Deutsche Bahn Wie pünktlich fahren die Züge wirklich?

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Seit Jahren hält Bahnchef Mehdorn die Statistik über Zugverspätungen geheim. Der Test zeigt die Störanfälligkeit von Zügen und Schienennetz – auch ohne Streik.

„Pünktlich wie die Eisenbahn“, hieß es früher – und galt als Lob. Wer heute „typisch Bahn“ sagt, meint dagegen meist nichts Gutes. Zum Beispiel, wenn am Hauptbahnhof in Köln der Lautsprecher den Reisenden verkündet: „ICE 1026 nach Kiel ... verspätet sich aufgrund einer Streckensperrung auf unbestimmte Zeit.“ Aufgeschreckte Reisende bedrängen dann die Bahnmitarbeiter am „Servicepoint“ etwa mit Fragen nach Anschlüssen und der Gültigkeit ihrer Spartickets. „Ich kann doch auch nichts für die Streckensperrung“, entschuldigt sich eine genervte Bahnangestellte. Grund für die Störungen sei ein defekter Güterwagen. Den Kunden mit den Billigtickets kann sie helfen: Mit ihrem Segen dürfen diese „den ersten Zug nehmen, der kommt“. Andere Reisende haben mehr Pech: Sie müssen auf einen späteren Anschlusszug warten. O-Ton eines Zynikers: „Das liebe ich so am Bahnfahren – diese Überra­schun­gen.“

Störungen im Betriebsablauf der Bahn sind keine Seltenheit. In Köln schon gar nicht. Im Durchschnitt mehrerer Herbstwochen kam jeder dritte Zug (36 Prozent) mit einer Verspätung ab vier Minuten in der Domstadt an.

Anschlüsse in Gefahr

Diese Zahl hat die Deutsche Bahn nicht veröffentlicht. Wir haben sie ermittelt. Das Unternehmen hält derartige Statistiken seit vielen Jahren unter Verschluss. Bahnchef Hartmut Mehdorn hatte die von seinem Vorgänger an vielen Bahnhöfen aufgestellten Tafeln mit Informationen zur Pünktlichkeit bereits vor Jahren ersatzlos entfernen lassen.

Aus Kundensicht ist diese Geheimnistuerei ärgerlich: So könnten ehrlichere Infos bei der Reiseplanung helfen – zum Beispiel, weil man dann vorsichtshalber doch eine längere Übergangszeit zum Ferienflieger wählt. Auch für Bahnkundenverbände, Verkehrspolitiker und alle, die über die Zukunft des Schienennetzes diskutieren, wäre Wissen über Reisezeiten und Verspätungen wichtig. Die Daten sind Indikatoren für Engpässe und Mängel an Gleisen, Weichen und Signalen.

94 136 Züge im Pünktlichkeits-Check

Die Deutsche Bahn versucht Probleme herunterzuspielen: Mehr als 90 Prozent der Züge kämen pünktlich ans Ziel, so ein Sprecher. Wir wollten es genauer wissen. In der Zeit vom 23. September bis 31. Oktober 2007 haben wir die Ankunftszeiten von 94 136 Zügen überprüft – täglich zwischen 6 und 24 Uhr für wichtige Hauptbahnhöfe. Das Ergebnis:

Zu viele Verspätungen. Insgesamt fuhren viel zu wenige Züge exakt nach Fahrplan. Unsere beiden Grafiken zeigen detailliert die Häufigkeit von Zugverspätungen. Und zwar getrennt für Fern- und Regionalverkehr. Als „verspätet“ gelten bei uns Fahrplanabweichungen von vier und mehr Minuten.

Fernverkehr. Vor allem im Hinblick auf große Verspätungen (ab elf Minuten) schnitten Fernzüge wie ICE und EC relativ schlecht ab. Jeder siebte Fern-, aber nur jeder 19. Nahverkehrszug war betroffen.

Ohne Streiktage. Um die Bahn nicht unfair zu behandeln, haben wir Streiktage bei der Auswertung ausgeblendet.

Überall in Deutschland. In Dresden, Hamburg und Köln erwiesen sich die Züge am unpünktlichsten (siehe Karte unten). Doch auch auf anderen Bahnhöfen litten Reisende unter Zugverspätungen. Am besten wurde der Fahrplan am Hauptbahnhof in Leipzig eingehalten.

