
Finanztest-Expertinnen Ulrike Steckkönig und Aline Klett, Finanztest-Experte Michael Sittig.
Rund 2,5 Millionen Menschen hierzulande sind pflegebedürftig. Das kostet Geld und wirft Fragen auf. Was übernimmt die gesetzliche Pflegeversicherung? Wie kann man für den privat zu tragenden Teil der Pflege vorsorgen? Was taugt die neue staatlich geförderte Pflegevorsorge? Und wie müssen Kinder für die Pflege der Eltern aufkommen? Hier lesen Sie die Antworten der Experten im Chat auf test.de.
Bis zu welchem Alter ist eine Versicherung sinnvoll?
Amande70: Lohnt es sich für mich noch, eine Pflege-Zusatzversicherung abzuschließen? Ich werde im Dezember 73 Jahre alt.
Ulrike Steckkönig: Sehr viele ältere oder auch bereits erkrankte Menschen haben uns gefragt, ob sich für sie der Abschluss einer Pflegezusatzversicherung lohnt. Wir können keine individuelle Beratung für jeden einzelnen Fall anbieten, möchten Sie aber auf folgende Punkte aufmerksam machen: In höherem Alter ist wahrscheinlich nur noch der Abschluss eines staatlich geförderten Vertrags („Pflege-Bahr“) möglich, weil die Versicherer in diesen Verträgen auch Kunden mit Vorerkrankungen ohne Risikozuschläge annehmen müssen. Hier sind die Beiträge in höherem Alter im Verhältnis zur Leistung relativ hoch. Ein Beispiel: 70-jährige Neukunden müssten bereits bei Vertragsschluss ungefähr 60 Euro Monatsbeitrag bezahlen. Dafür gibt es in Pflegestufe 0 (Demenz) nur 60 Euro an Leistungen im Monat. Wenn der Beitrag in Zukunft steigt, zahlt der Kunde in diesem Fall drauf, denn er muss auch im Pflegefall die Beiträge immer weiterzahlen. Auch in den Pflegestufen I und II sieht es nicht viel besser aus. Für ältere oder bereits erkrankte Menschen ist außerdem wichtig zu wissen, dass sie in den ersten fünf Vertragsjahren keinen Anspruch auf Leistungen aus der Versicherung haben.
Moderator: ... eine aktuelle Nachfrage:
WolfgangS: Bedeutet eine Wartezeit von 5 Jahren im geförderten Tarif PTS der HUK, dass bei einem Eintritt des Leistungsfalles vor Ablauf der Frist überhaupt keine Leistung gezahlt wird oder setzt diese dann nach Ablauf der 5 Jahre ein?
Ulrike Steckkönig: Die Wartezeit bedeutet, dass man in den ersten fünf Vertragsjahren keine Leistungen bekommt, auch wenn man während dieser Zeit pflegebedürftig wird. Nach Ablauf dieser fünf Jahre beginnt der Versicherer dann allerdings zu zahlen.
Moderator: ... und eine aktuelle Nachfrage:
Energie-baer: Nachfrage zu der Frage von Amande70: bis zu welchem Alter sollte man dann eine Zusatzversicherung abgeschlossen haben?
Ulrike Steckkönig: Die staatlich geförderten Versicherungen empfehlen wir generell nicht. Bei den ungeförderten Versicherungen sollte man sich ungefähr zwischen Mitte 40 und Ende 50 Gedanken machen. Sie sind aber auch nur für solche Kunden eine Option, die ganz sicher sind, dass sie die hohen und in Zukunft wahrscheinlich weiter steigenden Beiträge über Jahrzehnte aufbringen können. Wer den Vertrag kündigen muss, verliert damit das bis dahin gezahlte Geld und seinen Versicherungsschutz.
Was müssen Kinder für die Pflege der Eltern leisten?
Moderator: ... und hier eine weitere Top-3-Frage:
Klausotto: Wer kann mir berechnen, wie hoch ich als Tochter belastet werde, wenn das Vermögen meiner Mutter aufgebraucht ist und ihre Rente nicht zur Deckung der Pflegekosten reicht? Und wie sieht dies bei meinem Mann aus?
