Interview: „Diese Intransparenz ist ein Unding“
Hermann Weinmann ist Professor für Versicherungsbetriebslehre an der Hochschule Ludwigshafen und analysiert seit Jahren, was Lebensversicherer mit dem Geld ihrer Kunden machen.
Lebensversicherung ist nicht nachvollziehbar

Versicherungsexperte Hermann Weinmann.
Viele Kunden verstehen ihren Vertrag, ihre Standmitteilungen und ihre Schlussabrechnung nicht. Ist die Lebensversicherung insgesamt zu kompliziert?
Mit der Deregulierung des Versicherungsmarktes im Jahr 1994 wurden sinnvolle, dem Verbraucherschutz dienende Standards abgeschafft. Diese Lücke haben die Unternehmen immer mehr genutzt, sodass es heute eine nie gekannte Intransparenz gibt. Aus Sicht eines bewusst entscheidenden und vergleichenden Kunden gibt es einen fast undurchdringlichen Wildwuchs. Die Lebensversicherung ist für den Kunden ohne versicherungsmathematisches Spezialwissen und ohne Unterstützung durch das einzelne Unternehmen nicht mehr nachvollziehbar.
Welche Konsequenzen muss dies haben?
Eine zielgenauere Regulierung! Die derzeitigen gesetzlichen Regelungen lösen die Probleme nicht. So stammt die Rechnungslegungsverordnung aus dem Jahr 1994 und ist längst nicht mehr auf der Höhe der Zeit. Sie muss neu gefasst werden, sodass der Kunde die Unternehmen besser vergleichen und auch Rückschlüsse auf sein Produkt ziehen kann.
Vermittlerprovisionen müssen gedeckelt werden
Welche Verbesserungen bei den Produkten sind notwendig, gerade bei den staatlich geförderten?
Wenn der Staat fördert, kann er auch fordern. Notwendig sind Kalkulationsvorgaben für Altersvorsorgeprodukte, die staatlich gefördert werden. Dazu gehört auch eine betriebswirtschaftlich sinnvolle Deckelung der Vermittlerprovisionen. Dies würde die Altersvorsorgeprodukte erheblich verbessern und auch den Vergleich erleichtern. Die Versicherer müssen auf gleichen Produkt- und Prämiengrundlagen in einen Wettbewerb um die Kunden eintreten. Für Kunden und Vermittler undurchschaubare „Produktinnovationen“ sollten tabu sein. Lebensversicherung bedeutet Daseinsvorsorge. Sie dient nicht dem Lifestyle.
Und was müsste die Branche noch tun?
Der Branchenverband GDV und der Berufsverband der Versicherungsmathematiker, die Deutsche Aktuarvereinigung, müssten strengere Regeln für ihre Mitglieder schaffen. Dazu gehört auch, dass sie Unternehmen, die sich nicht an Regeln halten, sanktionieren.
Kunden sind immer wieder unzufrieden mit dem nicht garantierten Teil ihrer Ablaufleistung. Wie kommt das?
Dass die Prognose der Überschussbeteiligung für den Einzelvertrag für bare Münze genommen wurde und die „Katastrophe“ der Niedrigzinsphase diese Erwartung zerstört hat, ist eine Seite. Die andere ist die unmissverständliche Information an den Verbraucher über die Überschussbeteiligung. Hier besteht noch erheblicher Nachholbedarf, auch im Hinblick auf die Bewertungsreserven. Die umfangreiche Berichterstattung zur Überschussbeteiligung in den Geschäftsberichten versteht kein normaler Kunde.
Verbraucher- und Expertenbeirat für Unternehmen
Wie bewerten Sie das?
Ein Verbraucher, der seine Lebensversicherung voll durchschauen möchte, ist chancenlos. Wenn ich das nur mit erheblicher Anstrengung verstehe, wie sollen das der Vermittler oder gar der Kunde verstehen? Diese absichtlich herbeigeführte Intransparenz ist ein Unding. Der Gesetzgeber muss die Rechnungslegungsverordnung so ändern, dass sie Vergleichbarkeit der Unternehmen ermöglicht. Der Großteil der Branche veröffentlicht im Hinblick auf die Vergleichbarkeit jetzt in den Geschäftsberichten nur das, was als Minimum vorgeschrieben ist. Zur Verbesserung der Transparenz schlage ich einen Kunden- und Expertenbeirat für jedes Unternehmen vor.