
Die Aachener Bausparkasse hat tausende Bausparverträge gekündigt.
Kunden der Aachener Bausparkasse, deren Bausparvertrag 2017 wegen einer angeblichen „Störung der Geschäftsgrundlage“ gekündigt wurde, müssen sich bis zum Jahresende mit einer Klage gegen den Rausschmiss wehren. Sonst droht ihr Anspruch auf Fortsetzung des Vertrages zu verjähren. Verbraucherzentralen halten die Kündigungen für einen dreisten Vertragsbruch. Viele Kunden der Bausparkasse sind bereits erfolgreich gegen die Kündigungen vorgegangen.
Wann dürfen Bausparkassen ihren Kunden kündigen?
Nach der Rechtsprechung dürfen Bausparkassen nur kündigen, wenn das Guthaben die Bausparsumme übersteigt oder der Sparer zehn Jahre nach der ersten Zuteilungsmöglichkeit immer noch kein Darlehen abgerufen hat (siehe auch Kasten am Ende dieser Meldung).
Wie begründet die Aachener ihre Kündigungen?
Die Aachener hatte sich einen neuen Grund ausgedacht, um Kunden mit gut verzinsten Altverträgen loszuwerden. Die Fortsetzung der Verträge sei ihr wegen der Niedrigzinsphase nicht länger zumutbar. Deshalb sei sie nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) zu einer Kündigung wegen „Störung der Geschäftsgrundlage“ (§ 313 BGB) und zur Kündigung aus „wichtigem Grund“ (§ 314 BGB) berechtigt. Allein bis Ende April 2017 hatten bereits fast 6 000 Kunden die Kündigung erhalten.
Rausschmiss nach unfairem Angebot
Den Rausschmiss bereitete die Bausparkasse mit dem Angebot für ein „Tarif-Update“ vor: Der Kunde soll seinen Vertrag gegen einen neuen tauschen, der nur mit 0,15 Prozent statt 2 Prozent im Jahr verzinst wird und bei einem Darlehensverzicht keinen Bonus vorsieht. Wochen später kam das Ultimatum: Entweder der Kunde nimmt das Angebot zum Tarifwechsel innerhalb von zwei Wochen an, oder die Kasse kündigt.
Unser Rat
Widerspruch. Die Bausparkasse will Ihren gut verzinsten Vertrag wegen einer angeblichen „Störung der Geschäftsgrundlage“ kündigen? Legen Sie schriftlich Widerspruch ein. Lenkt die Bausparkasse nicht ein, sollten Sie mithilfe eines Anwalts eine Klage prüfen.
Musterbriefe. Für Ihren Widerspruch können Sie die Musterbriefe der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg nutzen.
Verjährung. Ihre Ansprüche verjähren in der Regel drei Jahre nach dem Ende des Kalenderjahres, in dem die Bausparkasse gekündigt hat. Hat die Bausparkasse 2017 gekündigt, müssen Sie also bis zum Jahresende 2020 Klage einreichen.
Kündigungen sind rechtswidrig
Die Verbraucherzentralen halten die Kündigungen für rechtswidrig. Zinsänderungen am Kapitalmarkt berechtigen eine Bausparkasse nicht dazu, sich den vertraglichen Pflichten zu entziehen. Sie hat feste Zinsen in der Spar- und Darlehensphase garantiert und das Kapitalmarktrisiko bewusst in Kauf genommen. Nur deshalb haben die Sparer den Vertrag abgeschlossen.
Niedrige Zinsen kein Kündigungsgrund
So sehen es auch die Gerichte. Der Bundesgerichtshof hat bereits klargestellt, dass die derzeit niedrigen Zinsen keine Kündigung aus wichtigem Grund (§ 314 BGB) rechtfertigen (Az. XI ZR 185/16). Nach Auffassung der Oberlandesgerichte Celle (Az. 3 U 86/16), Karlsruhe (Az. 17 U 185/15) und Stuttgart (Az. 9 U 171/15) dürfen sich Bausparkassen auch nicht auf eine Störung der Geschäftsgrundlage durch die Niedrigzinsphase berufen.
Aachener in der Branche isoliert
Die Aachener hielt trotzdem an den Kündigungen fest. In der Branche hat sie sich damit isoliert. Fast alle anderen Bausparkassen haben auf Finanztest-Nachfrage versichert, dass sie keine Kündigungen wegen einer Störung der Geschäftsgrundlage ausgesprochen haben und dies auch nicht planen – darunter auch Wüstenrot, die die Aachener Bausparkasse inzwischen übernommen hat. Nur die BSQ Bausparkasse antwortete uns nicht.
