Patienten haben das Recht, Kopien ihrer Krankenunterlagen mit nachhause zu nehmen. Wir haben es in zwölf Arztpraxen versucht – selten mit Erfolg.
Als eine unserer Testpersonen in der Praxis ihres Hausarztes nach einer Kopie ihrer Patientenakte fragte, stellte die Angestellte eine Gegenfrage: „Wozu wollen Sie das denn haben?“ Eine andere Probandin bekam zu hören: „Es ist absolut nicht üblich, Unterlagen aus der Patientenakte herauszugeben.“
Es mag nicht üblich sein, doch es ist ihr Recht. Patienten steht es zu, ihre Akte beim Arzt einzusehen – von wenigen Ausnahmen abgesehen, Tipps („Wann Ärzte ablehnen dürfen“). Seit zwei Jahren ist der Anspruch ausdrücklich im Patientenrechtegesetz verankert und steht im Bürgerlichen Gesetzbuch.
Einfach durchzusetzen ist das Recht aber nicht, wie unsere Stichprobe zeigt. Im Frühjahr haben wir zwölf geschulte Tester aus verschiedenen Orten zu ihren Ärzten geschickt: drei zu Hausärzten, drei zu Frauen-, drei zu Augen- und drei zu Zahnärzten. Alle zwölf baten um eine Kopie ihrer Patientenakte und protokollierten die Reaktionen des Praxispersonals. Fachärzte prüften dann in unserem Auftrag, ob die Unterlagen vollständig waren. Die Lesbarkeit bewerteten wir auch.
Von Arztnotizen bis OP-Bericht
Jeder Arzt in Deutschland ist verpflichtet, genau zu notieren, wie er die Beschwerden von Patienten behandelt – auf Papier oder am Rechner. Auch Röntgenbilder, Laborwerte, Operationsberichte, Briefe von überweisenden Kollegen befinden sich in der Akte. Das alles dient Ärzten als Gedächtnisstütze, beweist im Zweifel aber auch, welche Untersuchungen und Therapien sie veranlasst haben – und welche nicht. In der Regel müssen Mediziner die Akten zehn Jahre lang aufbewahren.
Größtenteils vollständige und dazu lesbare Unterlagen bekamen aber nur drei der zwölf Tester. Fünf Mal fehlten jegliche Notizen des Arztes. Manchmal waren die Kopien so schlecht, dass Teile nicht zu erkennen waren. Die meisten Probanden mussten immerhin nichts zahlen, obwohl Ärzte 50 Cent pro Seite abrechnen dürften.
Für wen die Akte wichtig sein kann
Es gibt Gründe, in seine Akte sehen zu wollen. Stefan Palmowski von der Unabhängigen Patientenberatung Deutschland sagt: „Nicht immer versteht man als Patient, was der Arzt gesagt hat, oder erinnert sich im Nachhinein an alles.“ Die Akte kann hilfreich sein, um nachzuvollziehen, was mit einem los ist.
Andere, die umziehen oder den Arzt wechseln, möchten den neuen Behandler vielleicht über bisherige Diagnosen und Untersuchungen informieren. Wer nach einem Unfall oder wegen unbekannter Erkrankung zu verschiedenen Ärzten geht, will vermeiden, zweimal dieselbe Untersuchung machen zu müssen. Manche Kranke sind daran interessiert, dass ihre Therapeuten zusammenarbeiten, und sie möchten den Überblick behalten.
Auch Versicherungen fordern sie an
Die Patientenakte kann auch helfen, wenn jemand eine Versicherung abschließen möchte und Gesundheitsfragen beantworten muss: Vorerkrankungen, Klinikaufenthalte – alles Wichtige sollte in der Akte stehen. Auch eine private Versicherung kann sie anfordern, wenn Kunden eine Leistung von ihr wollen. Patienten sind dann verpflichtet, ihre Ärzte von der Schweigepflicht zu entbinden.
Belege bei vermutetem Arztfehler
Nicht zuletzt kann die Patientenakte ein Beweisstück sein, wenn man einen Behandlungsfehler vermutet. In der Regel muss der Patient ihn belegen. Ist die Akte lückenhaft, liegt die Beweispflicht aber beim Arzt. Dann gilt im Zweifel: Was nicht dokumentiert ist, ist auch nicht geschehen.
Patientenrechte sind ein Beratungsschwerpunkt der Unabhängigen Patientenberatung Deutschland (UPD). In ihrem „Monitor Patientenberatung 2014“ steht: Fast 3 700 Mal in einem Jahr gaben die Experten der UPD Antworten auf Fragen zum Thema Einsicht in die Krankenunterlagen. In etwa jedem vierten Fall ging es um eine Beschwerde. Patientenberater Palmowski weiß aus Erfahrung: „Es kommt regelmäßig vor, dass Patienten Akten nicht oder nur scheibchenweise bekommen.“
Mal eine, mal 29 Din-A4-Seiten
Diese Erfahrung machten auch unsere Tester. Einer musste dreimal telefonisch nachhaken und bekam seine Unterlagen erst, als er noch mal in die Praxis ging. Sieben der zwölf erhaltenen Akten sind nahezu leer oder weisen zumindest große Lücken auf – das konnten die meisten Tester übrigens selbst gut einschätzen.
Dreimal überreichte das Personal nur ein einziges Blatt Papier. Bei einem Augenarzt bekam eine Probandin einen Linsenpass für eine eingesetzte Kunstlinse – keine Befunde, keinen OP-Bericht, nichts.
