
Erben heißt nicht immer reich werden. Wenn Schulden drohen, kann der Erbe sie ausschlagen. Dafür hat er sechs Wochen Zeit. In unserem Special erklären die Rechtsexperten der Stiftung Warentest, welche Regeln fürs Erben gelten, wie Erben herausfinden, was in einem Nachlass steckt – und was sie im Zweifel tun müssen, um eine überschuldete Erbschaft loszuwerden.
Erbe mit Haken
Eine Erbschaft zu machen, kann äußerst verheißungsvoll klingen. Wer weiß, vielleicht gibt es ja eine Traumvilla mit Turmzimmer, ein dickes Bankkonto oder einen schicken Oldtimer? Wer sich schon mit Sack und Pack in die neue Bleibe einziehen sieht, hat sich vielleicht zu früh gefreut. Denn was passiert, wenn die Villa von Grund auf sanierungsbedürftig, noch lange nicht abbezahlt oder mit einer Grundschuld belastet ist? Oder sämtliche Konten in den roten Zahlen stehen, weil der Erbonkel sein letztes Hemd beim Pokern verzockt hat?
Erbschaft rechtzeitig ausschlagen
Eine Erbschaft kann auch eine Schattenseite haben: dann nämlich, wenn den Hinterbliebenen ein Berg von Schulden droht. „Und das kommt in den besten Familien vor“, sagt Malte Ivo, Notar in Hamburg. „Da muss zum Beispiel nur irgendeine Großcousine über ihre Verhältnisse gelebt haben.“ Und schon zerplatzt der Traum vom plötzlichen Reichtum. Für die Schulden des Verstorbenen müssen die Erben nicht aufkommen, wenn sie die Erbschaft rechtzeitig ausschlagen. In Ivos Notariat vergeht keine Woche, ohne dass ein solcher Fall auf seinem Schreibtisch landet.
Unser Rat
Überblick verschaffen. Als Erbe sollten Sie den Nachlass sichten, um festzustellen, ob Schulden drohen. Suchen Sie nach Kontoauszügen und Schriftverkehr des Verstorbenen und fragen Sie gegebenenfalls nähere Verwandte nach dem Lebenswandel.
Keine Bedingung stellen. Wenn Sie die Erbschaft bei Gericht oder Notar ausschlagen, dürfen Sie keine Bedingung daran knüpfen. Die Erklärung „Ich schlage die Erbschaft nur aus, wenn sie überschuldet ist“ ist unwirksam und führt dazu, dass die Erbschaft als angenommen gilt.
Bestattung zahlen. Schlagen Sie als Angehöriger ein Erbe aus, müssen Sie oft trotzdem die Kosten für die Bestattung tragen – dann nämlich, wenn Sie nicht nur Erbe, sondern gleichzeitig unterhalts- oder bestattungspflichtiger Angehöriger sind. Eine Unterhaltspflicht haben Eltern für ihre Kinder und umgekehrt. Schlagen alle Erben aus und gibt es keine unterhaltspflichtigen Angehörigen, müssen jene zahlen, die durch das Bestattungsgesetz des Bundeslandes zur Bestattung verpflichtet sind. Das können auch entfernte Angehörige sein.
Ratgeber und Leitfaden für Hinterbliebene. Nach einem Todesfall wird nahen Angehörigen viel abverlangt: Sie müssen die Bestattung organisieren, Verträge beenden, Renten und Versicherungsleistungen beantragen, Nachlass und Erbschaftsteuer klären. Mit dem Finanztest-Ratgeber „Schnelle Hilfe im Trauerfall“ bewahren Familien in der schweren Zeit den Überblick. Es ist für 14,90 Euro im Handel erhältlich oder im test.de-Shop.
Was bedeutet erben?

In einem Erbfall passiert Folgendes: Der Erbe tritt automatisch in die Rechtsposition des Verstorbenen ein – mit allen Möglichkeiten, die sich daraus ergeben, aber auch mit allen Pflichten. Im besten Fall bekommt der Erbe das Vermögen: das Haus, das Geld, das Auto. Im schlechtesten Fall hatte der Verstorbene gar kein Geld und es sind nur Schulden, die auf den Erben übergehen: Verbindlichkeiten aller Art, vor allem offene Rechnungen und Kredite, Steuerschulden, Kontoüberziehung, Miet- und Unterhaltsrückstände. Der Erbe muss dann Rechnungen begleichen und Kredite weiter bedienen: Er muss für die Schulden aufkommen. Wer die Erbschaft ausschlägt, entledigt sich dieser Pflichten.
Wie viel Zeit habe ich, um das Erbe auszuschlagen?
Oft ist nicht auf den ersten Blick klar, was sich im Nachlass verbirgt. Vor allem wenn ein entfernterer Verwandter verstorben ist, von dessen Lebenswandel die Erben keine Ahnung haben, wissen sie oft nicht, was sie erwartet. Es bleibt ihnen nur wenig Zeit, sich Gewissheit zu verschaffen. Denn Erben dürfen die Erbschaft nur innerhalb einer gesetzlich festgelegten Frist ausschlagen. Sie beträgt nur sechs Wochen. „Viel zu kurz“, findet Malte Ivo. „Wie soll sich ein vielleicht sogar entfernter Verwandter in wenigen Wochen ein vollständiges Bild vom Nachlass machen?“
Was ist, wenn Erbe oder Erblasser im Ausland wohnen?
