Diagnose Krebs Psycho­logische Hilfe für Patienten und Angehörige

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Diagnose Krebs - Psycho­logische Hilfe für Patienten und Angehörige

Pascale Burmester war 24 Jahre alt, als sie an Krebs erkrankte. Psycho­onkologen halfen ihr, mit ihrer Krankheit zurecht zu kommen. Heute unterstützt sie andere Betroffene in einem Onlineforum, das sie mit einem Freund aufbaute. © T. Rätzke

Die Diagnose „Krebs“ bedeutet eine extreme körperliche und auch seelische Belastung. Patienten haben große Angst und fühlen sich schnell ausgelaugt. Psycho­logen helfen, besser mit der Krankheit zu leben.

Wenn einem das Leben entgleitet

Erst 24 Jahre ist Pascale Burmester alt, als sie an einem seltenen Blut­krebs erkrankt. Statt in Vorlesungen Professoren zu lauschen und Freunde zu treffen, verbringt sie unzäh­lige Tage im Kranken­haus, monate­lang. „Mein Leben glitt mir plötzlich aus den Händen“, sagt sie. Das war 1995.

Psycho­onkologen bieten Hilfe

Zweimal hat Burmester in den vergangenen 20 Jahren dem Tod ins Auge gesehen. Sie nahm Medikamente mit starken Neben­wirkungen, erhielt 2013 eine Bestrahlung und eine Knochenmark­trans­plantation. Die Anzeichen der Erkrankung sind seither weg. Doch die Folgen der Behand­lung bestimmen ihren Alltag bis heute. „Durch­gestanden habe ich all das nur, weil ich professionellen Beistand hatte“, sagt sie. Unterstützt haben sie Psycho­onkologen. Das sind Psycho­logen mit medizi­nischer Fort­bildung zu Krebs­erkrankungen oder Sozialpädagogen und Ärzte mit entsprechender Zusatz­qualifikation. Viele Krebs­patienten brauchen deren Hilfe.

Angst­störungen und Depressionen

Knapp jeden zweiten Deutschen trifft im Leben die Diagnose „Krebs“, wie eine Studie des Robert-Koch-Instituts zeigt. Die meisten Patienten belastet die Krankheit und die Behand­lung seelisch stark. Sie sind nieder­geschlagen, verängs­tigt und fühlen sich ausgelaugt. Zu viel prasselt auf sie ein. Der Körper wird schwächer, schmerzt, verändert sich. Die Behand­lung raubt zusätzlich Kraft, Frucht­barkeit und Haare. Die Konzentration schwindet, das Gedächt­nis hinkt. Arbeiten ist oft nicht möglich. Frei­zeit­aktivitäten fallen weg, Freund­schaften vergehen. Krebs erzeugt einen psychischen Ausnahme­zustand. Jeder Dritte wird davon psychisch krank. Besonders häufig sind Angst­störungen und Depressionen.

Diagnose Krebs - Psycho­logische Hilfe für Patienten und Angehörige

Kuschel­zeit. Psycho­therapie hilft, anderen Dingen als dem Krebs wieder Raum zu geben. © T. Rätzke

Bei stationärer Behand­lung zahlt die Kasse

Die psycho­onkologische Beratung gehört heute zu jeder stationären Krebs­behand­lung. Psycho­onkologen bieten allen Patienten Gespräche an, egal wie schwer der Krebs auf ihnen lastet. Sie prüfen gezielt, ob jemand mehr oder sehr dringend Hilfe braucht. Die Kassen bezahlen diese Behand­lung auf Station. Auch psycho­onkologische Ambulanzen, etwa an Unikliniken, bieten Gespräche und Psycho­therapien für Krebs­patienten und Angehörige an. Solche Hilfen zahlen die Kassen meist nur, wenn eine diagnostizierte psychische Störung vorliegt. Bundes­weit gibt es außerdem gut 300 Krebs­beratungs­stellen, die bei sozialen wie seelischen Problemen helfen – über­wiegend gratis. Das kann in einem Gespräch passieren oder über Jahre hinweg, je nach Bedarf.

