Der E-Book-Reader ImcoV6L funktioniert wie ein Tablet-Rechner über Apps. Deshalb lassen sich auf ihm E-Books aus zwei Kopierschutzwelten lesen.
Die Schweizer habens erfunden. Die Firma Imcosys mit Sitz im schweizerischen Zug hat einen E-Book-Reader entwickelt, mit dem Nutzer kopiergeschützte E-Books des Onlinehändlers Amazon und auch solche von anderen Buchshops lesen können. Bislang unterstützte kein Reader mit E-Ink-Display zugleich Amazons Kopierschutz und das gängige Digitale Rechtemanagement (DRM) von Adobe. Ob diese Innovation das lästige Kopierschutz-Korsett ein wenig lockert, klärt ein Schnelltest.
Bücher werden per App gekauft
Simpel aber pfiffig: Anders als andere E-Book-Reader arbeitet der ImcoV6L von Imcosys wie ein Tablet-Rechner mit Apps. Die kleinen Programme befinden sich bereits auf dem Reader, der mit einer älteren Version des Betriebssystems Andriod läuft. Neben einer Kindle-App für die Nutzung von Büchern des Online-Händlers Amazon gibt es eine App für den E-Book-Shop „Imcosys Ebooks“ des Geräteanbieters.
Reader umgeht Amazons exklusiven Käfig
Auf dem ImcoV6L können Leseratten erstmals in E-Books schmökern, die zwei verschiedenen Kopierschutzsystemen unterliegen. Bisher unterstützten E-Book-Reader entweder das System von Amazon oder das von Adobe. Mit diesem Digitalen Rechtemanagement (DRM) erschweren Verlage das Weiterreichen der E-Books an Freunde und Verwandte. Über ein Benutzerkonto muss sich der Leser auf dem Reader identifizieren, dort gelesene Bücher werden auf diesen Nutzer registriert. Mit dem eigenen Kopierschutz bindet Amazon zudem Kunden exklusiv an seine Bücher und an seinen Kindle-Reader. Damit könnte nun Schluss sein.
Untypische Kindle-App bereitet kein Vergnügen
Eine ernsthafte Konkurrenz zum Amazon-Lesegerät ist der Reader ImcoV6L jedoch nicht. Die Kindle-App lässt sich nicht mit der gleichnamigen App für Smartphones und Tablets oder mit der Darstellung auf dem Kindle-Reader vergleichen: Mühselig gestaltet sich die Bedienung auf dem berührungsempfindlichen Display. Zwar gibt es zusätzlich mechanische Tasten, allerdings reagieren zwei von vier bei aktiver Kindle-App nicht. Wenig erquicklich ist auch der Buchkauf auf dem Reader. Statt im regulären Kindle-Buchshop muss der Bücherfreund auf der weniger komfortablen Internetseite von Amazon shoppen.
Shop des Anbieters funktioniert nicht
Eine zweite App führt zum Buchshop von Imcosys – theoretisch zumindest. Im Schnelltest war dort oft kein einziges E-Book zu finden. Die Suche innerhalb von Kategorien wie Belletristik ergab in den meisten Fällen null Treffer. Wenn die Tester dann doch einmal ein E-Book gefunden hatten und bezahlen wollten, hängte sich die App auf. Nicht ein Buch landete auf diesem Weg auf dem Reader. Amazon-E-Books wären fast wieder unter sich geblieben, gäbe es nicht die Option, Bücher per PC und USB-Kabel auf den ImcoV6L zu übertragen. Auch das digitale Ausleihen in öffentlichen Bibliotheken ist mit dem Gerät möglich.
Weitere Apps selbst installieren*)
Auf dem Reader liegt ebenfalls eine App des Onlinespeicherdienstes Dropbox, die halbwegs funktioniert und den Austausch von Dokumenten ermöglicht. Nutzer können auch selbst Apps auf das Lesegerät laden. Allerdings nicht wie üblich aus einem App-Store. Der Reader muss per USB-Kabel an einen PC angeschlossen werden. Die kleinen Programme lassen sich als APK-Dateien auf das Lesegerät kopieren. APK steht für Android Package und ermöglicht den Transport der App vom PC auf den Reader. Otto Normal dürfte dieser Weg, an eine App zu gelangen, eher fremd sein.
Tolles Bild, guter Musikspieler, gemächliche Geschwindigkeit
Abgesehen von den Apps handelt es sich um einen durchschnittlichen Reader mit Hintergrundbeleuchtung, Touchscreen und mechanischen Tasten. Das E-Ink-Display hat eine Auflösung von 1024x758 Pixeln. Die Bildqualität überzeugt. Besonders fix ist der ImcoV6L nicht. Das Öffnen und Umblättern der Bücher dauert länger als bei den meisten E-Book-Readern des aktuellen Tests. Neben üblichen Zusatzfunktionen verfügt das Gerät über einen guten Musikspieler, der über Kopfhörer oder interne Lautsprecher ertönt. Es ist möglich – außer beim Nutzen der Kindle-App – während des Lesens Musiktitel zu überspringen und die Lautstärke anzupassen. Das können die meisten E-Book-Reader mit MP3-Spieler nicht.
Gewicht, Akku und Stabilität lassen Wünsche offen
Mit einem Gewicht von 221 Gramm ist der Reader etwas schwerer als andere Geräte und taugt eher weniger für längeres Halten mit einer Hand. Der interne Speicher fasst mit 2,5 Gigabyte doppelt so viel wie der des Testsiegers Kindle Paperwhite und kann durch eine MicroSD-Karte noch erweitert werden. Ausdauernd ist der ImcoV6L allerdings nicht. Magere sieben Tage hielt sein Akku im Schnelltest bei mittlerer Beleuchtung und zwei Stunden Lesen am Tag. Andere Reader kommen auf vier Wochen und mehr. Auch mit der Verarbeitung der Schweizer Neuerung ist es nicht weit her: Nach dem Falltest waren Gehäuse und Display beschädigt.
Fazit: Die Idee ist gut, ihre Umsetzung nicht.
Würde der ImcoV6L einwandfrei laufen, könnten Leseratten unbeschwert Bücher aus zwei Kopierschutzwelten auf einem E-Book-Reader nutzen. Dem engen und lästigen Rechtemanagement-Korsett hätte diese kleine Lockerung gut getan. Vereitelt wird sie durch eine schlecht angepasste und eine nicht funktionstüchtige App. Eine Revolution am E-Book-Markt wird das Lesegerät der Schweizer wohl nicht anzetteln, bestenfalls dient es der Buchbranche als Denkanstoß.
Tipp: Weitere Informationen erhalten Sie in unserem aktuellen Test E-Book-Reader.
*) Korrekturhinweis 21.10.2014: In einer früheren Fassung des Schnelltests könnte der Eindruck entstanden sein, dass sich keine zusätzlichen Apps auf den ImcoV6L laden lassen. Tatsächlich geht das – allerdings etwas ungewohnt via APK.