So haben deutsche Gerichte bisher entschieden
In vielen Fällen haben Gerichte grobe Fahrlässigkeit bejaht, wie die folgenden Beispiele zeigen. Bei den Fällen vor 2009 durften die Versicherer die Entschädigung komplett streichen. In der Zeit danach durften sie im Regelfall lediglich ihre Entschädigung kürzen. Kunden, deren Police eine Verzichtsklausel enthält, hätten den vollen Schaden ersetzt bekommen.
Beispiele für grobe Fahrlässigkeit
- Erhebliche Überschreitung des Tempolimits, zum Beispiel Tempo 140 auf einer Bundestraße zusammen mit einem riskanten Überholmanöver (Oberlandesgericht Düsseldorf, Az. 4 U 198/99).
- Überholen an unübersichtlichen Stellen, erst recht auf feuchter Fahrbahn und bei Temperaturen um den Gefrierpunkt (Oberlandesgericht Düsseldorf, Az. 4 U 235/97).
- Liegenbleiben mit leerem Tank auf der Autobahn (Oberlandesgericht Hamm, Az. 27 U 55/93).
- Parken ohne eingelegten Gang und kräftig angezogene Handbremse (Oberlandesgericht Hamburg, Az. 14 U 112/04).
- Suche nach einer heruntergefallenen Zigarette, auch wenn man damit einen Brand vermeiden will (Landgericht Lüneburg, Az. 8 O 57/02).
- Nichtbeachten der Durchfahrtshöhe einer Brücke. Um 50 Prozent durfte die Versicherung kürzen, als der Fahrer eines Miet-Lkw gegen die Tunneldecke stieß (Landgericht Hagen, Az. 7 S 31/12).
- Während der Fahrt Papiere aus dem Handschuhfach nehmen (Oberlandesgericht Stuttgart, Az. 7 U 118/98).
- Einen Hund im Fußraum vorm Beifahrersitz mitfahren lassen (Oberlandesgericht Nürnberg, Az. 8 U 1482/93).
- Während einer Autobahnfahrt den Fahrersitz verstellen (Oberlandesgericht Saarbrücken, Az. 5 U 300/03).
- Während der Fahrt das Navi bedienen. Die nötigen Daten sind vor Fahrtbeginn einzugeben. Während der Fahrt dürfen nur die automatischen und selbsttätig angezeigten Informationen abgerufen werden. Dies steht ausdrücklich in der Gebrauchsanweisung vieler Navis, so das Landgericht Potsdam (Az. 6 O 32/09).
- Wer in eine überflutete Straßenunterführung hineinfährt, riskiert grob fahrlässig einen „Wasserschlag“. Der Ansaugstutzen, der meist einige Handbreit über dem Boden – bei vielen Pkw oberhalb der Stoßstangenlinie – montiert ist, saugt dann Wasser an statt Luft. Die Folge ist meist ein kapitaler Motorschaden. (Oberlandesgericht Frankfurt/Main, Az. 7 U 53/99).
Keine Fahrlässigkeit lag in diesen Fällen vor
- Ein Auto geriet am Beginn einer Ortschaft auf eine Verkehrsinsel, weil der Fahrer bei Tempo 50 durch die Bedienung des Autoradios abgelenkt war (Oberlandesgericht Nürnberg, Az. 8 U 4033/04).
- Schäden im Blech, nachdem das Auto bei Gewitter mit Sturm und Hagel unter eine Baumreihe abgestellt wurde (Amtsgericht Saarburg, Az. 5 C 94/06).
- Tempo 130 bei strömendem Regen auf der Autobahn hielt das Oberlandesgericht Hamm zwar für zu schnell, als ein Mercedesfahrer in einer großen Wasserlache wegen Aquaplanings die Kontrolle über das Auto verlor. Es galt aber kein Tempolimit (Az. 20 U 229/99).
- Instinktives Ausweichen statt einer Vollbremsung vor einem Reh. Allerdings hat der Fahrer ein Beweisproblem, wenn er das Reh umkurvt und erfolgreich eine Kollision vermeidet, danach aber im Graben landet. Wenn er dann nicht einmal einen Beifahrer hat oder andere Zeugen, die das Reh auf der Straße gesehen haben, wird es schwierig (Amtsgericht Lörrach, Az. 4 C 1368/13). Kleintieren wie Hase oder Fasan auszuweichen, ist hingegen im Regelfall grob fahrlässig.
Uneinheitliche Rechtssprechung
- Den Kfz-Schein im Auto aufzubewahren, hat das Oberlandesgericht Celle als grob fahrlässig bewertet, weil ein Dieb mit dem Schein leichter das Auto über die Grenze ins Ausland fahren kann (Az. 8 U 62/07). Doch diese Ansicht dürfte inzwischen überholt sein. Mehrere Oberlandesgerichte haben widersprochen – aus einem nahe liegenden Grund: Wenn der Schein von außen nicht sichtbar ist, zum Beispiel im Handschuhfach liegt, wissen Diebe gar nicht, dass er drinnen liegt. Beim Entschluss, das Auto zu klauen, spielt dieser Umstand also keine Rolle, meinte zum Beispiel das Oberlandesgericht Hamm. Der bestohlene Autobesitzer bekam daher den vollen Schaden ersetzt (Az. I-20 U 226/12). Den Schein im Auto zu lassen, ist gerade dann praktisch, wenn mehrere Fahrer den Wagen nutzen. Kann der Fahrer bei einer Polizeikontrolle das Papier nicht vorlegen, kostet das 10 Euro Bußgeld
- Unterwegs das Mobiltelefon in die Hand zu nehmen, ist dem Fahrer verboten. Ob dies gleich eine grobe Fahrlässigkeit darstellt, ist offen. Rechtsprechung gibt es dazu bisher kaum. Das Landgericht Frankfurt/Main hielt es für grob fahrlässig, dass ein Fahrer bei Tempo 120 auf der Autobahn einen Anruf abweisen wollte und bei der Suche nach der Taste einen Wohnanhänger rammte (Az. 2/23 O 506/00).
Lesen Sie auf der nächsten Seite:Mit Sommerreifen durch den Winter