Michael Sittig: Ganz konkret berechnen kann das vor allem ein Fachanwalt für Familienrecht oder Sozialrecht. Allgemein gilt: einem unterhaltspflichtigen Kind müssen wenigstens 1 600 Euro vom monatlichen Nettoeinkommen verbleiben. Wer also netto weniger als 1 600 Euro im Monat verdient, muss auch nichts zahlen. Für Verheiratete gilt: von den beiden Einkommen der Partner bleiben mindestens 2 880 Euro unantastbar. In der Praxis ist der so genannte Selbstbehalt der unterhaltspflichtigen Kinder aber noch höher, weil zum Beispiel auch Ausgaben für die eigene Altersvorsorge oder Unterhalt für eigene Kinder Vorrang vor dem Unterhalt der Eltern haben. Im Internet finden Sie unter der Adresse http://goo.gl/h5Flf einen Excel-Rechner, der Ihnen bei der konkreten Berechnung der Unterhaltszahlungen helfen kann.
Kinder: Wie werden die Kosten der Pflege, wenn die eigene Rente und das Vermögen der zu Pflegenden aufgebraucht ist, zwischen mehreren Kindern verteilt? Konzentrieren sich die Ansprüche auf die leiblichen Kinder oder sind Schwiegerkinder auch mit einzubeziehen?
Michael Sittig: Zunächst wird von den Kindern natürlich nur derjenige zum Unterhalt für die Eltern herangezogen, der selbst genug verdient. Wenn mehrere Kinder leistungsfähig sind, wird die Unterhaltslast unter den Kindern gemäß ihrem Einkommen verteilt. Ein Beispiel: Eine Tochter kann bis zu 100 Euro monatlich Unterhalt zahlen und ihr Bruder 300 Euro. Die offenen Heimkosten betragen 300 Euro im Monat. Dann hat die Tochter von den 300 Euro ein Viertel (75 Euro) zu übernehmen und der Bruder drei Viertel (225 Euro).
Die Schwiegerkinder sind nie direkt unterhaltspflichtig gegenüber ihren Schwiegereltern, aber ihr Einkommen wird bei der Frage berücksichtigt, wie leistungsfähig ihr Ehepartner (Tochter oder Sohn der pflegebedürftigen Person) ist. So kann es kommen, dass beispielsweise eine Hausfrau ohne eigenes Einkommen Unterhalt zahlen muss, weil ihr Ehemann sehr gut verdient. Das nennt man auch mittelbare Schwiegerkindhaftung.
Eigene Vorsorge statt Pflegeversicherung?
Moderator: ... und noch eine aktuelle Frage:
Susanne: Ich bin 35 Jahre alt und überlege, selbst Vorsorge statt einer Zusatzpflegeversicherung zu betreiben. Welcher Monatsbetrag ist realistisch? 100 Euro? Oder noch mehr?
Aline Klett: Wenn man jung ist, haben andere Themen Priorität. Erst einmal sollte man dafür sorgen, dass die Altersvorsorge, die Privathaftpflicht und die Berufsunfähigkeit abgesichert sind. Erst wenn das Gehalt sicher ist und man weiß, dass man den Beitrag auch dauerhaft bezahlen kann, lohnt es sich, über eine Absicherung für den Pflegefall nachzudenken.
Susi: Wie sieht die optimale Absicherung in Pflegestufe I, II und III aus, die man abschließen sollte?
Aline Klett: Wir haben den Finanzbedarf für eine professionelle, gute Pflege, beispielsweise zu Hause, aufgrund heutiger Werte geschätzt. Für den häuslichen Bereich ergibt sich so ein monatlicher Finanzbedarf, der aus eigener Tasche bezahlt werden muss: in Pflegestufe I sind dies 530 Euro, in Pflegestufe II 1 270 Euro und in Pflegestufe III 2 320 Euro.
Ulrike Steckkönig: Eine individuelle Anlageberatung können wir hier nicht leisten. Als Anhaltswert kann vielleicht ein Wert aus dem aktuellen Pflegereport der Barmer GEK dienen. Demnach mussten Frauen im Durchschnitt rund 45 000 Euro aus eigener Tasche für ihre Pflege bezahlen. Im Einzelfall können die Pflegekosten jedoch auch mehrere hunderttausend Euro betragen. Das Problem ist, dass niemand im Voraus wissen kann, ob, wie lange und in welcher Pflegestufe er pflegebedürftig wird.