Stresszeiten. Im Tagesverlauf nahmen die Verspätungen zu (siehe Grafik unten). Besonders deutlich wird dieser Trend bei großen Verspätungen (ab elf Minuten): Früh am Tage betraf es nur 5 Prozent aller DB-Züge, aber in den Abendstunden mehr als 11 Pro­zent. Die Wochentage mit dem höchsten Verspätungsrisiko waren Freitag und Sonntag – die Hauptreisetage.

Unpünktlichste Züge. Die Hitliste der unpünktlichsten Züge (siehe Grafik unten) führen die Eurocitys an, die ihre Verspätungen oft schon aus dem Ausland importierten. Reisende in DB-Nachtzügen (neue einheitliche Marke: „CityNightLine“) kamen häufig auch wegen nächtlicher Baustellen zu spät ans Ziel.

Aktueller Trend. Im Dezember 2007 wirkten sich offenbar der Abschluss von Baumaßnahmen (etwa zur Beseitigung von Langsamfahrstellen) und das meist bahnfreundliche Wetter positiv aus. Die Pünktlichkeit verbesserte sich – auch nach dem Fahrplanwechsel: So verspätete sich bei Fernzügen „nur noch“ annähernd jede zehnte Bahn um mehr als zehn Minuten.

Unfreiwillige Helfer

Die Deutsche Bahn hält die Pünktlichkeitsstatistik zwar geheim, die Basis für unseren Test hat sie dennoch geliefert – wenn auch unfreiwillig. Wir haben die DB-Infos zu den Ankunftszeiten einzelner Züge genutzt. Sie sind im Internet frei zugänglich und werden im Minutentakt aktualisiert: Wenn die Züge eintreffen, verschwinden sie vom Bildschirm. Diese DB-Daten, deren Zuverlässigkeit wir stichprobenartig überprüften, wurden von unseren Computern ausgewertet.

Tipp: Sie können diesen Service der Bahn („Aktuelle Ankunft / Abfahrt“) auch selbst erproben bei www.bahn.de.

Tipp: Mit einem internetfähigen Handy (Wap) können Sie diese Infos sogar unterwegs nutzen (http://mobile.bahn.de).

Interessant sind die Infos für Reisende und für alle, die jemanden vom Zug abholen möchten. So müssen sie bei Verspätungen nicht unnötig lange warten. Aber: Ausführliche Informationen gibt es nur für DB-Züge, nicht für die Bahnen anderer Schienenverkehrsunternehmen.

Pünktlich, unpünktlich, verspätet?

Für die Deutsche Bahn gilt ein Zug nur dann als verspätet, wenn er seinem Fahrplan mehr als fünf Minuten hinterher fährt – zumindest in der Kommunikation nach außen. Tatsächlich kämpfen die Bahner auch hierzulande um jede einzelne Minute. Der Grund: Viele Züge haben nur ein enges Zeitfenster, um im komplexen Weichenfeld vor großen Bahnhöfen auf das richtige Bahnsteiggleis eingefädelt zu werden. Selbst winzige Fahrplanabweichungen können an dieser Stelle die Pünktlichkeit nachfolgender oder entgegenkommender, kreuzender Züge gefährden. Und schon kann es dann pas­sieren, dass die Fahrgäste wichtige Anschlusszüge verpassen.

Die Schweizer Bundesbahnen (SBB) zum Beispiel setzen sich ehrgeizige Ziele: Mindestens 75 Prozent der Züge sollen auf die Minute pünktlich oder allenfalls eine Minute unpünktlich sein. Für mindestens 95 Prozent soll eine Maximalverspätung von vier Minuten gelten. Für 2007 konnten die SBB mit ihrer im Internet veröffentlichten Statistik nachweisen, dass diese Quoten eingehalten und in einzelnen Monaten sogar mit 88 beziehungsweise 97 Prozent übertroffen wurden.

