Testament wirksam trotz Demenz?

In Deutschland leben gegenwärtig rund 1,6 Millionen Demenzkranke. Zwei Drittel davon haben Alzheimer.
Wer beim Schreiben eines Testaments an einer Krankheit leidet, die seinen freien Willen beeinträchtigt, ist „testierunfähig“. Das Testament ist dann unwirksam. Diese Urteile zeigen: Die Grenze zwischen noch und nicht mehr testierfähig ist fließend.
Noch testierfähig
Ehefrau und Mutter streitet mit Tochter um richtige Betreuung ihres pflegebedürftigen Ehemanns. Sie beklagt Einmischungen in ihr Leben. Im Alter von 95 Jahren schreibt sie ihr Testament. Darin erben nur ihre weiteren zwei Kinder. Nach dem Tod der Frau bestreitet die Tochter die Testierfähigkeit ihrer Mutter. Gericht beauftragt Sachverständigen. Krankenakten belegen Hirnverkleinerung zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung. Mutter magerte ab, nahm Medikamente zur Behandlung geistiger Leistungseinbußen. Aber nur beginnende Demenz (leichten Grades). Noch testierfähig (Oberlandesgericht Düsseldorf, Az. I-3 Wx 40/14, 3 Wx 40/14).
Alkoholkranker Mann ohne Kinder macht nichteheliche Partnerin zur Alleinerbin. Schwester, die ihn mehrere Jahre lang betreut hatte, geht leer aus. Nach dem Tod des Mannes behauptet die Schwester Testierunfähigkeit wegen Alkoholabhängigkeit. Ein vom Gericht eingeschalteter Sachverständiger: Die Abhängigkeit hat die Kritik- und Urteilsfähigkeit des Mannes nicht beeinträchtigt. Wer viel Alkohol trinke, sei noch nicht zwangsläufig testierunfähig (Brandenburgisches Oberlandesgericht, Az. 3 W 62/13).
Ledige Frau ohne Kinder verfasst zwei Testamente. Eins mit 84: Erbe ist der Nachbar, der Besorgungen für sie erledigt. Eins mit 85: Darin ist gemeinnützige Stiftung Alleinerbin. Nachbar sagt, das letzte Testament gelte wegen Testierunfähigkeit nicht. Gericht hört Zeugen und schaltet Sachverständigen ein. Ergebnis: Frau ist mit 85 trotz leichter Gedächtnisschwäche, Lernschwierigkeiten und einer verminderte Konzentrationsfähigkeit testierfähig. Keine Demenz. Frau hatte vieles noch selbst organisiert: Arzttermine, Pflegedienst, Belieferung von warmen Mahlzeiten (Oberlandesgericht Hamm, Az. 10 W 155/12).
Nicht mehr testierfähig
Ehemann, 84, macht mit Ehefrau gemeinsames Testament. Darin Nichte Alleinerbin. Nach dem Tod seiner Frau ändert Mann im Alter von 86 Jahren seine Meinung und macht Neffen und dessen Partnerin zu Alleinerben. Nach seinem Tod bestreitet Nichte Testierfähigkeit beim zweiten Testament. Gericht schaltet Sachverständigen ein. Pflegeakten und Hausarztunterlagen belegen: Mann hatte bei zweitem Testament mittelschwere bis schwere Demenz infolge von Durchblutungsstörungen im Gehirn (vaskuläre Demenz). Der Mann sprach wirr, erkannte Personen nicht mehr und hatte keine zeitliche und örtliche Orientierung mehr. Testierunfähig (Oberlandesgericht Bamberg, Az. 4 W 16/14).
Frau macht im Testament eine Person zum Alleinerben. Ein nicht berücksichtigter Verwandter greift das Testament nach ihrem Tod an. Gericht beauftragt Sachverständigen. Alte Arztunterlagen ergeben: Frau hatte Demenz-Test gemacht (Wörter merken, etc.), der eine eingeschränkte Merkfähigkeit ergeben hatte. Verdacht auf mittel-schwere Demenz (Typ Alzheimer). Gedankensprünge bei Gesprächen, einfache Rechenaufgaben nicht mehr möglich und Verwirrtheitszustände (weiß bei Arzttermin nicht mehr, weswegen sie da ist). Sehr aggressiv und Wahnvorstellungen. Testierunfähig (Oberlandesgericht München, Az. 31 Wx 239/13).
Enterbte Tochter geht gegen Testament vor, das ihr Vater im Alter von 87 Jahren verfasst hat. Gericht hört nach Tod des Vaters Zeugen und schaltet Sachverständigen ein. Ergebnis: Vor dem Verfassen des Testaments hatte sich die Persönlichkeit des Vaters massiv verändert, wohl durch Durchblutungsstörungen im Hirn. Zwar keine Verwirrtheit und Einschränkung des Denkvermögens, aber Uneinsichtigkeiten, Verdächtigungen und Gewalttätigkeiten (etwa gegenüber Ehefrau). Starke Stimmungsumschwünge: erst geizig, dann extrem spendabel. Nicht mehr testierfähig (Oberlandesgericht Hamm, Az. 10 W 96/13).