Wenn die Freunde sich abwenden

Jemanden Neutralen zu haben, der einem zuhört, der einen bestärkt, wieder Kontrolle über sein Leben zu bekommen: Das sind nur zwei positive Wirkungen einer Psycho­therapie bei Krebs. Auch Pascale Burmester, heute Mitte Vierzig, empfand das so. Das Schwerste für sie war, dass sich ihre Freunde abwandten. „In meinem Leben ging es plötzlich viel um Krankheit, Sterben und Tod. Im Leben der anderen darum, dass das Leben jetzt erst richtig beginnt“, sagt sie. Die Schnitt­menge zwischen ihr und ihren Freunden wurde immer kleiner. Bis sie und ihr heutiger Mann nicht mehr einge­laden wurden.

Jeden Gedanken äußern

„Das war schwer zu ertragen – und ist es auch heute noch“, sagt sie. Verstehen könne sie es: Niemand wolle sich ständig mit Endlich­keit beschäftigen. Doch sie musste es. Ihre Eltern sind verstorben. Ihr Ehemann hat sie all die Jahre gestützt, ist aber als enger Angehöriger selbst an seine Grenzen gestoßen. Erst bei Psycho­therapeuten konnte sie ihre Ängste offen benennen. „Ich durfte endlich jeden schreck­lichen Gedanken äußern, ohne darauf achten zu müssen, wie es meinem Gegen­über damit geht.“ Sie sprach alles an: Tod und Sterben, unlieb­same Therapien und Ärzte.

Hinterfragen und mitentscheiden

Krebs, das bedeutet auch Kontroll­verlust. Der Körper macht, was er will. Ärzte entscheiden oft über den Kopf des Patienten hinweg. Sich hilf­los zu fühlen, kann depressiv stimmen, Kraft rauben, Hoff­nung­nehmen. „Erst im Gespräch mit dem Psycho­onkologen habe ich gelernt, dass ich hinterfragen darf, was mit mir geschieht“, sagt Burmester. Sie beginnt, Fach­literatur zu lesen, wird zur Expertin für ihre Krankheit, legt eine eigene Patienten­akte an. Sie traut sich nun zu fragen, entscheidet mit, welche Behand­lung wie abläuft. So forderte sie zum Beispiel besonders dünne Kanülen zur Blut­abnahme ein und suchte sich einen neuen Arzt, bei dem sie sich wirk­lich wohl­fühlt. „Lang­sam hatte ich wieder ein wenig Kontrolle über mein Leben.“

„Die Ängste sind nicht irra­tional“

Das ist gut, denn Kontroll­verlust bedeutet auch Angst. Mehr als die Hälfte aller Krebs­patienten fürchtet sich sehr, jeder zehnte entwickelt eine Angst­störung. Viele befällt die Furcht, dass der Krebs unauf­halt­sam fort­schreitet und sie bald sterben. Viele befürchten auch, dass der Tumor wieder­kehrt. „Die Ängste sind keineswegs irra­tional. Das darf man nicht vergessen“, sagt Psycho­onkologe Alexander Wünsch vom Münchner Klinikum rechts der Isar. „Wenn die Furcht die Patienten lähmt, den Alltag bestimmt oder sie davon abhält, bei der Krebs­therapie mitzuwirken, sollten sie professionelle Hilfe in Anspruch nehmen.“ Das gilt auch bei folgenden Hinweisen:

  • anhaltend starke Nieder­geschlagenheit und Hoff­nungs­losig­keit, Gefühl der Leere,
  • lang­anhaltende Schlaf­probleme oder Albträume wegen der Krebs­erkrankung,
  • auch längere Zeit nach Behand­lungs­ende fort­bestehende Erschöpfung, starke Ängste oder andere psychische Probleme.

