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Gegner des geplanten Freihandelsabkommens mit den USA fürchten, dass in europäischen Supermärkten bald „Chlorhühnchen“ aus den USA zu finden sein könnten. Manche Experten halten die Chlorbehandlung von Hähnchenfleisch gegen gefährliche Keime wie Salmonellen aber auch hierzulande für sinnvoll. test.de beleuchtet die Hintergründe und gibt Tipps, wie Sie Erkrankungen durch verkeimtes Geflügelfleisch vorbeugen können.
Import von Chlorhühnchen in die EU ist seit 1997 verboten
In den USA ist es erlaubt, Geflügel nach dem Schlachten mit chlorhaltigen Substanzen zu besprühen oder in chlorhaltige Kühlbäder zu tauchen. Das wirkt desinfizierend und soll gefährliche Keime wie Salmonellen von der Fleischoberfläche entfernen. Im Vergleich zum Chlorwasser im Schwimmbad sind die Chlorkonzentrationen bei der Fleischdesinfektion deutlich niedriger. Zudem wird das Fleisch im Anschluss gewaschen, was den Gehalt an Chlorverbindungen weiter stark reduziert. Laut der US-amerikanischen Verbraucherorganisation Consumer Reports, die immer wieder Hähnchenfleisch testet, nutzen Geflügelunternehmen in den USA die Möglichkeit der Chlorbehandlung. Eine Kennzeichnungspflicht für gechlortes Geflügel gibt es dort nicht. Das heißt, US-Verbraucher können nicht erkennen, welche Hähnchenbrust im Supermarkt mit Chlorverbindungen behandelt wurde. Um den Import von Chlorhühnchen in die EU gibt es immer wieder Diskussionen: Die EU-Kommission schlug vor acht Jahren vor, das seit 1997 geltende Einfuhrverbot für mit Chlor desinfiziertes Hähnchenfleisch aus den USA aufzuheben. Der EU-Ministerrat lehnte dies jedoch etwa mit Verweis auf die Erwartungen der europäischen Konsumenten ab. In der EU darf Geflügelfleisch nur mit Trinkwasser gewaschen werden. Bislang ist es hierzulande nicht gestattet, Geflügelfleisch chemisch zu behandeln, um den Gehalt an Keimen zu senken.
Deutsches Geflügelfleisch hat ein Keimproblem
Genau dafür sprach sich aber kürzlich Dr. Lüppo Ellerbroek, Fachgruppenleiter Lebensmittelhygiene und Sicherheitskonzepte beim Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR), im ARD-Magazin „Report Mainz“ aus – und zwar als zusätzliche Maßnahme, ergänzend zu den bereits hohen Erzeugungsstandards. Auch andere in der Sendung zu Wort gekommene deutsche Wissenschaftler halten es für sinnvoll, die Chlorbehandlung als zusätzliche, keimtötende Hygienemaßnahme in Erwägung zu ziehen. Fakt ist: Auf den Oberflächen von frischem deutschen Geflügelfleisch sind regelmäßig krankmachende Keime wie Salmonellen und Campylobacter nachweisbar. Infektionen mit diesen beiden Keimen sind die häufigste Ursache für bakterielle Darmerkrankungen in Deutschland. Geflügelfleisch gilt als vorrangige Infektionsquelle.
Tester fanden Campylobacter und Listerien
Zwar ist laut aktuellem Zoonosen-Bericht der Trend bei Salmonellen mit Nachweisraten von 2,7 und 4,4 Prozent bei Hähnchen- und Putenfleisch im Jahr 2012 rückläufig beziehungsweise weitgehend konstant. Gänsefleisch war mit 13,3 Prozent aber stärker belastet als noch 2011. Und die Nachweisrate von Campylobacter-Bakterien liegt mit 23,6 Prozent bei Geflügelfleisch insgesamt recht hoch. Auch die Stiftung Warentest untersucht regelmäßig Geflügelfleisch: Zuletzt schnitten im vergangenen Jahr neun von 20 Hähnchenschenkeln kurz vor dem oder am Verbrauchsdatum mikrobiologisch nur ausreichend oder mangelhaft ab. Acht der getesteten Produkte enthielten Campylobacter, in zwölf fanden sich resistente Bakterien und in zwei Produkten wiesen die Prüfer gefährliche Listerien nach, die über dem Warnwert der Deutschen Gesellschaft für Hygiene und Mikrobiologie (DGHM) lagen.
Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit hat keine Sicherheitsbedenken
Sorgen, wonach mit Chlor behandeltes Hähnchenfleisch gesundheitsschädlich sein könnte, wies BfR-Experte Ellerbroek in der ARD zurück. Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit Efsa hat bisher keine Sicherheitsbedenken zur Anwendung von Chlorverbindungen bei Geflügelfleisch geäußert. Sie kam schon in einem 2005 verfassten Gutachten zu dem Schluss, dass die vier Substanzen Chlordioxid, angesäuertes Natriumchlorit, Trinatriumphosphat und Peroxysäuren unter den vorgeschlagenen Anwendungsbedingungen keinen Anlass zu Sicherheitsbedenken geben würden. So lagen dem zuständigen Efsa-Gremium keine Informationen vor, dass durch die Behandlung mit diesen Chemikalien toxikologisch relevante Stoffe im Hähnchenfleisch auftreten und mit Rückständen dieser Substanzen gerechnet werden muss.
Infektionen frühzeitig vermeiden
Das BfR schloss sich 2006 der Efsa-Meinung an und erklärte, dass es eine chemische Dekontamination nicht grundsätzlich ablehne. In einer aktuellen Mitteilung weist das BfR aber erneut darauf hin, dass dies andere Maßnahmen nur ergänzen, nicht ersetzen könne. Eine chemische Behandlung sei „allenfalls der letzte Schritt in einer Kette, an deren Anfang salmonellenarme Geflügelherden stehen, die unter besten hygienischen Bedingungen geschlachtet werden“. Prof. Dr. Uwe Rösler vom Institut für Tier- und Umwelthygiene an der Freien Universität Berlin sagte test.de: „Eine Desinfektion mit Chlorverbindungen ist nur dann ein probates Mittel, wenn sämtliche andere Möglichkeiten zur Infektionsverhütung – etwa in der Mast – ausgeschöpft sind.“ Außerdem schränkt er ein: „Selbst wenn man den Einsatz von Chlorverbindungen in Kauf nehmen würde, könnte man die Keimbelastung meist nur reduzieren, aber nicht auf Null bringen. Der Erfolg einer Desinfektion hängt immer von der Ausgangskeimzahl ab.“
Keime gelangen oft im Schlachthof auf das Fleisch
Im Vordergrund sollte also stehen, Infektionen der Tiere während der Aufzucht, der Mast und dem Transport zu verhüten sowie eine spätere Verunreinigung der geschlachteten Tierkörper und Produkte zu vermeiden. Dass es häufig zu einer solchen Verunreinigung auf dem Schlachthof kommt, darauf deuten Daten aus dem Zoonosen-Monitoring hin: So waren auf geschlachteten Puten 2012 fast acht Mal häufiger Salmonellen nachweisbar als in Blinddarmproben der entsprechenden Tiere. Das heißt, von infizierten Vögeln gelangen die Erreger im Schlachthof auch auf das Fleisch vieler nicht infizierter Artgenossen. Das kann etwa durch ausgetretenen Darminhalt passieren oder auch durch Wasser, das sowohl zum Waschen der Schlachtkörper als auch zum Kühlen genutzt wird.
