Lässt sich einer Erdnussallergie vorbeugen? Bisher rieten Experten, Kinder im ersten Lebensjahr von Nüssen fernzuhalten. Eine britische Studie mit allergiegefährdeten Kindern regt nun zum Umdenken an. Sie belegt eindrucksvoll: Entsagung schadet eher, als dass sie nützt. Kinder, die früh regelmäßig Erdnussprodukte verzehrten, entwickelten deutlich seltener eine Erdnussallergie als jene, die konsequent darauf verzichteten.
Allergierate bei Kindern steigt an
In westlichen Ländern leiden heute doppelt so viele Kinder an einer Erdnussallergie wie noch vor zehn Jahren: Etwa 1,4 bis 3 Prozent der Kinder sind betroffen. Sie müssen sich vor einer Vielzahl von Lebensmitteln in Acht nehmen. Denn heute enthalten viele Produkte Erdnüsse – auch solche, bei denen man sie nicht vermuten würde. Erdnüsse gelten als der häufigste Grund für allergische Reaktionen auf Lebensmittel. Bei sensibilisierten Menschen können schon winzige Spuren einen lebensbedrohlichen Schock mit Atemnot und Herz- und Kreislaufproblemen auslösen. Das macht Erdnüsse für Betroffene so gefährlich. Weitere Symptome für eine Allergie sind Schleimhautschwellungen, Juckreiz in Mund und Rachen sowie Übelkeit und Erbrechen.
Allergieauslöser wird noch erforscht
Nahrungsmittelallergien entwickeln sich meist in den ersten Lebensjahren. Als besonders allergiegefährdet gelten Kinder, wo beide Eltern Allergiker sind. Die Erdnuss, die ursprünglich aus Südamerika kommt, enthält hitzestabile Allergene. Das wichtigste davon ist das Eiweiß Ara h2. Was genau die Allergie auslöst, darüber gibt es bisher nur Vermutungen. Eine davon lautet, dass das – in westlichen Ländern verbreitete – Rösten von Erdnüssen schuld sein könnte. Denn dadurch ändert sich die chemische Zusammensetzung der Nüsse, was womöglich Allergien befördert.
Das sagen Allergologen und Ernährungswissenschaftler
Bisher rieten Allergologen jungen Eltern, Kinder mit einem erhöhten Allergierisiko während der ersten zwölf Lebensmonate von potenziell allergieauslösenden Lebensmitteln fernzuhalten. Ernährungswissenschaftler sind da schon einen Schritt weiter. „Die Säuglingsernährung ist in den letzten 2,3 Jahren einfacher und lockerer geworden“, erläutert Mathilde Kersting vom Dortmunder Forschungsinstitut für Kinderernährung (FKE). Wenn es um die Einführung der Beikost zwischen dem fünften und siebten Lebensmonat geht, machen die Experten des FKE heute keinen Unterschied mehr zwischen allergie- und nicht allergiegefährdeten Babys. Ihr Ernährungsplan sieht vor, dass beide Gruppen gleichermaßen peu à peu an Getreide, Kuhmilch, aber etwa auch an Ei gewöhnt werden.
Mal mit, mal ohne Erdnussbutter
Die britische LEAP-Studie (LEAP = Learning Early about Peanut Allergy) belegt nun eindrucksvoll, dass die Enthaltsamkeitsstrategie der Allergologen kontraproduktiv sein kann und das Entstehen einer Allergie fördern kann. Für die Studie, die im März 2015 im New England Journal of Medicine erschien, wurden 640 Babys im Alter von 4 bis 11 Monaten ausgewählt. Alle galten als allergiegefährdet. Sie hatten ein behandlungsbedürftiges Ekzem und/oder eine Allergie gegen Eier. Sie wurden nach dem Zufallsprinzip zwei Gruppen zugeteilt: Die eine verzichtete komplett auf Erdnüsse, die andere Gruppe konsumierte über fünf Jahre hinweg dreimal pro Woche einen Erdnusssnack (aus Erdnussbutter und Popcorn) oder glatte Erdnussbutter. Infrage kamen nur verarbeitete Erdnussprodukte.
Wichtig: Ganze Nüsse sind für Kleinkinder bis vier Jahre als Knabberspaß tabu, da sie die Atemwege blockieren können.
Mehrere Vortests notwendig
An der Studie durften nur allergiegefährdete Kinder teilnehmen, die bisher keine oder nur eine milde Sensibilisierung auf Erdnüsse zeigten. Selbst wenn Kinder noch nie erdnusshaltige Produkte gegessen haben, können sie bereits über Mikropartikel in der Luft oder erdnussölhaltige Kosmetika sensibilisiert sein – was als Vorstufe zur Allergie gilt. Um eine mögliche Sensibilisierung zu ermitteln, führten die Forscher den sogenannten Pricktest durch: Das Erdnussallergen wurde als Lösung in die oberste Hautschicht gebracht; dann wurde geprüft, ob sich Rötungen und Quaddeln bildeten. Zusätzlich nahmen alle Kinder unter Aufsicht eines Arztes eine größere Menge Erdnussprotein ein. Nur wenn sie keine allergische Reaktion zeigten, konnten sie an der Studie teilnehmen. 530 Kinder zeigten keine Anzeichen einer Sensibilisierung, bei 98 Kindern kam es zu einer milden Reaktion auf die Allergene.
Regelmäßiger Konsum von Erdnussprodukten erhöht Toleranz
Im Alter von fünf Jahren wurden die Kinder erneut untersucht. Das Ergebnis war eindeutig: Die Kinder, die jahrelang dreimal pro Woche 2 Gramm Erdnussprotein gegessen hatten – das entspricht etwa 8 Erdnüssen – entwickelten deutlich seltener eine Erdnussallergie als jene, die keinen Erdnuss-Kontakt hatten. Dieser Trend zeigte sich sowohl bei Kindern ohne als auch bei Kindern mit einer vorhergehenden leichten Sensibilisierung. Bei den Kindern, die ohne Anzeichen einer Sensibilisierung gestartet waren und regelmäßig Erdnussprodukte gegessen hatten, entwickelten nur 2 Prozent eine Allergie. In der Gruppe, die Erdnussbutter und Co. gemieden hatte, lag die Quote jedoch bei 14 Prozent. Von den Kindern, die zu Studienbeginn eine milde Reaktion auf die Allergene gezeigt hatten, bekam rund jedes dritte Kind, das auf Erdnussprodukte verzichtete, eine Allergie – bei den regelmäßigen Konsumenten war es nur jedes zehnte.
Fazit: Früh testen, dann kann es losgehen
Für allergiegefährdete Kinder zahlt es sich aus, wenn bei ihnen vor dem 11. Lebensmonat Erdnussprodukte eingeführt werden. Allerdings sollte bei ihnen vor dem ersten Verabreichen ein Prick- oder ein oraler Provokationstest durchgeführt werden. Für Kinder ohne erhöhtes Allergierisiko macht die Studie keine Aussage, weil diese nicht an der Studie teilnahmen.
[Update 16.02.17] US-Mediziner empfehlen erdnusshaltige Lebensmittel
Die Erkenntnisse der LEAP-Studie sind von den USA jetzt in eine Leitlinie aufgenommen worden. Sie richtet sich an Ärzte und empfiehlt, zur Vermeidung von Erdnussallergien erdnusshaltige Lebensmittel für Säuglinge einzuführen. Ganze Erdnüsse sind aber tabu, weil sich die Kleinen verschlucken können. [Ende Update]
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