Wer beim Schreiben eines Testaments an einer Krankheit leidet, die seinen freien Willen beeinträchtigt, ist „testierunfähig“. Das Testament ist dann unwirksam. Diese Urteile zeigen: Die Grenze zwischen noch und nicht mehr testierfähig ist fließend.
Noch testierfähig
Ehefrau und Mutter streitet mit Tochter um richtige Betreuung ihres pflegebedürftigen Ehemanns. Sie beklagt Einmischungen in ihr Leben. Im Alter von 95 Jahren schreibt sie ihr Testament. Darin erben nur ihre weiteren zwei Kinder. Nach dem Tod der Frau bestreitet die Tochter die Testierfähigkeit ihrer Mutter. Gericht beauftragt Sachverständigen. Krankenakten belegen Hirnverkleinerung zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung. Mutter magerte ab, nahm Medikamente zur Behandlung geistiger Leistungseinbußen. Aber nur beginnende Demenz (leichten Grades). Noch testierfähig (Oberlandesgericht Düsseldorf, Az. I-3 Wx 40/14, 3 Wx 40/14).
Alkoholkranker Mann ohne Kinder macht nichteheliche Partnerin zur Alleinerbin. Schwester, die ihn mehrere Jahre lang betreut hatte, geht leer aus. Nach dem Tod des Mannes behauptet die Schwester Testierunfähigkeit wegen Alkoholabhängigkeit. Ein vom Gericht eingeschalteter Sachverständiger: Die Abhängigkeit hat die Kritik- und Urteilsfähigkeit des Mannes nicht beeinträchtigt. Wer viel Alkohol trinke, sei noch nicht zwangsläufig testierunfähig (Brandenburgisches Oberlandesgericht, Az. 3 W 62/13).
Ledige Frau ohne Kinder verfasst zwei Testamente. Eins mit 84: Erbe ist der Nachbar, der Besorgungen für sie erledigt. Eins mit 85: Darin ist gemeinnützige Stiftung Alleinerbin. Nachbar sagt, das letzte Testament gelte wegen Testierunfähigkeit nicht. Gericht hört Zeugen und schaltet Sachverständigen ein. Ergebnis: Frau ist mit 85 trotz leichter Gedächtnisschwäche, Lernschwierigkeiten und einer verminderte Konzentrationsfähigkeit testierfähig. Keine Demenz. Frau hatte vieles noch selbst organisiert: Arzttermine, Pflegedienst, Belieferung von warmen Mahlzeiten (Oberlandesgericht Hamm, Az. 10 W 155/12).
Nicht mehr testierfähig
Ehemann, 84, macht mit Ehefrau gemeinsames Testament. Darin Nichte Alleinerbin. Nach dem Tod seiner Frau ändert Mann im Alter von 86 Jahren seine Meinung und macht Neffen und dessen Partnerin zu Alleinerben. Nach seinem Tod bestreitet Nichte Testierfähigkeit beim zweiten Testament. Gericht schaltet Sachverständigen ein. Pflegeakten und Hausarztunterlagen belegen: Mann hatte bei zweitem Testament mittelschwere bis schwere Demenz infolge von Durchblutungsstörungen im Gehirn (vaskuläre Demenz). Der Mann sprach wirr, erkannte Personen nicht mehr und hatte keine zeitliche und örtliche Orientierung mehr. Testierunfähig (Oberlandesgericht Bamberg, Az. 4 W 16/14).
Frau macht im Testament eine Person zum Alleinerben. Ein nicht berücksichtigter Verwandter greift das Testament nach ihrem Tod an. Gericht beauftragt Sachverständigen. Alte Arztunterlagen ergeben: Frau hatte Demenz-Test gemacht (Wörter merken, etc.), der eine eingeschränkte Merkfähigkeit ergeben hatte. Verdacht auf mittel-schwere Demenz (Typ Alzheimer). Gedankensprünge bei Gesprächen, einfache Rechenaufgaben nicht mehr möglich und Verwirrtheitszustände (weiß bei Arzttermin nicht mehr, weswegen sie da ist). Sehr aggressiv und Wahnvorstellungen. Testierunfähig (Oberlandesgericht München, Az. 31 Wx 239/13).
