
Erben gesucht. Erbenermittler durchforsten Stammbäume, lesen alte Briefe und Kirchenbücher. © S. Korte
Wenn nach einem Todesfall Erben unbekannt sind, ermitteln private Unternehmer. Eine Erbenermittlerin erzählt aus ihrer Berufspraxis – spannend und anschaulich.
Es beginnt im Jahr 1817
Auf dem Konferenztisch entrollt liegt die Geschichte einer Familie: Ein etwa Zwei-Meter-Bogen Papier mit einem Stammbaum über mehrere Generationen. Er geht bis ins Jahr 1817 zurück und beginnt mit einem Ehepaar aus Leutra und Maua in Thüringen. Am Tisch in Strausberg bei Berlin sitzt Beatrice Eisenschmidt. Ihr Finger fährt die Linien des Stammbaums entlang. Sie zeigt einen weiteren Bogen Papier. „Dieser Teilstamm gehört auch noch zur Familie. Wir haben Monate gebraucht, ihn zu ermitteln. Auch hier könnten wir mögliche lebende Erben finden.“
Wenn weder Testament noch Erben bekannt sind
Beatrice Eisenschmidt ist Erbenermittlerin. Die 42-Jährige sucht nach Nachkommen von Verstorbenen, wenn diese ein Vermögen hinterlassen haben, aber ein Testament fehlt und Angehörige weit und breit nicht zu sehen sind. Wie in dem Fall auf dem Tisch: Die Erblasserin, Frau Schinkel*, hat eine Immobilie hinterlassen, aber weder Testament noch Erben sind bekannt.
Amtsgericht bestellt Nachlasspfleger – oder Erbenermittler
Zuständig ist dann das Amtsgericht, in dessen Bezirk der Verstorbene zuletzt gewohnt hat, in diesem Fall Strausberg. Das zum Amtsgericht gehörende Nachlassgericht bestellt in der Regel einen Nachlasspfleger, wenn die Erben nicht bekannt sind. Dieser wird zum gesetzlichen Vertreter des oder der unbekannten Erben. Zum Beispiel löst er die Wohnung des Verstorbenen auf und stellt Nachlassgegenstände sicher. Außerdem versucht er, Erben ausfindig zu machen. Sind Fälle zu kompliziert und bleiben ihre Recherchen erfolglos, schalten Nachlasspfleger oft Erbenermittler ein. So wie in diesem Fall.
Manchmal ist die Erbfolge unklar
In anderen Fällen gibt es zwar ein Testament oder einen Erbvertrag, aber die begünstigte Person ist nicht ohne Weiteres aufzuspüren. Manchmal kommen Aufträge auch direkt von den Erben selber: „Mitglieder größerer Erbengemeinschaften beauftragen uns, weil sie die Erbfolge in der Familie und im Verwandtenkreis nicht selbst klären können.“
Kein Nachlass bleibt ohne Erbe

Beatrice Eisenschmidt bekommt viele Aufträge vom Amtsgericht Strausberg. Oft recherchieren sie und ihre Mitarbeiter jahrelang, bis sie Erben finden. Im Zuge der Nachforschungen wächst der Familienstammbaum. © S. Korte
Nicht in jedem Fall wächst der Stammbaum über so viele Rollen Papier wie im Fall Schinkel. Doch ohne Stammbaum gelingt kaum eine Recherche. Denn Ausgangspunkt von Eisenschmidts Ermittlungen ist fast immer die gesetzliche Erbfolge: Sie greift, sofern ein Verstorbener keine speziellen Anordnungen getroffen hat. Nahe Angehörige und Verwandte erben in einer bestimmten Rangfolge. An erster Stelle stehen Kinder, Enkel oder Urenkel, dann folgen Eltern, Geschwister, Nichten und Neffen. Stets erbberechtigt sind außerdem Ehegatten und eingetragene Lebenspartner. Mehrere Erben bilden eine Erbengemeinschaft.
Scheitert die Ermittlung, fällt der Nachlass an den Staat
Rechtlich treten Erben an die Stelle des Verstorbenen. Auf sie gehen das gesamte Vermögen und die Verbindlichkeiten über. Eisenschmidt ist längst nicht immer erfolgreich: „In 20 bis 30 Prozent der Fälle kommen auch wir nicht weiter.“ Gibt es weder gesetzliche Erben noch einen letzten Willen und bleiben alle Ermittlungen ohne Ergebnis, fällt das Vermögen an den Staat.
