
Strandläuferin. Spaß an der Bewegung tut dem Stoffwechsel nicht nur bei Diabetes Typ 2 gut. © Westend61 / Cate Brown
Nach neuen Empfehlungen sollen Betroffene über ihre Therapie mitbestimmen. Medikamente kommen nur wenn nötig ins Spiel.
Zucker ist auf ewig tabu, strenge Diät bis zum Lebensende ein Muss, das Fitnessstudio wird zum zweiten Zuhause und Insulinspritzen sind unausweichlich – so stellen sich viele das Leben nach der Diagnose Diabetes Typ 2 vor. Später droht Erblindung und Nierenversagen, irgendwann werden die Füße amputiert.
Diabetes Typ 2 ist fraglos eine ernste Krankheit, aber erfreulich oft kein unausweichliches Schicksal. Neue wissenschaftliche Erkenntnisse und Therapieansätze eröffnen vielen Betroffenen die Aussicht auf ein gutes Leben mit der Zuckerkrankheit – ohne allzu drastische Einschränkungen.
Unser Rat
Betroffene sollten ihr Risiko für Folgeschäden kennen. Daran orientiert sich die Therapie. An erster Stelle stehen Abnehm- und Bewegungsprogramme sowie eine für Diabetiker angepasste Ernährung. Medikamente kommen zum Einsatz, wenn nichts anderes hilft. Vertiefte Informationen zur medikamentösen Behandlung von Diabetes bietet unsere Datenbank Medikamente im Test. Wichtig: Mitmachen und mitreden. So halten Sie Diabetes Typ 2 in Schach.
Auf Augenhöhe mit den Fachleuten
Gute Nachrichten: Für leicht Übergewichtige reicht es aktuellen Forschungen zufolge schon aus, ihr Gewicht zu halten, statt radikal Kilos zu verlieren. Eine Studie von Forscherinnen und Forschern aus den USA und Mexiko hat gezeigt, dass bereits flotte Spaziergänge günstig auf den Blutzuckerspiegel wirken können. Medikamente kommen ins Spiel, wenn alle anderen Möglichkeiten wie Bewegung und angepasste Ernährung ausgereizt sind.
So sehen es auch die Empfehlungen der neuen Nationalen Versorgungsleitlinie für Diabetes Typ 2 vor. Der erste Teil wurde im September 2021 veröffentlicht, herausgegeben von Bundesärztekammer, Kassenärztlicher Bundesvereinigung und der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften. Derzeit werden weitere Empfehlungen entwickelt. Die Leitlinie enthält keine verpflichtenden Vorschriften, sondern Entscheidungshilfen für Ärzte und Ärztinnen.
Gemeinsam die Behandlung entscheiden
Betroffene erarbeiten zusammen und auf Augenhöhe mit Fachleuten die eigene Behandlung. Ohne ihre Zustimmung läuft nichts. Auch wenn zusätzlich Medikamente notwendig werden, sollen die Betroffenen mitreden.
Tipp: Unser frisch aktualisierter Ratgeber „Diabetes Typ 2“ stützt sich auf die Leitlinie und bietet vertiefte Informationen und Tipps etwa zum Blutzuckermessen.
Wichtig: Blutzuckerspiegel senken
Das gemeinsame Ziel von Patient und Arzt ist es, den Blutzuckerspiegel zu senken – denn der ist bei Diabetikern außer Kontrolle geraten.
Traubenzucker im Blut – auch Glukose genannt – ist lebenswichtig: Er liefert die Energie für wichtige Organfunktionen. Über das Essen gelangt er in den Körper, die Organzellen nehmen ihn mithilfe des körpereigenen Botenstoffs Insulin auf. Bei Menschen, die an Diabetes Typ 2 leiden, werden die Zellen zunehmend resistent gegen Insulin und lassen immer weniger Traubenzucker durch. Der Zucker bleibt im Blut und treibt die Werte dauerhaft in die Höhe. Ursache für die Erkrankung ist erbliche Veranlagung, oft verstärkt durch Übergewicht und Bewegungsmangel.
Blutzuckerwerte kennen
Den idealen Blutzuckerwert, der für alle gilt, gibt es nicht. Der Wert des Langzeitblutzuckers – auch HbA1c-Wert genannt − gibt Orientierung. Er zeigt den Anteil des Zuckers im Blut über die vergangenen acht bis zwölf Wochen an. Der Wert sollte bei Menschen, die noch viele Jahre vor sich haben, im nüchternen Zustand, also vor einer Mahlzeit, um die 6,5 Prozent liegen. Mit zunehmendem Alter steigt er ganz natürlich um etwa 0,4 bis 0,6 Prozentpunkte an.
Für jüngere Typ-2-Diabetiker empfiehlt es sich, einen Wert unter 6,5 anzustreben, um späteren Folgeschäden vorzubeugen. Bei älteren Betroffenen mit langer Krankengeschichte sollte man den Wert möglichst nicht unter 7,5 Prozent drücken.
Tipp: Besprechen Sie stets mit Ihrem Arzt, welcher Zielwert für Sie maßgeblich ist.
Der ganz persönliche Weg zum Ziel
Der individuelle Idealwert lässt sich mit vielen Mitteln erreichen. Wer gern läuft oder schwimmt, kann das zur täglichen Routine machen. Wer E-Bike fährt, kann für kurze Strecken auf ein Rad ohne Motor umsteigen. Spezielle Diabetes-Kochkurse informieren, wie eine Ernährungsumstellung gelingt, ohne auf Schmackhaftes zu verzichten.
