
In Kursen lernen Typ-2-Diabetiker, wie sie ihre Krankheit positiv beeinflussen können. Das erleichtert den Alltag und schützt vor Folgekrankheiten wie Herzinfarkt.
Die Woche Urlaub Ende Januar war für Peter Müller aus Berlin-Charlottenburg etwas Besonderes. Der 54-jährige Psychologe reiste nicht in die Berge zum Skifahren, auch nicht ans Meer in den warmen Süden. Er traf sich jeden Morgen um 9 Uhr mit einer kleinen Gruppe von Männern und Frauen in den DRK-Kliniken Berlin-Westend zu einer Schulung für Diabetiker. Erst vor wenigen Monaten haben die Ärzte bei ihm Diabetes Typ 2 festgestellt. „Die Diagnose war ein Schock“, erzählt er. „Man denkt ja immer, das geht an einem vorbei.“
Rund sieben Millionen Diabetiker gibt es in Deutschland. Die vermutete Dunkelziffer eingerechnet, leidet jeder zehnte Deutsche unter Diabetes, befürchten Experten. Am stärksten betroffen sind die über 60-Jährigen mit 18 bis 28 Prozent Erkrankten, Tendenz steigend.
Risiko für Folgeschäden senken
In Schulungen, wie Peter Müller sie besucht, lernen Diabetiker, wie sie sich am besten ernähren, bewegen und mit ihren Medikamenten umgehen. Sie lernen, ihr eigener Therapeut zu sein. Ändern sie erfolgreich ihren Lebensstil, verbessern sich Blutdruck- und Zuckerwerte. Dadurch sinkt die Gefahr, Krankheiten wie Herzinfarkt, Arterienverkalkung oder Nervenschäden zu bekommen (siehe Interview). Das nutzt auch der Gemeinschaft: Die Folgekosten für das Gesundheitssystem sinken.
Diabetes ist eine Störung des Zuckerstoffwechsels. Sein wichtigstes Merkmal sind zu hohe Zuckerwerte im Blut. Jeder Mensch hat Zucker im Blut. Ohne Zucker läuft nichts: Er liefert den Zellen die Energie. Der Schlüssel, der Zellen für den Zucker öffnet, ist Insulin – ein Hormon. Die Bauchspeicheldrüse stellt es her. Insulin transportiert Zucker in Fett-, Muskel- und Leberzellen. So senkt es zum Beispiel kurzzeitig erhöhte Blutzuckerspiegel nach dem Essen.
Bei Diabetes vom Typ 2 jedoch reagieren die Zellen von Fett- und Muskelgewebe nicht mehr normal auf das Insulin. Sie brauchen mehr davon, um Zucker aufnehmen zu können. Irgendwann reicht das vermehrt produzierte Insulin nicht mehr aus, um den Blutzuckerspiegel zu kontrollieren. Anders ist es beim Typ-1-Diabetiker: Sein Körper produziert gar kein Insulin mehr.
Nicht jeder Diabetiker ist zu dick
90 Prozent aller Diabetiker leiden unter Typ 2. Die Wahrscheinlichkeit, Diabetes zu bekommen, ist erhöht, wenn andere Familienmitglieder zuckerkrank sind. Die Anlage zum Typ-2-Diabetes ist vererbt. Ob er sich ausprägt, hängt von vielen Faktoren ab. Vorherrschend sind zu wenig körperliche Aktivität und Übergewicht – aber nicht allein, wie das Beispiel von Peter Müller zeigt. Ihn hat die Diagnose so geschockt, weil er keine Diabetiker in der Familie hat. Deutlich zu dick ist er auch nicht: „Ich hab viele Bekannte, die fülliger sind als ich.“
Wie die anderen sieben Teilnehmer, die an dem Januartag in dem hellen Schulungsraum schnell ins Gespräch kommen, will Peter Müller mehr über die Krankheit wissen. Er sucht Tipps, wie er sein Leben ändern kann. Die gibt Babett Müller. Die Diät- und Diabetesassistentin führt Basisschulungen für Typ-2-Diabetiker durch.
