Stellenbewerber mit Migrationshintergrund, Behinderung und dem falschen Geschlecht oder Alter haben ab sofort bessere Chancen auf Entschädigung, wenn sie einen Job nicht kriegen. Der Europäische Gerichtshof nimmt die deutschen Gerichte in die Pflicht. Gleichzeitig schützt der Bundesgerichtshof auch alternde Manager. test.de erklärt zwei aktuelle Urteile und gibt Tipps für Betroffene.
[Update 29.04.2013] Das Bundesarbeitsgericht hat erneut zum Thema entschieden. Details am Absatz „Folgen für Betroffene“.
Ablehnung ohne Begründung
Galina M. ist Softwareentwicklerin und genau eine solche suchte die Speech Design Carrier Systems GmbH im Jahr 2006. Ihr Diplom als Systemtechnik-Ingenieurin hatte die zur Zeit der Bewerbung 45-Jährige in Russland erworben. Die Behörden in Schleswig-Holstein erkannten die Ausbildung an. Bei der Software-Firma in Bayern blitzte Galina M. ab. Nicht mal zum Vorstellungsgespräch lud das Unternehmen die Bewerberin. „Wir haben eine Auswahl an Bewerbern getroffen, die wir zum Vorstellungsgespräch einladen. Aus diesem Kreis werden wir eine Auswahl treffen“, schrieb das Unternehmen ihr lediglich. Gründe nannte es nicht.
Verdacht auf Diskriminierung
Kein Vorstellungsgespräch für eine 45-jährige Frau mit Migrationshintergrund: Da liegt der Verdacht auf rechtswidrige Diskriminierung nahe. Einen Anspruch auf Entschädigung gibts nach dem Wortlaut des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz jedoch nur, wenn Indizien für eine verbotene Diskriminierung wegen Alter, Herkunft oder Geschlecht sprechen. Doch weder die Stellenausschreibung noch die Website von Speech Carrier Design enthielten verdächtige Formulierungen. Galina M. klagte dennoch. Vor dem Arbeitsgericht und dem Landesarbeitsgericht in Hamburg verlor sie. Das Bundesarbeitsgericht allerdings hielt für möglich: Nach den europäischen Regeln hat Galina M. zumindest einen Anspruch auf Auskunft über die Gründe für die Entscheidung gegen sie und kann diese dann auf verbotene Diskriminierung hin prüfen. Die Richter beschlossen, beim EuGH nachzufragen.
Fehlende Begründung als Indiz
Die Richter in Luxemburg haben jetzt ihr Urteil mit der Antwort gefällt: Einen Anspruch auf Auskunft haben abgelehnte Bewerber zwar nicht, aber die Weigerung eines Unternehmens, Gründe für die Ablehnung zu nennen, kann als Indiz für eine verbotene Diskriminierung zu werten sein und Bewerber damit Anspruch auf Entschädigung haben. Die deutschen Gerichte müssten alle Umstände im Einzelfall würdigen und dürften Entschädigungsansprüche nicht davon abhängig machen, ob es Bewerbern selbst gelingt, an interne Informationen zu gelangen.
Folgen für Betroffene
Arbeitsrechtler glauben jetzt: Indirekt sind Unternehmen jetzt doch gezwungen, Gründe für die Ablehnung von Bewerbern zu nennen, um sich nicht dem Verdacht der Diskriminierung auszusetzen. Bisher hatten Anwälte Unternehmen zur Vermeidung von Entschädigungsforderungen nach dem AGG geraten, sich nicht in die Karten gucken zu lassen und keine Gründe für Personalentscheidungen zu nennen. Für betroffene Stellenbewerber gilt jetzt: Sie sollten sich bei verdächtigen Ablehnungen auch dann von einem Anwalt mit Erfahrung in Diskriminierungsfällen beraten lassen, wenn keine Indizien vorliegen.
Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 20.05.2008
Aktenzeichen: 8 AZR 287/08 (A)
Europäischer Gerichtshof, Urteil vom 19.04.2012
Aktenzeichen: C 415/10
[Update 29.04.2013] Das Bundesarbeitsgericht hat erneut entschieden. Erstaunlich: Wieder geht Galina M. leer aus. O-Ton aus der Presseerklärung des Bundesarbeitsgerichts: „Auch die Verweigerung jeglicher Auskunft durch die Beklagte begründete im Streitfalle nicht die Vermutung einer unzulässigen Benachteiligung der Klägerin.“ Mit anderen Worten: Wenn der potenzielle Arbeitgeber konsequent keine Informationen herausgibt, schauen möglicherweise diskriminierte Bewerber stets in die Röhre. Ob das den Vorgaben des EuGH gerecht wird, ist zweifelhaft. Dort hieß es: „Im Rahmen des Nachweises von Tatsachen, die das Vorliegen einer unmittelbaren oder mittelbaren Diskriminierung vermuten lassen, ist sicherzustellen, dass eine Verweigerung von Informationen durch den Beklagten nicht die Verwirklichung der mit den Richtlinien (zur Verhinderung von Diskriminierung, Ergänzung der Redaktion) verfolgten Ziele zu beeinträchtigen droht. (...) Daher hat das Bundesarbeitsgericht (...) bei der Klärung der Frage, ob es genügend Indizien gibt, um die Tatsachen, die das Vorliegen einer solchen Diskriminierung vermuten lassen, als nachgewiesen ansehen zu können, alle Umstände des Ausgangsrechtsstreits zu berücksichtigen. (...) Zu den Gesichtspunkten, die in Betracht gezogen werden können, gehört insbesondere der Umstand, dass, anders als in der Rechtssache, in der das Urteil Kelly ergangen ist, der Arbeitgeber, um den es im Ausgangsverfahren geht, Frau M. jeden Zugang zu den Informationen verweigert zu haben scheint, deren Übermittlung sie begehrt. Darüber hinaus können (...) insbesondere auch die Tatsache herangezogen werden, dass Speech Design nicht bestreitet, dass die Qualifikation von Frau M. den Anforderungen in der Stellenanzeige entspricht, sowie die beiden Umstände, dass der Arbeitgeber sie gleichwohl nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen hat und dass sie auch im Rahmen des neuen Verfahrens zur Auswahl unter den Bewerbern um die Besetzung der betreffenden Stelle nicht eingeladen wurde.“
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 25.04.2013
Aktenzeichen: 8 AZR 287/08
Schutz auch für alternde Manager
Auch alternde Manager fallen unter den Schutz des AGG. Das hat jetzt der Bundesgerichtshof entschieden. Geklagt hatte ein 62-jähriger. Er war bis Ende August 2009 befristet Geschäftsführer der Kliniken der Stadt Köln. Im Vertrag war vorgesehen, vor Ablauf der Befristung über eine Verlängerung zu verhandeln. Doch die Kliniken heuerten ohne Verhandlungen einen neuen, jüngeren Geschäftsführer an. Begründung gegenüber der Presse: das fortgeschrittene Alter des Stelleninhabers. Das sei ein Indiz für verbotene Diskriminierung entschied der Bundesgerichtshof und bestätigte damit das Oberlandesgericht Köln. Die Klinik ist jetzt verpflichtet, ihrem Ex-Geschäftsführer alle aus der Diskriminierung resultierenden Schäden zu ersetzen. Wie viel Geld er bekommt, ist noch unklar. Die bis zum Rentenalter fehlenden drei Jahresgehälter machen allein über 600 000 Euro aus. Zusätzlich hat der Mann Anspruch auf eine Art Schmerzensgeld.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 20.03.2012
Aktenzeichen: II ZR 163/10