Die Deutsche Bahn versucht zu beschwichtigen. Wichtiger als die Verspätungsstatistik sei für Kunden, Anschlusszüge zu erreichen. Doch die Anschlusssicherheit hat sich nicht zum Vorteil entwickelt, im Gegenteil: Im April 2001 hatte die Deutsche Bahn in einer Zeitungsanzeige noch mit einer Quote von 97 Prozent innerhalb des Fernverkehrs geworben. Laut Auskunft eines Bahnsprechers konnten im vergangenen Jahr (Stand November) 93 Prozent der Anschlüsse sichergestellt werden. Der Anteil verpasster Anschlusszüge hat sich danach also von 3 auf 7 Prozent deutlich erhöht.

7 Prozent klingen zunächst nicht dramatisch, doch diese Zahl errechnet sich auf einer Basis, die auch relativ lange Umsteigezeiten berücksichtigt, die eilige Kunden ohnehin möglichst meiden.

Wie es bei wenig Umsteigezeit aussieht, haben wir im Herbst in Berlin, Hannover, Köln, Frankfurt/Main und München über­prüft. Dort warteten unsere Mitar­beiter auf Züge, die den Bahnsteig mit 3 bis 20 Mi­nuten Verspätung erreichten. Aufgabe der Tester war es, gemeinsam mit den aussteigenden Fahrgästen zu versuchen, die Anschlusszüge zu erreichen. Ausgewählt haben wir Bahnen mit planmäßiger Übergangszeit von 5 bis 15 Minuten laut DB-Reiseplanung.

Jeden vierten Anschluss verpasst

Stichprobenartig überprüften unsere Mitarbeiter so 234 Anschlüsse. Dabei legten sie von Bahnsteig zu Bahnsteig oft beachtliche Wege zurück – vor allem auf den großen Kopfbahnhöfen. Das Ergebnis dieser Lauferei war ernüchternd:

Geschafft: Nur etwa jeder zweite Anschluss klappte problemlos.

Mit Stress: Jede fünfte Bahn erreichten Umsteiger nur mit schnellen Schritten.

Auf und davon: Von etwa jedem vierten Anschlusszug bekamen die Fahrgäste nur noch schließende Türen, Schlusslichter oder gar nichts mehr zu sehen.

Besonders oft verpasst: Das Nachsehen hatten besonders häufig Reisende, die mit einem Fernzug ankamen und mit Regionalzügen der DB oder anderen Verkehrsunternehmen weiterfahren wollten.

Kleine Verspätung – große Wirkung

Unsere Stichprobe ist zwar nicht repräsentativ, doch besorgniserregend allemal: Selbst relativ geringe Zugverspätungen gefährden zahlreiche Anschlüsse. Ein DB-Sprecher bestätigte, dass morgens zwischen 7 und 9 Uhr die Regel gilt, auf verspätete Anschlussreisende nicht zu warten. Und auch später am Tag haben viele Reisende Pech: Fernzüge werden an ihrem Startbahnhof ebenfalls nicht zurückgehalten. Ansonsten gilt meist eine Regelwartezeit von nur 3 Minuten.

Tipp: Wenn Sie in einem verspäteten Zug sitzen und die Umsteigezeit knapp zu werden droht: Bitten Sie den Zugbegleiter, per Handy die Zentrale zu informieren, damit Ihr Anschlusszug ausnahmsweise wartet. Je mehr Betroffene darauf drängen, desto besser stehen die Chancen.

Verpatzte Regio-Anschlüsse

Für Regionalzüge können je nach Bundesland spezielle Warteregeln gelten. Oft haben verspätet eintreffende Reisende auch hier schlechte Karten, weil die Bahnmitarbeiter fürchten, dass wartende Anschlusszüge selbst wenige Minuten Verzögerung nicht mehr aufholen können und die Unpünktlichkeit dann auf andere Regio-Züge übertragen. Wegen dieses drohenden Dominoeffekts entscheiden die Betriebszentralen oft: Nicht warten, sondern abfahren. Ärgerliche Konse­quenz für viele Betroffene: Sie müssen sich gedulden, weil der nächste Zug in die gewünschte Richtung zum Beispiel erst eine Stunde später abfährt.

Zitat eines DB-Regio-Lokführers auf dem Kölner Hauptbahnhof: „Mit den Anschlüssen ist das – auf gut Deutsch gesagt – Scheiße. Der Fernverkehr wartet nicht auf uns. Und wir warten nicht auf die.“

Besonders stark betroffen sind zum Beispiel Reisende, die ihr Fahrrad mit auf Tour nehmen. Die Bahn hat die Mitnahmemöglichkeiten im Fernverkehr immer mehr eingeschränkt. Die Folge: Umwege, häufigeres Umsteigen und jedes Mal die nervende Ungewissheit, ob sich das Gerenne zum nächsten Fahrradabteil lohnt.