Bundesinstitut für Risikobewertung weist auf fehlende Erkenntnisse hin
Was die Chlorbehandlung betrifft, weist das BfR außerdem darauf hin, dass Erkenntnisse über unerwünschte gesundheitliche Effekte fehlen würden: Denn die Chlorbehandlung tötet nicht nur krankmachende, sondern auch natürlich vorkommende Mikroorganismen auf der Fleischoberfläche ab. Komme das Fleisch erneut in Kontakt mit krankmachenden Keimen, gäbe es keine in Konkurrenz wachsenden Bakterien mehr, die die unerwünschten Keime in ihrem Wachstum behindern könnten. Laut BfR sind außerdem Fragen der Resistenzbildung und der Umweltverträglichkeit nicht abschließend geklärt. Möglich sei es auch, dass sich das Fleisch bei einer Chlorbehandlung sensorisch, also etwa in Aroma, Struktur und Farbe verändere: Muskelgewebe könne zum Beispiel vergrauen oder verblassen.
Mehr als eine Million Amerikaner pro Jahr erkranken an Salmonellen
Die Erfahrungen in den USA stellen zudem die Effektivität der Chlorbehandlung in Frage: Salmonellen verursachen dort laut der US-Behörde für Krankheitskontrolle und Prävention (CDC) jedes Jahr geschätzt 1,2 Millionen Erkrankungen mit 450 Todesfällen. Auf belastetes Geflügel sind in den USA mehr Todesfälle zurückzuführen als auf jedes andere Lebensmittel. Tests der US-amerikanischen Verbraucherorganisation Consumer Reports zeigen, dass sich die Belastung von Hähnchenfleisch mit Salmonellen seit den ersten Untersuchungen Ende der 90er Jahre immer in ähnlichen Größenordnungen bewegt. 2013 wiesen die US-Tester in rund 11 Prozent von 316 getesteten rohen Hähnchenbrüsten Salmonellen nach. Campylobacter fanden sie sogar in 43 Prozent. Multiresistente Keime waren in rund der Hälfte der Proben nachweisbar.
US-Verbraucherschützer fordern bessere Hygiene bei der Produktion
Nach Einschätzung der amerikanischen Verbraucherschützer liegt die mangelnde Fleischsicherheit in den USA zum großen Teil daran, dass es nicht gelingt, systematische Lösungen zur Verbesserung der Hygienebedingungen in der Tierproduktion und in Schlachthäusern durchzusetzen. Chlorbäder bezeichnen sie als „Symptombehandlung in einem kaputtem System“ und fordern unter anderem grundlegende Veränderungen bei der Aufzucht und beim Schlachten der Tiere. Aus Sicht des deutschen Verbraucherzentrale Bundesverbands (vzbv) ist das Chlorhühnchen nicht das Kernproblem des Freihandelsabkommens: Doch es stehe stellvertretend für die Unterschiede zwischen Europa und den USA bei der Herstellung, Kennzeichnung und Kontrolle von Lebensmitteln. Der vzbv-Vorstand Klaus Müller weist darauf hin, dass in den USA das Nachsorge-, in der EU das Vorsorgeprinzip gelte. Und dieses sei nicht verhandelbar. Mehr dazu im Interview mit test.de vzbv-Chef Müller zum Freihandelsabkommen: „Verbraucherschutz nicht verhandelbar“.
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Ich kann ihnen nur voll und ganz zustimmen. Vor allem sollten sich die Kritiker einmal vor Augen halten, dass die meisten Trinkwässer gechlort werden - und zwar mengenmäßig durchaus vergleichbar mit den "Chlorhühnern". Und dieses Trinkwasser trinken wir täglich - ohne jedes Problem.
Zu Ihren gefürchteten "Produkten der Chlorchemie":
Wie ich schon sagte, nichts genaues wissen Sie nicht! Chlor in Form des Chlorid-Ions ist für den Menschen ESSENTIELL! Sie nehmen das täglich in Form von Kochsalz zu sich. Ihr Rumschwadronieren von Chlorchemie beweist nur Ihr Nichtwissen.
