Sie klingt ganz unscheinbar, aber auf diese Klausel sollten Autofahrer in Teilkasko und Vollkasko achten: „Wir verzichten auf die Einrede der groben Fahrlässigkeit.“ Das kann im Ernstfall Tausende Euro wert sein. test.de erklärt, was die Klausel bedeutet, welche Folgen sie für den Versicherten haben kann – und wie deutsche Gerichte in Streitfällen bisher entschieden haben.
Vollkasko half nicht
Nur ein kurzer Moment, schon war es passiert. Zwei Tourenradler hatten für einen Kurzurlaub an der Mosel ihre Velos auf den Dachgepäckträger des Autos montiert, nach Jahren zum ersten Mal wieder. Unterwegs wollten die beiden den Wagen in der Tiergarage eines Supermarktes parken – doch die Räder auf dem Dach hatten sie völlig vergessen. Der Schaden war teurer als der Urlaub, da half auch die Vollkaskopolice nicht. Obwohl es nur ein Moment der Unachtsamkeit war, winkte sie ab: „Grob fahrlässig“ schrieb der Versicherer und bekam Recht. Auch das Landgericht Hagen ließ die Zerstreutheit des Fahrers nicht als Augenblicksversagen durchgehen, das jedem mal passieren kann und daher zu entschuldigen wäre. Es kürzte die Entschädigung um 30 Prozent (Az. 7 S 21/13).
Klausel sichert die volle Entschädigung
Das wäre nicht passiert, wenn die Urlauber eine kleine Klausel im Vertrag gehabt hätten, die viele Kunden gar nicht beachten. Oft steht sie unter der Zwischenzeile „Grobe Fahrlässigkeit“ im Kleingedruckten, teils auch ausgerechnet unter „Nicht versichert“. Dort heißt es: „Wir verzichten auf den Einwand der grob fahrlässigen Herbeiführung des Schadens.“ Damit erklärt der Versicherer, dass er gar nicht erst die Diskussion beginnt, ob es nur ein Augenblicksversagen war, ob der Kunde schusselig war oder grob fahrlässig. Vielmehr gibt es auch in solchen Fällen die volle Entschädigung. Ohne die Klausel durfte die Versicherung früher die Zahlung komplett ablehnen. Seit 2009 muss sie im Regelfall zumindest anteilig zahlen, darf also ihre Leistung lediglich kürzen, je nachdem, wie schwer das Verschulden des Kunden wiegt – im Extremfall auf Null, zum Beispiel beim Überfahren einer roten Ampel.
Kein Schutz in alten Verträgen
In vielen neuen Tarifen ist die Verzichtsklausel mittlerweile Standard. Wo sie nicht enthalten ist, sollten Kunden fragen, ob sie dies gegen Aufpreis mitversichern können. Vor allem in älteren Verträgen fehlt die Klausel. Auch hier sollten Kunden den Versicherer bitten, dies nachträglich in den Leistungsumfang aufzunehmen. Die Verzichtsklausel greift in der Teilkasko und in der Vollkasko. Die Haftpflicht hingegen muss bei einem Unfall ohnehin zahlen, auch bei grober Fahrlässigkeit. Sie übernimmt aber nur den Schaden des Unfallopfers. Und sie darf anschließend den Unfallfahrer in Regress nehmen (Details finden Sie unter Regress: Wie viel der Versicherer zurückverlangen darf).
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Unentschuldbares Fehlverhalten
Was grob fahrlässig ist, definieren Gerichte so: Wenn jemand die übliche Sorgfalt in ungewöhnlich hohem Maß verletzt und sich nicht so verhält, wie es jedem als selbstverständlich einleuchten müsste (Bundesgerichtshof, Az. IV ZR 173/01). Gemeint ist ein unentschuldbares Fehlverhalten, ein kapitaler Fehler, den man spontan mit „Wie kann man nur!“ kommentieren würde.
