Bier Bock auf Hopfens­topfen

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Bier - Bock auf Hopfens­topfen

Kreative Brauer reformieren die deutsche Bier­welt. Sie über­raschen mit geschmack­sintensiver Brau­kunst. Und das in Zeiten, in denen die Deutschen immer weniger Bier trinken. test hat mit Bier-Sommelière Sylvia Kopp gesprochen und beleuchtet die Bier­welt jenseits von Massen­produkten und Mehr­heits­geschmack. Acht Biersorten im Kurz­porträt und Tipps zum Verkosten runden das Special ab.

Weg von der industriellen Massenware

Sylvia Kopp hält das Glas ins Licht, schwenkt es und atmet das Aroma ein. Sie nimmt einen Schluck, behält ihn kurz im Mund, spuckt ihn aber nicht aus. Anders als bei Wein­proben ist es bei Bier­verkostungen üblich zu trinken. Ein Grund: Der hintere Teil der Zunge ist besonders empfindlich für die bier­typischen Bitternoten. „Sie sind sofort da und halten lange an, im Ausklang sind noch Beerenfrüchte“, schwärmt Kopp, Bier-Sommelière und Mitgründerin der Berlin Beer Academy. Hier bietet sie seit November Verkostungen und Seminare an. Damit hat sie einen Nerv getroffen. Der interna­tionale Trend weg von industrieller Massenware hin zu hand­werk­lich gebrautem Bier – eng­lisch „Craft Beer“ – hat auch die Deutschen angesteckt.

Übrigens: Die Stiftung Warentest hat auch Zapfanlagen getestet.

Alte Braupraktiken werden wiederbelebt

Mutige Braumeister mit hohem Qualitäts­anspruch interpretieren bekannte Sorten neu ( Biersorten), experimentieren mit Aromahopfen und beleben alte Braupraktiken wieder. In den USA haben Craft-Biere schon einen Markt­anteil von rund 8 Prozent erobert. Hier­zulande lässt sich ihre Bedeutung noch nicht messen. Bemerkens­wert ist jedoch, dass sich 0,33-Liter-Flaschen für 2 bis 3 Euro verkaufen lassen, obwohl Bier­produktion und -verbrauch seit Jahren zurück­gehen. Lag der jähr­liche Pro-Kopf-Konsum der Deutschen Mitte der 70er Jahre im Schnitt bei 150 Litern, sind es heute nicht einmal mehr 107 Liter.

Neue Hopfensorten für Fruchtaromen

Bier - Bock auf Hopfens­topfen

Bier-Sommelière Sylvia Kopp. Sie achtet beim Aussehen auf Klarheit, Farbe und Schaum.

Ein Bier, das für die Craft-Beer-Bewegung steht, ist das India Pale Ale Biersorten. Sylvia Kopp hat sich gerade eines aus der Hamburger Kehr­wieder Kreativbrauerei einge­schenkt. „Die fruchtige Note nach Erdbeere und Honigmelone kommt vom Aromahopfen – einer Neuzüchtung aus der Hallertau“, erklärt die Expertin. Die Hallertau in Bayern ist das größte Hopfen­anbau­gebiet der Welt. Eine Besonderheit des India Pale Ale: Der Hopfen wird nicht nur mitgekocht, um Bitter­stoffe ins Bier zu bekommen. Die Brauer geben in den Gärbottich oder Lager­tank auch Aromahopfen hinzu, der flüchtige Aroma­stoffe abgibt. Kenner nennen das Hopfens­topfen. In der Massen­produktion spielt Aromahopfen so gut wie keine Rolle, statt­dessen vor allem Bitterhopfen – zum Teil in Form von Pellets oder als Extrakt. Einige Handwerks­brauer dagegen setzen auf ganze Hopfendolden: je mehr Pflanzen­teile, desto mehr Geschmack.

Scheuklappen durchs Rein­heits­gebot

Bier mit Frucht­noten – das ist dank superaromatischer Hopfensorten sogar nach dem deutschen Rein­heits­gebot möglich. Auf diese alte Brau­vorschrift, wonach Bier auch heute noch nur aus Malz, Hopfen, Hefe und Wasser hergestellt werden darf, ist der deutsche Brauerbund so stolz, dass er im vergangenen Jahr bei der Unesco den Welt­kultur­erbe-Status beantragte. Kopp kritisiert, dass das Rein­heits­gebot mit dazu beigetragen hat, dass alte Brautraditionen, wie der Zusatz von Gewürzen wie etwa Wacholder­beeren, vom Markt gedrängt wurden. Und es habe den Deutschen Scheuklappen aufgesetzt: „Wir denken, wir sind die Braunation Nummer eins und alles, was aus dem Ausland kommt, ist unrein. Das stimmt nicht.“ Deutsche Brauer, die für Inno­vationen nicht nach dem Rein­heits­gebot arbeiten, müssen eine Ausnahme­genehmigung beantragen. Oder sie dürfen nicht „Bier“ aufs Etikett schreiben. So vertreibt die Augs­burger Brauerei Riegele ein Produkt mit Honig als „Brauspezialität“.

