und Größe der Bohnen ab, besonders vom Eindruck beim Probieren.“
Der Kaffeepreis unterliegt starken Schwankungen. Die meisten Anbieter im Test orientieren sich an der New Yorker Börse. Anfang November erreichte der Preis ein Hoch: Das Pfund Arabica kostete bis zu 1,74 US-Dollar. 2015 war es zeitweise ein Drittel weniger wert. Sinkt der Kurs in den Keller, bangen Produzenten um ihre Existenz. Nur Gepa, Rapunzel und Starbucks zahlen nachweislich faire Mindestpreise. Der Fairtrade-Mindestpreis für Arabica liegt derzeit bei 1,40 US-Dollar pro Pfund.
Auch Kaffeemakler wie Carlos Novaes legen Preise fest. Sein Büro liegt in Nähe der Kooperative Coopmac in Bahia. Dort wartet der Kaffee von César Neri auf den Verkauf. Novaes prüft jede Lieferung akribisch – er schlürft bis zu zehn Tassen eines wässrigen Aufgusses aus schwach gerösteten Bohnen und beurteilt den Geschmack.
Dreimonatslohn ist Haupteinkommen
Die Maschine hat ihren Siegeszug auf Neris Plantage bereits begonnen. Er braucht nur noch 30 Erntehelfer. In deren Unterkunft sieht alles vorschriftsmäßig aus, dennoch fürchtet er Besuche der Kontrolleure des Ministeriums für Arbeit. „Manche Arbeiter benutzen keine Handschuhe oder halten die Mittagsruhe nicht ein“, erzählt er. Für viele Arbeiter sichern die drei Monate Ernte das Haupteinkommen im Jahr. Sie wollen so viele Bohnen wie möglich einsacken.
Ohne Kontrolleure blieben grobe Missstände unentdeckt. Regelmäßig entlarven sie Plantagenbesitzer, die Arbeiter wie Sklaven halten. Oft haben die sich beim Besitzer verschuldet und können nicht fliehen. Die Nichtregierungsorganisation Walk Free schätzt, dass brasilienweit rund 155 000 Menschen von Sklaverei betroffen sind.
Kaffeeanbieter tun gut daran, die Herkunft ihrer Bohnen zu kennen und sicherzustellen, dass keiner für sie unter menschenunwürdigen Bedingungen schuften muss.