Erbenermittler sind meist Juristen oder Historiker
Für die Tätigkeit des Erbenermittlers gibt es weder eine Ausbildung noch eine Berufsordnung. Die Berufsbezeichnung ist nicht geschützt. Gesetzlich festgelegte Gebührensätze wie für Anwälte und Notare fehlen. Viele Erbenermittler sind Juristen oder Historiker. Im Prinzip kann jedoch jeder den Job ausüben. „Es gibt bundesweit nicht viele hauptberufliche Erbenermittler. Wir im Verband gehen davon aus, dass die Zahl im unteren zweistelligen Bereich liegt. Ganz genau wissen wir es nicht“, erklärt Eisenschmidt. „Es gibt auch Ahnenforscher, die ab und an Nachlassfälle betreuen.“
Gefragt ist detektivischer Spürsinn
Ihre Arbeit gleicht nicht selten der eines Detektivs. In ihrem Büro im Souterrain ihres Einfamilienhauses studieren Eisenschmidt und ihre drei Mitarbeiter täglich alles, was Aufschluss über die Vergangenheit geben kann: alte Telefon- und Adressbücher, Register der Stadtarchive, alte Fotos, amtliche Dokumente wie Taufscheine, Eheurkunden und Kirchenbücher. Ihre Spuren führen meist in zurückliegende Jahrhunderte, soziale Netzwerke wie Facebook und Twitter bringen sie da bisher kaum weiter. „Aber das wird sich in Zukunft bestimmt ändern.“
Telefonbücher vom Geheimdienst

Die Erbenermittlerin in ihrem Archiv in Strausberg bei Berlin. Ihre Telefonbücher für die alten Bundesländer seit 1954 gehörten zum Bestand des Bundesnachrichtendienstes. Sie hatte Glück und konnte sie in einem Antiquariat erwerben. © S. Korte
„Mehr oder weniger durch Zufall bin ich zur Erbenermittlung gekommen“, erzählt die Strausbergerin. Nach ihrem Studium der Betriebswirtschaftslehre hat sie 2003 in einer Firma für Erbenermittlung angefangen. „Vor zehn Jahren habe ich dann den Entschluss gefasst, ein eigenes Unternehmen zu gründen.“ Am Anfang stand der Aufbau eines eigenen Archivs. Lachend erzählt sie, wie sie an ihre alten Adress- und Telefonbücher gekommen ist: „Das war ein Glücksgriff. Das ist der ehemalige Bestand des BND. Die haben all das an ein Antiquariat abgegeben, das die Bücher loswerden wollte. Ein ganzes Jahr haben wir verhandelt.“ Sie zeigt das älteste Fernsprechbuch, das sie in ihrem Archiv hat. Es ist das von West-Berlin aus dem Jahre 1954. Mehr als ein halbes Jahrhundert Geschichte steht in diesem einen Regal im Büro in Strausberg. Langsam platzt das Archiv aus allen Nähten. „Ich habe größere Räume um die Ecke angemietet. Bald ziehen meine Mitarbeiter und ich mit Sack und Pack um.“
Nachforschungen auch im Ausland
Sehr oft ermittelt Beatrice Eisenschmidt auch an den Orten, wohin sie ihre Nachforschungen führen. Häufig im Ausland, vor allem in Polen oder in den USA. Manchmal verlieren sich aber dort die Spuren: Viele Familien sind durch Flucht, Vertreibung und Auswanderung auseinandergerissen, viele Register und Archive im Krieg zerstört worden. „Gerade in Polen müssen wir sehr viel recherchieren. Durch die Vertreibung aus den Ostgebieten haben zwölf Millionen Menschen ihre Heimat verlassen. Familien haben sich verloren und nicht wieder gefunden“, erläutert die engagierte Ermittlerin. Für Nachforschungen in Polens Standesämtern und Meldebehörden beschäftigt sie eine polnische Juristin in ihrer Firma.
Drei bis fünf Jahre pro Fall
Auch für einen anderen internationalen Fall, in dem sie gerade ermittelt, recherchierte das Team viel in Polen. Er hat seinen Ausgangspunkt Ende des 19. Jahrhunderts im Kreis Liegnitz in Schlesien. „Im Schnitt ermitteln wir pro Fall zwischen drei bis fünf Jahren“, sagt sie und zeigt auf den großen Bogen Papier. „Bei diesem hier werden wir vermutlich auch so lange brauchen.“
Über Südafrika nach Frankreich
Auch den Auftrag für ihren vielleicht bisher aufregendsten Fall erhielt sie vom Nachlassgericht: Die Eigentumsverhältnisse für ein herrenloses Grundstück waren unklar – so wie bei vielen „eigentümerfreien“ Ländereien auf dem Gebiet der Ex-DDR. Finden sich keine Eigentümer, dürfen Landkreise und Städte solche Grundstücke verkaufen. Stück für Stück recherchierte Eisenschmidt die Lebensgeschichte des früheren Eigentümers: Er war ein bekannter Journalist und Schriftsteller, der schon früh vor den Nazis gewarnt hatte, später verfolgt wurde und aus Berlin fliehen musste. Er versteckte sich, wurde aber gefasst und in ein Konzentrationslager deportiert. Die Befreiung durch die Russen bewahrte ihn vorm Tod.
