
Wenn Dashcams mitlaufen verstößt das gegen den Datenschutz – und trotzdem können die Aufnahmen als Beweismittel vor Gericht dienen.
Wenn es kracht, können Dashcams im Fahrzeug praktisch sein. Viele Autofahrer montieren die kleinen Kameras ans Armaturenbrett oder an die Windschutzscheibe. Die Geräte filmen permanent das Verkehrsgeschehen. Ihre Besitzer versprechen sich davon, im Fall eines Unfalls leichter beweisen zu können, dass sie keine Schuld trifft. Doch die Aufnahmen verstoßen gegen das Datenschutzrecht. Dennoch können sie im Einzelfall vom Gericht verwertet werden, sagt der Bundesgerichtshof. Neu: Auch die Videoaufzeichnung durch eine Ampel war jetzt zulässig zur Klärung der Schuldfrage. test.de erklärt die Rechtslage.
Die Entscheidung des Bundesgerichtshofes
Die Aufnahmen einer Dashcam können im Einzelfall in einem Zivilprozess vom Gericht verwertet werden. So hat es der Bundesgerichtshof entschieden (Az. VI ZR 233/17). Damit hat er endgültig einen Schlusspunkt in einer Reihe von Gerichtsentscheidungen zum Dashcam-Einsatz gesetzt. Alle Fragen geklärt hat das Gericht aber nicht: Zwar sah es entsprechende Videoaufzeichnungen als unzulässig an. Doch daraus folge nicht automatisch ein Beweisverwertungsverbot. Es seien stets zwei Rechtsgüter gegeneinander abzuwägen: das Persönlichkeitsrecht des gefilmten Autofahrers und das Interesse des Filmers, nach einem Unfall in einem Prozess zu seinem Recht zu kommen. Details zur Entscheidung lesen Sie weiter unten in diesem Special.
In bestimmten Fällen als Beweis zugelassen
Dashcams sind kleine Videokameras, die der Autofahrer an Armaturenbrett, Rückspiegel oder Windschutzscheibe anbringen kann. Auch Fahrradfahrer können die Kameras einfach nutzen. Diese zeichnen durchgehend auf, was im Umfeld des Fahrzeugs geschieht. Oft nutzen Fahrer Dashcams, um sich für den Falle eines Unfalles abzusichern. Bislang war allerdings umstritten, ob die Aufnahmen vor Gericht zur Wahrheitsfindung – also der Klärung des Unfallhergangs – beitragen dürfen. Einige Gerichte haben die Aufnahmen nicht als Beweismittel zugelassen, so etwa das Amtsgericht München (Az. 345 C 5551/14) und das Landgericht Heilbronn (Az. I 3 S 19/14).
Verkehrssünder durch Video überführt
Auch ein Oberlandesgericht musste schon über die Frage entscheiden. In dem Fall hatte ein Verkehrsteilnehmer mit seiner Dashcam gefilmt, wie ein Autofahrer über eine rote Ampel gefahren war. Allein mit Hilfe des Filmmaterials konnte er überführt werden und wurde vom Amtsgericht Reutlingen zu einer Geldbuße von 200 Euro und einem einmonatigen Fahrverbot verdonnert (Az. 7 OWi 28 Js 7406/15). Das Oberlandesgericht Stuttgart bestätigte diese Entscheidung und ließ die Dashcam-Aufnahme als Beweismittel zu (Az. 4 Ss 543/15). Damit unterstützte das Gericht auch andere vorangegangene Entscheidungen, in denen Dashcam-Aufnahmen als Beweismittel zugelassen wurden (unter anderem: Amtsgericht Nürnberg, Az. 18 C 8938/14, Landgericht Landshut, Az. 12 S 2603/15 und Amtsgericht München, Az. 343 C 4445/13).
Als Beweismittel im Strafprozess zulässig
Die Begründung des OLG Stuttgart zeigte recht gut, warum die Rechtssituation so uneindeutig ist. Ob ein Dashcam-Video als Beweis verwendet werden darf, muss jetzt nämlich im Einzelfall geklärt werden. Verschiedene Interessen spielen dabei eine Rolle.
Das allgemeine Persönlichkeitsrecht. Danach können die von der Videoaufnahme betroffenen Personen grundsätzlich selbst entscheiden, welche persönlichen Daten verwendet werden dürfen.