Der Umzug ins Heim und die finanziellen Folgen
Kati2210: Meine Mutter ist pflegebedürftig und kommt nächste Woche ins Pflegeheim. Ihre Rente und die Pflegeversicherung reichen nicht aus, um die Kosten zu decken. Ich selbst bin nicht leistungsfähig. Meine Mutter hat eine Sterbeversicherung mit einem momentanen Rückkaufswert von 3 500 Euro, im Todesfall würden nach jetzigem Stand 9 800 Euro an mich als einzigen Angehörigen ausgezahlt. Muss diese Sterbeversicherung aufgelöst werden oder darf sie weiter bestehen bleiben?
Michael Sittig: Das Sozialamt kann die Auflösung der Sterbegeldversicherung nicht verlangen, wenn die Versicherung so gestrickt ist, dass eine Auszahlung des Wertes vor dem Tod der versicherten Person ausgeschlossen ist. Sprechen Sie mit der Versicherung. Ist eine Kündigung vor dem Tod noch nicht ausgeschlossen, bitten Sie die Versicherung, eine solche Klausel aufzunehmen. Das sollte unbedingt vor dem Einzug ins Pflegeheim geschehen.
Monika Lehmann: Mein Vater ist über 80 Jahre alt, herzkrank (er hat einen Herzschrittmacher) und insgesamt gebrechlich. Bei Besorgungen (Einkaufen, Bank, Post usw.) ist er auf Hilfe angewiesen, ebenso wie auf Hilfe im Haushalt (Wäsche waschen/bügeln, Putzen, Essen zubereiten). Trotzdem wird es nicht für eine Pflegestufe reichen, um Kosten für teure private Helfer abzumildern. Auch beim (von ihm geplanten) Umzug ins betreute Wohnen geht man von einer Pflegestufe aus (die er nicht hat). Wie kommt man aus diesem Dilemma heraus?
Aline Klett: Wenn Sie das Gefühl haben, dass es Ihr Vater nicht mehr allein schafft, sollte er am besten mit Ihrer Hilfe einen formlosen Antrag auf eine Pflegestufe bei seiner Krankenkasse stellen. Die Kasse schickt dann einen Gutachter des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) zu Ihrem Vater, der sich die Situation genau anschaut. Sie als Angehörige sollten auch dabei sein und schildern, was Ihr Vater nicht mehr kann. Nur so können Sie prüfen, ob er tatsächlich keinen Anspruch hat. Auch wenn Ihr Vater umzieht, werden die Mitarbeiter des betreuten Wohnens – denen dieser Fall sicherlich bekannt ist – vermutlich veranlassen, dass Ihr Vater durch den MDK begutachtet wird. Welche Unterstützung es für ältere Menschen und ihre Angehörigen gibt, erfahren Sie auch in unserem neu erschienenen Ratgeber „Eltern unterstützen, pflegen, versorgen“.
Siggih: Meine Schwiegermutter hat Pflegestufe I und möchte in ein Altenheim ziehen. Ihre Renten, das Pflegegeld sowie das Pflegewohngeld decken die Kosten für das Heim nicht. Ich bin Alleinverdiener mit gutem Verdienst, meine Frau hat kein eigenes Einkommen. Kann ich zur Übernahme von Kosten herangezogen werden?
Michael Sittig: Wie bereits erwähnt, sind Schwiegerkinder eigentlich nicht zum Unterhalt gegenüber ihren Schwiegermüttern verpflichtet, aber dadurch, dass Sie gut verdienen, ist womöglich Ihre Frau leistungsfähig. Diese mittelbare Schwiegerkindhaftung greift aber wirklich nur dann, wenn Sie sehr gut verdienen. Angenommen, Ihre Frau hat gar kein Einkommen und Sie verdienen grob 5 000 bis 6 000 netto pro Monat – dann könnte das Sozialamt von Ihrer Frau geringe monatliche Beträge von unter 100 Euro verlangen.
Zahlt die Versicherung für Pflege im Ausland?
Huehnerdieb: Gibt es Versicherungen, die die Pflegekosten z.B. auch in Thailand übernehmen?
Ulrike Steckkönig: In unserem aktuellen Test der Pflegetagegeldversicherungen gibt es einige Angebote, die auch bei dauerhaftem Aufenthalt im außereuropäischen Ausland leisten. Bei manchen Versicherern ist es jedoch erforderlich, dazu eine gesonderte Vereinbarung zu schließen und einen Beitragszuschlag zu zahlen. Bitte beachten Sie aber, dass Sie außerhalb der Europäischen Union/des europäischen Wirtschaftsraumes keinen Anspruch auf Leistungen der gesetzlichen Pflegeversicherung haben.
