
11 % der Deutschen leiden an Inkontinenz.* Gute Beratung zu Vorlagen und Windeln ist schwer zu finden.
* Quelle: Schätzung des Bundesverbands Medizintechnologie
Wer Urin nicht halten kann, braucht zuverlässige Hilfsmittel. Doch viele Experten beraten schlecht und geben unpassende Muster ab.
Richtig herzhaft lachen – das tut gut. Aber nicht mit Belastungsinkontinenz. Die Freude bricht sich leicht an falscher Stelle Bahn: Oft landet Urin im Slip. Das kann auch beim Husten oder Heben passieren. Es trifft zum Beispiel Frauen mit geschwächtem Beckenboden infolge von Schwangerschaft und Entbindung. Manche verlieren große Mengen Harn.
Einen solchen Fall und sechs weitere haben wir mit Fachgutachtern für unseren Test entwickelt: wie den des älteren Herrn, der das Wasser seit einer Prostata-Operation nicht mehr richtig halten kann – oder den der Ingenieurin, die wegen einer Nervenerkrankung häufig urplötzlich muss und das rettende Örtchen nicht immer rechtzeitig erreicht. Mit den sieben Legenden kontaktierten sieben Tester Anbieter, die Patienten mit Inkontinenzprodukten wie Vorlagen oder Windelslips versorgen: fünf Sanitätshäuser, fünf Apotheken sowie zehn Homecare-Unternehmen – Hersteller oder Händler von Inkontinenzprodukten, die überregional nach Hause liefern.
Alle geprüften Anbieter kooperieren mit Krankenkassen und versorgen deren Versicherte. Das heißt auch: Bedarf erfassen, beraten, passende Probeprodukte auswählen. Nur so können Patienten Hilfsmittel finden, die trocken halten, richtig sitzen, diskret bleiben. Bis zu neun Millionen Menschen hierzulande leiden an Blasenschwäche. Sie brauchen kompetente Hilfe.
„Keinerlei Fragen und Tschüss“

30 % der Frauen plagt nach der Entbindung eine Blasenschwäche.* 13 von 20 Anbietern stellten zu wenige Fragen zum Problem der Testerin.
* Quelle: Textbook of Female Urology and Urogynecology, 2017
Beratung ist das A und O – aber im Test überhaupt nicht gut. Das zeigt schon der Eindruck der Testpersonen. „Man wollte mich schnell loswerden“, meint einer. Ein anderer: „Kaum Zeit, keinerlei Fragen, Proben mitgegeben und Tschüss.“
Das waren keine Einzelfälle. Und auch die ausgewählten Proben passten oft nicht zum Bedarf. Die meisten geprüften Anbieter beraten ausreichend oder mangelhaft. Drei schneiden befriedigend ab: Attends, Medi-Markt, Hartmann. Alle drei stellen selbst Inkontinenzware her, die sie über Händler und direkt an Patienten vermarkten. Hartmann und Attends lagen auch im Warentest von Inkontinenzprodukten vorn (test 3/2017). Doch perfekt ist die Beratung selbst hier nicht, zeigt dieser Test.
Die Testpersonen gaben in den Gesprächen an, sie hätten ein Rezept für Inkontinenzprodukte. „Ohne Diagnose, dass mindestens eine mittlere Inkontinenz vorliegt, erstatten Krankenkassen die Versorgung nicht“, sagt die Berliner Urologin Dr. Elke Heßdörfer. Ihre Praxis ist auf Blasenprobleme spezialisiert. Der Gang zum Urologen, Gynäkologen oder zunächst zum Hausarzt sei auch aus einem anderen Grund wichtig. „Oft lässt sich Inkontinenz durch Therapien wie Beckenbodentraining oder Medikamente beheben oder deutlich lindern“, sagt sie. Wer aus Scham den Arztbesuch scheue, bringe sich um diese Chance.
Die Partner der Kasse herausfinden

40 % der 80-Jährigen sind inkontinent.* Bei 10 von 20 Anbietern erhielt unsere betagte Testerin keine oder nur unpassende Musterproben.
* Quelle: Bundesverband Medizintechnologie
Bis die Therapie greift oder falls sie nicht hilft, können Inkontinenzprodukte den Alltag erleichtern. Sehr verbreitet sind aufsaugende Hilfsmittel, grob einteilbar in drei Gruppen: Vorlagen erinnern an Damenbinden und werden in der Unterhose angeklebt oder per Netzhose fixiert. Windelslips ähneln Babywindeln. Pants sind wie Unterhosen an- und ausziehbar.
Bekommt jemand die Produkte wegen zu geringer Inkontinenz nicht verordnet, zahlt er sie selbst. Er hat freie Wahl, wo er sie kauft, etwa in der Drogerie. Patienten mit Rezept müssen per Anruf oder auf der Internetseite ihrer Krankenkasse herausfinden, mit wem sie kooperiert. Die Kassen schließen Verträge mit Versorgern – nur dort dürfen Versicherte Hilfsmittel beziehen. Meist haben sie die Wahl, ob sie sich an eine Apotheke oder ein Sanitätshaus in der Nähe wenden oder telefonisch an eines der überregionalen Homecare-Unternehmen.
„Er holte auf gut Glück die Proben“
Egal welcher Versorger: Er muss den Bedarf klären und viel fragen, etwa nach Art und Schwere der Inkontinenz, den Körpermaßen, was auf dem Rezept steht. Viele Berater im Test kratzten kaum an der Oberfläche. Ein Apotheker trieb es auf die Spitze: Er fragte – nichts. „Er holte wahllos und auf gut Glück die Proben“, erzählt der Proband.
„Endloswindel“ zum Abschneiden