Sicherheit im Verkehr. Zum anderen muss die Justiz schwere Verkehrsstöße ahnden können, um die Sicherheit im Straßenverkehr zu gewährleisten. Da das Video im konkreten Fall nur die Verkehrsvorgänge dokumentierte und die Identifizierung des Betroffenen über das Kennzeichen erlaubte, ist der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht laut Gericht relativ gering. Zudem handelte es sich im vorliegenden Fall um eine schwerwiegende Verkehrsordnungswidrigkeit, weshalb das Oberlandesgericht in seiner Abwägung zu dem Schluss kam, die Dashcam-Aufnahme als Beweismittel zuzulassen.
Auch im Zivilprozess kann ein Video zulässig sein
Das Landgericht Nürnberg-Fürth ließ eine Aufnahme per Minikamera auch in einem Zivilprozess als Beweismittel zu (Az. 2 O 4549/15). Dieser Linie folgte das Landgericht Traunstein. Hier ging es um ein linksabbiegendes Auto, das mit einem geradeaus fahrenden Linienbus kollidiert war. Die Beteiligten stritten darüber, ob der Bus rechts geblinkt und so verursacht hatte, dass das Fahrzeug vorschnell über die Kreuzung fuhr. Mit einer Dashcam konnte sich der Busfahrer schließlich entlasten. Für die Richter waren die Aufnahmen im Prozess verwertbar, da die Dashcam in einem datensparsamen Betrieb gelaufen war. Letztlich speicherte sie dauerhaft nur Aufnahmen aus dem Zeitraum 15 Sekunden vor und 15 Sekunden nach einem Ereignis wie einer Kollision. Gab es kein besonderes Ereignis, wurden die aufgenommen Daten alle 30 Sekunden gelöscht. Vor diesem Hintergrund überwiege das Beweissicherungsinteresse die Persönlichkeitsrechte von Gefilmten, meinte das Gericht (Az. 3 O 1200/15).
Ampel kann Schuldigen verraten
Streiten sich zwei Autofahrer, die beide behaupten, bei Grün in die Kreuzung gefahren zu sein, kann auch eine die Ampel den Schuldigen verraten. Bei modernen Geräten, die verkehrsabhängig gesteuert werden, sind unmittelbar vor der Haltelinie und einige Meter zuvor Induktionsschleifen im Boden eingelassen, die darüberfahrende Fahrzeuge erfassen. So konnte ein Sachverständiger vor dem Amtsgericht Velbert nachweisen, dass die Ampel für eines der beiden Autos, die in der Kreuzung zusammengestoßen waren, bereits seit 20 Sekunden auf Rot zeigte. Eine Mitschuld der Fahrerin des anderen Wagens schloss das Gericht aus, zumal sie nur 28 Stundenkilometer schnell war. Autofahrer dürfen bei Grün grundsätzlich darauf vertrauen, dass die Ampel für den Querverkehr Rot zeigt und die anderen sich daran halten (Az. 11 C 183/18).
Es bleibt eine Einzelfall-Entscheidung
Bei Dashcams müssen Gerichte weiterhin einzelne Interessen abwägen. Diese unklare Rechtslage in Deutschland und in den europäischen Nachbarländern beklagte auch der „Arbeitskreis VI Dashcam“ auf dem 54. Deutschen Verkehrsgerichtstag im Januar 2016. Ein grundsätzliches Verbot von Dashcams oder eine grundsätzliche Erlaubnis für deren Verwendung sei zwar nicht sinnvoll. Dennoch sollte eine gesetzliche Regelung möglich sein, die „ein einheitliches Schutzniveau innerhalb der EU gewährleistet“. Es müsse dabei stets ein Ausgleich zwischen Beweisinteresse und Persönlichkeitsrecht stattfinden. Bei Verkehrsverstößen ohne eine schwerwiegende Gefährdung, so die Empfehlung des Arbeitskreises, sollten die Videos aber nicht herangezogen werden.
