
*) Je größer die versprochene Ersparnis ausfällt, desto wahrscheinlicher sind Fallstricke im Kleingedruckten.
Die preisgünstigsten Stromlieferanten knüpfen ihre Schnäppchentarife fast immer an unfaire Bedingungen. Wer nicht aufpasst, zahlt am Ende drauf.
Adolf Waldbauer hat schon siebenmal den Stromanbieter gewechselt. Es war nicht immer einfach, doch der 71-Jährige ist ein unerschrockener Schwabe. „Mittlerweile habe ich eine Liste mit Anbietern, die nicht mehr infrage kommen“, erzählt der ehemalige Industrieanlagenplaner. „Wechseln lohnt sich, man muss sich aber kümmern und seine Schlüsse ziehen.“ Von Vorkassetarifen lässt er ganz die Finger. Seit kurzem beißt er auch bei Verträgen mit Bonus nicht mehr an. Das liegt an Almado-Energy, einer Tochterfirma der Almado AG, dem jüngsten Neuzugang auf seiner Liste.
Treuebonus mit Hindernissen
Anfang 2012 lockte das Kölner Unternehmen den Rentner aus Böblingen mit günstigem Strompreis und einem großen Bonus, der nach einem Jahr gezahlt werden sollte. Als Almado-Energy fürs zweite Jahr den Preis erhöhte, kündigte Waldbauer fristgerecht zum Ende des Lieferjahres. Da griff der Billigstromanbieter in die Trickkiste: Er kündigte Waldbauer sofort – und verweigerte ihm den Bonus mit der Begründung, er sei kein volles Jahr beliefert worden. Waldbauer beschwerte sich, schrieb etliche Briefe, es half nichts. Erst als er mit einem Rechtsanwalt Klage androhte, bekam er sein Geld.
Waldbauer ist nicht allein mit seinem Groll. Viele Almado-Kunden berichten von dem Trick. Wir haben das Unternehmen, das heute 365 AG heißt, gefragt, wie oft es in dieser Art auf Kündigungen reagiert hat. Und ob seine Strombezieher in Zukunft mit Gegenkündigungen rechnen müssen. Eine Antwort darauf haben wir bis Redaktionsschluss nicht bekommen.
In Leserbriefen, Internetforen und bei Verbraucherzentralen machen auch viele Kunden anderer Billigstromlieferanten ihrem Ärger Luft. Die Fälle ähneln sich: Firmen locken mit Kampfpreisen, die kaum kostendeckend sein können. Sobald die Kunden am Haken hängen, erhöhen sie die Preise und versuchen mit List und Tücke, Kasse zu machen.
Auf Kundenfang im Billigteich
Wir haben uns die Fanggründe näher angesehen: Welche Anbieter sind in den Vergleichsportalen für Stromtarife am häufigsten unter den billigsten zu finden? Was für Tarife bieten sie an? Zu welchen Bedingungen? Dazu haben wir im Oktober Strompreise in den Internetportalen Check24, Toptarif und Verivox abgefragt. Für je drei Verbrauchsmengen und vier Städte suchten wir bei jedem Portal mit verschiedenen Suchfiltern nach den günstigsten Tarifen. Im Januar haben wir für zwei Städte die Abfragen aktualisiert.
Die Marken von vier Anbietern landeten am häufigsten auf den vorderen Plätzen: 365 AG, die bis vor kurzem unter Almado AG firmierte, EVD Energieversorgung Deutschland, Extraenergie und Stromio.
Unfaire Tarifbedingungen
Von diesen vier Anbietern haben wir die Vertragsbedingungen sämtlicher Stromtarife abgeklopft, die wir auf den Websites ihrer Marken fanden – am Beispiel eines Jahresverbrauchs von 3 500 Kilowattstunden in 10785 Berlin. Das Ergebnis: Nur 2 der 49 gefundenen Tarife bieten einen fairen Vertrag. Die anderen 47 Tarife enthalten für Verbraucher unfreundliche Bedingungen:
- Paketpreise, die sehr teuer werden, wenn der Kunde mehr Strom verbraucht als im Vertrag vereinbart. Verbraucht er weniger, bekommt er kein Geld zurück.