Kunden wehren sich erfolgreich
Sobald sich Kunden wehren, zeigt sich die Aachener allerdings verhandlungsbereit. Sie bietet einen Ausgleich für die Zinsen an, die dem Sparer entgehen. Das erste Angebot ist meist dürftig. Schaltet der Kunde aber einen Anwalt ein und erhebt Klage, kommt es oft auch ohne Verhandlungstermin zu einem deutlich besseren Vergleichsangebot: Am Ende bietet die Aachener dann fast so viel an, wie der Kunden nach einem gewonnenen Prozess bekäme.
Vor Gericht erscheint die Bausparkasse nicht
Gibt es doch einen Verhandlungstermin beim Amtsgericht Aachen, greift die Kasse immer wieder zur gleichen Taktik: Sie geht nicht hin. Damit kassiert sie zwar ein Versäumnisurteil nach dem anderen und muss die Verträge fortsetzen. Doch sie vermeidet eine Urteilsbegründung, mit der sie in der Öffentlichkeit schlecht aussehen könnte. Und sie verhindert, dass die Fälle vor das Landgericht oder gar vor den Bundesgerichtshof kommen. Offenbar glauben die Juristen der Aachener selbst nicht daran, dass ihre Kündigungen vor Gericht Bestand haben könnten.
Klagen lohnt sich
Die Kanzlei des Hamburger Rechtsanwalts Dirk Buggenthin hat bereits zahlreiche Verfahren gegen die Aachener abgeschlossen. „Die Fälle, in denen unsere Mandanten keine Vergleichsangebote annehmen wollten, haben wir per Versäumnisurteil gewonnen.“ Buggenthins Fazit: „Es lohnt sich, gegen die Kündigungen vorzugehen und nicht schon das erste Vergleichsangebot zu akzeptieren.“
BSQ Bausparkasse: Verbraucherzentrale stoppt Kündigungen
Bausparkassen dürfen sich in ihren Bedingungen nicht vorbehalten, den Vertrag aus „bauspartechnischen Gründen“ schon nach sieben Jahren Laufzeit aufzulösen. Das hat das Landgericht Nürnberg-Fürth nach einer Klage der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg gegen die BSQ Bausparkasse entschieden (Az. 7 O 1987/16).
Betroffen sind Bausparer, die bei der ehemaligen Quelle Bausparkasse die Bonusvariante im Tarif Q16 abgeschlossen haben. Ihnen steht bei Darlehensverzicht neben dem Basiszins von 1,0 Prozent ein Bonus von 2,35 Prozent zu. Die Bausparkasse hatte Kunden mitgeteilt, dass sie den Vertrag nur noch ohne Bonus fortsetzen können. Andernfalls müssten sie sich ihr Guthaben und den Bonus schon jetzt auszahlen lassen. Sie verwies auf eine Vertragsklausel, nach der sie die Laufzeit der Bonusvariante aus „bauspartechnischen Gründen“ bis auf sieben Jahre begrenzen dürfe.
Die Bausparkasse darf sich nach dem Urteil nicht mehr auf die Klausel berufen. Sparer, denen die Kasse bereits gekündigt hat, können nach Auffassung der Verbraucherzentrale nachträglich fordern, dass ihr alter Vertrag mit Bonus fortgesetzt wird.
Bausparmodell infrage gestellt
Bausparkassen haben allen Grund, sich vom Vorgehen der Aachener zu distanzieren. Denn die Kündigungen stellen das Geschäftsmodell der Bausparkassen grundlegend infrage.
Bausparen ist nur sinnvoll, wenn Sparer darauf vertrauen können, dass die Bausparkasse ihre Zinsversprechen einlöst. Darauf könnte sich niemand verlassen, wenn die Kasse den Vertrag je nach Zinsentwicklung am Kapitalmarkt kündigen darf. Wer sollte dann noch einen Bausparvertrag abschließen?
Viele weitere Informationen und Tipps rund ums Bausparen erhalten Sie auf unserer Themenseite Bausparen.
Kündigung zehn Jahre nach Zuteilungsreife.
Bausparkassen dürfen kündigen, wenn der Bausparer zehn Jahre nach der ersten Zuteilungsmöglichkeit noch kein Darlehen abgerufen hat. Das hat der Bundesgerichtshof (BGH) entschieden (Az. XI ZR 185/16). Das Kündigungsrecht besteht in der Regel auch für Bausparverträge, bei denen die Bausparkasse einen Zinsbonus zahlt, wenn der Bausparer auf ein Darlehen verzichtet und sich nur das Guthaben auszahlen lässt (BGH, Az. XI ZR 135/17).
Diese Meldung ist erstmals am 8. März 2017 auf test.de erschienen. Sie wurde seitdem mehrfach aktualisiert, zuletzt am 27. Oktober 2020.