
Störfaktor. Der Blick auf den Wecker macht das Einschlafen noch schwerer.
Schon das Beherzigen einfacher Regeln kann gegen Schlaflosigkeit helfen. Doch viele kennen sie nicht. Selbst Hausärzte fallen durch Unwissen auf.
Nur noch fünf Stunden. Dann heißt es aufstehen. „Ich muss jetzt unbedingt schlafen. Morgen muss ich fit sein.“ Fast jeder hat sich schon einmal schlaflos durch die Nacht gewälzt. Für jeden dritten Deutschen ist das nächtlicher Alltag. 11 Prozent der Erwachsenen haben mehr als dreimal pro Woche Einschlafprobleme, etwa jeder Vierte kann nicht regelmäßig durchschlafen. Viele leiden tagsüber weiter, sind unkonzentriert, müde und haben Angst vor der nächsten schlaflosen Nacht. Sie sind häufig behandlungsbedürftig.
Millionen sind schlafmittelabhängig
Wie behandeln Hausärzte das Problem? Und wie beraten sie zu Schlafmitteln mit Suchtpotenzial? Das wollte die Stiftung Warentest wissen. Der Anstoß: Von Ärzten häufig verschriebene Schlafmittel führen oft zu Abhängigkeit, rund 1,2 Millionen Deutsche sind davon betroffen. In vielen Fällen könnte schon das Einhalten einfacher Regeln, wie beispielsweise gleichbleibende Zubettgeh- und Aufstehzeiten, die Lösung des Problems sein. Auch Wecker und Uhren aus dem Blickfeld zu entfernen, gehört zu den Tipps, die Experten Schlafhygiene nennen (siehe Der erste Schritt). Im Test berieten dazu nur die wenigsten Ärzte.
Zwei Tester, 20 Arztbesuche
Wir schickten im Herbst 2013 jeweils zwei Testpatienten zu zehn Hausärzten in einer deutschen Großstadt. Beide erzählten dort eine mit Experten entwickelte Hintergrundgeschichte: eine Mitvierzigerin, die vor unterbewusstem Kummer nicht mehr schlafen kann (siehe Fall 1: Einschlafprobleme), sowie ein Rentner, der seit Jahren ein rezeptpflichtiges Schlafmittel nimmt und es nun absetzen möchte (siehe Fall 2: Medikamentenabhängigkeit). Die Tester vereinbarten die Termine als Privatversicherte, die den Arzt aus eigenem Wunsch aufsuchen und ließen sich so verdeckt beraten.
Gravierende Behandlungsfehler
Das Ergebnis ist beunruhigend: Die von Einschlafstörungen geplagte Patientin bekam in vier Fällen sofort potenziell abhängig machende Schlafmittel verordnet. In vier weiteren Fällen fragte sie, ob ein solches ihr helfen könnte und bekam daraufhin ein Rezept. Kein Arzt riet ihr, es zunächst mit den Schlafregeln zu versuchen. Der vorgeblich medikamentenabhängige Tester bekam in zwei Fällen Präparate verordnet, die sein Schlafmittel ersetzen sollten: ein grober Behandlungsfehler. Die Folge wäre ein abrupter Entzug, der bei einem „echten“ Patienten gesundheitsgefährdende Folgen wie völlige Schlaflosigkeit oder epileptische Krampfanfälle haben könnte.