BeKra: Wird Pflege im Ausland gezahlt und wenn ja, unter welchen Voraussetzungen? Wird das Ausland noch nach Gebieten unterschieden wie zum Beispiel Europäisches Ausland inklusive Schweiz, Norwegen?
Aline Klett: Das Pflegegeld aus der gesetzlichen Pflegeversicherung können Versicherte auch im europäischen Wirtschaftsraum und in der Schweiz beziehen. Sie haben aber keinen Anspruch auf die – höheren – Pflegesachleistungen, das heißt die Pflege durch einen ambulanten Pflegedienst oder die Heimkosten. Auch andere Leistungen der Pflegeversicherung fallen im Ausland weg. Bedenken sollten Sie auch, dass eine Höherstufung in eine höhere Pflegestufe im Ausland schwierig ist.
Was muss der Partner im Fall der Pflegebedürftigkeit leisten?
Heike: Muss die Ehefrau ihr Vermögen antasten, wenn der Ehemann pflegebedürftig wird? Was sind die Freibeträge und was passiert mit der selbst genutzten Immobilie? Kinder haben wir nicht.
Michael Sittig: Zunächst einmal: Der Ehemann muss sein Einkommen und sein Vermögen für seinen eigenen Unterhalt einsetzen (Pflegeheim). Erst, wenn das nicht ausreicht, kommt es zu der Frage, ob der Ehepartner Unterhalt zahlen muss. Hier gelten eigene Grundsätze. Die selbst bewohnte Immobilie ist grundsätzlich Schonvermögen. Das heißt, wohnen Sie weiter in der Immobilie (während Ihr Mann im Pflegeheim lebt), kann das Sozialamt den Verkauf nicht verlangen.
Moderator: Kommen wir zu unserer letzten Frage im heutigen Chat.
Beate.sohr: Ich bin jetzt 66 Jahre alt, Altersrentnerin und noch relativ gut drauf. Unterstützung, Hilfe oder Pflege für später aus familiärem Umfeld kann ich nicht erwarten, da ich keine engeren Angehörigen habe. Was kann ich tun? Das bisher Ersparte bei guter Gesundheit voll genießen und darauf bauen, dass die eventuellen später anfallenden Pflegekosten schon „irgendwie“ bezahlt werden?
Aline Klett: Wie Sie Ihr Geld ausgeben, ist natürlich Ihre Entscheidung. Sie können aber jetzt noch entscheiden, wo Sie alt werden wollen, zum in einer Wohnanlage, die gleichzeitig Hilfeleistungen anbietet oder in der Menschen wohnen, deren Konzept es ist, sich gegenseitig zu unterstützen – unabhängig von der verwandtschaftlichen Nähe. So können Sie vorbeugen für den Fall, dass Sie irgendwann einmal schwächer werden und sich teure Hilfsleistungen von außen einkaufen müssen. Auch wenn Sie pflegebedürftig werden sollten, kann dadurch so einiges abgefedert werden.
Moderator: Die Chat-Zeit ist auch schon fast um: Wollen sie noch ein kurzes Schlusswort an die User richten?
Michael Sittig: Wir danken Ihnen für die rege Beteiligung am Chat. Vertiefende Informationen zur gesetzlichen Pflegeversicherung, zu privaten Pflegetagegeldversicherung, zu der neuen staatlich geförderten Vorsorge („Pflege-Bahr“) und zum Elternunterhalt finden Sie in der aktuellen Ausgabe unserer Zeitschrift Finanztest oder unter test.de.
Moderator: Das waren 60 Minuten test-Expertenchat. Vielen Dank an die User für die vielen Fragen, die wir aus Zeitgründen leider nicht alle beantworten konnten. Vielen Dank auch an Ulrike Steckkönig, Aline Klett und Michael Sittig, dass Sie sich die Zeit für die User genommen haben. Das Chat-Team wünscht allen noch einen schönen Tag.
Tipp: Die Experten von Finanztest haben ein Special Pflegeversicherung geschnürt. Darin enthalten sind neben dem aktuellen Test privater Pflegetagegeldversicherungen zahlreiche weitere Tests und Reports die zum Beispiel erklären, welche Kosten die gesetzliche Pflegeversicherung deckt und wie Betroffene im Fall der Fälle an die Leistungen kommen.