
Mit Finanzierungsbeispiel. Auf dem Bauzaun wirbt ein Maklerunternehmen um Käufer für Wohnungen in einem Neubau in Berlin.
Immobilien lassen sich so günstig finanzieren wie noch nie. Die niedrigen Zinsen bergen aber spezielle Gefahren. Kreditnehmer überschätzen sich leicht.
Die Baustelle liegt direkt am Flussufer der Dahme in Berlin. Sogar ein eigener Bootssteg ist geplant. Vor dem eingerüsteten Rohbau preisen Plakate Wohnungen mit „Wasserblick inklusive“ zum Kauf an – und zerstreuen Bedenken, nur Millionäre könnten sich so etwas leisten. Neben Bildern, wie der Neubau fertig aussehen könnte, präsentieren sie Finanzierungsbeispiele. Ein weißer Kreis hebt für eine Vierzimmerwohnung hervor: „monatliche Rate 1 323,93 Euro“. Nur 1 323,93 Euro? Bei vielen Neubauten in ähnlicher Größe kostet die Miete in der Hauptstadt auch so viel. Der Preis von 382 400 Euro sieht da gar nicht mehr so furchteinflößend aus, zumal die Käufer hier nur die Nebenkosten für Notar, Makler, Grunderwerbsteuer aus ihrem Ersparten einbringen müssen.
Günstig ist der Kredit auch. „Mischzins 2,98 %“ verheißt das Plakat. Neben einem Bankdarlehen ist ein geförderter Kredit der staatlichen KfW-Bank eingerechnet, weil das Haus hohe Energiestandards erfüllt.
Wenn die Zinsen so niedrig und die Kreditrate kaum höher als die Miete ist, was kann da bei einem Kauf noch schiefgehen? Einiges, gerade in einer Phase mit Zinsen am Rekordtief wie derzeit. Sie verleiten dazu, eine zu hohe Summe auszuleihen, die Kreditnehmer über Jahrzehnte abstottern müssen und vielleicht nicht mehr bedienen können, wenn die Zinsen steigen.
Verlockende Rechnungen wie bei den Wasserblickwohnungen sind kein Einzelfall. Wer im Immobilienportal Immonet im Internet Details eines Hauses oder einer Wohnung zum Kauf aufruft, bekommt gleich einen Finanzierungsrechner angezeigt. Die Monatsraten scheinen nicht nur für Gutverdiener stemmbar. Einen „Top-Zins“ von nur 1,72 Prozent bot der Baugeldvermittler Dr. Klein Mitte Juni für ein Darlehen mit fünf Jahren Zinsbindung.
Allen Beispielen ist gemeinsam, dass die anfänglichen Tilgungsraten bei 1 Prozent der Kreditsumme oder nur knapp darüber liegen. Gerade jetzt ist das aber nicht empfehlenswert – aus mehreren Gründen.
Eine zu hohe Summe ausleihen
Die Niedrigzinsphase macht es möglich, einen höheren Kredit als sonst aufzunehmen. Die maximal mögliche Darlehenssumme hängt von der Rate ab, die ein Antragsteller im Monat stemmen kann. Für Leute, die 1 000 Euro im Monat einsetzen können, errechnen sich bei 3 Prozent Zins und 1 Prozent Tilgung 300 000 Euro. Als die Zinsen, wie vor einigen Jahren, noch bei 5 Prozent lagen, waren es bei gleicher Tilgungsrate nur 200 000 Euro.
Ein halbes Jahrhundert zahlen

Die Kombination aus niedriger Tilgung und geringen Zinsen hat eine Konsequenz, die vielen paradox erscheint: Je niedriger die Zinsen, desto länger dauert es, bis ein Darlehen abgetragen ist (siehe Falle 2).
Wer eine Wohnung an der Dahme zu den Konditionen aus dem Plakatbeispiel finanziert, braucht rechnerisch gut 42 Jahre, bis die Bleibe schuldenfrei ist. Bei Zinsen um die 2,5 Prozent dauert es sogar ein halbes Jahrhundert. Da der letzte Euro vor Eintritt ins Rentenalter an die Bank fließen sollte, wäre es angebracht, nach dem Abi, spätestens aber mit Mitte 20 beim Notar den Kaufvertrag zu unterschreiben.
Meist haben erst Ältere genug gespart, um wenigstens die Nebenkosten bezahlen zu können – bei der Vierzimmerwohnung an der Dahme immerhin 45 000 Euro. Gerade in einer Niedrigzinsphase ist es sehr wichtig, höher zu tilgen und so die Zeit bis zur Abzahlung zu verkürzen. 2 Prozent sollte das Minimum sein. Das empfiehlt auch André Schlüter, Leiter der Unternehmenskommunikation bei Ziegert – Bank- und Immobilienconsulting, dem Vertrieb der Wohnungen an der Dahme.
Warum setzt Ziegert dann so wenig Tilgung und Eigenkapital an? Das solle den Vergleich von Kauf und Miete erleichtern, erklärt Schlüter. Es zeige, dass „auch Menschen mit geringem Vermögen“ bei hinreichendem Einkommen die Möglichkeit hätten, Eigentum zu erwerben. Entscheidend sei das Beratungsgespräch, „in dem wir gründlich über die Höhe der Restschuld und eventuelle Finanzierungsrisiken informieren“. Damit legt er selbst den Finger in die Wunde. Solche offensiven Finanzierungen auf Kante sind tückisch.
