
Nach der Demenz ist die Depression die zweithäufigste Erkrankung im Pflegeheim. © Getty Images (M)
Unter Pflegeheimbewohnern sind Depressionen häufig. Doch oft bleibt das Problem unbemerkt oder wird mit Demenz verwechselt. Die Gesundheitsexperten der Stiftung Warentest erläutern, wie Sie die Anzeichen erkennen und was sich gegen eine Altersdepression unternehmen lässt.
Im Heim werden mehr Menschen depressiv als zu Hause
Was viele für Altersblues halten, können Zeichen für eine Depression sein. Vor allem bei Menschen im Pflegeheim: 25 bis 45 Prozent der Senioren, die dort leben, leiden darunter. Unter Gleichaltrigen, die zu Hause wohnen, haben nur fünf bis zehn Prozent Depressionen, fassen Forscher des Arbeitsbereichs Altersmedizin an der Goethe-Universität Frankfurt am Main die Studienlage zusammen. Nach der Demenz ist die Depression die zweithäufigste Erkrankung im Pflegeheim. Erkannt wird sie selten, dabei bedeutet eine erfolgreiche Behandlung wertvolle Lebensjahre.
Routinen statt Selbstbestimmung
Pflegebedürftige würden das gewohnte Gefühl verlieren, selbstbestimmt durchs Leben zu gehen, sagt die Professorin für Gerontopsychologie an der Medical School Berlin, Eva-Marie Kessler. Nach und nach breche weg, was ihnen bisher Freude gemacht habe, der Tag bestehe zunehmend aus Routinen. „Es entsteht Antriebs- oder Lustlosigkeit. Die Gefahr ist, dass daraus eine vollständige Depression erwächst.“
Verluste sind ein Risikofaktor
„Bei Bewohnern in Pflegeheimen kommen viele Belastungen zusammen“, weiß auch Johannes Pantel, Professor für Altersmedizin an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main. Der Umzug sei geprägt von Verlusten – und die seien ein Risikofaktor für Depressionen. Der Umzug ins Pflegeheim sei oftmals nicht freiwillig erfolgt. Viele seien zudem wenig mobil, litten unter Schmerzen und körperlichen Erkrankungen. „Dazu summieren sich zumeist weitere Risikofaktoren wie Vereinsamung und der Tod naher Angehöriger“, so Pantel.
Als „Alterserscheinung“ abgetan
„Freudlosigkeit und mangelnden Antrieb tun viele als Alterserscheinungen ab“, schildert er das Problem. Nur bei vier von zehn älteren Menschen mit einer Depression werde sie auch als solche diagnostiziert. Ein Grund: Sie wird mit Demenz verwechselt. Dabei unterscheiden sich die Erkrankungen durchaus (Tabelle Leiden Sie unter einer Alterdepression?). Bisweilen wird die Depression auch einfach nicht bemerkt, denn: „Betroffene ziehen sich in ihr Heimzimmer zurück und stören folglich nirgends. Dadurch werden sie leicht übersehen“, sagt Pantel.
Anzeichen für eine Depression |
Anzeichen für eine Demenz |
Konzentrations- und Gedächtnisstörungen |
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Sie beginnen innerhalb weniger Wochen. |
Schleichender Beginn über Monate. |
Die depressive Stimmung ist kaum beeinflussbar und konstant über einen längeren Zeitraum zu beobachten. Mit Schwankungen: Morgentief und Aufhellung der Stimmung am Abend. |
Die Stimmung ist insgesamt eher instabil, leichter zu beeinflussen und „umzustimmen“, eher unabhängig von der Tageszeit. |
Betroffener klagt, reagiert auf Fragen mit „Ich weiß nicht“ oder sagt, er „kann nichts mehr“. Der Leidensdruck ist spürbar. |
Betroffener klagt wenig, verleugnet, hat nach eigener Einschätzung keine Probleme. Defizite im Denken und Erinnern werden heruntergespielt oder versteckt. |
Das Denken ist gehemmt, wird als blockiert und verlangsamt wahrgenommen. Die Person ist aber nicht verwirrt. Sie kann meist Datum und Uhrzeit benennen. |
Die Orientierung zu Ort und Zeit fällt schwer, Datum und Uhrzeit können oft nicht korrekt gesagt werden. Zudem sind nächtliche Verwirrtheitszustände möglich. |
Hoffnungslosigkeit, Schuldgefühle, Lebensmüdigkeit bis hin zu Suizidgedanken. |
Depressive Symptome können zu Beginn einer Demenzerkrankung auftreten. Sie sind aber nicht typisch. |
Quelle: In Anlehnung an eine Übersicht der Stiftung Deutsche Depressionshilfe.