Enterbte Tochter geht gegen Testament vor, das ihr Vater im Alter von 87 Jahren verfasst hat. Gericht hört nach Tod des Vaters Zeugen und schaltet Sachverständigen ein. Ergebnis: Vor dem Verfassen des Testaments hatte sich die Persönlichkeit des Vaters massiv verändert, wohl durch Durchblutungsstörungen im Hirn. Zwar keine Verwirrtheit und Einschränkung des Denkvermögens, aber Uneinsichtigkeiten, Verdächtigungen und Gewalttätigkeiten (etwa gegenüber Ehefrau). Starke Stimmungsumschwünge: erst geizig, dann extrem spendabel. Nicht mehr testierfähig (Oberlandesgericht Hamm, Az. 10 W 96/13).
-
- Erben heißt nicht immer reich werden. Wenn Schulden drohen, kann der Erbe sie ausschlagen. Wir erklären, welche Regeln und Fristen für eine Ausschlagung gelten.
-
- Viele denken beim Wort Adoption nur an Kinder. Aber auch Erwachsene können sich adoptieren zu lassen. Das hat oft auch steuerliche Gründe. Wir erklären die Regeln.
-
- Abrupt einsetzende Phasen geistiger Einschränkung können gerade bei Senioren auf Delir hindeuten. Hier lesen Sie, woher es kommt und was hilft. Wichtig zu wissen: Ein...
Diskutieren Sie mit
Nur registrierte Nutzer können Kommentare verfassen. Bitte melden Sie sich an. Individuelle Fragen richten Sie bitte an den Leserservice.
Nutzerkommentare können sich auf einen früheren Stand oder einen älteren Test beziehen.
Ich empfehle im Erbvertrag für den Fall eines darin enthaltenen Pflichtteilsverzichtes unbedingt den Widerruf der Verzichtserklärung zu vereinbaren. Folgender Fall einer Patchwork-Konstellation.
Die Tochter (einziges Kind) mit gestörtem Kontakt zur Mutter hat wegen hoher Schulden gegen vorzeitige Auszahlung des Erbes Erb- und Pflichtteilsverzicht nach ihrer Mutter erklärt. An ihrer statt sollen deren Töchter erben. Der Passus wird zur Grundlage eines Erbvertrages zwischen der Mutter und einem zweiten Ehemann. Die Kinder des Mannes haben teilweise Pflichtteilsverzicht erklärt, um ebenfalls Schlusserben zu werden. Nach Erstversterben des Mannes fällt der Ehefrau das Erbe allein zu. Die Ehefrau macht im Hospiz unter der Kontrolle Ihrer Tochter liegend den Pflichtteilsverzicht mit ihrer Tochter rückgängig. Nach dem Tod der Mutter fordert die Tochter Pflichtteilsansprüche in Höhe der Hälfte des Erbes. Die Anteile der erbenden Enkeltöchter bleiben ebenfalls bestehen.
Nach der gesetzlichen Erbfolge gehören die Kinder zur Erbengemeinschaft. Enterben die Eltern ihre Kinder, bilden die im Testament bedachten Erben die Erbengemeinschaft. Für diesen Fall sieht das Gesetz vor, dass die nicht im Testament bedachten Kinder einen Pflichtteilsanspruch gegenüber der Erbengemeinschaft zusteht. Der erbrechtliche Laie versteht diesen Pflichtteil sehr oft als Erbe. Tatsächlich ist er enterbt und nur der Pflichtteilsberechtigte . (maa)
Sehr geehrte Damen und Herren,
Ihren Artikel zum "Erben" finde ich sehr gut, danke.
Habe ich das falsch ausgelegt, bisher war ich der Auffassung, dass man Kinder nicht enterben kann, den Pflichtanteil müssen sie immer bekommen, nur in ganz besonderen Fällen - "trachten nach dem Leben".
Leider hört man immer mehr, dass sich die Kinder nicht mehr um ihre alten und kranken Eltern kümmern. Sicher ist das oft eine aufopferungsvolle Aufgabe, aber es sollte dann auch möglich sein, die zu begünstigen, die diese Aufgabe übenehmen.
Ich kenne mehr, die "geholfen" haben und dann leer ausgegangen sind, als wirkliche "Erbschleicher". Ich glaube, bei der Verwendung dieses Begriffes ist viel Neid dabei.
Mit freundlichen Grüßen
Klaus Hempel