Digitale Gerichts­verfahren Urteil per Video­konferenz

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Digitale Gerichts­verfahren - Urteil per Video­konferenz

Verhand­lungs­teilnehmer im Blick. Der Vorsitzende Richter am Amts­gericht Frank­furt am Main spricht im Gerichts­saal mit dem zuge­schalteten Anwalt. © picture alliance / dpa

Seit der Corona-Pandemie hat die Zahl digi­taler Gerichts­verfahren stark zugenommen. Was Sie dazu wissen sollten.

In Fernseh­serien ist alles noch beim Alten. Wird ein Gerichts­saal gezeigt, verhandeln Anwälte, Richte­rinnen und Kläger in ehrwürdigen, holz­getäfelten Räumlich­keiten – von Angesicht zu Angesicht. Die Roben sitzen, es geht ernst und geschäftig zu. Dabei hat in den Gerichts­sälen moderne Technik längst Einzug gehalten. Video­kameras und Monitore sind vor Gericht nicht mehr wegzudenken.

Unser Rat

Teilnehmen. Ob Video­technik bei einer Verhand­lung einge­setzt wird, entscheidet allein das Gericht. Sie sind nicht verpflichtet, sich über eine Webkamera oder ein Mobil­funk­gerät hinzuzuschalten. Wenn es Ihnen lieber ist oder Sie nicht über die nötige Technik verfügen, können Sie etwa als Zeugin oder Zeuge auch persönlich vor Gericht erscheinen.

Vorbereiten. Für die Teil­nahme an digitalen Gerichts­verfahren gelten keine besonderen Rege­lungen. Es ist üblich, dass Mandantinnen und Mandanten gemein­sam mit ihren Anwälten in deren Kanzleien an Verhand­lungen teilnehmen. Sie können im Prinzip im Freien oder aus dem Auto heraus zugegen sein. Es ist aber ratsam, sich einen ruhigen und störungs­freien Ort für die Verhand­lung zu suchen. Geht es zu trubelig bei Ihnen zu, kann das Gericht die Verhand­lung vertagen.

Abwägen. Nicht jeder Gerichts­prozess eignet sich für eine Video­verhand­lung. Bei lang­wierigen Rechts­streitereien und emotionalen Auseinander­setzungen kann es sinn­voll sein, persönlich vor Gericht zu erscheinen. Sprechen Sie sich dazu vorab mit Ihrem Rechts­beistand ab.

Digitale Gerichts­verfahren schon lange möglich

Digitale Gerichts­verfahren - Urteil per Video­konferenz

Test­lauf. Eine Video­konferenz­anlage wurde in einem Gerichts­saal des Land­gericht Düssel­dorf fest installiert. Jetzt wird sie getestet. © picture alliance / dpa

Recht­liche Grund­lage für den Einsatz von Video­technik ist Paragraf 128a der Zivil­prozess­ordnung, der bereits 2002 in Kraft trat. „Doch erst die Pandemie hat Richte­rinnen und Richtern Druck gemacht, Video­verhand­lungen zu gestatten“, sagt Marcus Werner, Anwalt und Informatiker aus Köln.

Gericht legt Verhand­lungs­form fest

Gerichte ordnen Video­verhand­lungen nicht an, sie erlauben lediglich den Einsatz der Technik. Kläger, Angeklagte, Zeuginnen und Zeugen sind dabei nicht gezwungen, ihre Aussagen vor der Webcam zu machen. Wer möchte, darf vor Gericht erscheinen.

Ist ein Gerichts­termin in Präsenz angesetzt, können Beteiligte beantragen, per Video zuge­schaltet zu werden. Nach Marcus Werners Erfahrung sind die Chancen aber von Gericht zu Gericht unterschiedlich, den Antrag durch­zubekommen.

Der Einsatz von Video­technik wird gefördert

Das könnte sich bald ändern. Mit dem Ziel, Verfahren zu beschleunigen, brachte die Bundes­regierung im September 2023 einen Gesetz­entwurf zur „Förderung des Einsatzes von Video­konferenz­technik in der Zivil­gerichts­barkeit und den Fach­gerichts­barkeiten“ ein. Kommt dieser durch, haben Gerichte tatsäch­lich die Möglich­keit, Video­verhand­lungen anzu­ordnen. Dann könnten auch Vorsitzende Richte­rinnen und Richter aus dem Home­office Urteile sprechen. Video­aufzeichnungen der Verhand­lungen sind ebenfalls noch verboten, könnten aber in den nächsten Jahren zugelassen werden.