Wenn Sie den TEST-Artikel vollständig gelesen hätten und ggf dem Link zum EFSA-Gutachten gefolgt wären, hätten Sie lesen können, dass die Behandlung mit verschiedenen Desinfektionsmitteln KEINE gefährlichen Rückstände auf dem Fleisch hinterlässt!
Tja, WER LESEN KANN IST KLAR IM VORTEIL.
Und ich bleibe dabei: "Beweise für eine weiterhin bestehende Gefahr haben Sie nicht!"
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Übrigens, was machen SIe,wenn Sie im Freibad in gechlortem Wasser geschwommen sind? Dann laufen Sie also als verchlorte Giftbombe umher, oder wie? Oder gehen Sie nie ins Hallen- oder Freibad?
"Ich erwarte von einem Lebensmittel, egal ob "industriell oder handwerklich erzeugt", dass es mir beim Verzehr zumindest nicht schadet."
Bei einem nicht-behandelten, salmonellenverseuchten Huhn besteht die Gefahr!
"daher wird jeder aufgeklärte Verbraucher eine vollständige hohe Erhitzung derartiger Produkte vornehmen,"
Ach ja? Und die nicht aufgeklärten? Deren Gesundheit ist Ihnen egal. Es wird dringend empfohlen, die zur Zubereitung von Geflügel verwendeten Küchengeräte nicht für andere Lebensmittel zu verwenden, da Salmonellen übertragen werden können. Wieviele wissen das? Besser die Salmonellen abtöten, bevor die Hühner in den Laden kommen, als auf die Aufgeklärtheit der Verbraucher zu vertrauen, aber das ist Ihnen ja egal!
"Die Produkte der Chlor -Chemie stehen grundsätzlich unter dem begründeten Verdacht, dass sie gesundheitsschädlich sind." Grundsätzlich? Von welchen "Produkten der Chlorchemie" reden Sie eigentlich?
Die in dem Vorgängerbeitrag erhobene Behauptung;
"Fest steht: Die chlorhaltigen Desinfektionsmittel sind wasserlöslich - nach Behandlung sind die weg, wenn man mit sauberem keimfreien Wasser abspült. Beweise für eine weiterhin bestehende Gefahr haben Sie nicht!"
stimmt so leider nicht, da zusammen mit dem Wasser, Chlor vom Fleisch aufgenommen wird und nicht einfach durch klares Wasser abgespült werden kann.
Die Gewichtszunahme von Hähnchen, die zur Abkühlung mit Wasser besprüht oder in einem Kühlbad behandelt werden liegt je nach Wassertemperatur bei deutlich über 10%.
Warum findet hier eine Auseinandersetzung "Bio" oder "Nicht Bio" statt? Ich erwarte von einem Lebensmittel, egal ob "industriell oder handwerklich erzeugt", dass es mir beim Verzehr zumindest nicht schadet.
Es ist bekannt, dass rohe Geflügelprodukte zu einem hohen Anteil mikrobiell belastet sind, daher wird jeder aufgeklärte Verbraucher eine vollständige hohe Erhitzung derartiger Produkte vornehmen, um die Mikroorganismen abzutöten.
Handeln Produzenten von zum Rohverzehr bestimmte Zwiebelmettprodukten aus Geflügelfleisch, verantwortungsbewusst?
"Die Produkte der Chlor -Chemie stehen grundsätzlich unter dem begründeten Verdacht, dass sie gesundheitsschädlich sind. Diese Gefahr erhöht sich durch ihre Langlebigkeit und ihre Anreicherung in Mensch, Tier und Umwelt".
Sollten die "Chlor-Wasserhähnchen" sogar im deklarierten "frischen" Zustand aus den USA zu uns gelangen, dient das Chlor lediglich der Kaschierung des auf dem langen Weg weit fortgeschrittenen Verderbnis-Prozesses.