Verbot der Beweisverwertung greift nicht immer
Dieser Linie hatte sich der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung von 2018 angeschlossen. Zwei Pkw, die auf zwei Linksabbiegerspuren fuhren, waren beim Abbiegen seitlich kollidiert. Vor Gericht stritten die Fahrer, wer von beiden von seiner Fahrspur abgewichen und dem anderen ins Auto gefahren war. Einer der beiden hatte die Kollision mit einer Dashcam aufgezeichnet. Die Vorinstanzen, das Amtsgericht Magdeburg sowie das Landgericht Magdeburg, wollten die Aufzeichnungen nicht als Beweismittel verwerten. Sie verstießen gegen den Datenschutz, erklärten die Richter. Daher unterlägen sie einem Beweisverwertungsverbot.
Abwägung zweier Rechtsgüter
Das ließ der BGH so nicht stehen. Zwar sahen auch die obersten Richter die Videoaufzeichnung als unzulässig an. Doch daraus folge nicht automatisch ein Beweisverwertungsverbot. Vielmehr seien zwei Rechtsgüter gegeneinander abzuwägen: das Persönlichkeitsrecht des einen Autofahrers und das Interesse des anderen am Ersatz seines Schadens. In diesem Fall gewichteten die Richter das Persönlichkeitsrecht weniger stark. Denn das Geschehen spielte sich im öffentlichen Straßenraum ab. Dort sei jeder Verkehrsteilnehmer ohnehin den Blicken und der Wahrnehmung anderer Menschen ausgesetzt. Die Dashcam habe nur das aufgezeichnet, was ohnehin für jeden wahrnehmbar sei. Demgegenüber räume das Gesetz den Beweisinteressen des Unfallgeschädigten ein besonderes Gewicht ein (Az. VI ZR 233/17). Das Landgericht musste den Unfall erneut untersuchen und die Schuldfrage klären, wobei es die Videoaufzeichnungen nutzen durfte.
Dashcam kann dem Benutzer auch Ärger einbringen
Ausdrücklich wies der BGH in seinem Urteil darauf hin, dass der Verstoß gegen das Datenschutzrecht mit hohen Geldbußen geahndet werden kann. Das heißt: So hilfreich die kleinen Kameras im Streitfall sein können – aus datenschutzrechtlicher Sicht sind sie problematisch. Die Datenschutzbehörde kann Nutzer einer Dashcam auffordern, das Filmen zu unterlassen und die Daten zu löschen, wenn sie das Verhalten anderer Verkehrsteilnehmer festhalten und öffentlich machen. Dies zeigt der Fall eines Rechtsanwalts aus Mittelfranken. Als Autofahrer zeigte er immer wieder Verkehrsverstöße an. Er schickte die Aufnahmen seiner Dashcam als Beweis an die Polizei. Diese informierte aufgrund der vielen Anzeigen den Präsidenten des Bayrischen Landesamts für Datenschutzaufsicht. Da der Rechtsanwalt aber auf Anfrage keine Einsicht zeigte, forderte das Landesamt ihn per Bescheid auf, die Kamera zu entfernen und alle Aufnahmen zu löschen. Er klagte gegen diesen Bescheid vor dem Verwaltungsgericht in Ansbach (Az. AN 4 K 13.01634). Das Gericht musste den Bescheid zwar wegen eines Formfehlers aufheben, stellte aber klar: Der Kläger habe mit seiner Kamera großflächige Beobachtungen von öffentlichen Straßen gemacht. Dies stelle einen Eingriff in die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen dar. Besonders schwerwiegend sei dieser Eingriff, weil durch die permanente Aufzeichnung viele Personen in kurzer Zeit betroffen waren.
Bußgeldbescheid fürs Dauerfilmen aus dem Auto
Gleiches Ergebnis, etwas anderer Fall: Eine Autohalterin hatte an ihrem Wagen vorne und hinten Videokameras installiert. Sie filmten laufend den öffentlichen Verkehrsraum. Als ein Auto ihren Wagen beschädigt hatte, übergab sie die Aufzeichnungen der Polizei zum Beweis. Gegen die Frau wurde daraufhin ein Bußgeldverfahren wegen Verstoßes gegen das Bundesdatenschutzgesetz eingeleitet. Das Amtsgericht München verurteilte sie zu einer Geldbuße von 150 Euro (Az. 1112 OWi 300 Js 121012/17, nicht rechtskräftig).
Dieses Special ist im Mai 2016 auf test.de erschienen und wurde seitdem mehrmals aktualisiert, zuletzt am 18. Juli 2020.