
Je stärker die Mieten steigen, desto attraktiver ist es für Vermieter, wegen Eigenbedarfs zu kündigen. Da haben Mieter kaum eine Chance.
Mehr als 25 Jahre lebte Doreen Welke in ihrer Zweizimmerwohnung in Berlin. Plötzlich kam die Kündigung. Ihr Vermieter wohnte mit seiner Familie in Hannover, hatte aber in Berlin eine Tochter aus einer früheren Beziehung. Die wollte der Chefarzt regelmäßig sehen, gern in einer häuslichen Umgebung statt in einem Hotel. Welke wehrte sich vor Gericht – und verlor.
Das Urteil überrascht. Dass Gerichte Mieter aus ihrer Wohnung reißen, obwohl der Eigentümer sie nur zeitweise nutzen will, war bisher nicht selbstverständlich. Doreen Welke hatte vom Amtsgericht recht bekommen, am Landgericht aber verloren. Auch das Bundesverfassungsgericht ließ sie abblitzen. Vermieter dürfen kündigen, selbst wenn die Wohnung nicht ihr Lebensmittelpunkt werden soll (Az. 1 BvR 2851/13).
Eigenbedarfskündigungen nehmen zu, stellt Ulrich Ropertz vom Mieterbund fest und warnt: „Je mehr die Gerichte diesen Kündigungsweg ausweiten, desto leichter fällt es Investoren aus dem In- und Ausland, Mieter aus ihren Wohnungen zu werfen.“
Täuschen leicht gemacht
Mieterschützer sind besorgt, weil Vermieter Eigenbedarf leicht vortäuschen können. Da will sich ein Ehepaar trennen und einer der Partner in die Wohnung einziehen. Sobald der Mieter draußen ist, haben die beiden sich versöhnt, die Wohnung wird teuer neu vermietet. Oder die Kinder wollen ausziehen, überlegen es sich später aber anders.
Wie oft Eigenbedarf nur vorgetäuscht wird, darüber gibt es keine Statistiken. Wenn so etwas auffliegt, können Mieter aber Schadenersatz fordern Wenn der Vermieter trickst.
Das Problem ist hoch brisant. Mehr als die Hälfte der Deutschen wohnt zur Miete. Zwei Drittel aller Wohnungen, 15 Millionen, sind privat vermietet. Die rasant gestiegenen Mieten und Immobilienpreise machen es immer lukrativer, Altmieter loszuwerden. Jedes Jahr landen bis zu 12 000 Fälle vor Gericht, schätzt der Mieterbund. Als Kündigungsgrund kommt für Vermieter praktisch nur Eigenbedarf infrage. Andere Wege sind verbaut, solange Mieter sich vertragsgemäß verhalten: im Wesentlichen pünktlich zahlen und sich an die Hausordnung halten. Eine andere Möglichkeit sind in seltenen Fällen Kündigungen aus wirtschaftlichen Gründen Regeln der Verwertungskündigung.
Niedrige Hürden für Kündigung
Eine Kündigung wegen Eigenbedarfs ist einfach, denn der Vermieter muss nur „vernünftige, nachvollziehbare Gründe“ nennen: Seine Wohnung wird zu klein, er will ein Arbeitszimmer, ein Gästezimmer oder mit einem Partner zusammenziehen. Auch diese Gründe haben Gerichte abgesegnet:
- Der Vermieter will aus gesundheitlichen Gründen weniger Treppen steigen (Landgericht Hamburg, Az. 7 S 271/88).
- Seine jetzige Wohnung ist teurer als die vermietete (BVerfG, Az. 1 BvR 697/93).
- Seine bisherige Wohnung hat Feuchtigkeitsschäden (Amtsgericht Dortmund, Az. 136 C 708/89).
- Ihm wird seine jetzige Wohnung mit zwei unnötigen Kinderzimmern zu groß (Amtsgericht Gelsenkirchen-Buer, Az. 4 C 201/93).