- Lange Anschlusslaufzeiten, die Kunden immer wieder für ein Jahr binden, wenn sie nicht rechtzeitig kündigen. Fair ist eine kurze Anschlusslaufzeit von einem Monat, damit Kunden flexibel bleiben.
- Kurzlaufende Preisgarantien von weniger als zwölf Monaten, die kaum vor Kostenaufschlägen schützen.
- Versprechen großzügiger Boni von bis zu 25 Prozent des Jahrespreises, die im Kleingedruckten wieder eingeschränkt werden.
Vorkassemodelle fanden wir bei keinem der vier Anbieter. Nach den Pleiten von Teldafax und Flexstrom lassen sich kaum noch Kunden darauf ein. Allerdings bieten noch einige kommunale Unternehmen Vorkassetarife an. In unserer Preisabfrage standen hin und wieder Billigangebote von Stadtwerken oder anderen Grundversorgern oben, sowohl mit Vorkasse als auch anderen unfairen Bedingungen.
Die zwei fairen Ausnahmen unter den abgeklopften Tarifen stammen von Grünwelt, einer Marke von Stromio. Sie heißen Grünstrom pur und pur Premium. Beide sind monatlich kündbar und bieten zwölf Monate Preisgarantie. Allerdings sind sie teurer als die meisten anderen dieses Anbieters, da sie keinen Bonus versprechen. Daher landeten sie in den Vergleichsportalen bei unseren Abfragen nicht auf den ersten 20 Plätzen. Alle günstigeren Verträge von Grünwelt enthalten für Verbraucher unfaire Bedingungen. Wer zu Grünwelt wechseln will, sollte also genau hinsehen.
Der Bonus als Köder

Ein Instrument im Kampf um Kunden ist der Bonus: Die Firmen versprechen mit der ersten Jahresrechnung eine Gutschrift. „Ein großer Neukundenbonus dient insbesondere dazu, in Preisvergleichsportalen oben zu stehen“, sagt Andreas Stender, Energieexperte bei der Unternehmensberatung A. T. Kearney. „Ansonsten bleibt den Firmen wenig Spielraum in der Preisgestaltung.“ Sie können nur zwei Faktoren beeinflussen: ihre Kosten für Strom je nach Beschaffungsstrategie sowie interne Ausgaben, etwa für Marketing, Abrechnung und Kundenbetreuung. „Das hat jedoch nur einen begrenzten Effekt auf den Endkundenpreis“, so Stender. Der Löwenanteil dessen, was Verbraucher für Strom bezahlen müssen, entfällt auf Steuern, Abgaben und Netzgebühren. Das sind mehr oder weniger Fixkosten.
Die Folge sind Preise, bei denen die Anbieter im ersten Jahr womöglich draufzahlen. Wir haben die Ausgaben der Firmen, etwa Abgaben, Steuern, Gebühren und geschätzte Kosten für den Strombezug, den Einnahmen gegenübergestellt. Ergebnis: Mit ihren Preisen für das erste Jahr nehmen einige Unternehmen wohl Verluste in Kauf. Selbst die „Rohmarge“ kann negativ sein. Das heißt: Noch bevor der Anbieter seine Mitarbeiter oder die Miete bezahlt hat, ist er schon in der Verlustzone.
Die Preise werden schnell erhöht
Damit sich das Geschäft am Ende rechnet, müssen die Firmen den Verlust möglichst bald wieder ausgleichen. Daher wollen sie die Kunden mit langen Anschlusslaufzeiten über das erste Jahr hinaus binden. Ein anderer Weg kann sein, am Ende des Jahres den Bonus zu verweigern. In der Regel erhöhen die Anbieter im zweiten Jahr drastisch die Preise. Dabei tricksen sie häufig.