Tipp: Viele Nachtzüge haben großzügige Fahrradabteile. Weite Strecken lassen sich hier über Nacht ohne Umsteigestress überwinden. Selbst wenn der Nachtzug Verspätung hat (was relativ oft der Fall war), kann man sein Fahrrad am Ende zumindest doch im Zielgebiet ausladen.

Hilfsbereite Bahner

Die Information der Reisenden klappt bei Zugverspätungen oft besser als früher: Lautsprecherdurchsagen und Infos auf den Anzeigetafeln gab es bei unserer Untersuchung meist. Viele Servicemitarbeiter mühten sich um die Kunden. Bei stark verspäteten Zügen postierten sie sogar mehrfach mobile „Servicepoints“ auf den Bahnsteigen. Allerdings waren unsere Tester nur auf großen Hauptbahnhöfen unterwegs. An vielen kleineren Stationen sind oft keine DB-Mitarbeiter sichtbar.

Die Ursachen für Unpünktlichkeit sind vielfältig, und die Bahn ist oft nicht einmal Schuld daran: Selbstmordversuche, Brände an Böschungen oder auf den Gleisen spielende Kinder sind nur einige Gründe dafür, dass Züge stoppen müssen. Oft stehen in diesen Fällen oder bei technischen Störungen kaum Ausweichgleise zur Verfügung. Bleibt ein Zug auf der Strecke, bremst er meist viele andere aus.

Das deutsche Schienennetz ist an vielen Stellen lückenhaft. Während die Nachbarn in der Schweiz mit Lötschberg- und Gotthardbasistunnel den Verkehr über die Alpen grundlegend verbessern, kommen hierzulande im Südwesten die neuen Anschlussstrecken in Richtung Rhein/Main nur langsam voran. Im Osten ist das „Schienenprojekt Deutsche Einheit“ Leipzig/Halle-Nürnberg von einer Fertigstellung noch weit entfernt. Im Norden gilt die Anbindung der boomenden deutschen Seehäfen als unzureichend. Ein Problem sind auch die engbelegten Zu- und Abfahrtsgleise von Bahnknotenpunkten. Solange die Schieneninfrastruktur nicht nachhaltig verbessert wird, drohen immer wieder Zugverspätungen.

Auch auf ganz normalen Strecken überall im Lande gibt es Engpässe und Verzögerungen. Zum Beispiel Langsamfahrstellen, weil der Schotter an Gleisen oder Weichen unzureichend gestopft wurde. Bahnfreunde haben kritisiert, dass in den vergangenen Jahren, auch im Vorfeld des geplanten Börsengangs, zu wenig Geld fürs Schienennetz ausgegeben worden sei.

Mehr Geld fürs Schienennetz

Doch im Jahr 2007 stieg das Bauvolumen. Auch in diesem Jahr wollen die Bahner die Zahl der Langsamfahrstellen weiter reduzieren und im Rahmen des Zukunftsprogramms ProNetz „Investitionen und Instandhaltung enger verzahnen“. Geplant sind 63 „Baukorridore“, auf denen man „wann immer möglich unter dem rollenden Rad“ arbeiten will.

Die Zugverspätungen sollen sich dadurch – oh Wunder – nicht erhöhen, sondern sogar verringern: Die Bahn plant bei Bedarf von vornherein längere Fahrzeiten ein. Viele Kunden werden also zum selben Preis länger unterwegs sein. Aber mit etwas Glück haben sie wenigstens das gute Gefühl, pünktlich anzukommen.

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ghost90 am 27.05.2019 um 12:53 Uhr
Nicht besonders Aussagekräftig

Sie erheben ihre Daten aus dem Internet, dem sei allerdings voraus zu setzten das die Daten im Internet auch stimmen würden. Dies kann ich leider nur in den wenigsten Fällen bestätigen. Es ist leider oft der Fall das der Zug laut Internet pünktlich abgefahren ist, obwohl dieser tatsächlich noch am Bahnhof steht und das nicht selten mit auch mehr wie 10 Minuten Verspätung.