Bestattungs­recht

Interview: Kein Ort zum Trauern

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Etwa jeder fünfte Verstorbene wird anonym bestattet. Diese Zahl hat Barbara Happe erhoben, Buch­autorin und Kulturwissenschaft­lerin an der Friedrich-Schiller-Universität Jena.

Welche Bestattungs­trends beob­achten Sie?

Noch nie hatten die Menschen eine so große Auswahl an verschiedenen Bestattungs­arten: unter Bäumen, auf See, auf dem Friedhof oder in Kirchen. Trotzdem werden noch immer mehr als 90 Prozent aller Verstorbenen auf einem traditionellen Friedhof beigesetzt.

Was heißt anonyme Bestattung?

Die Urnen der Verstorbenen werden in einem Gemein­schafts­feld bestattet. Meist ist das eine große Rasenfläche auf einem Friedhof. Oft werden mehrere Urnen an einem Tag beigesetzt. Nicht immer dürfen die Angehörigen dabei sein.

Wie erklären Sie sich die hohe Zahl der anonymen Bestattungen?

Die Familien­bande sind nicht mehr so eng wie früher. Eltern, erwachsene Kinder und Verwandte leben in unterschiedlichen Städten und ziehen oft um. Die Tradition, dass eine Familie über mehrere Generationen ein gemein­sames Grab hat, geht immer mehr verloren. Das alles führt dazu, dass das Grab als Ort der Trauer an Bedeutung verliert. Es gibt auch immer mehr Verstorbene, die keine Angehörigen mehr haben. Hinzu kommt: Vielen Menschen ist es wichtig, ihren Angehörigen nach dem Tod nicht zur Last zu fallen, indem sie ihnen eine jahr­zehnte­lange Grab­pflege aufbürden.

Wie ist das für die Hinterbliebenen, wenn sie keinen Ort zum Trauern haben?

Jeder Mensch trauert anders. Viele suchen aber einen Ort für ihre Trauer. Ich habe auf Friedhöfen schon oft beob­achtet, dass Trauernde versuchen, die Rasenfläche für die anonymen Bestattungen doch persönlich zu gestalten. Sie legen dort Blumen, Herzen, Fotos oder den Porzellanengel ab, weil die Menschen offen­bar einen konkreten Ort zum Trauern brauchen. Wer sich für eine anonyme Bestattung entscheidet, sollte diesen Schritt immer mit seinen Angehörigen absprechen. Denn letzt­lich ist die Grabstätte ja ein Ort für die Lebenden.

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erner am 17.01.2018 um 15:53 Uhr
Seebestattung

Eine Seebestattung ist heutzutage aus vielerlei Gründen nicht mehr so selten wie früher, z. B. wenn keine Personen zur Grabpflege mehr vorhanden sind. Mein Mann und ich möchten diese Bestattungsform wählen. Wir würden uns daher freuen, von Stiftung Warentest auch hierüber näher informiert zu werden.

Profilbild Stiftung_Warentest am 10.09.2015 um 11:15 Uhr
Seebestattung und Friedhofsgebühren

@Antefíx
Auch Seebestattungen sind möglich, da haben Sie Recht. Da sie in der Praxis aber nur eine geringe Bedeutung haben, werden sie in diesem Special, in dem es um Bestattungsrecht geht, nicht erwähnt.
Zum Thema Bestattungsverfügung: Sie kann zu Lebzeiten geändert und auch mündlich formuliert werden. Wenn Ihr Angehöriger jahrelang ein Wahlgrab bezahlt und gepflegt hat und nun seine Meinung ändert, sollten Sie diesen Wunsch respektieren – auch wenn sie ihn nicht nachvollziehen können. Dies gilt natürlich nur, wenn die betagte Person noch in der Lage ist, ihre Entscheidungen selbstständig zu treffen.
Zum Thema Friedhofsgebühren: Wir leiten Ihre Anregung, uns einmal mit diesem Thema zu beschäftigen, gern an die zuständige Fachredaktion weiter.
(mwe/aci)

Antefix am 28.08.2015 um 11:47 Uhr
Hauptproblem Bestattungskosten

Und was ist mit einer zumindest in küstennahen Lebensräumen angebotenen Seebestattung?
Wie ist es richtig, wenn ein lebensalt und müde gewordener Angehöriger eine solche oder ähnliche, eher frühromantische Abschiedsvorstellung für sich entwickelt und ausplaudert [juristisch: als Willenserklärung verfügt?], zuvor aber jahrelang das für ihn 'freigehaltene' Wahlgrab bezahlt und sogar selbst gepflegt hatte?
Der Beitrag sollte im Übrigen die ausbleibenden Einnahmen und damit steigenden Unterhalts- und Betriebskosten für langfristig zu kalkulieren verpflichtete kommunale und kirchliche Friedhofsverwaltungen beleuchten. Durch parallel kostenbestimmte 'Abwanderung' von Grabstätten in die genannten alternativen Bestattungsarten werden Friedhofsgebühren praktisch jedes Jahr steigen müssen. Althergebrachtes Beisetzen mit i.d.R. für 25 Jahre Ruhezeit vorauszubezahlenden Gebühren wird dadurch besonders für hinterbliebene Großstädter allmählich unbezahlbar. . .