Lebte der Verstorbene im Ausland oder hält sich der Erbe außerhalb von Deutschland auf, verlängert sich die Frist auf sechs Monate. Sie beginnt unter zwei Voraussetzungen: Der Erbfall muss eingetreten sein und der Mensch muss wissen, dass er Erbe ist. Weiß er Bescheid und lässt die Frist verstreichen, ist das eine Annahme. Er wird Erbe – ob er will oder nicht. Helfen kann manchmal noch eine Anfechtung der Annahme, zum Beispiel, wenn der Erbe nicht wusste, dass er innerhalb von sechs Wochen ausschlagen muss (Hilfe bei verpasster Frist). Das ist eine Aufgabe für Fachanwälte für Erbrecht oder Notare.
Wie finde ich raus, was der Nachlass enthält?
Erbschein. Herauszufinden, was im Nachlass steckt, ist nicht immer leicht. Erben haben zwar ein Recht darauf, bei Banken Auskunft zu bekommen und Kontoauszüge einzusehen. Sie müssen dazu meist einen Erbschein vorlegen, ein Dokument, das sie zum Beispiel beim Nachlassgericht beantragen können und sie als Erben ausweist. Der Haken: Holt sich der Erbe einen Erbschein, wird darin eine Annahme der Erbschaft gesehen. Ein Ausschlagen ist dann nicht mehr möglich.
Testament. Können die Erben ein notarielles Testament vorlegen, brauchen sie nicht unbedingt einen Erbschein.
Vollmacht. Oft regeln Bankkunden, wer nach ihrem Tod auf ihr Konto zugreifen darf. In einer Kontovollmacht „über den Tod hinaus“ oder einer Vorsorgevollmacht bevollmächtigen sie zum Beispiel einen nahen Angehörigen. Der Bevollmächtigte hat Zugriff auf die Konten und kann sich einen Überblick über das Vermögen, laufende Zahlungen und etwaige Schulden verschaffen.
Detektiv spielen. Erben, die keinen Zugriff auf die Konten haben, sollten – wenn möglich – in der Wohnung des Verstorbenen nach Hinweisen zu dessen finanzieller Lage suchen. Aufschluss geben können Kontoauszüge und Rechnungen aller Art sowie Post von Ämtern und Gerichten. Auch Auskünfte von Verwandten, Freunden oder Bekannten bis hin zu Nachbarn können hilfreich sein: Wie lebte der Verstorbene, wofür gab er sein Geld aus?
Verwandte befragen. Ein Indiz für einen überschuldeten Nachlass kann sein, dass schon nähere Verwandte vor dem jetzigen Erben ausgeschlagen haben – vielleicht ist das aber auch nur ein Hinweis darauf, dass keiner von ihnen gründlich genug nachgeforscht hat.
Dennoch: In die Matratze gestopfte Bündel von Geldscheinen oder das unter einer losen Diele versteckte Schätzkästchen sind wohl eher die Ausnahme.
Ab wann läuft die Frist?
Familie. Die sechswöchige Frist, die dem Hinterbliebenen für die Ausschlagung bleibt, läuft, sobald er weiß, dass er Erbe ist. Das muss ihm in der Regel nicht offiziell bekannt gegeben werden, zum Beispiel durch das Nachlassgericht. Vielmehr gilt: Wenn der Erbe sein Verwandtschaftsverhältnis zum Verstorbenen kennt, ist davon auszugehen, dass er auch weiß, dass er gesetzlicher Erbe ist. Nahe Verwandte können sich also nicht einfach darauf berufen, sie hätten die sechswöchige Frist verpasst, weil sie sich nicht für Erben gehalten haben.
Dritte. Anders sieht es aus, wenn ein Verstorbener ein Testament hinterlassen hat und eine Person zum Erben gemacht hat, mit der er nicht verwandt war. Vielleicht erfährt der im Testament benannte Erbe erst nach der Testamentseröffnung durch das Nachlassgericht von seiner Erbenstellung. Die Frist beginnt erst dann zu laufen.
Wie und wo schlage ich das Erbe aus?
Der Erbe kann sich aussuchen, ob er die überschuldete Erbschaft bei einem Notar oder direkt beim Nachlassgericht ausschlägt. Die Ausschlagung bei Gericht verursacht weniger Kosten. Zuständig sind sowohl das Nachlassgericht am eigenen Wohnsitz als auch das am letzten Wohnsitz des Verstorbenen. Telefonisch oder schriftlich kann der Erbe nicht ablehnen. Er muss bei Gericht erscheinen oder einen Bevollmächtigten schicken. Die Vollmacht muss aber öffentlich beglaubigt sein.
Was kostet es, das Erbe auszuschlagen?