Zu wenig Schlaf macht krank
Dass Schlafstörungen falsch oder gar nicht behandelt werden, ist keine Seltenheit. „Nur wenige gehen überhaupt zum Arzt“, sagt Dr. Rüdiger Holzbach, Chefarzt der Abteilung Suchtmedizin der LWL-Kliniken Warstein und Lippstadt. Er ist auf Medikamentenabhängigkeit spezialisiert, deren häufigste Ursache Schlafstörungen sind. „Sowohl Betroffene als auch Mediziner unterschätzen oft das Risiko von schweren Schlafstörungen“, so der Experte. Schlaf ist für Menschen überlebenswichtig. Nachts erholt sich nicht nur der Körper, sondern auch der Geist. Im Normalfall schläft der Durchschnittsbürger etwa ein Drittel seines Lebens, wobei der Schlafbedarf mit dem Alter abnimmt. Wer nicht schlafen kann, hat auf Dauer ein deutlich erhöhtes Krankheitsrisiko. Das Spektrum reicht von extremer Müdigkeit und Konzentrationsschwierigkeiten bis hin zu Depressionen oder Herz-Kreislauf-Problemen.
Dreimal pro Woche wach liegen
Potenziell behandlungsbedürftig ist, wer sich über einen Monat lang mindestens dreimal pro Woche im Bett windet und länger als 30 Minuten braucht, um abends oder nachts wieder einzuschlafen – und am Tag unter den Folgen leidet. Auslöser sind meist akute Anlässe wie zum Beispiel beruflicher Stress, familiäre oder finanzielle Sorgen. Die Schlafprobleme können sich jedoch verselbstständigen und unabhängig vom Auslöser zur Regel werden. Was kann der Patient dann tun? Er sollte es mit den einfachen Schlafregeln versuchen (siehe Der erste Schritt). Sie können Störungen mindern. So sollte etwa der Schlafraum ruhig, kühl und dunkel sein. Schlaflose sollten außerdem versuchen, fettiges Essen, Alkohol oder Koffein vor dem Zubettgehen zu vermeiden und feste Schlafenszeiten einhalten.
Störenfried Wecker
Wecker und Uhren aus dem Sichtfeld zu räumen, kann große Erleichterung bringen. Viele, die nachts auf die Anzeige sehen, ärgern sich. Darüber, dass sie immer noch nicht eingeschlafen sind oder bald wieder aufstehen müssen. Der Adrenalinspiegel schnellt hoch, das Einschlafen fällt umso schwerer. Schon bald folgt der nächste Blick, der nächste Adrenalinstoß und der Kreislauf setzt sich bis zum Morgen fort. Die Ärzte im Test erwähnten die einfachen Gegenmaßnahmen kaum.
Ärzte fragen nicht richtig nach
Schon die Anamnese vernachlässigten die meisten Ärzte. Bevor sie Patienten richtig beraten können, muss feststehen, um welche Art der Schlafstörung es sich handelt. Bei der 42-jährigen Patientin hätten die Ärzte mindestens nach Häufigkeit der Beschwerden, Dauer und Erholsamkeit des Schlafes sowie nach der Beeinträchtigung am Tag fragen müssen. Nur ein Arzt stellte alle wichtigen Fragen. Der Testfall legt nahe, dass die Frau aufgrund psychischer Probleme nicht mehr einschlafen kann. Sechs von zehn Ärzten entging diese Ursache, weil sie nicht danach fragten.
Risikofaktor Alkohol
Ähnlich erging es Patient Nummer zwei. Er schilderte den Ärzten, dass er sein Medikament seit 25 Jahren nimmt. Dabei sollten Benzodiazepine in der Regel nicht länger als vier Wochen eingenommen werden. Nur ein Arzt stellte alle wichtigen Fragen: Welche Dosis nimmt der Patient, hat er sie über die Jahre gesteigert und wirkt das Mittel überhaupt noch? Nur so lässt sich die Form der Abhängigkeit bestimmen. Ebenfalls gravierend: Nur ein Arzt fragte nach dem Alkoholkonsum des Patienten. Die Frage ist grundlegend, denn die Mischung von Schlafmittel und Alkohol ist hochgefährlich. Auch kann es bei einem Entzug schnell zu einer Suchtverlagerung auf Alkohol kommen. Warum handeln viele der aufgesuchten Ärzte so nachlässig?
