
Profiwechsler. Der promovierte Chemiker Martin Grosser wechselt jedes Jahr den Energieversorger. „Mir geht es dabei nicht ums Geld. Ich sehe das sportlich“, sagt er. Doch kürzlich hat ihn zum ersten Mal ein Versorger abgelehnt – trotz guter Bonität. © Thorsten Jochim
Versorger lehnen neuerdings öfter ohne Begründung Kunden ab, die jährlich ihre Anbieter für Strom und Gas wechseln. Versorger-Kunden können dem vorbeugen. Hier lesen Sie, wie sich Kunden die Datenschutzregeln zunutze machen können und was Verkaufsportale wie Verivox oder Check24 mit den Wechselproblemen zu tun haben.
Ein Kunde, der jedes Jahr wechselt
Seit mehr als zehn Jahren wechselt der Finanztest-Leser Martin Grosser aus München jährlich den Stromanbieter. Damit verhält er sich genau so, wie es sich Politiker vor etwa 20 Jahren gewünscht haben. Damals brachen sie Monopole am Energiemarkt auf und ließen den freien Wettbewerb zu. Bei einem Verbrauch von etwa 3 500 Kilowattstunden pro Jahr winken Grosser durch einen Wechsel jährlich Boni um die 200 Euro.
Inzwischen ist er ein Profi. Beide Verträge, Strom und Gas, enden jeweils zum 30. Juni. Jedes Jahr informiert er sich Anfang Mai beim Vergleichsrechner Verivox über günstige Tarife. „Der Wechsel ist dann in wenigen Minuten erledigt“, sagt er. Doch diesmal lehnte ihn zum ersten Mal ein Versorger als Kunde ab, ohne Begründung.
Energiediscounter Immergrün sagte nein zum neuen Kunden
Grosser wollte zum Energiediscounter Immergrün in einen Tarif wechseln, den Verivox nach eigenen Angaben exklusiv anbietet. Die Ablehnung kam vier Werktage, nachdem das Verkaufsportal den Wechsel eingeleitet hatte. Grossers Bonität ist gut. Daran kann es nicht gelegen haben. Der promovierte Chemiker hakte bei Verivox und Immergrün nach.
Immergrün nannte mögliche Abstimmungsschwierigkeiten mit dem Netzbetreiber sowie zwischen dem bisherigen und dem neuem Anbieter als Grund. „So kann es im Rahmen der Datenübermittlung zu Unstimmigkeiten bei der Bearbeitung kommen“, schrieb das Unternehmen. Verivox teilte ihm mit: „Bitte beachten Sie: Ein Energieversorger muss einen Kundenauftrag nicht annehmen, es besteht aufgrund der Vertragsfreiheit kein Kontraktionszwang in Deutschland.“ Das stimmt. Außerhalb der Grundversorgung dürfen Versorger Kunden ohne Begründung ablehnen.
Versorgerwechsel - so gehen Sie vor
- Rechtzeitig kündigen.
- Wenn Sie jährlich Ihren Gas- oder Stromversorger wechseln, sollten Sie den Vertragswechsel mindestens vier bis sechs Wochen vor Ablauf der Kündigungsfrist einleiten. Sollte Ihr neuer Versorger es ablehnen, einen Vertrag abzuschließen, haben Sie in jedem Fall noch genug Zeit, bei einem weiteren Versorger anzufragen.
- Selbst kündigen.
- Falls Sie erst ein oder zwei Wochen vor Ablauf der Kündigungsfrist wechseln, sollten Sie Ihren alten Vertrag selbst kündigen (mit Einschreiben und Rückschein) und Ihren neuen Versorger darüber informieren. So können Sie ganz sicher sein, dass sich Ihr alter Vertrag nicht automatisch verlängert, falls Sie aufgrund eines abgelehnten Neuvertrags nicht rechtzeitig herauskommen. In diesem Fall würden Sie kurz in die Grundversorgung fallen.
- Unerkannt bleiben, Musterbrief nutzen.
- Nachdem Sie von einem Versorger die Schlussrechnung erhalten haben und Außenstände oder Guthaben beglichen sind, sollten Sie fordern, Ihre Daten zu löschen. Verlangen Sie außerdem, die Daten zu sperren, für die es gesetzliche Aufbewahrungsfristen gibt, zum Beispiel Rechnungen und Geschäftsbriefe. Nutzen Sie dazu unseren kostenlosen Musterbrief. Das sollte Ihre Daten schützen. Falls Sie später wieder zu diesem Versorger wechseln, sollte die Kunden- und Marketingabteilung nicht erkennen, dass Sie schon einmal für ein Jahr Kunde waren.
- Wechselhelfer.
- Wenn Sie eher bequem sind und sich nicht selbst um den Anbieterwechsel kümmern wollen, können Sie Wechseldienste nutzen. Die Stiftung Warentest hat diese Dienste getestet zum Test Versorger-Wechseldienste.