Fürs Ausschlagen fallen bei Gericht und Notar Gebühren an, die sich nach dem Wert des Nachlasses richten. Ist der Nachlass überschuldet, muss der Erbe bei Gericht nur eine Mindestgebühr von 30 Euro zahlen. Wer das Erbe aus anderen Gründen ausschlägt – etwa weil es sich um ein sanierungsbedürftiges Haus handelt –, muss tiefer in die Tasche greifen. Je höher der Wert der ausgeschlagenen Erbschaft, desto mehr zahlt der Erbe.
Was regelt die gesetzliche Erbfolge?
Wer eine Erbschaft ausschlägt, löst einen Dominoeffekt aus. Sagt der erste nein, landet der Nachlass beim nächsten in der gesetzlichen Erbfolge. Lehnt auch dieser ab, wandert die Erbschaft weiter. Den Weg des Schuldenbergs gibt die gesetzliche Erbfolge vor. Sie regelt, dass Verwandte in einer bestimmten Rangfolge erben. Ehe- und eingetragene Lebenspartner haben ein spezielles gesetzliches Erbrecht. Ansonsten stehen Kinder an erster Stelle, dann Enkel oder Urenkel. Wenn der Verstorbene keine hat, erben seine Eltern, Geschwister, Nichten und Neffen. „Ein einziger Erbfall kann also sehr weite Kreise ziehen“, sagt Notar Ivo. „Die Angelegenheit endet erst, wenn das Nachlassgericht keine weiteren Erben ermitteln kann.“
Was ist, wenn der Erbe minderjährig ist?
Landet die überschuldete Erbschaft bei minderjährigen Kindern, müssen die sorgeberechtigten Eltern auch für diese ausschlagen. Dabei gibt es eine Besonderheit: „Wenn die Kinder nicht erst infolge der Erbausschlagung eines Elternteils Erbe werden, sondern neben den Eltern erben, brauchen diese für die Ausschlagung eine familiengerichtliche Genehmigung“, sagt Ron Baer, Notar in Berlin. Das wäre zum Beispiel bei Eheleuten der Fall, wenn der überschuldete Mann verstirbt, es kein Testament gibt und die Frau nicht nur für sich, sondern auch für die gemeinsamen Kinder ausschlagen will.
Und wenn ich im Testament als Erbe eingesetzt bin?
Gibt es ein Testament und der Erbe möchte das ihm Zugesprochene nicht haben, wird der Nachlass ebenfalls nach der gesetzlichen Erbfolge verteilt. Auch der neue Erbe hat sechs Wochen Zeit, die Erbschaft auszuschlagen. Die Frist beginnt, wenn ihm das Nachlassgericht mitteilt, dass er Erbe geworden ist.
Beispiel: Der Nachlass des verstorbenen Fritz Kaufmann ist heillos überschuldet, das Haus abbruchreif. Fritz‘ Sohn Daniel schlägt das Erbe aus. Da Daniel kinderlos ist und die Eltern von Fritz Kaufmann tot sind, ist Fritz‘ Schwester – Daniel Kaufmanns Tante – die nächste in der gesetzlichen Erbfolge. Auch sie schlägt die Erbschaft aus. Die Schulden und das marode Haus wandern an ihre Tochter und ihren Sohn, Daniel Kaufmanns Cousine und Cousin. Wenn diese für sich und ihre minderjährigen Kinder bis hin zum Baby die Ausschlagung erklärt haben, ist der letzte Dominostein in dieser Erbangelegenheit gefallen.
Muss ich warten, bis sich das Nachlassgericht meldet?
Manchmal wissen entferntere Verwandte, dass der Nachlass überschuldet ist und die Näherstehenden ausschlagen werden. Dann müssen sie nicht warten, bis sich das Nachlassgericht bei ihnen meldet, sondern können die Erbschaft auch schon vorher ausschlagen – sogar schon vor den engeren Verwandten.
Was ist, wenn niemand das Erbe annimmt?
Haben alle Erben ausgeschlagen, landet die Erbschaft beim Staat. Der macht das Hab und Gut des Verstorbenen, sofern noch vorhanden, zu Geld und tilgt damit vielleicht einen Teil der Schulden. Für den Rest haftet der Staat nicht. Die Gläubiger gehen leer aus.
Und wenn der Nachlass doch nicht überschuldet war?
Dann sieht es schlecht aus. Ist die Erbschaft erst einmal abgelehnt, gibt es kaum ein Zurück: Der Erbe kann die eigene Erklärung zwar anfechten, muss dafür aber einen im Bürgerlichen Gesetzbuch genannten Grund haben. Der kann zum Beispiel darin liegen, dass der Erbe nicht wusste, dass eine bestimmte Forderung zum Erbe gehört. Wie in diesem Fall: Eine Frau schlug den vermeintlich überschuldeten Nachlass ihrer Nichte aus, die bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen war. Später erfuhr sie, dass zum Nachlass auch Schadenersatzansprüche gegen die Fluggesellschaft gehören. Ihre Anfechtung hatte Erfolg (Oberlandesgericht Düsseldorf, Az. 3 Wx 12/16).