Zahl kleiner Brau­stätten wächst

Hinter besonderen Bieren stehen oft Manu­fakturen und Neugründer, zum Teil mit Gastronomie­betrieb. Obwohl ihre Brau­kunst deutlich teurer ist als die Massenware der Branchenriesen und sie meist auf Mund­propaganda angewiesen sind, konnten sich viele etablieren. Von den über 1 300 deutschen Brauereien produzieren mehr als zwei Drittel maximal 5 000 Hektoliter im Jahr. Seit 1990 verdoppelte sich die Zahl dieser kleinen Brau­stätten nahezu. Das geht zulasten der Groß­brauereien. Sie erzeugen für den über­regionalen Markt Massen­produkte, die sich dem Mehr­heits­geschmack unterwerfen müssen.

Auch die Großen springen auf den Zug auf

Einige sind auf den Craft-Beer-Zug aufgesprungen. So bietet Rade­berger unter der Marke Braufactum eigene Spezialitäten und interna­tionale Biere an. Der Getränke­groß­händler Nord­mann belebte die Hamburger Marke Rats­herrn mit dem Zusatz „Craft Beer“ wieder. Und Bitburger verkauft online Biere aus seiner Versuchs­brauerei unter dem Namen „Craft­werk Brewing“.

Tipp: Ungewöhnliche Biere können Sie in Spezialläden kaufen oder bei Internet-Bierhänd­lern bestellen. Lokale Brau­kunst gibt es auch oft im Getränkefach­handel.

Das rechte Maß finden

Wer jedes der rund 5 000 deutschen Biere probieren möchte, lässt sich besser Zeit. Als risikoarm gelten bei gesunden Frauen 12 Gramm Alkohol pro Tag, das entspricht etwa 0,33 Liter Bier. Männer dürfen doppelt so viel trinken, bei mehr drohen gesundheitliche Folgen. An mindestens zwei Tagen pro Woche sollten aber auch Bierfans alkoholfrei leben – zur Sucht­vorbeugung. Kleine Mengen – das empfiehlt Bier-Sommelière Sylvia Kopp auch den Brauern: „Man muss wegkommen vom Mengendenken und dann kommen wir zum Bessertrinken. Das bedeutet mehr Genuss, Geschmack und Abwechs­lung im Glas.“

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Kommentarliste

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  • RehsePeter am 01.02.2017 um 10:43 Uhr
    Fränkisches Bier

    Schade dass in Ihrem Artikel das Frankenland vergessen wurde. Rund um Bamberg sind so viele Brauereien zusammengepfercht wie in keinem anderen Gebiet. Und diese Brauereien, die teilweise so klein sind dass sie nur in ihren eigenen Gaststube ihren Gerstensaft ausschenken, verstehen ihr Brauhandwerk. Seit Generationen wird dort das beste Bier der Welt gebraut. Und diese Bierkultur mit ihren alten urigen Bierkellern und Gaststuben sind auf jeden Fall einen Eintrag in die UNESCO wert. Für mich ist das "Bierweltkulturerbe". Wer es nicht glaubt muss eben mal hinfahren. Prost.

  • Profilbild Stiftung_Warentest am 30.05.2014 um 09:02 Uhr
    Kellerbier fehlt

    Da es sich bei diesem Special ursprünglich um einen Print-Text handelte (test 6/2014), konnten aus Platzgründen nicht alle Biersorten Erwähnung finden. Neben den Keller- oder Zwickelbieren fehlen daher leider auch Sorten wie Kölsch, Märzen etc. Wir bitten um Verständnis. (aci)

  • W.Möller am 29.05.2014 um 11:19 Uhr
    Kellerbier fehlt

    Das ungespundete und unfiltrierte, äußerst geschmacksintensive Kellerbier wurde als eigenständige "Sorte" leider nicht erwähnt. Beheimatet im Süddeutschen und Fränkischen kann man es nun auch unter vielen Marken in ganz Deutschland meist in den üblichen Getränkemärkten erwerben, meist in Bügelflaschen.

  • Profilbild Stiftung_Warentest am 27.05.2014 um 11:14 Uhr
    Alt vs. Kölsch

    Auch wenn bei der Stiftung Warentest der eine oder andere Rheinländer arbeitet, gibt es hier im Hause keine Präferenz für Alt oder Kölsch. Das obergärige Alt-Bier wurde in die Auswahl aufgenommen, weil es eine gewisse Rolle für die amerikanische Craft-Beer-Bewegung spielt. (aci)

  • arspremberg am 26.05.2014 um 18:06 Uhr
    Bock auf Bier

    Was hat Düsseldorf gezahlt, damit Sie "Alt" erwähnen, aber "Kölsch" vergessen?