Strenges Zuckerverbot ist passee
Ein Kursschwerpunkt ist die Ernährung. Dieses Thema steht heute in Berlin auf dem Stundenplan. Das strenge Zuckerverbot von früher ist längst passee, doch einige liebgewonnene Gewohnheiten, etwa fettes Essen und häufiges Naschen, sollten Diabetiker aufgeben (siehe „So essen Sie“).
Miniportionen und Olivenöl
Babett Müller hält Kärtchen mit Fotos hoch: dampfende Nudeln Bolognese, rosiges Kassler mit Sauerkraut, eine knusprige Schweinshaxe. Die Teilnehmer sollen raten, wie viele Kilokalorien sich in diesen Köstlichkeiten verbergen. Oft überraschen die Zahlen. Die Rentnerin Karin Fittkau will umdenken und ab jetzt bewusster essen. Bei ihr wurde vor fünf Jahren Diabetes diagnostiziert. „Vielleicht sollte man nicht immer sinnlos Kalorien reinfuttern, nur weil es gut schmeckt“, überlegt die 68-Jährige. Doch die Gerichte mit viel Fett, die sie aus ihrer Kindheit kenne, esse sie halt gern. „Diese kleinen Portiönchen von heute, das Olivenöl – da muss ich mich erst dran gewöhnen. So was gab es früher nicht.“
100 Gramm Fleisch reichen
Schulungsleiterin Babett Müller stimmt ihr zu: „Es läuft darauf hinaus, sich ein wenig zu disziplinieren.“ Ein Vorschlag lautet: „Wenn Sie eine Küchenwaage haben, wiegen Sie Ihre Fleischportionen. Wir sind viel gewohnt, aber 100 Gramm Fleisch reichen zum Mittag völlig aus.“ Sie empfiehlt für den täglichen Speiseplan Vollkornprodukte, Gemüse und Obst.
In fünf Tagen zum Diabetes-Profi

Mahlzeit. Lernen, wie viel Fett in Torte und Mett steckt.
Jeder Teilnehmer erzählt, wie er seine Buletten brät, welches Öl er zum Kochen verwendet oder wie viel er jeden Morgen zum Frühstück isst. Genießen ist erlaubt. Das beweist Wolfgang von Eckartsberg. Seine Frau und er frühstücken gern außer Haus. Sein Tipp für die anderen im Kurs: Sich ein Frühstück teilen und zusätzlich noch ein einzelnes Brötchen bestellen. „Das reicht völlig aus, um satt zu werden.“
Die Schulung in den DRK-Kliniken findet an fünf Vormittagen hintereinander statt. Hausärzte oder diabetologische Schwerpunktpraxen bieten ähnliche Kurse an. Es gibt verschiedene Programme, die auf die unterschiedlichen Bedürfnisse der Patienten abgestimmt sind (siehe „So finden Sie einen Kurs“).
Kasse nach Kostenübernahme fragen
Für Diabetiker, die wie die Teilnehmer der Berliner Gruppe in einem speziellen Behandlungsprogramm, einem Disease Management Programm, eingeschrieben sind, übernehmen die Krankenkassen die Kosten einer Schulung. Viele Kassen bezahlen sie auch, wenn Versicherte nicht an einem solchen Programm teilnehmen.
Tipp: Fragen Sie Ihre Kasse, ob sie die Kosten trägt. Bei den meisten Schulungen können Diabetiker den Partner mitbringen. Manche Kassen zahlen auch für Partner.