Oft überlagern körperliche Leiden die seelischen
Unerkannt bleibt eine Depression oft auch, da körperliche Beschwerden die seelischen überlagern: Die Erkrankten berichten dem Arzt eher von Schmerzen, Schlafstörungen oder Verdauungsproblemen, seltener von seelischen Nöten.
Therapie verlängert Leben
„Bleiben die psychischen Beschwerden unbehandelt, verschlimmern sich bei älteren Menschen körperliche Erkrankungen oft schneller als ohne die psychische Not“, betont Pantel. Die Betroffenen hätten einen erhöhten Pflegebedarf, müssten öfter aufgrund akuter Krankheitszustände ins Krankenhaus, würden gar früher sterben. Die Depression zu behandeln kann nicht nur die Lebensqualität verbessern, sondern auch das Leben verlängern.
Schwierig heranzukommen
Doch es gibt zwei Hürden. Psychotherapeuten dürfen nur in Ausnahmefällen außerhalb ihrer Praxis Sitzungen durchführen. Anders als Ärzte, die per Gesetz Haus- und damit auch Heimbesuche machen sollen, müssen Psychotherapeuten das beantragen. Den Transport von Patienten zum Therapeuten wiederum bezahlen Kassen erst ab Pflegegrad 3 – auf Antrag und unter Vorlage eines ärztlichen Attests. Bundesweit gibt es daher nur vereinzelt psychisch erkrankte Pflegeheimbewohner, die eine Psychotherapie erhalten.
Pilotprojekt: Pflegekräfte sollen Depressionen besser erkennen
Pantel hat mit Kollegen im Herbst 2019 in Pflegeheimen der Region Frankfurt am Main ein Projekt gestartet. Sie haben Pflegekräfte darin ausgebildet, Depressionen zu erkennen, aber auch Heimbewohnern regelmäßige Gruppen zur Vorbeugung anzubieten. Zudem kommen Psychotherapeuten zur Sprechstunde ins Heim und bieten Bewohnern mit Depression Psychotherapie an. Das ist bundesweit einmalig.
Psychotherapie lohnt in jedem Alter
Es gibt auch Kooperationen von Heimen und Nervenärzten. Psychische Erkrankungen werden so vielerorts schneller gesehen als früher; die Betroffenen erhalten aber oft nur Medikamente. „Das ist bedenklich, denn gerade bei gebrechlichen Menschen sind Nebenwirkungen von Psychopharmaka oder Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten ein großes Problem“, sagt die Gerontopsychologin Kessler.
Verhaltenstherapeutischer Ansatz bringt Erfolg
Sie hat Betagten in Berlin 2012 bis 2015 im Rahmen eines Forschungsprojekts erstmals Psychotherapie im Pflegeheim ermöglicht. Ihr Fazit: „Es lohnt sich, egal wie alt die Patienten sind.“ Das Projekt nutzte die Verhaltenstherapie. „Wie kann ich unter den jetzigen Bedingungen selbstbestimmt leben? Das steht im Mittelpunkt“, sagt Professorin Kessler. Die Hälfte der Patienten in ihrem Projekt hatte im Anschluss keine Depression mehr, einem weiteren Drittel ging es deutlich besser.
Arzt hinzuziehen
Zur Regelversorgung ist die Psychotherapie im Heim aber noch nicht geworden. Daran könnte das von Professor Pantel geleitete Projekt etwas ändern. „Im Erfolgsfall kann das Modell ... für eine konkrete Verbesserung der Behandlung von depressiv erkrankten Altenheimbewohnern genutzt werden“, schreibt der Gemeinsame Bundesausschuss. Er bestimmt, welche Leistungen die Kassen übernehmen.
Tipp: Falls Ihnen Zeichen einer Depression bei Ihrem Angehörigen auffallen, sprechen Sie Pflegepersonal oder Heimleitung darauf an. Sie können einen Arzt hinzuziehen, der abklärt, ob eine Depression vorliegt. Bestätigt sich der Verdacht, können Sie helfen, einen Psychotherapeuten zu finden und mithilfe des Heims einen Transport zur Praxis organisieren.
Ratgeber der Stiftung Warentest

Die Depression ist eine ernst zu nehmende Erkrankung. Mit der richtigen Unterstützung bestehen aber gute Chancen, sie zu überwinden. Unser Ratgeber Depressionen überwinden bietet vor allem Betroffenen, aber auch Familienmitgliedern und Freunden umfassende Hilfe. Das Buch hat 320 Seiten und ist für 19,90 Euro im test.de-Shop erhältlich (E-Book: 14,99 Euro).
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