In der Praxis häufig Streit mit dem Versicherer
Das klingt deutlich, lässt aber in der Praxis immer wieder Fragen offen. Ist es grob fahrlässig, im Regen auf der Autobahn mit Tempo 130 zu fahren, wenn die Reifen zwar schon ziemlich abgefahren sind, aber mehr Profil haben als die vorgeschriebenen 1,6 Millimeter? Ja, urteilte das Landgericht Itzehoe, obwohl nicht einmal eine Ordnungswidrigkeit vorlag. Der BMW-Fahrer war wegen Aquaplanings in der Böschung gelandet (Az. 3 O 153/00). Nein, entschied hingegen in einem anderen Fall das Landgericht Aschaffenburg, als ein Fahrer in die Leitplanken geriet, nachdem er einen Blick auf die Straßenkarte geworfen hatte, die seine Beifahrerin auf dem Schoß hielt. Das sei kein besonders schwerer Verstoß gegen die Sorgfaltspflichten (Az. 3 O 266/04).
Rote Ampel – immer grob fahrlässig
Vor allem rote Ampeln werden schnell mal übersehen. Das gilt im Regelfall als grob fahrlässig, egal ob es in voller Absicht oder nur aus Versehen geschah. Es ist auch unerheblich, ob es ein „einfacher“ Rotlichtverstoß war oder ein „qualifizierter“, also ob die Ampel weniger als eine Sekunde auf Rot stand oder länger. Nach einem Unfall droht immer eine Kürzung der Entschädigung auf Null. Wer dann nicht auf die Verzichtsklausel pochen kann, bekommt nichts. Allenfalls ist eine Teilentschädigung möglich, wenn besondere Umstände auftraten. Ein Fahrer, der von der Sonne geblendet wurde, musste nur 50 Prozent Kürzung hinnehmen (Az. 15 O 141/09). Ähnlich kann das an einer besonders unübersichtlichen Kreuzung sein, wenn der Autofahrer ortsfremd ist oder gestresst, weil andere dicht auffahren, drängeln oder hupen. Dasselbe gilt, wenn ein unbewusster Mitzieheffekt entstand, weil die Spur nebenan Grün bekam, die Ampel für die eigene Spur aber noch Rot zeigte. In Essen stoppte ein Autofahrer auf der mittleren Fahrspur. Als die Ampel für Rechtsabbieger auf Grün sprang, bezog er das versehentlich auf seine Spur und fuhr los. Seine Versicherung durfte nur um 50 Prozent kürzen (Amtsgericht Essen, Az. 135 C 209/09).
Stoppschild überfahren – oft grob fahrlässig
Auch das Überfahren eines Stoppschildes bedeutet häufig eine grobe Fahrlässigkeit. Anders kann das sein, wenn das Schild wegen eines dichten Baumbestandes übersehen werden konnte (Oberlandesgericht Hamm, Az. 20 U 125/92).
Vorsicht Sekundenschlaf
Am Steuer einzuschlafen, gehört zu den schwerwiegendsten Verkehrsverstößen überhaupt. Wer übermüdet fährt, handelt grob fahrlässig – jedenfalls, wenn er sich bewusst über Übermüdungsanzeichen hinwegsetzt (Bundesgerichtshof, Az. I ZR 166/04). Liegen keinerlei Anzeichen von Müdigkeit vor und der Fahrer schläft am Steuer ein, muss die Versicherung zahlen – auch ohne die Verzichtsklausel. Deshalb durfte eine Versicherung die Leistung nicht kürzen, als ein Autofahrer nach einem „Sekundenschlaf“ von der Fahrbahn abkam. Er hatte Pausen gemacht und musste nicht mit dem Einnicken rechnen (Oberlandesgericht Düsseldorf, Az. 1 U 73/01).
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@alle: Im großen Test der Autoversicherungen in Finanztest 11/14 finden Sie in der Tabelle zur Leistungsübersicht in der Spalte "Verzicht Grob fahrlässig" die Tarife mit einem schwarzen Quadrat gekennzeichnet, die die Zusatzleistung bieten. Es gibt auch günstige Tarife mit diesem Klauseln (maa)
Das fällt den Fachleuten aber frü auf !!! Diese Kleinigkeiten werden in den Novemberausgaben z.B. nicht berücksichtigt.....Hauptsache halt billig. Nix gegen Journalisten....aber Fachleute werden in vor den Tests wohl nicht befragt.