Das Schicksal überlisten
Wolfgang von Eckartsberg hat seine Frau zur Schulung mitgebracht. Er ist seit ungefähr zehn Jahren Diabetiker, hat seine Ernährung umgestellt, isst weniger Fleisch, mehr Gemüse und Vollkornprodukte. Bei Geschäftsessen hat er auch mal Salat bestellt, erzählt der Pensionär. „Außerdem muss man ja nicht immer alles aufessen.“ Von Eckartsberg hat zehn Kilo abgenommen und sein Gewicht gehalten. An den neuen Lebensstil hat er sich schnell gewöhnt, seine Frau unterstützt ihn. Das Paar entschied sich jetzt erneut für eine Schulung. Die beiden möchten ihr Wissen auffrischen. Frau von Eckartsberg erzählt, dass ihr Schwiegervater auch Diabetes hatte. Weil seine Nerven geschädigt waren, konnte er in seinen letzten acht Lebensjahren nicht mehr laufen. Sein Schicksal war in der Familie immer präsent. Das dürfe sich nicht wiederholen. „Ja, auch deshalb leben wir gesund“, sagt Frau von Eckartsberg.
Bewegung ist „starkes Medikament“

Den Lebensstil ändern. Besser essen, richtig kochen, mehr bewegen – Diabetiker lernen in Kursen, wie ihnen das im Alltag gut gelingen kann.
Zum gesunden Leben gehört auch körperliche Bewegung. Sie hat großen Einfluss auf den Stoffwechsel. Wer aktiv ist, steigert den Energieverbrauch. Bei Bewegung verarbeiten die Muskelzellen mehr Traubenzucker aus dem Blut als in Ruhe. Dadurch fällt der Blutzucker ab. Das Insulin hat es dann leichter zu wirken. Das wiederum ist günstig für den Kohlehydratstoffwechsel.
„Bewegung ist ein sehr starkes Medikament“, sagt Schulungsleiterin Babett Müller. Außerdem wirke sich Aktivität günstig auf das Körpergewicht aus. Schon ein paar Kilo weniger hätten einen positiven Effekt auf den Verlauf der Krankheit.
Diabetes oft lange Zeit unbemerkt
Viele Menschen wissen jahrelang nichts von ihrer Krankheit. Typ-2-Diabetes kann lange Zeit unbemerkt bleiben. Der zunächst nur gering erhöhte Blutzucker verursacht keine Schmerzen und kaum Symptome. Oft wird er nur zufällig entdeckt, wie bei Karin Fittkau. Sie nahm sich erst im Rentenalter die Zeit, zum Arzt zu gehen. „Vorher hatte ich sicher irgendwelche Anzeichen, die ich jetzt im Nachhinein deuten kann“, sagt die 68-Jährige. „Aber das habe ich nicht so wahrgenommen. Ich fühlte mich öfter zittrig, hatte Heißhunger auf Süßes, war müde, hatte Schlafstörungen und rannte ständig zur Toilette.“
Da solche Symptome immer erst spät und manchmal gar nicht auftreten, sollte jeder spätestens ab 45 regelmäßig seine Werte überprüfen lassen. Je früher Diabetes erkannt wird, umso besser lässt er sich behandeln. Mit gesunder Ernährung, Gewichtskontrolle und körperlicher Bewegung sind vor allem in den ersten Jahren eines Typ-2-Diabetes die Chancen hoch, das Rad sogar noch einmal zurückzudrehen.
Das Leben einmal durchrütteln

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Ist der Diabetes fortgeschritten, kommen Patienten in der Regel nicht mehr ohne Medikamente oder Insulinspritzen aus. Ziel ist, den Körper so zu behandeln, dass er nicht unter den Folgen der fehlenden Insulinwirkung leidet.
Tipp: Informationen über geeignete Medikamente finden Sie unserer Medikamentendatenbank.
Wer an einer Diabetikerschulung teilnimmt, lernt, wie er selbst die Rolle als Therapeut übernimmt. Bis ins hohe Alter aktiv und fit sein, ist durchaus möglich. Auch wenn nicht jeder Patient sein Leben völlig umkrempeln wird, Motivation nimmt er mit. So wie Karin Fittkau, von Butterschmalz auf Olivenöl umzusteigen.
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