Wer sich nach einem Unfall mit Kfz-Haftpflicht- oder Kaskoversicherung über die Schadenhöhe streitet, kann selbst einen Gutachter bestellen.
Auf Deutschlands Straßen kracht es fast fünf Mal in der Minute. Insgesamt 2,4 Millionen Verkehrsunfälle im Jahr registriert die Polizei. Oft sind nur kleinere Blechschäden die Folge, aber manchmal wird es richtig teuer.
Die für alle verpflichtende Kfz-Haftpflichtversicherung zahlt die Schäden des Unfallgegners, die Kaskoversicherung die Schäden am eigenen Fahrzeug.
Ob nun Geschädigter oder Unfallverursacher – beide hoffen, dass die Versicherung die Kosten übernimmt. Doch nicht immer ermittelt diese den erhofften Betrag.
Wer nicht mit der Summe einverstanden ist, die der Sachverständige der Versicherung errechnet, kann einen eigenen Gutachter beauftragen.
Sachverständiger muss neutral sein
Jeder hat Anspruch auf einen neutralen Sachverständigen, urteilte der Bundesgerichtshof (BGH) Ende 2014.
In dem Fall vor dem BGH war der Leiter der Schadensabteilung eines Versicherers als Sachverständiger aufgetreten und hatte die Kosten für den Schaden sehr niedrig angesetzt. Der Versicherungsnehmer wehrte sich – mit Erfolg. Er beauftragte einen freien Sachverständigen, der einen viel höheren Wert errechnete. Der BGH folgte dem zweiten Gutachten. Der Versicherer musste alle Kosten übernehmen.
Schickt der Versicherer einen Mitarbeiter, um ein Gutachten erstellen zu lassen, sollten Verbraucher also stutzig werden. Ein Versicherungsmitarbeiter darf kein Gutachter sein, entschied der Bundesgerichtshof (Az. IV ZR 281/14).
Es gibt zwar keine Garantie dafür, durch einen eigenen Sachverständigen einen höheren Schaden beim Versicherer geltend machen zu können. Bei größeren Schäden kann sich der Aufwand aber lohnen.
Kfz-Gutachter darf sich jeder nennen
Wer einen geeigneten Sachverständigen sucht, hat zunächst ein Problem: Kfz-Sachverständiger darf sich im Grunde jeder nennen. Die Bezeichnung ist gesetzlich nicht geschützt.
Allerdings müssen zum Beispiel die Mitglieder im Bundesverband der freiberuflichen und unabhängigen Sachverständigen (BVSK) ein Ingenieurstudium oder einen Kfz-Meistertitel vorweisen können. Wer einen freien Sachverständigen in seiner Nähe sucht, kann beim Bundesverband der freiberuflichen und unabhängigen Sachverständigen für das Kraftfahrzeugwesen (BVSK) einen passenden Gutachter finden.
Wer das Gutachten bezahlen muss
Im Kfz-Haftpflichtfall hat der Geschädigte ein Recht auf einen eigenen Sachverständigen, sobald es um mehr als Bagatellen geht. Deshalb muss der Versicherer des Gegners die Kosten für einen eigenen Gutachter dann vollständig übernehmen.
Eine Ausnahme gilt allerdings bei Teilschuld: Hat der Geschädigte den Unfall mitverschuldet, muss er sich auch an den Kosten beteiligen.
Bei Streit mit der eigenen Kaskoversicherung besteht das Risiko, im schlimmsten Fall ganz auf den Kosten für den Sachverständigen sitzen zu bleiben, wenn dieser im Sinne des Versicherers entscheidet.
Vorsicht bei Bagatellschaden
Auch wer bei einem Bagatellschaden im Kfz-Haftpflichtfall einen Gutachter bestellt, bleibt unter Umständen auf den Kosten sitzen. Denn für einen Kratzer im Lack ist kein teurer Sachverständiger nötig, so die Rechtsprechung.
Einen Schaden zwischen 500 und 900 Euro betrachten Gerichte in der Regel als Bagatelle. Zum Streit kommt es bei dieser Höhe seltener. Das Versicherungsunternehmen akzeptiert meist den Kostenvoranschlag der Kfz-Werkstatt.
Was ein Gutachten kostet
Wie viel ein Sachverständiger verlangen darf, ist nicht gesetzlich geregelt. In der Praxis orientiert er sich bei seinem Honorar an der Schadenhöhe: Die Spanne reicht dabei von 10 bis zu 40 Prozent des Schadens.
Der Gutachter sollte sich laut BGH grundsätzlich an den am Markt üblichen Preisen orientieren. Denn im Schadensfall ist jeder dazu verpflichtet, die Kosten möglichst gering zu halten.
Einen Anhaltspunkt bietet die Honorarbefragung des Sachverständigenverbands BVSK: Bei einem Schaden von 10 000 Euro verlangt die Mehrheit der Sachverständigen, die im BVSK organisiert sind, zwischen 777 und 846 Euro – und höchstens 1 085 Euro.
Dazu kommen noch Nebenkosten wie die Fahrtkosten: Um die 25 Euro nimmt der Gutachter in der Regel dafür, es können aber auch bis zu 64 Euro sein.
Vorsicht bei Abfindungsvergleich
Schlägt die gegnerische Kfz-Haftpflichtversicherung einen Vergleich vor, ist Vorsicht geboten. Selbst ein vermeintlich gutes oder sehr gutes Angebot hat nämlich einen Haken: Versicherte, die einen Abfindungsvergleich für die Kosten unterschreiben, erklären damit gleichzeitig, dass sie in Zukunft auf weitere Ansprüche verzichten.
Treten dann doch Spätfolgen durch den Unfall auf, wird es vor Gericht unter Umständen schwierig bis unmöglich, Ansprüche geltend zu machen.
Versicherung wechseln
Wer zunehmend unzufrieden mit seinem Versicherer ist, kann einen Wechsel erwägen. Ein Preisvergleich lohnt sich in jedem Jahr, da sich die Beiträge stark ändern. Leicht können 100 Euro oder mehr gespart werden. Der Preis einer Autoversicherung hängt aber von zahlreichen Faktoren ab. Persönlich zugeschnittene Angebote finden sich mithilfe dem Kfz-Versicherungsvergleich. Unsere Auswertung kostet 7,50 Euro.*
Streit mit der Kasko
Bei einem Streit mit der Teil- oder Vollkaskoversicherung über die Höhe der Schäden am eigenen Auto läuft es etwas anders als mit der Kfz-Haftpflicht.
Für diesen Streitfall gibt es das Sachverständigenverfahren, in dem beide Seiten festgelegte Regeln einhalten müssen.
Im sogenannten Sachverständigenverfahren verhandelt der Gutachter des Versicherers mit dem Sachverständigen des Versicherungsnehmers über die Schadenhöhe. Das Ergebnis dieses Verfahrens ist für beide Seiten bindend.
Das Verfahren birgt allerdings ein gewisses Risiko für den Versicherungsnehmer. Wer die Kosten für die Sachverständigen tragen muss, hängt vom Ausgang des Verfahrens ab.
Einigen sich die beiden Gutachter auf einen Kompromiss, müssen Versicherungsnehmer und Versicherer die Kosten anteilig tragen. Folgt dagegen ein Gutachter dem Urteil des anderen, muss unter Umständen der Versicherungsnehmer beide Sachverständige zahlen. Im besten Fall überzeugt der eigene Gutachter – und der Versicherer begleicht die Kosten.
Das Risiko, auf den Kosten sitzen zu bleiben, ist bei Streit mit der Kfz-Haftpflicht geringer.
*) Passage geändert am 29.4.2015.
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