Von Verhaltens- bis Musiktherapie

Wie die psycho­therapeutische Behand­lung aussieht, hängt vom Patienten ab. Es gibt mehr als 100 Krebs­arten mit unzäh­ligen Verläufen. Bei jedem Menschen drückt sich die psychische Last anders aus. Sie hängt auch davon ab, ob er die Diagnose gerade erst bekommen hat, mitten in der Behand­lung steckt, sie schon erfolg­reich hinter sich hat – oder keine Therapie anschlägt. Die Psycho­onkologin Hilke Rath vom Universitäts­klinikum Hamburg-Eppen­dorf erklärt, wonach sich die Behand­lung richtet: „Einige Patienten erleben die Erkrankung als traumatisierend, andere berichten von Abge­schlagenheit oder Grübelei. Manche brauchen Hilfe dabei, mit körperlichen Schmerzen umzu­gehen.“ Rath und ihre Kollegen setzen verschiedene psycho­therapeutische Methoden ein, die sich unter anderem an Verhaltens­therapie oder Tiefen­psychologie orientieren. Bei Bedarf vermitteln sie Selbst­hilfe­gruppen oder Kunst- und Musiktherapien.

Unbe­dingt Depression verhindern

Die positiven Wirkungen der Behand­lung sind vielfältig. Zahlreiche Patienten entlastet es bereits, ihrer Angst, Verzweiflung oder Wut auf die Erkrankung offen Luft machen zu können. So war es bei Pascale Burmester. Ebenso kann die psycho­logische Beratung Krebs­kranke, die sich von den Strapazen der Behand­lung über­fordert fühlen, zu mehr Wohl­befinden verhelfen. Und dies kann das Abgleiten in eine hand­feste psychische Erkrankung verhindern. Das ist eine immens wichtige Aufgabe. Gerade Depressive sehen in der medizi­nischen Behand­lung oft keinen Sinn mehr, versäumen Arzt­termine. Wer in einer Depression steckt, beendet zum Beispiel trotz Lungenkrebs womöglich das Rauchen nicht. Gelingt es Psycho­therapie dann, dass der Patient Mut fasst und das Rauchen einstellt, kann dies sein Leben verlängern.

Ein Gleichgewicht finden

„Wichtig ist, dass die Patienten ein Gleichgewicht finden – zwischen ihrer Belastung und einer ‚tumorfreien‘ Zeit“, sagt Alexander Wünsch. Gefühle wie Angst, Trauer, Wut sollten ebenso wie düstere Gedanken Raum bekommen. Zugleich solle es Momente, Stunden und Tage geben, in denen nicht der Krebs im Mittel­punkt steht, sondern positive Lebens­inhalte wie Hobbys, Gespräche mit nahe­stehenden Menschen, Engagement für andere – oder auch die Kuschel­einheiten mit dem Haustier.

Neue Freund­schaften

Auch Pascale Burmester versucht, sich Tag für Tag schöne Momente zu verschaffen, etwa mit ihren Katzen Giulia und Aston. Sie hat zudem ihr Studium beendet und arbeitet seit kurzem wieder einige Stunden pro Woche. Eine Psycho­onkologin ermutigte sie schon kurz nach der Diagnose, neuen Anschluss zu suchen, etwa bei Patienten, die Ähnliches durch­lebt haben. Bei einer Reha-Kur schloss sie neue Freund­schaften. Im Internet traf sie auf einen Patienten, der die gleiche seltene Diagnose hatte wie sie. Gemein­sam entwickelten die beiden ein Chatforum für Betroffene. Burmester führt es heute allein. Ihr Onlinefreund ist verstorben. Sie moderiert die Internetgruppe – nun im Rahmen der Stiftung Lichter­zellen. Sie drückt im Forum aus, was sie belastet, spricht mit anderen über deren Erfahrungen. Damit spendet sie Kraft – anderen und sich selbst. „So hatte meine Erkrankung wenigs­tens einen Sinn“, sagt sie. „Ich habe mein Leid umge­lenkt, in etwas Gutes.“

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