Claudius Kempe aus Herford etwa hatte ab Januar 2013 bei Almado-Energy einen Vertrag ohne Preisgarantie abgeschlossen. Bereits im Mai bekam er ein Schreiben mit der Nachricht, dass sich der Preis pro Kilowattstunde um rund 33 Prozent erhöht. Die Information war in einem seitenlangen Manuskript versteckt – nach einer Gewinnspiel-Einladung und Blabla zur Energiewende. Besonders perfide: Über dem Absatz, der die Erhöhung ankündigt, steht die Überschrift: „Wir haben unsere Einsparungen an Sie weiter gegeben!“
Die Methode nutzen mehrere Anbieter. „Bei uns hat sich eine Reihe von Stromio-Kunden gemeldet, die versteckte Preiserhöhungen nicht mitbekommen haben“, sagt Udo Sieverding von der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen. „Erst bei der Schlussrechnung haben sie gemerkt, dass sie schon längere Zeit mehr zahlen als sie dachten.“ Die Frist für eine Sonderkündigung, die jedem bei Preiserhöhungen zusteht, ist dann längst verstrichen.
Auch sonst müssen Kunden auf der Hut sein. Mitunter sind zum Beispiel Jahresrechnungen fehlerhaft, weil falsche Zählerstände zugrunde gelegt wurden. Das fällt nur dem auf, der akribisch nachrechnet. Wer Fehler bemerkt, muss oft lange um sein Recht kämpfen, da Anbieter häufig schwer zu erreichen sind oder ihre Kunden hinhalten.
Geht dagegen mal eine Überweisung seitens der Kunden schief, reagieren die Firmen oft sehr zügig. „Es gehört offenbar zur Geschäftspolitik vieler Stromdiscounter, möglichst schnell Inkassoverfahren einzuleiten, was für die Kunden zusätzliche Kosten verursacht“, sagt Uwe Martens. Der Rechtsanwalt in der Kanzlei Elixir in Frankfurt/Main vertritt viele Kunden des Stromhändlers Almado. Seine Beobachtung: „Manchmal sind die Inkassokosten höher als die ursprüngliche Forderung.“
Hinter Billigstromanbietern und ihren Inkassofirmen stecken mitunter dieselben Personen. So gehört etwa dem Inhaber des Inkasso- und Kundendienstleisters eg factory auch die Stromfirma EVD. Und die Vorstände der 365 AG sind zugleich Eigentümer des Inkassounternehmens DTMI.
Inkassofirmen schüchtern Kunden ein
Rechtsanwalt Martens kennt einige der Protagonisten bereits aus anderen Branchen, etwa von Call-by-Call-Anbietern für Telefongespräche. „Die Strategie ist immer die gleiche: Die Inkassofirmen bauen eine so große Drohkulisse auf, dass viele Kunden eingeschüchtert sind und auch unberechtigte Forderungen zahlen“, sagt er. Er rät, nicht klein beizugeben. Seine Erfahrung: Wer sich juristisch wehrt, hat große Chancen auf Erfolg. „Bislang wurde keiner unserer Mandanten zur Zahlung verurteilt“, so Martens.
Kostenlosen juristischen Beistand leistet die 2011 gegründete Schlichtungsstelle Energie. Bisher sind dort mehr als 23 000 Anträge eingegangen, viele davon betreffen Billigstromanbieter. Energieversorger sind gesetzlich verpflichtet, am Schlichtungsverfahren teilzunehmen, um Streitigkeiten mit Kunden außergerichtlich zu lösen. „Meistens geht es um fehlerhafte Abrechnungen, falsche Zählerstände und nicht gezahlte Boni“, sagt Thomas Kunde, Geschäftsführer der Schlichtungsstelle. „In der Regel einigen sich die Beteiligten.“ Das kann allerdings wegen der Flut von Anträgen einige Zeit dauern.
Fazit: 47 von 49 Tarifen der Billigstromanbieter 365/Almado, EVD, Extraenergie und Stromio sind nicht zu empfehlen, da sie unfaire Vertragsbedingungen diktieren. Wer solch einen Tarif wählt, sollte sich darauf einstellen, dass der Anbieter spätestens nach einem Jahr den Preis erhöht – er also wieder wechseln muss. Zudem sollte er stets auf der Hut vor Fallen im Kleingedruckten sein. Kündigungsfristen im Blick haben, jede Mail des Versorgers akribisch lesen, Rechnungen prüfen und sich im Falle eines Unrechts nicht scheuen, einen Anwalt einzuschalten. Wem das zu stressig erscheint, der findet schon knapp oberhalb der Kampfpreiszone günstige Tarife ohne Fallstricke.