Oft hapert es an der tech­nischen Ausstattung

Digitale Gerichts­verfahren - Urteil per Video­konferenz

Über­tragungs­probleme. Auch vor Gericht laufen Video­konferenzen nicht immer störungs­frei ab. © picture alliance / SZ Photo

Nach Angaben des Deutschen Richterbunds (DRB) wurden 2021 allein bei Zivilge­richten bereits mehr als 50 000 Verhand­lungen per Video­konferenz geführt. „Die Digitalisierung der Justiz gewinnt im Gerichts­alltag an Tempo. Die tech­nische Ausstattung der Gerichte ist jedoch noch nicht über­all zufrieden­stellend. In einigen Bundes­ländern besteht teil­weise noch deutlicher Nach­holbedarf bei Hard­ware und Netz­kapazitäten“, sagt DRB-Bundes­geschäfts­führer Sven Rebehn. Dabei geht es nicht um Kameras und Monitore. Die Zivil­prozess­ordnung schreibt vor, dass die an der Verhand­lung Beteiligten alle anderen sehen und hören können müssen. Sind außer den Vorsitzenden Richtern noch mehrere andere im Gerichts­saal, kann das schwierig sein.

Schwere Panne bei der Video­verhand­lung

Und: Nicht immer laufen Video­verhand­lungen glatt, Über­tragungs­pannen kommen vor. Im Juli 2023 wurde der Verlauf einer Video­verhand­lung des Arbeits­gerichts Köln publik. Pünkt­lich zum Termin trafen sich Anwältin, Anwalt und Kläger im virtuellen Gerichts­saal. „Wir haben nur kurz die Video­kachel des Richters gesehen“, berichtet Rechts­anwalt Holger Knapp aus Frank­furt, der einen Arbeit­geber vertrat. Tech­nische Probleme also, dachten sich die Beteiligten, hielten Small Talk und warteten rund 45 Minuten. Dann riefen die Anwälte bei Gericht an und erfuhren, dass die Verhand­lung längst statt­gefunden haben soll und sich alle Beteiligten geäußert hätten. Die Anwältin der Gegen­seite, dem Urteil zufolge unterlegen, hat für den Kläger erfolg­reich einen Befangen­heits­antrag gegen den Richter gestellt und ist in Berufung gegangen. „Die Verhand­lung hat wohl nicht korrekt statt­gefunden. Die dort aufgetretenen tech­nischen Probleme sind aufzuklären“, so Knapp.

Einfacher Zugang zur Verhand­lung

Der Zugang zu virtuellen Verhand­lungen läuft über die Einladungen der Gerichte. Zeugen, Klägerinnen oder Angeklagte benötigen Webcam, Mikrofon und einen Laut­sprecher. Mit Smartphone oder Tablet an der Verhand­lung teil­zunehmen, ist ebenfalls möglich. Die Gerichte nennen erforderliche Browser, Links und Zugangs­daten für die gerichts­eigene Konferenzsoftware.

„Mitunter lassen sich Richte­rinnen und Richter zur Identifikation der Beteiligten Personal­ausweise zeigen“, sagt Marcus Werner. „Meist ist es aber so, dass sich die Beteiligten ohnehin kennen.“ Aufwendige Identifizierungs­methoden, etwa über die digitale ID des Personal­ausweises, hat er in der Praxis noch nicht erlebt. Zudem sei es üblich, dass Anwälte und Mandanten in der Kanzlei gemein­sam an der Video­verhand­lung teilnehmen.

Nicht für alle Prozesse geeignet

Digitale Gerichts­verfahren sparen den beteiligten Juristen, aber auch den Zivil­personen, Zeit, Nerven und Anreisen. „Prozesse können schlanker organisiert und der Teilnehmer­kreis kann leicht erweitert werden. Gerade für Menschen, die weniger mobil sind, ist das ein Vorteil “, sagt Sonja Ewerdt-Schlaak, ehemalige Richterin, Mediatorin und Lehr­beauftragte „Recht der Digitalisierung“ der Uni Köln. Als Nachteile nennt sie Punkte, die regel­mäßigen Video­konferenz­teilnehmern bekannt sind: Im digitalen Umfeld ermüde man schneller und zudem könne es irritieren und verunsichern, dass man neben den anderen auch sich selbst ständig auf einem Monitor sieht.

Stimmung wird nur in Präsenz erspürt

Bei Verhand­lungen zu Sach­konflikten habe sich der Einsatz der Video­technik bewährt. „Gerade wenn die Beteiligten keinerlei Beziehung zueinander haben und sich noch nie begegnet sind, kann eine Video­verhand­lung sinn­voll sein“, sagt Sonja Ewerdt-Schlaak. Bei sehr emotionalen und lang­wierigen Verfahren sei es dagegen oft besser, in Präsenz zu verhandeln: „Es gibt Situationen, in denen es wichtig ist, die Stimmung im Saal zu erspüren und sich Auge in Auge gegen­über­zutreten.“

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