Im Streit um die Kündigung eines hochverzinsten Sparvertrags urteilt erstmals ein Oberlandesgericht gegen eine Bausparkasse. Das OLG Stuttgart hat die Kündigung des Vertrags für „nicht rechtens“ erklärt. Das Gericht ließ wegen der grundsätzlichen Bedeutung des Falls die Revision zum Bundesgerichtshof ausdrücklich zu. Bundesweit sind rund 200 000 Bausparer von Kündigungen ihrer Sparverträge betroffen.
Oberlandesgericht änderte Entscheidung der Vorinstanz
Der Fall: Die Bausparkasse Wüstenrot hatte einer Kundin den mit 3 Prozent verzinsten Vertrag gekündigt. Dagegen klagte die Frau vor dem Landgericht Stuttgart – und verlor wie viele andere Kläger vor ihr. Das Oberlandesgericht Stuttgart hat diese Entscheidung nun aber zu Gunsten der Bausparerin abgeändert. Es hält die Kündigung der Bausparkasse für unberechtigt. Gegen das Urteil ist Revision vor dem Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe zugelassen.
Urteil könnte 200 000 Bausparern helfen
Sollte der BGH das Urteil bestätigen, würde es rund 200 000 Bausparern helfen, deren in den 80er und 90er Jahren abgeschlossenen hochverzinsten Sparverträge ebenfalls von deutschen Bausparkassen gekündigt wurden. Damals boomten die Geschäfte der Bausparkassen. Um an Geld zu kommen, boten die Institute hohe Zinsen für Bausparverträge an, um das Geld als Darlehen weiter vergeben zu können. Nachdem die Zinsen in den letzten Jahren immer weiter sanken, wurden die Altverträge für die Bausparkassen zur finanziellen Belastung.
Zum aktuellen Test von Riester-Bausparverträgen.
Guthabenzins von 3 Prozent im Jahr
Das gilt auch für den Vertrag der Wüstenrot-Kundin. Sie hatte 1978 einen Vertrag über eine Bausparsumme von umgerechnet rund 20 000 Euro abgeschlossen. Der Vertrag war seit 1993 zuteilungsreif. Für die Laufzeit erhielt sie für ihre eingezahlten Raten einen Guthabenzinssatz von 3 Prozent pro Jahr bei einem Bauspardarlehens-Zinssatz von 5 Prozent im Jahr. Nach Zuteilungsreife stellte die Bausparerin die regelmäßige Zahlung der Sparraten ein, ohne ein Bauspardarlehen in Anspruch zu nehmen. Im Januar 2015, also knapp 22 Jahre nach Eintritt der Zuteilungsreife, kündigte die Bausparkasse den Bausparvertrag. Das Bausparguthaben belief sich zu diesem Zeitpunkt auf zirka 15 000 Euro, die Bausparsumme war also nicht vollständig angespart.
So begründet das Gericht seine Entscheidung
Wüstenrot habe kein Recht, den Vertrag zu kündigen, urteilte das Oberlandesgericht. Da die Sparerin mit ihren Einzahlungen noch nicht die festgelegte Bausparsumme erreicht hatte, habe sie weiterhin die Option auf ein späteres Darlehen über den Restbetrag. Sie kann nach Ansicht der Richter also weiterhin den Zins von drei Prozent auf ihr Guthaben beanspruchen. Kündigen dürfe eine Bausparkasse nur, wenn das Guthaben die Bausparsumme erreicht habe. Der Zeitpunkt der Zuteilungsreife spiele nach den Vertragsbedingungen keine Rolle.
Gesetzliche Kündigungsfrist nicht anwendbar
Die gesetzliche Kündigungsvorschrift sei entgegen der Auffassung der Bausparkasse auch nicht analog anwendbar. Die überlange Vertragsdauer beruhe zwar auf der vertragswidrigen Einstellung der Sparleistungen durch die Bausparerin. Wüstenrot habe aber eine überlange Bindung an den Vertragszinssatz verhindern können. Dazu hätte das Institut die Sparerin auffordern müssen, weiter Raten zu zahlen. Hätte die Frau dann nicht gezahlt, hätte die Bausparkasse ein kurzfristiges vertragliches Kündigungsrecht gehabt. Da die Bausparkasse selbst – möglicherweise im eigenen Interesse – ein Ruhen des Bausparvertrages erlaubt habe, sei sie nicht schutzbedürftig und könne sich nicht später auf ein gesetzliches Kündigungsrecht berufen.
Az. 9 U 171/15 – Oberlandesgericht Stuttgart
Az. 25 O 89/15 – Landgericht Stuttgart