Bonusjäger bringen den Versorgern kein Geld
Doch warum wollen Versorger manche Kunden nicht? Fabian Fehrenbach, Jurist bei der Verbraucherzentrale Rheinland-Pfalz, sagt: „Einige Energieanbieter haben ihre Tarife so kalkuliert, dass sie erst im zweiten Jahr, wenn die Boni wegfallen, mit dem Kunden Geld verdienen. Unternehmen, die ihre Tarife so knapp kalkulieren, haben wenig Interesse an Kunden, von denen sie vermuten, dass sie nach einem Jahr wieder wechseln.“
In der Kritik stehen auch Verkaufsportale wie Verivox oder Check24. Auf sie sind Vielwechsler wie Martin Grosser angewiesen. Denn nur sie listen die sich täglich ändernden Tarife auf. Energieexperte Udo Sieverding von der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen (VZ NRW) sagt: „Mit ihren Filterkriterien sorgen die Verkaufsportale dafür, dass Kunden nach einer Preisabfrage ausschließlich Tarife mit hohen Boni sehen, die sich für die Firmen oft nicht rechnen.“
Ablehnungen sind kein Einzelfall
Wir haben auch bei der Bundesnetzagentur und bei Wechseldiensten für Strom- und Gastarife nachgefragt, ob ihnen das Problem der abgelehnten Kunden bekannt ist. Alle lieferten uns Zahlen oder Fälle. Das Hamburger Unternehmen Wechselpilot hat für uns knapp 20 000 Kundenverträge ausgewertet. Die Firma übernimmt für ihre Kunden den Wechsel und die Optimierung von Energieverträgen. „Rund jeder zehnte Kunde wurde abgelehnt“, sagt Geschäftsführer Maximilian Both. „Und das, obwohl wir nur im Hintergrund tätig sind. Die Stromanbieter können nicht direkt erkennen, dass wir uns um die Energieverträge kümmern und nicht der Kunde selbst.“ Eine Vertragsablehnung bedeutet für Kunden nicht nur doppelte Arbeit. „Es kann ihnen auch passieren, dass sie in die teure Grundversorgung rutschen oder noch ein weiteres Jahr bei einem teuren Versorger sind“, sagt Both.
Eher trifft es wohl Kunden mit hohen Verbräuchen
Die Auswertung von Wechselpilot hat außerdem ergeben, dass Versorger überdurchschnittlich oft Stromkunden mit einem sehr hohen Jahresverbrauch von mehr als 6 000 Kilowattstunden ablehnen. Auch Kunden, die vorher bei einem Stromdiscounter unter Vertrag waren, kann es eher treffen. Besonders hohe Ablehnungsquoten hat Wechselpilot bei den Firmen Maingau Energie, den Bochumer Stadtwerken, bei N-Ergie, E-wie einfach und Vattenfall ermittelt.
Die Verbraucherzentrale NRW nennt uns ebenfalls Maingau Energie. Auch Switchup, ein Wechseldienst aus Berlin, berichtet von mehreren Hundert abgelehnten Maingau-Kunden. „Alle bekamen die gleiche Mail. Ein Ablehnungsgrund wurde nicht genannt“, so Geschäftsführer Arik Meyer. Ihn ärgert, dass Firmen Kunden ablehnen. „Einige Anbieter wollen nur die trägen Kunden, die auch nach drastischen Preiserhöhungen noch dabeibleiben. Andere Kunden versuchen sie von vornherein abzulehnen. Sinnvoller wären doch gleich faire Tarifbedingungen.“
Die Bundesnetzagentur hat keine Firmennamen erhoben, schreibt uns aber von zahlreichen Fällen, die sich im vergangenen Jahr an sie gewandt haben. Bezogen auf die Zahl der Gesamtbeschwerden sind es eher wenige. Maingau Energie und Immergrün haben auf unsere Anfragen nicht geantwortet.
Kunden können der Ablehnung vorbeugen
Aktive Kunden, die jährlich wechseln, sollten zweierlei tun: nicht zu spät den Wechselprozess einleiten (siehe Unser Rat oben) und ihre Spuren, so gut es geht, verwischen. Das geht, indem sie ihren ehemaligen Versorger dazu auffordern, bestimmte Daten zu löschen und andere wenigstens zu sperren. Kunden haben laut Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) ein „Recht auf Vergessenwerden“. Unternehmen sind verpflichtet, persönliche Daten zu löschen, wenn der Kunde das verlangt. Ignorieren sie eine solche Aufforderung, drohen ihnen hohe Bußgelder. Die Unternehmen können jedoch das Löschen verweigern, wenn dem andere gesetzliche Auflagen entgegenstehen.