Aber selbst die 29 Seiten einer Hausarztpraxis sind nicht vollständig: Sie enthalten zwar Arztbriefe und Befunde, aber keine Aufzeichnungen des Mediziners zur Behandlung. Bei zwei anderen Testern waren die Röntgenaufnahmen nicht vorhanden, die laut Akte angefertigt wurden.
Positiv ist, dass wir in keinem Fall Hinweise auf nachträgliche Änderungen fanden und die meisten Tester nichts oder maximal 20 bis 50 Cent pro kopierter Seite zahlen mussten – mit einer Ausnahme: Ein Tester bekam keine Kopie der Akte, sondern einen einseitigen Bericht über seinen aktuellen Zustand – für stolze 14,40 Euro. Die Kranken- und Behandlungsgeschichte lässt sich damit nicht nachvollziehen.
Patientenanfragen sind eher selten
Die Stichprobe lässt den Eindruck zurück, dass manche Ärzte sich ungern in die Karten sehen lassen. Der Rechtsanspruch des Patienten scheint nicht in allen Praxen angekommen zu sein. Nach Erfahrung von Dirk Schulenburg, Justiziar der Ärztekammer Nordrhein, sind Anfragen nach der Patientenakte etwas Ungewöhnliches im Praxisalltag. „Dass Patienten überhaupt Einsicht in die Unterlagen haben möchten, ist eher die Ausnahme. Da muss schon etwas Besonderes passiert sein.“ Ärzte könnten in solchen Fällen verunsichert sein und befürchten, dass sie das Vertrauen des Patienten verloren haben.
Sofort oder später?
Neben der Frage, ob und in welchem Umfang Patienten Kopien ihrer Akte erhalten, sind weitere Konflikte möglich. „Häufig gibt es Streit um die Frage, wie schnell ein Arzt Einsicht gewähren muss“, berichtet Sascha Rudat von der Ärztekammer Berlin. Im Gesetz steht „unverzüglich“. Rudat sagt: „Das bedeutet nicht, dass Ärzte sofort Einsicht gewähren müssen.“ Unverzüglich heiße vielmehr „ohne schuldhaftes Zögern“. Ärzte dürften prüfen, ob im Einzelfall etwas gegen die Einsichtnahme in die Akte oder einzelner Passagen spricht. Das könne je nach Umfang bis zu 14 Tage dauern, wenn es nicht besonders eilig ist wie etwa bei einer akuten Erkrankung. Auch Patientenberater Palmowski hält zwei Wochen für gerade noch vertretbar.
Rechte von Angehörigen
Auch im Fall einer schweren Krankheit eines Angehörigen sind die Krankenunterlagen wichtig. Wer sie einsehen will, muss bevollmächtigt sein. Selbst nach dem Tod eines Patienten kann die Akte noch von Interesse sein – etwa wenn Hinterbliebene vermuten, dass der Angehörige aufgrund eines Behandlungsfehlers gestorben ist. Erben haben das Recht, die Krankenakte des Toten einzusehen, um zu klären, ob Anspruch auf Schadenersatz besteht. Sie brauchen zum Beispiel einen Erbschein.
Die nächsten Angehörigen, also etwa Ehepartner, Kinder oder Eltern, können auch immaterielle Interessen geltend machen. Ein solches Interesse könnte sein, die Umstände des Todes aufklären zu wollen. Gerade bei komplizierten Krankheitsverläufen ist das jedoch nicht immer möglich. Der Arzt darf die Einsicht nur verweigern, wenn er begründen kann, dass der Verstorbene nicht gewollt hätte, dass die Angehörigen die Krankheitsumstände kennen.
Stefan Palmowski hat die Erfahrung gemacht, dass der Blick in die Akten Angehörigen auch bei der Trauerarbeit helfen kann: „Manche möchten einfach verstehen, was passiert ist.“
-
- Fehler passieren – auch in der Medizin. Patienten steht Entschädigung zu. test.de sagt, über welche Fehler gestritten wurde und wie Sie Behandlungen überprüfen lassen.
-
- Jeder, der eine Frage zum Thema Gesundheit hat, kann sich an die Unabhängige Patientenberatung Deutschland (UPD) wenden. Egal, ob es sich um medizinische oder...
-
- Plötzlich schwer erkrankt, ein Unfall oder Pflegebedürftigkeit – wer seinen Haushalt nicht mehr führen kann, bekommt oft Hilfe von der Krankenkasse. Wir sagen was gilt.
Diskutieren Sie mit
Nur registrierte Nutzer können Kommentare verfassen. Bitte melden Sie sich an. Individuelle Fragen richten Sie bitte an den Leserservice.
Nutzerkommentare können sich auf einen früheren Stand oder einen älteren Test beziehen.
@sebarg: Wenden Sie sich am Besten direkt an Ihren Sachbearbeiter im Jobcenter und bitten Sie dort um Einsicht. (TK)
Hallo,
ich habe vom Jobcenter ein berufliches Coaching empfohlen bekommen. Nach dem Coaching hat der Coach einen Bericht über mich und das Coaching an das Jobcenter geschickt. Ich habe den Coach nach einer Kopie dieses Berichts gefragt. Diese wurde mir verweigert. Was kann ich tun?
Herzliche Grüße
@SannyShine88: Wenn Arztpraxis oder Krankenhaus nicht kooperieren, können Sie sich im nächsten Schritt an die Unabhängige Patientenberatung Deutschland (UPD) oder die jeweilige Landesärztekammer wenden. (PH)
Lohnt es sich zu klagen, wenn nachweislich ein Verstoß gegen das Patientenrecht statt gefunden hat?
Wer hat Erfahrungen auf diesem Gebiet und kann darüber berichten ?
Kommentar vom Autor gelöscht.