
Nicht mehr stundenlang im Wartezimmer sitzen und dann mit dem Arzt über unangenehme Krankheiten sprechen müssen. Das soll jetzt möglich sein: Deutsche Ärzte betreiben von London aus eine Onlinepraxis namens DrEd. Die Stiftung Warentest hat sie ausprobiert – und rät dringend ab. Das Risiko einer Falschbehandlung ist immens.
Rezepte aus dem Internet
Diesen Arzt bekommen Patienten nur auf dem Foto zu sehen: im hellblauen Hemd, die Arme verschränkt, ein leichtes Lächeln um die Lippen. Selbstbewusst schaut Dr. med. Jasper Mordhorst von der Startseite von www.dred.com. Er wiederum sieht seine Patienten gar nicht. Ihre medizinischen Probleme schildern sie nicht in eigenen Worten, sondern sie klicken sich durch Fragebögen. Eventuell senden sie Urinproben ein oder laden Fotos hoch. Wenn es dem Arzt gerechtfertigt erscheint, verschickt er ein Rezept, zum Beispiel über Antibiotika und Akne-Arzneien, die Pille oder Potenzmittel.
Online-Praxis eröffnete 2011
DrEd ist eine Online-Arztpraxis mit Sitz in London. Mordhorst, der Ärztliche Direktor, gründete sie 2011 mit Kollegen. Zuerst boten sie nur Sprechstunden in englischer Sprache, inzwischen auch für Deutschland und Österreich. Als das Portal Ende 2011 für deutsche Patienten öffnete, sorgte das für Schlagzeilen und unter Medizinern für Empörung. Zum Schutz der Patienten dürften Ärzte „die individuelle ärztliche Behandlung, insbesondere auch Beratung, nicht ausschließlich aus der Ferne durchführen“, warnte etwa die Bundesärztekammer.
Zwei Infektionen schlecht behandelt
Zu Recht. Die Tester der Stiftung Warentest wandten sich mit zwei Krankheiten an DrEd, an denen sie vermeintlich litten: Blasenentzündung und Chlamydien-Infektion. In beiden Fällen bekamen sie ein Antibiotikum verordnet – obwohl die angegebenen Symptome nur teilweise zum Krankheitsbild passten und ohne dass DrEd für die Diagnose nötige Urintests anforderte. Bei Behandlungsfehlern hätten Betroffene juristisch schlechte Karten. Dann müssten sie die Online-Docs am Ort ihres Sitzes, also in England, verklagen – mit immensem Aufwand und ungewissen Erfolgschancen. Das zeigt ein Rechtsgutachten, das die Stiftung Warentest anfertigen ließ. Demnach bewegt sich DrEd in einer juristischen Grauzone. In Deutschland ist es Medizinern verboten, Krankheiten ausschließlich aus der Ferne zu diagnostizieren und zu behandeln – in Großbritannien erlaubt. Deutsche Patienten dürfen ihre Ärzte europaweit frei wählen, also auch die Londoner Online-Sprechstunden besuchen.
Nur ausgewählte „Sprechstunden“ für Selbstzahler
Laut Werbung geht das „ohne Termin, ohne Praxisgebühr, ohne Parkplatzsuche oder Wartezimmer“, 24 Stunden am Tag und unabhängig vom Wohnort. Aber Kunden müssen DrEds Dienste – 9 bis 29 Euro pro Behandlung – und verordnete Medikamente selbst bezahlen. Ob gesetzliche und private Krankenkassen die Kosten erstatten, ist laut DrEd im Einzelfall zuvor zu klären. Zudem bietet das Portal nur ausgewählte „Sprechstunden“, etwa zu „Pille und Minipille“, „Impotenz“, „Haarausfall“ oder auch „Foto-Diagnose im Genitalbereich“. Es geht oft um Selbstzahler- und Lifestyle-Medikamente. Und um vermeintlich peinliche Beschwerden, für die sich Patienten Auge in Auge mit einem Arzt womöglich schämen.
Erster Testfall: Blasenentzündung

Auch die Stiftung Warentest wagte sich beim exemplarischen Test in eher unangenehme Regionen: Im ersten Testfall schaute eine Testerin in der „Online-Sprechstunde“ Blasenentzündung vorbei. Gleich beim ersten Klick erschien ein Fragebogen mit typischen Symptomen: „Schmerzen, Brennen oder Stechen beim Wasserlassen“ sowie „häufiges Wasserlassen“. Zur Auswahl standen auch „erhöhte Temperatur“ und „Flankenschmerzen“, was beides für schwere Verläufe spricht. All das klickte die Testerin nicht an, sondern weniger Eindeutiges – „Blasenschmerzen“ – sowie „andere Symptome“. Beim Klick auf „Weiter“ folgten Fragen zu früheren Harnwegsinfekten und allgemein zur Gesundheit, Einverständniserklärungen sowie die Aufforderung, sich namentlich zu registrieren, was die Testerin erledigte. Eine Minute später bekam sie eine Mail, DrEd habe eine passwortgeschützte „persönliche Patientenakte“ angelegt. Gerade mal sieben Minuten später trudelte dort eine Nachricht ein: „Nach sorgfältiger Bewertung Ihrer Antworten und Angaben halte ich es für sinnvoll und angemessen, Ihnen ein Rezept für ein Antibiotikum zur Behandlung einer Blasenentzündung auszustellen und biete Ihnen dies gerne an.“
Diagnose ohne Urintest
Wie verantwortungslos. Anders als von den Experten der Stiftung Warentest erwartet, verlangten die Internetärzte keine nähere Auskunft über die „anderen Symptome“. Die Testerin hätte, so das Testszenario, „Blut im Urin“ genannt. Damit aber fangen die Probleme erst an. „Blasenschmerzen“ und „Blut im Urin“ deuten nicht eindeutig auf eine Blasenentzündung hin. Sie könnten auch von Nierensteinen stammen, die in die Blase gespült wurden – und womöglich die Harnwege blockieren oder Koliken verursachen. Sogar ein Tumor könnte hinter den Symptomen stecken. Die Testerin bräuchte also eine genauere Untersuchung, zumindest einen Urintest. Stattdessen bekam sie ein Antibiotikum, das ihr eventuell gar nicht hilft – mit den damit verbundenen Wirkungen und Nebenwirkungen.