Eigenbedarf für Angehörige
Der Vermieter kann auch für enge Angehörige Eigenbedarf anmelden. Dazu zählen getrennt lebende Ehepartner, Großeltern, Schwiegereltern, Enkel. Auch für Nichten, Neffen, Onkel, Tanten, Schwäger und Cousins kann das gelten, wenn eine enge Verbundenheit besteht (BGH, Az. VIII ZR 247/08). Auch für Haushaltshilfen oder eine Pflegeperson kann der Vermieter Eigenbedarf geltend machen, damit sie in der Nähe wohnen oder sogar im selben Haus.
Geschiedene und Freunde hingegen zählen nicht. Auch juristische Personen wie etwa eine Firma können keinen Eigenbedarf haben. Für eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) machte der BGH eine Ausnahme: Ein gehbehinderter Gesellschafter wollte die Erdgeschosswohnung für sich (Az. VIII ZR 271/06). Nur selten lehnen Gerichte Gründe ab. Typische Beispiele dafür sind:
- Der Bedarf ist überhöht, etwa mit einer Fünfzimmerwohnung für eine 18-jährige Tochter, die fürs Praktikum nach Berlin ziehen will, aber noch keinen Praktikumsplatz hat (Amtsgericht Köpenick, Az. 14 C 16/13).
- Andere Wohnungen im Haus stehen leer und der Vermieter erklärt nicht, weshalb es ihm gerade auf diese Wohnung ankommt (LG Frankfurt/Main, Az. 2/11 S 285/02).
- Der Eigenbedarf war schon bei Abschluss des Mietvertrags absehbar.
Ganz genau schauen Gerichte hin, wenn es Probleme im Mietverhältnis gab. Meldet ein Vermieter direkt nach einer misslungenen Mieterhöhung Eigenbedarf an, gelten besonders strenge Anforderungen (Amtsgericht Köln, Az. 209 C 473/09).
Und wenn das Haus nach Einzug des Mieters in Eigentumswohnungen umgewandelt wurde, ist in den ersten drei Jahren nach dem Kauf keine Kündigung erlaubt. In einigen Städten gelten zehn Jahre Sperrfrist.
Vermieter sollten Gründe nennen
Wer kündigt, sollte die Gründe erklären. Der Mieter hat Anspruch auf diese Informationen, damit er seine Rechtslage einschätzen kann. Der Vermieter muss Angaben über seine aktuellen Wohnverhältnisse machen (BGH, Az. VIII ZR 254/06). Die Bedarfsperson muss er im Regelfall nicht namentlich nennen, sie muss aber bestimmbar sein, zum Beispiel „Eigenbedarf für meine älteste Tochter“. Hat der Vermieter mehrere Wohnungen, muss er eine Ersatzwohnung aus seinem Bestand anbieten – zu angemessenen Bedingungen. Voraussetzung ist, dass gerade eine frei ist oder bald frei wird und dass sie in der Nähe liegt. In Berlin etwa ist das derselbe Stadtbezirk. Um festzustellen, ob der Vermieter Wohnungen besitzt, darf der Mieter das Grundbuch einsehen.
Fällt der Eigenbedarf nach der Kündigung weg, muss der Eigentümer den Mieter informieren. Das gilt, bis die Kündigungsfrist abgelaufen ist (BGH, Az. VIII ZR 339/04).
Vermietete Wohnung billig gekauft
Auch wer ein vermietetes Objekt kauft, weil es viel billiger ist als ein freies, darf Eigenbedarf anmelden. Das Justizministerium nennt dies in einer Broschüre sogar als Beispiel: „Frau und Herr Müller, die mit Kind eine Drei-Zimmer-Wohnung zur Miete bewohnen, kaufen ein vermietetes Haus mit fünf Zimmern. Müllers möchten einziehen; nur deshalb haben sie das Haus gekauft. Am Eigenbedarf ist nicht zu rütteln.“