16 % der Männer können Harn nach Entfernung der Prostata nicht halten.* Zu diesem Testfall berieten 7 der 20 Anbieter gut.
* Quelle: Barmer GEK Krankenhausreport, 2012
In Anbetracht solcher Erlebnisse wundert es nicht, dass die ausgehändigten Muster oft nicht zum Bedarf passten. Wir ließen jede einzelne Probe von zwei Experten begutachten und mit der Ausgangssituation der Testprofile vergleichen. Das offenbarte jede Menge Unstimmigkeiten: Da waren Produkte zu klein, zu groß oder zu wenig saugfähig für die angegebene Schwere der Inkontinenz. Schlechte Aussichten für die Zufriedenheit der Nutzer.
Manches mutet fast schon kurios an. Ein männlicher Patient erhielt bei einer Beratung nur Produkte für Frauen, in einem anderen Fall etwas völlig Unzeitgemäßes: eine „Endloswindel“, die an eine Stoffbahn erinnert. Anwender sollen für jeden Gebrauch ein Stück abschneiden.
Auch Hygienemängel aufgefallen
Idealerweise ist jede mitgegebene oder geschickte Probe originalverpackt. Im Test war das zum Beispiel bei Hartmann und dem Sanitätshaus Grossmann der Fall. Bei manchen Versorgern hingegen gab es mehrere Exemplare gemeinsam in durchsichtigen Tüten. Vermutlich wurden Produkte aus Großpackungen entnommen, in denen sie nicht einzeln eingeschweißt waren.
Das taten auch manche Berater vor Ort – mit bloßen Fingern. In einem Fall war Hygiene völlig außen vor, erzählt ein Tester: „Man gab mir die Proben einfach so in die Hand.“ Im Schnitt erhielten unsere Probanden fünf Musterexemplare – bei den Homecare-Firmen mehr. Auswahl hilft, etwas Passendes zu finden. Wer nur zwei Muster bekommt, sollte um weitere bitten. Und wer nach seinem persönlichen Test mit allen unzufrieden ist, braucht noch eine Schleife: neue Proben oder einen neuen Anlauf bei einem anderen Versorger.
Das Originalrezept behalten Patienten am besten bis zur endgültigen Bestellung. Im Großteil der Fälle erhielten unsere Tester Proben auch so – wobei sie die Informationen von ihrer Verordnung auf Nachfrage angaben. Nur selten lehnten Versorger es ab, Muster auszuhändigen. Einer sagte beispielsweise: „Es kommen so viele, man kann nicht allen Proben mitgeben.“ Ein anderer meinte: „Ich bin allein und kann den Verkaufsraum nicht verlassen.“
„Kassen-“ versus „Premiumprodukte“
Noch etwas ist bei den Probeexemplaren wichtig: zu erfahren, welche davon „Kassenprodukte“ sind und welche nicht. Kassenprodukte werden vollständig erstattet, andere gibts nur gegen Aufzahlung des Patienten. Wie viel grob pro Monat zusammenkommt, wollten die Anbieter im Test meist erst später berechnen. „Das besprechen wir dann, wenn Sie sich entschieden haben“, lautete eine typische Auskunft.
Zum Hintergrund: Die Leistungserbringer erhalten für jeden versorgten Versicherten eine Pauschale, je nach Krankenkasse ungefähr 14 bis 30 Euro im Monat. Dafür sind manche Hilfsmittel, im Test oft Premiumprodukte genannt, nicht zu haben. Dann zahlen Patienten drauf, teils üppig. Viele günstige Produkte schnitten kürzlich bei unserem Test vergleichsweise schwach ab – aber nicht alle. Das zeigt: Es lohnt sich, die Mittel mit einer passgenauen Auswahl auszuprobieren.
Falsche Informationen gestreut
Erfreulicherweise redete so gut wie kein Berater im Test Kassenprodukte schlecht. Am härtesten war noch der Vergleich mit einem „Volkswagen“. Doch streuten viele Berater, vor allem in Sanitätshäusern und Apotheken, Falschinformationen. Sie behaupteten, Versicherte bekämen von den Kassenprodukten nur bestimmte Mengen ohne Aufpreis – nämlich so viele, bis die Monatspauschale ausgeschöpft sei.
Das stimmt nicht. Für Kassenprodukte fällt in aller Regel nur die gesetzliche Zuzahlung von maximal 10 Euro im Monat an. Ansonsten sind sie für Patienten kostenlos – ohne fixe Mengenbegrenzung. Braucht jemand eine sehr hohe Stückzahl, weil er oft wechseln muss, hilft vielleicht ein saugstärkeres Produkt oder Beratung zum richtigen Umgang damit. Solche Punkte zu klären, ist Aufgabe der Versorger.
Kritiker bemängeln aber, dass die Monatspauschalen, die die Krankenkassen zahlen, für eine gute Versorgung teilweise viel zu niedrig seien. Laut Hochrechnungen entfallen nur 0,2 Prozent der Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung auf aufsaugende Inkontinenzprodukte.
Das Positive zum Schluss: Mit dem Tabuthema Blasenschwäche gingen die Berater meist freundlich, offen und entspannt um. Die Tester erlebten „Verständnis“, „Mitgefühl“ und „eine lockere Gesprächsatmosphäre, die die Peinlichkeit nahm“. Wie angenehm. Schließlich ist es auch die Scham, die Patienten häufig besonders quält.