Den Anschluss vermasseln

Selbst wenn die Kreditrate der Miete entspricht, zahlen Käufer pro Monat mehr. Als Vermieter dürfen sie nicht die gesamten Betriebskosten auf die Mieter abwälzen. Als Eigennutzer müssen sie alles tragen.
Bei 3 Prozent Zins und 1 Prozent Tilgung für zehn Jahre sind erst zwölf Prozent der ursprünglichen Kreditsumme abgetragen, wenn die Anschlussfinanzierung ansteht. Die Gefahr ist groß, dass das Zinsniveau dann höher ist und die monatliche Belastung steigt.
Billige KfW-Zinsen verlieren
Sogar wenn das Zinsniveau gleich bleiben sollte, gibt es Schuldner, die mit einer steigenden Belastung rechnen müssen: jene, die mit einem geförderten KfW-Darlehen eine energieeffiziente Immobilie finanzieren. Die Förderzinsen liegen unter Marktniveau, weil die KfW-Bank Mittel vom Staat bekommt. „Diese Zinsverbilligung ist aber nur für die erste Zinsbindungsfrist von 10 Jahren gültig“, erklärt ein Sprecher der KfW. Eine Verlängerung biete sie zu Konditionen ohne Subvention an.
Den Fallen ausweichen
Damit ein Zinsanstieg die Baufinanzierer nicht umpustet, rechnen viele Banken einen Sicherheitspuffer ein, wenn sie Darlehen mit geringer Tilgungsrate vergeben. „Wir prüfen, ob die Kreditnehmer eine Belastung von 6 Prozent tragen könnten“, sagt Reinhard Klein, stellvertretender Vorstandssprecher der Hamburger Sparkasse. 2 Prozent Tilgung seien bei ihnen die Regel. Die Direktbank ING-DiBa berechnet, ob der Kunde 2 Prozent Tilgung tragen könnte. Solche Überschlagsrechnungen können alle Kreditinteressenten selbst anstellen oder den Berater darum bitten. Wird es eng, sollten sie das Vorhaben überdenken.
Ein Schutz ist auch eine möglichst lange Zinsbindungsfrist. Dafür verlangen die Banken etwas mehr. Trotzdem ist das attraktiv. Nach 15 oder 20 Jahren sind selbst bei geringen Tilgungsraten erkleckliche Teile des Kredits abgetragen.
Werden die Raten einer zu waghalsigen Finanzierung untragbar, kann es zu Notverkäufen kommen. Womöglich reicht der Erlös nicht einmal für den Restkredit. Dann zahlt der Schuldner weiter für den Wasserblick, genießt ihn aber nicht mehr.
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Kommentar vom Administrator gelöscht. Grund: Spam
Selbstverständlich darf die monatliche Belastung nicht so hoch gewählt werden, dass zu wenig Geld zum Leben oder für unvorhergesehene Ereignisse übrig bleibt. Es gibt aber eine einfache Lösung für Immobilienkäufer, die sich sorgen, dass sich eine hohe anfängliche Tilgungsrate auf Dauer als zu hoch erweisen könnte. Sie können einen Kredit mit Ratenwechsel abschließen, bei denen sie das Recht haben, den Tilgungssatz zu wechseln. (TK)
Der Kommentar von ketschi8 zeigt Ihnen auf, dass der Artikel zumindest irreführende Formulierungen enthielt. Ich hab noch eine: "Solche offensiven Finanzierungen auf Kante sind tückisch." Ich habe leider schon viel zu viele "auf Kante" genähte Finanzierungen gesehen. Deren Problem war aber stets, dass dort der Einsatz von zu viel Eigenkapital und eine zu hohe Tilgung die Familien in Liquiditätsnot brachte. Das wäre bei einer ausgewogeneren Finanzierung vermeidbar gewesen, auch unter Berücksichtigung kleinerer Tilgung und geringerer Eigenkapitalquote. Selbstverständlich sollte man das dort nicht gebundene Kapital weder auf den Kopf hauen noch fest anlegen. Offene Investmentfonds haben aber selbst im Tiefpunkt der schlechtesten Börsenphase 2003 auf 20 Jahre noch um die 6% p.a. gebracht. Da erscheint es mir nicht besonders spekulativ, parallel zu einem 20 J. Baudarlehen mit unter 4% Zinsen ein solid gestreutes und beobachtetes Aktien- und Mischfondsdepot aufzubauen. Liquidität rulez.
Kommentar vom Autor gelöscht.
@ketschi8: Bitte machen Sie sich eines klar. In dem Beispielsfall sind wir davon ausgegangen, dass sich die Bauherren (trotz) des niedrigen Zinsniveaus zu einer niedrigen Tilgung haben verleiten lassen, also auch geringere Raten zahlen als bei der höheren Tilgung. Die Balken zu den Tilgungen von 2 und 3% gehen also von einer höheren monatlichen Rate aus, die Darlehenssumme bleibt aber in allen drei Fällen gleich. Beispiel: Darlehenssumme 10000 Euro. Daraus ergibt sich bei 2% Zins und 1 % anfänglicher Tilgungsrate eine monatliche Rate von 250 Euro, bei 2 % anfänglicher Tilgungsrate 333,33, Euro und bei 3 % anfänglicher Tilgungsrate 416,67. Die entsprechenden monatlichen Raten bei 3 % Zins betragen 333,33 Euro, 416,67 Euro und 500 Euro. Bei 4 % Zins sind es 416,67 Euro, 500 Euro und 583,83 Euro und bei 5 % Zins 500 Euro, 583,83 Euro und 666,67 Euro. (maa)