
Ungleichbehandlung gibt es in vielen Lebensbereichen. Seit zehn Jahren soll ein Gesetz davor schützen, das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, auch als Antidiskriminierungsgesetz bekannt. Finanztest erklärt, wo das Gesetz überall zum Tragen kommt, und wie sich Betroffene wehren können.
Diskriminierung wegen der Herkunft
Auf ihre Stellenbewerbung bei einer Berliner Firma erhielt die aus der Dominikanischen Republik stammende Bewerberin eine E-Mail: „Leider richtet sich die Position an deutsche Muttersprachler, daher können wir Ihre Bewerbung nicht berücksichtigen.“ Die Bewerberin fühlte sich wegen ihrer Herkunft diskriminiert und klagte. Das Arbeitsgericht Berlin gab ihr recht – und verurteilte das Unternehmen zur Zahlung einer Entschädigung von drei Monatsgehältern (Az. 55 Ca 16952/08). Das Gericht begründete seine Entscheidung mit dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG).
Viele erleben Ausgrenzung, nur wenige gehen vor Gericht
Seit zehn Jahren gibt es das Gesetz. Es soll davor schützen, dass eine Person ohne sachlichen Grund schlechter als andere Menschen in einer vergleichbaren Situation behandelt wird. Alarmierendes Ergebnis einer Umfrage der Antidiskriminierungsstelle des Bundes: Fast jeder dritte Mensch in Deutschland erlebte in den vergangenen zwei Jahren Ausgrenzung. Trotzdem landen nur wenige Klagen vor Gericht. Fazit von Doris Liebscher, Dozentin für Antidiskriminierungsrecht an der Humboldt-Universität zu Berlin: „Trotz einer positiven Bilanz beklagen Experten, dass das Gesetz immer noch zu wenig bekannt ist.“ Sein großer Vorteil: „Benachteiligte Personen können eine Rechtsverletzung selbst außergerichtlich oder vor Gericht geltend machen und auf Unterlassung, Gleichbehandlung und die Kompensation erlittener Schäden klagen.“ Von Alter bis Religion, von Behinderung bis Geschlecht – um welche Merkmale es geht, ist eindeutig geregelt.
Nachteil, Mobbing, Belästigung
Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz verbietet jede ungerechtfertigte Benachteiligung, Belästigung und Mobbing wegen
- Rasse, Hautfarbe oder ethnischer Herkunft
- Geschlecht
- Religion oder Weltanschauung
- Behinderung
- Alter
- sexueller Identität.
Sexuelle Belästigung und Mobbing
Aufs Gesetz berufen kann sich also auch, wer gemobbt oder – auch sexuell – belästigt wird. Das können ständige „Blondinenwitze“ in Anwesenheit von Kolleginnen sein. Selbst ein einmaliger Witz sexuellen Inhalts gegenüber einer Frau kann schon dazu zählen. Das Gesetz bietet Schutz auf der Arbeitsstelle, nicht aber zu Hause – etwa wenn eine Frau von einem selbst beauftragten Handwerker sexuell belästigt werde.
Ungleichbehandlung gibt es überall
Diskriminierung wegen eines oder mehrerer Merkmale kommt in vielen Lebensbereichen vor: Ein Bewerber, der nicht jung genug ist, ein ausländischer Student, der an der Tür einer Diskothek abgewiesen wird, ein Rollstuhlfahrer, der keinen Platz im Restaurant bekommt. Das Antidiskriminierungsgesetz regelt einige Fälle, längst aber nicht alle.
Schutzlücke im Bereich Bildung
„Eine große Schutzlücke gibt es im Bereich Bildung“, sagt Liebscher. „Für Studierende und Schüler staatlicher Schulen oder Universitäten ist es nicht anwendbar.“ Ein Kind, das von einer Schule abgelehnt wird, weil es einen Migrationshintergrund hat, kann sich zum Beispiel nicht darauf berufen. Der Grund: Bildung ist in Deutschland Ländersache. Diskriminierungsverbote und Rechtsansprüche müssten in den Schul- und Hochschulgesetzen der Bundesländer stehen. Bislang haben nur wenige Landesschulgesetze solche Regelungen.
Älter als die Polizei erlaubt
Die größte Bedeutung hat das Gesetz im Arbeitsrecht. Sein Schutz reicht von Bewerbungen, Einstellungen, Beförderungen, Arbeitsbedingungen bis zu Kündigungen und betrieblicher Altersvorsorge. Ein Beispiel: Das Land Baden-Württemberg lehnte einen Bewerber für den gehobenen Polizeivollzugsdienst ab, weil er mit 38 Jahren zu alt sei. Der Bewerber klagte und bekam recht: Das festgesetzte Höchstalter von 36 Jahren für den gehobenen Polizeidienst schränke die Freiheit der Berufswahl unverhältnismäßig ein, so das Verwaltungsgericht Freiburg (Az. 3 K 862/15).
Mögliche Lösung: anonymisierte Bewerbungsverfahren
Dilek Kolat, Senatorin für Arbeit, Integration und Frauen in Berlin, sagt: „Man will es nicht glauben, aber tatsächlich werden zum Beispiel bei Bewerbungen Menschen mit ausländischen Namen, Frauen, Dicke oder Transsexuelle aussortiert. Das kann und darf sich unsere Gesellschaft nicht leisten.“ Eine Lösung hierfür könnten anonymisierte Bewerbungsverfahren sein, die die Berliner Verwaltung erfolgreich getestet habe. Die anonyme Bewerbung enthält nur die für den Beruf wesentlichen Qualifikationen. Auf das Foto und nähere Angaben zur Person in Lebenslauf und Anschreiben verzichtet sie.