Tipp: Finden Sie mit Ihrem Arzt oder Ihrer Ärztin heraus, welcher Weg für Sie am besten passt. Tipps zur Ernährungsanpassung bietet unser aktualisierter Ratgeber „Gut essen bei Diabetes“ mit 80 abwechslungsreichen Rezepten wie Knusperfisch mit Ratatouille.
Möglichkeiten realistisch einschätzen
Egal, wie jemand versucht, den Diabetes in Schach zu halten – die Maßnahmen sollten zum Lebensalltag passen und realistisch umsetzbar sein. In regelmäßigen Gesprächen finden Patient und Arzt ehrlich und ohne gegenseitige Vorwürfe heraus, was funktioniert – und verhandeln, wenn nötig, die Ziele neu: Werkzeuge gibt es genug.
Manche wollen zum großen Hammer greifen, um Diabetes zu kurieren. Eine jüngere Studie von Forschenden der Universität Newcastle mit 298 übergewichtigen Teilnehmerinnen und Teilnehmern schürt Hoffnung: Nach einer strengen Diät war fast bei jeder zweiten Person kein Diabetes mehr feststellbar. Ob für immer, kann die Studie nicht belegen. Manche Fachleute sehen solche drastischen Maßnahmen kritisch, da nur wenige sie auf Dauer durchhalten dürften.
Letztendlich müssen Betroffene für sich selbst entscheiden, welche Ziele sie mit welchen Mitteln erreichen möchten.
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Ich bin nicht der erste, der Süßigkeiten und Zuckernahrung als Droge bezeichnet und werde auch nicht der letzte sein. Nahrungsmittelkonzerne wie Nestle haben in den letzten Jahrzehnten Unsummen in ihre Forschung und Produktion gesteckt, um ungesunde Nahrungsmittel zu kreieren, denen sehr viele Menschen nicht oder nur mit großer Mühe widerstehen können. Sie erzeugen mit diesen drogenartigen Nahrungsmitteln Krankheiten, die es bei Naturvölkern noch nie gab, unglaubliches Leid, vorzeitige Tode, Verkrüppelungen und neben dem menschlichen Leid letzlich enorme volkswirtschaftliche Schäden. Obwohl sie nicht besser als andere Drogendealer sind, baden sie – natürlich – ihre Hände in Unschuld, denn verantwortlich sind ja die dummen Konsumenten, die sich von diesem Nahrungsmüll ernähren.
Wenn Stiftung Warentest den Verbraucherschutz wirklich ernst nehmen würde, dann würde dies hier auch offen thematisiert werden. Naja, vielleicht findet in der Redaktion ja mal irgendwann ein Umdenken statt.
@Doc_Martin15: Unser Artikel bezieht sich auf die Empfehlungen der neuen Nationalen Versorgungsleitlinie für Diabetes Typ 2, die Sie sicherlich kennen:
www.leitlinien.de/themen/diabetes/pdf/diabetes-2aufl-vers1.pdf
Darin heißt es unter anderem: "2.4.1 Stellenwert der nicht-medikamentösen Therapie - Die nicht-medikamentöse Basistherapie (siehe noch zu erstellendes Kapitel nicht-medikamentöse Therapie) bietet eine wirkungsvolle Therapieoption und ist die Grundlage der Behandlung. Erst wenn nicht-medikamentöse Maßnahmen ausgeschöpft sind, sieht die Leitliniengruppe die Indikation zur medikamentösen Therapie."
Wir behaupten nichts anderes.
Auch steht der Artikel nicht im Widerspruch zu den Aussagen von Ulrich A. Müller, emeritierter Professor für Diabetologie und Mitverfasser der Nationalen Versorgungsleitlinie für Diabetes Typ 2. Zitat Professor Müller: "Gewichtsreduktion und Bewegung gehören zur Basistherapie, noch vor Medikamenten. Einige Patienten können so den Zeitpunkt, ab dem Medikamente nötig werden, hinauszögern oder brauchen weniger."
Zum Thema HbA1C-Wert raten wir Diabetes-Typ-2-Patienten ausdrücklich, das Gespräch mit ihrem Arzt oder ihrer Ärztin zu führen. Denn welcher HbA1c-Wert für wen relevant ist, hängt - wie Sie als Mediziner ja wissen - von vielen Aspekten und individuellen Umständen ab.
Als Mediziner kann ich über den Text nur den Kopf schütteln:
Zuerst wird die Erwartung geweckt , dass Patient durch Bewegung etc. auf Medikamente verzichten kann, dann kommt der Experte (Prof. Müller) zu Wort, der sagt, damit sei 1)der Zeitpunkt der Medikamentengabe nur„in einigen Fällen“ hinauszögerbar und 2.) dass Bewegung Folgeerkrankungen nicht verhindert, das könnten nur Medikamente.
Zumindest würde ich dann von der Redaktion entweder einen dazu kongruenten Text erwarten, oder aber eine Begründung, warum man hier eigentlich dem Experten widerspricht bzw. suggeriert, Medikamente seien nur selten nötig.
Zum Thema mit dem HbA1C -Anstieg im Alter - indirekt wird auch hier wieder die Mär vom harmlosen Altersdiabetes geschürt; zumindest muss man dann angeben, ab welchem Alter man dann welchen HbA1C als normal ansieht. Auf die Antwort bin ich gespannt. Patienten werden das so interpretieren, dass sie ja schon mit 50 alt sind…und den HbA1C großzügig auslegen.
Kommentar vom Administrator gelöscht. Grund: Schleichwerbung