Wie Versorger Kundendaten nicht nutzen dürfen
Buchungen und Verträge müssen zum Beispiel laut Handelsgesetzbuch und Abgabenordnung zehn Jahre lang aufbewahrt werden. Die Kunden können deswegen bei solchen Daten nur verlangen, dass das Unternehmen sie intern sperrt. Dirk Hensel, Sprecher des Bundesbeauftragten für den Datenschutz, erklärt die Folgen der Sperrung: „Das Unternehmen darf die Daten dann nur in dem Umfang nutzen, wie es der gesetzliche Zweck vorschreibt, also zum Beispiel im Rahmen einer Steuerprüfung. Eine Nutzung zur Kundenauswahl oder zu Marketingzwecken wäre in diesem Fall rechtswidrig.“
Rückkehrer sind unbeliebt
Bei Martin Grosser liegt es übrigens nahe, warum ihn Immergrün abgelehnt hat. Er wurde dort bereits im Jahr 2017 Kunde und wollte im Juli 2019 zurückkehren. Ebenso erging es einem Leser aus Ludwigshafen. Er wurde im Jahr 2017 Stromkunde bei Ideal-Energie. Im Frühjahr 2018 verweigerte Immergrün ihm den Abschluss eines Gasliefervertrags. Beide Firmen sind Marken der 365 AG. Grosser hat kurz vor dem Vertragsende doch noch einen neuen Versorger gefunden. Er ist ab Juli Kunde bei Eins Energie in Sachsen.
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@tfhemer: Nach §147 AO hat ein Unternehmen eine gesetzliche Aufbewahrungsfrist aller steuerrelevanten Daten. Ein Antrag auf Löschung der persönlichen Daten nach Art 17 DSGVO vereitelt keine Rechnungskorrektur innerhalb der Verjährungsfrist.
Wie genau soll das EVU eine Rechnungskorrektur - die in der Regel für drei Jahre vorgesehen ist - vornehmen, wenn ausschließlich bestimmten Personen und nur Finanzdaten einsehbar sind. Vergebe ich mir und dem EVU dann nicht Möglichkeit zu korrigieren. In der Regel werden Daten in den Abrechnungssystemen anonymisiert. Das Wiederlesbar machen ist extrem aufwendig und teuer. Wie ist dabei Ihre Lösung?
Die Rolle der Vergleichsportale kommt in diesem Artikel m.E. etwas zu kurz. Das sind im Prinzip Makler, die vom Versorger für jeden vermittelten Kunden eine Provision erhalten. Allerdings nur von denen, die mitmachen. Der Versorger möchte dann natürlich auf der Liste weit oben stehen, was er nur über dubiose Rabatt-Modelle schafft. Ich würde empfehlen, die Boni im Preis nicht mit einzurechnen (Häkchen raus) und auch "Tarife ohne direkte Wechselmöglichkeit" anzuzeigen (auch Häkchen raus). Dann werden auch Tarife von Versorgern angezeigt, die nicht mit dem Vergleichsportal zusammenarbeiten (meist Stadtwerke kleinerer Städte und Kommunen). Diese Tarife sind im Allgemeinen fair und günstig. In der Regel hat man zum Ende der Vertragslaufzeit auch keine Preisexplosion zu erwarten und kann bleiben. Positiver Nebeneffekt: man muss nicht seinen vertraglich zugesicherten Boni hinterher rennen, weil diese Tarife ganz ohne diesen Firlefanz auskommen.
@warentest: Deute ich die Erfahrungsberichte hier richtig, dann wehren einige Versorger Datenlöschaufforderungen mit folgender Strategie ab: Sobald irgendein Detail im Mustertext gegen (behauptete) legitime Beibehaltungsinteressen prallt, greift keine "salvatorische Klausel", wonach der Rest des Anliegens trotzdem durchschlägt, sondern das Löschanliegen wird mit kryptischen Begründungen einfach im Ganzen abgewiesen. Der juristisch unbeschlagene Kunde ist somit kaltgestellt.
Appell an "test": Bitte prüfen und berichten, wie dieser Abwehrstrategie ggfs. mit einem modifizierten Mustertext vorgebeugt werden kann!
Ich wollte dieses Jahr mit Strom und Gas zu immergrün! wechseln, wo ich vor 3 Jahren schon war. Beide Anträge wurden abgelehnt mit folgendem Geschwafel:
Mögliche Gründe für das Nichtzustandekommen eines Vertrages sind Kunden oft nicht bekannt, deshalb möchten wir hier aufklären. Als günstiger Energieversorger sind wir auf eine möglichst breite Kundenbasis ausgerichtet. Diese Breite streben wir auch in Bezug auf die regionale Verteilung unserer Kunden an. Die Häufigkeit von Vertragsschlüssen kann demzufolge kurzzeitig regional unterschiedlich sein. Kumulationseffekte regionaler Besonderheiten wirken sich auf diese Art nicht auf die Gesamtkalkulation aus. Unser Hauptziel ist das Angebot günstiger Tarife für möglichst viele Kunden. Das kann im Einzelfall auch mal bedeuten, dass ein Vertrag nicht zustande kommt. Übrigens: Auch Nachfragespitzen können sich derart auf die Menge der von uns eingekauften Energie auswirken, dass neue Lieferverbindlichkeiten kurzzeitig nicht eingegangen werden