Bewerbung abgelehnt
Wer denkt, er sei in einem Bewerbungsverfahren diskriminiert worden, etwa wegen des Alters oder Geschlechts, sollte dokumentieren können, dass er das Stellenprofil am besten erfüllt. Er muss beispielsweise eine bessere Qualifikation, mehr Erfahrungen, bessere Referenzen oder zusätzliche wichtige Fähigkeiten nachweisen. Gelingt ihm das und kann der Arbeitgeber den Vorwurf der Benachteiligung nicht entkräften, kann der Bewerber in der Regel eine Entschädigung von bis zu drei Monatsgehältern verlangen. Das gilt auch, wenn die benachteiligte Person auch sonst nicht eingestellt worden wäre. Selbst wenn die Stelle gar nicht besetzt wird, können Diskriminierte klagen.
Benachteiligung im Alltag
Das Gesetz schützt auch in alltäglichen Situationen bei Einkauf, Wohnungssuche oder Besuch des Fitnessstudios. Bei solchen Alltagsgeschäften wird davon ausgegangen, dass Händler oder Dienstleister in der Regel keinerlei näheres Interesse an der Person haben, die Vertragspartner wird, und nichts Persönliches von ihr wissen wollen. Im Prinzip würden sie mit jedem den Vertrag abschließen. Das Gesetz spricht von Massengeschäften. Im Mietrecht würde ein solches in der Regel nur dann vorliegen, wenn eine Person mehr als 50 Wohnungen vermietet.
Diskriminierung wegen Behinderung oder Hautfarbe

Spielt es also keine Rolle, wer der Kunde ist, darf dieser nicht etwa wegen einer Behinderung als Vertragspartner ausgeschlossen werden. Ein Beispiel: In einem Restaurant wird jemand, der im Rollstuhl sitzt, nicht bedient und gebeten, sich ein anderes Restaurant zu suchen. Die Begründung des Inhabers: Er nimmt zu viel Platz weg. Noch weiter geht der gesetzliche Schutz bei Diskriminierung aus rassistischen Gründen oder wegen der ethnischen Herkunft. Dieser gilt für alle Verträge, die öffentlich angeboten werden. Auch ein privater Vermieter, der beispielsweise eine Wohnung öffentlich annonciert, muss sich daran halten.
Vermieter wollen „Schwarze“ nicht
Benachteiligungen bei der Wohnungssuche kommen häufig vor. So rief zum Beispiel ein Paar aufgrund einer Annonce bei einer Immobilienverwaltung an. Es wollte die beworbene Wohnung besichtigen. Schnell wurde ein Termin mit der Hausmeisterin verabredet. Sie sollte die Interessenten durch die Wohnung führen. Vor Ort wies die Hausmeisterin das Paar allerdings ab: „Die Wohnung wird nicht an Neger, äh ... Schwarzafrikaner und Türken vermietet.“ Das sei eine Anordnung der Hausverwaltung. Das Paar ließ das nicht auf sich sitzen und schaltete das Gleichstellungsbüro der Stadt Aachen ein. Mit dessen Unterstützung verklagten die Mietinteressenten den Hausverwalter auf Schadenersatz und Schmerzensgeld von jeweils 2 500 Euro und gewannen vor dem Oberlandesgericht Köln (Az. 24 U 51/09).
Sachliche Gründe für Benachteiligung
Das AGG gilt auch für private Versicherungsverträge. Beispiel Autoversicherung: Wer über 75 Jahre alt ist, zahlt fast die Hälfte mehr als ein 55-Jähriger – für denselben Versicherungsschutz und bei sonst gleichen Voraussetzungen. Viele Betroffene sehen darin einen Gesetzesverstoß. Doch wenn es für eine Benachteiligung sachliche Gründe gibt, ist sie zulässig.
Höhere Versicherungsbeiträge für ältere Autofahrer
Auf einen solchen sachlichen Grund für höhere Beiträge für Ältere berufen sich die Autoversicherer. Christian Ponzel, Pressesprecher des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft, erklärt: „Unsere Statistik zeigt, dass ältere Fahrer mehr Schäden verursachen als Fahrer mittleren Alters.“ Gelingt es dem Gegner wie in diesem Fall, einen sachlichen Grund zu belegen, der die Benachteiligung in einem anderen Licht erscheinen lässt, hat ein Betroffener das Nachsehen und keine Ansprüche auf Beseitigung, Unterlassung und Entschädigung.
Vor Gericht: Indizien sammeln

Ein schwules Paar möchte eine Hochzeitsvilla mieten. Als der Vermieter von der Homosexualität erfährt, sagt er ihm ab. Das ist eine verbotene Diskriminierung. Das Paar bekommt 1 700 Euro Entschädigung (Landgericht Köln, Az. 10 S 137/14).
Wer gegen eine Benachteiligung etwa wegen Alter oder sexueller Orientierung vorgehen will, muss sie mit glaubhaften Indizien belegen können. Kann er das, hat der Ausgegrenzte gute Chancen. Denn dann muss der Gegner nachweisen, dass er ihn nicht benachteiligt hat oder er einen sachlichen Grund dafür hatte.
Wichtig ist es, den Vorfall genauestens zu dokumentieren (siehe W-Fragen helfen beim Dokumentieren). Ein Gedächtnisprotokoll anzufertigen ist hilfreich, Zeugen zu benennen ebenfalls. Weitere Indizien können etwa Ablehnungsschreiben oder E-Mails oder nicht neutrale Stellenausschreibungen sein.