Manchmal entstehen auch private Kontakte
Weil er Aristokrat war, floh er nach dem Krieg mithilfe eines ausländischen Geheimdienstes aus dem durch die Sowjets abgeriegelten Berlin durch mehrere Länder Europas – und landete in Südafrika. Dort lebte er mit seiner Frau bis zu seinem Tod und vermachte ihr alles. Seine Frau wiederum bedachte ihre beste Freundin, die einen Sohn hinterließ. Nach monatelanger Recherche fand Eisenschmidt diesen schließlich in Frankreich. Er erbte das hinterlassene Vermögen. Das war 2010. Bis heute hat sie Kontakt zu ihm.
Auf eigenes Risiko und eigene Kosten
Beginnt die Strausbergerin mit ihren Nachforschungen, weiß sie oft nicht, was sie erwartet. Mit den Jahren aber hat sie eine Routine entwickelt, sich an neue Fälle heranzutasten. Einen ersten Eindruck gewinnt sie durch Recherchen des Nachlasspflegers. Oft sind dann schon die Erben der ersten Ordnung – Kinder und ihre Abkömmlinge – und die der zweiten – Eltern, Geschwister, Neffen und Nichten – geklärt. Die Erbenermittlerin geht jedoch auf Nummer sicher und fängt bei null an. „Meist ist es wie das Kaufen der Katze im Sack. Ich kenne den Nachlasswert, habe manchmal mehr, manchmal weniger Informationen.“
Honorar: Rund ein Viertel des Nachlasswerts
Unter einem Nachlasswert von 25 000 Euro wird sie in der Regel nicht tätig. Vom Wert hängt auch ab, wie umfangreich die Ermittlungen werden können. Schließlich geht sie für ihre Nachforschungen in Vorleistung: Sie bezahlt Auskünfte von Behörden, Zugänge zu genealogischen Datenbanken, Reisen ins Ausland, Übersetzer. All dies finanziert sie, ohne zu wissen, ob sie Erfolg haben wird. Nur wenn es ihr gelingt, Erbberechtigte ausfindig zu machen, deren Anspruch zu belegen und diese das Erbe letztlich tatsächlich annehmen, bekommt sie ein Honorar in Höhe von 20 bis 30 Prozent des Nachlasswertes.
Das Ende einer oft jahrelangen Suche
Findet die Ermittlerin Erben, informiert sie diese per Brief und legt einen Vertrag bei, mit dem sich die Erben verpflichten, ihr ein Honorar zu zahlen, wenn sie den Nachlass erhalten. Mit einer Vollmacht reicht sie den Erbscheinantrag beim Nachlassgericht ein. Der Erbschein weist den Erben gegenüber Dritten als solchen aus und er kann über das ererbte Vermögen verfügen. Im Antrag muss stehen, ob der Antragsteller kraft Gesetz oder aufgrund eines Testaments oder Erbvertrags erbt, ob weitere Personen vorhanden sind, die ihn in seinem Erbrecht einschränken können und ob es einen Rechtsstreit über das Erbrecht gibt. Zum Nachweis all dieser Tatsachen muss der Antragsteller Beweise wie Geburts- und Sterbeurkunden oder Auskünfte aus Melderegistern vorlegen. Ist der Antrag erfolgreich, gibt das Gericht den Nachlass frei. Dann ist auch die Arbeit der Erbenermittlerin getan.
Jeder Fall ist anders
Für sie steht fest: „Das Spannendste an dem Job sind die Familiengeschichten und Schicksale – gerade vor dem historischen Hintergrund: Kriege, Vertreibung, Trennung, Wiedervereinigung. Sie haben Familien auf der ganzen Welt beeinflusst und geprägt. So ist jeder Fall anders und aufregend.“
*Name von der Redaktion geändert
Unser Rat
Bekommen Sie einen Brief von einem Erbenermittler, nehmen Sie Kontakt auf. Zahlen Sie jedoch nie Vorkasse. Sie können einen Vertrag unterschreiben, der ihm 20 bis 30 Prozent des Erbes zuerkennt, sobald Sie es erhalten. Reagieren Sie nicht auf unseriöse E-Mails, die angebliche hohe Erbsummen in Aussicht stellen. Bei Fragen hilft der Verband Deutscher Erbenermittler weiter.
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