Schlafstörung fehlt in der Ausbildung
Gibt es keine körperlichen Ursachen, fallen Schlafstörungen meist in den Fachbereich Psychiatrie. „Der kommt schon im Medizinstudium zu kurz“, sagt Holzbach. Dort würden Suchterkrankungen vor allem im Zusammenhang mit Drogen oder Alkohol dargestellt. Schlafmittelabhängigkeit und Schlafstörungen als deren Ursache würden kaum oder gar nicht behandelt. Viele Ärzte kennen sich mit der Erkrankung also schlicht nicht gut genug aus, um das Problem ausreichend zu erfassen.
Rund fünf Stunden Schlaf reichen

Kühl, dunkel und leise. Im richtigen Umfeld lässt es sich schön schlummern.
Da auch die Patienten meist nur wenig über Schlaf wissen, sehen sie in Schlafmitteln eine einfache Lösung. Oft haben sie zudem falsche Erwartungen, glauben etwa mehr Schlaf zu brauchen als nötig. Ist er erholsam, reichen schon rund fünf Stunden pro Nacht. Dass der erholsamste Schlaf vor Mitternacht stattfindet, ist ein Irrglaube. Entscheidend für gesunden Schlummer sind die Tiefschlafphasen. Die können auch nach 24 Uhr eintreten. Verschreibt der Arzt Medikamente aufgrund falscher Annahmen des Patienten, setzt er ihn einem unnötigen Abhängigkeitsrisiko aus. Nur in Krisensituationen, wenn der Patient auch tagsüber leidet, übermüdet und unkonzentriert ist, ist eine kurzzeitige Einnahme niedrigdosierter Mittel gerechtfertigt.
Sie unterschätzen das Suchtpotenzial
Auch zu den Medikamenten wird nicht immer richtig beraten. Im Test erfuhr die Patientin von einem Arzt, dass Z-Drugs keine Nebenwirkungen haben. Das ist falsch. Auch sie können abhängig machen. Z-Drugs heißen so, weil ihre Wirkstoffe mit dem Buchstaben Z beginnen, zum Beispiel Zolpidem und Zopiclon. Um die Suchtgefahr zu minimieren, empfiehlt die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften, nur die niedrigste Dosis zu verschreiben. Sieben der acht Ärzte, die ein Rezept ausstellten, hielten sich nicht daran.
In jedem Fall sollte ein Arzt die Einnahme begleiten, um die Wirkung kontrollieren zu können. Doch in sechs der acht Fälle wurde der Testpatientin kein Folgetermin durch den Arzt angeboten. Auch der verrentete Lehrer erhielt nicht die erforderliche Begleitung. Zwei Ärzte rieten ihm, den Entzug im Alleingang durchzuführen. Das ist fatal. Schon wer Schlafmittel nur über mehrere Wochen geschluckt hat, sollte sie nie abrupt oder ohne ärztliche Begleitung absetzen.
Worauf der Patient achten sollte
Wer mit Schlafstörungen den Arzt aufsucht, kann selbst zum Erfolg beitragen. Er sollte das Problem von sich aus genau beschreiben, Dauer und Erholsamkeit des Schlafes sowie psychische Belastungen ansprechen. Ist die Beeinträchtigung am Tag noch nicht zu extrem, sollte er immer nach Alternativen für Schlafmittel fragen. Besteht schon eine Abhängigkeit, kann der Patient aktiv um die Zusammenarbeit mit dem Arzt oder die Überweisung in eine Suchtklinik bitten. Aber auch der Arzt muss die richtigen Weichen stellen. Hat er nicht genug Zeit für ein Patientengespräch, sollte er zumindest Informationsmaterial zu den Schlafregeln parat haben. Ist er sich bei der Diagnose nicht sicher, sollte er den Patienten – auch ohne dessen Nachfrage – an einen Spezialisten überweisen.
Im besten Fall können am Ende des Tages beide gut schlafen: Arzt und Patient.