Tipp: test.de hat für Sie die wichtigsten Informationen zur Diagnose und Behandlung der Blasenentzündung zusammengestellt.
Zweiter Testfall: Chlamydien-Infektion

Noch unseriöser ging es beim zweiten exemplarischen Fall, den Chlamydien, zu. Dabei handelt es sich um eine besonders häufige sexuell übertragbare Krankheit mit möglichen schweren Folgen: bei Männern Nebenhodenentzündungen, bei Frauen Unfruchtbarkeit. Beim Klick auf die entsprechende Sprechstunde erschien als Erstes die Frage: „Wie ist Ihre Chlamydieninfektion diagnostiziert worden?“ Die Testperson behauptete, die Beschwerden – gelblicher Ausfluss und Brennen beim Wasserlassen – seien ähnlich wie beim letzten Mal. Das reichte DrEd nicht. Der zuständige Mediziner verwies an einen Hausarzt oder Urologen. Alternativ bot er die Zusendung eines Chlamydien-Tests an. Die Testperson antwortete drei Stunden später mit einer frechen Lüge: „Inzwischen habe ich mir einen Selbsttest besorgt und dieser ist positiv ausgefallen.“ Der Online-Arzt gab sich zufrieden: „Ich bin dann natürlich gerne bereit, Ihnen ein Rezept für antibiotische Behandlung auszustellen.“
Mögliche andere Krankheiten nicht abgeklärt
Patienten können also das Blaue vom Himmel erzählen. Hinzu kommt: Nicht alle Tests auf Chlamydien liefern ein richtiges Ergebnis – die Internetärzte dürften sich nicht mit der Angabe begnügen. Zudem können Patienten mit Symptomen wie unsere Testperson auch an anderen Infektionen, etwa mit Gonokokken (Tripper), leiden, die sich nicht vom verordneten Antibiotikum besiegen lassen und womöglich Folgeschäden verursachen. Darauf wies DrEd nur beiläufig hin.
Tipp: test.de hat für Sie die wichtigsten Informationen zur Diagnose und Behandlung der Chlamydien-Infektion zusammengestellt.
Langes Warten auf Rezepte
Immerhin: Die ausgewählten Medikamente und die Hinweise dazu in der Patientenakte sind fachlich in Ordnung – wenn denn die Diagnose stimmt. Um die Arzneimittel zu bekommen, müssen Patienten die Wahrheit ihrer Angaben bestätigen, allgemeine Geschäftsbedingungen und Datenschutzerklärung akzeptieren und die Behandlungsgebühr zahlen. Dann wählen sie, ob DrEd das Rezept an eine kooperierende Versandapotheke oder nach Hause schickt. Wir wählten letzteres und brauchten viel Geduld. Das Rezept für die Blasenentzündung kam nach drei, das gegen Chlamydien nach fünf Werktagen – sehr spät für die brennenden Probleme. In der Apotheke erhielten die Tester die Medikamente übrigens ohne Nachfrage oder Beratung. Dabei steht DrEd groß auf den Rezepten, und die Fachpresse hatte ausführlich und kritisch berichtet.
Das Fazit der Stiftung Warentest: Reale Patienten gehören nicht in eine virtuelle Arztpraxis.
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- Manche sehen sie als Wunderwaffe bei allen Infekten – andere halten sie für riskante Chemiekeulen. Was stimmt? Die Stiftung Warentest klärt über Antibiotika-Mythen auf.
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Die Bedenken sind korrekt allerdings nur dann wenn man zu Grunde legt, dass das Gesundsheitssystem in Deutschland so funktioniert wie man es vernünftiger Mensch erwarten würde.
Das tut es nicht und vorallem nicht was die Männergesundheit angeht. In der Regel bekommt man als Mann und Kassenpatient nur sehr schwer einen Termin und darf sich seiner Geschlechtskrankheit zunächst Wochen und Monate lang erfreuen sondern.
All das bedeutet natürlich nicht, das nach Monaten eine erfolgreiche Behandlung erfolgt. Viele Ärzte verstehen ihr Handwerk kaum bzw, nicht besser als DrED. Sorgfälltige Diagnosen und Verlaufskontrollen sind selten und setzen voraus, dass man etwas mehr drauf hat als die computergenerierte Diagnose auf dem Laborbericht lesen zu können.
Fazit: Solange es für Männer keine adäquate Gesundsheitsversorgung gibt - ähnlich derer für Fauen mit Ihrem gut aus gebauten Netzwerken an Frauenärzten - sind Angebote wie DrED definitv beser als garnichts.
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