
Da fehlt doch was. Ein Teil der Auszahlungssumme, mit der Versicherte lange gerechnet haben, ist am Ende weg. © Getty Images / Sunyixun / MirageC
Die vielen Antworten auf unseren Leseraufruf zeigen: Die Auszahlung kann viel geringer sein als noch kurz zuvor vom Versicherer angekündigt. Was tun?
Viele Jahre oder gar Jahrzehnte Beiträge gezahlt – endlich steht die Belohnung an: Die private Rente oder Lebensversicherung wird ausgezahlt. Doch nicht immer ist die Freude über die ausgezahlte Summe ungetrübt, wie die Resonanz auf unseren Leseraufruf zeigt. Selbst im Vergleich zur letzten Standmitteilung, die nur wenige Monate vor Auszahlung bei Versicherten eintraf, fiel die Rente oder Kapitalzahlung oftmals geringer aus als angekündigt. Der Grund: Die Beteiligung an den sogenannten Bewertungsreserven ist drastisch zurückgegangen. Bewertungsreserven – auch stille Reserven genannt – entstehen, wenn der Marktwert einer Kapitalanlage des Versicherers über dem Anschaffungspreis liegt, etwa der Wert seiner Immobilien oder Anleihen gestiegen ist.
Unser Rat
Nachhaken. Fragen Sie bei Auszahlung Ihrer Lebensversicherung nach, warum Sie weniger Überschüsse erhalten als in Aussicht gestellt. Sie können dafür einen kostenlosen Musterbrief der Verbraucherzentrale Hamburg herunterladen.
Hilfe. Wenn Ihr Versicherer gar nicht oder nur unzureichend antwortet, wenden Sie sich an den Versicherungsombudsmann und die staatliche Versicherungsaufsicht Bafin. Diesen muss der Versicherer die Berechnung der Bewertungsreserven offenlegen. Sie bekommen dann Auskunft. Der Ombudsmann prüft die Berechnungen des Versicherers allerdings nur auf Plausibilität; er analysiert nicht die Unternehmensbilanz. Wenden Sie sich daher an beide Beschwerdeinstanzen.
Weniger als angekündigt
Die Bewertungsreserve ist eine der vier Quellen, aus denen zusätzlich Geld fließen und damit die garantierte Leistung steigern kann. Zugleich kann sie Quelle sein für Zufriedenheit oder Verdruss über die Auszahlung – wie bei Finanztest-Leser Rolf Wildförster, der sich einen Nachschlag sichern konnte:

Rolf Wildförster: „Erst auf Nachfrage hat die LV 1871 Unterstützungskasse die Auszahlung neu berechnet. Ich bekam dann noch eine Zahlung von knapp 890 Euro.“ © Joerg Sarbach
Gewiss ist: Die Bewertungsreserve ist die größte Unbekannte, wenn die Einzahlphase endet. „Black Box“ nennt das unser Leser Rolf Schemmer.
Dieser Vergleich stimmt. Versicherer betrachten die genaue Kalkulation der Bewertungsreserven für einen einzelnen Vertrag als Geschäftsgeheimnis. Nur wenn sich Kunden beim Versicherungsombudsmann oder der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) beschweren, bekommen diese eingeschalteten Stellen die Zahlen, prüfen die Berechnung und teilen das Ergebnis dann den Versicherten mit.
Schemmer ist wie Rolf Windförster und Arndt Marx einer von 96 Leserinnen und Lesern, die uns ihre Erfahrungen geschildert haben.
Reserve komplett entfallen
Arndt Marx schreibt uns über seinen Vertrag bei der Huk: „In der letzten Standmitteilung standen 2 025 Euro Beteiligung an den Bewertungsreserven.“ Bei der Auszahlung drei Monate später war die angekündigte Summe „komplett entfallen“.

Arndt Marx: „Bei der Auszahlung war die Beteiligung an den Bewertungsreserven komplett entfallen. Für mich hieß das über 2 000 Euro weniger als noch drei Monate zuvor prognostiziert.“ © Oliver Dietze
Diese Erfahrung hat auch Leserin Angela Rawald mit ihrem Versicherer VPV gemacht: In ihrer letzten Standmitteilung im August 2022 wurde eine Bewertungsreserve von 396 Euro aufgeführt. „Zum Auszahlungstermin erhielt ich am 28. November 2022 ein weiteres Schreiben, in dem die Bewertungsreserve plötzlich komplett wegfiel. In dem zweiten Schreiben wird darauf weder hingewiesen noch wird es begründet.“
Bei stillen Lasten gehen Kunden leer aus
Marx und Rawald fragten bei ihrer Versicherungsgesellschaft nach. Marx schaltete die Bundesfinanzaufsicht ein, erst dann habe die Huk reagiert. Entscheidend sind die Reserven zur Zeit der Auszahlung. Liegt der Marktwert der Anlagen unter dem Anschaffungspreis, hat der Versicherer stille Lasten. Dann gibt es nichts. Kunden sollten die angekündigten Reserven in den Standmitteilungen vergangener Jahre also nicht für bare Münze nehmen.
Reserven können stark schwanken
Auf unsere Frage nach Schwankungen der Reserven innerhalb weniger Monate antwortete Bafin-Sprecher Norbert Pieper: „Es stimmt, dass Bewertungsreserven innerhalb kurzer Zeit stark schwanken können.“ Schwankungen seien jedoch „mitnichten der Regelfall, sondern den Marktgegebenheiten geschuldet, etwa der Zinsentwicklung.“
Warum die Reserven momentan sinken, erklärt Pieper so: „Die Lebensversicherer investieren einen nicht unerheblichen Teil ihrer Kapitalanlagen in lang laufende festverzinsliche Wertpapiere, deren Marktwerte stark von den Kapitalmarktzinsen abhängen. Der deutliche Zinsanstieg im letzten Jahr hat bei diesen Kapitalanlagen zu einem erheblichen Rückgang der Marktwerte geführt.“
Minus von 97 Milliarden Euro
Die Bafin-Statistik spiegelt dies wider: Im dritten Quartal 2020 hatten alle Lebensversicherer zusammen 204,1 Milliarden Euro Bewertungsreserven. Zwei Jahre später – im dritten Quartal 2022 – stand dort ein Minus von 97 Milliarden Euro. Statt stiller Reserven hatten die Versicherer stille Lasten.
Versicherte, deren Verträge vorher fällig wurden, hatten eine größere Aussicht auf eine Beteiligung an den Reserven als diejenigen, deren Vertrag Ende 2022 ausgelaufen ist. Die Reserven in den Standmitteilungen vergangener Jahre sind keine garantierte Leistung. Nur diese ist gewiss. In Standmitteilungen muss daher stehen, welcher Teil der Leistung garantiert ist und welcher nicht.
Auf das Ende kommt es an
Bei den Reserven kommt es auf das Vertragsende an und auf die Finanzkraft des Versicherers zu diesem Zeitpunkt. Ob er Reserven hat und wie hoch diese sind, muss er in seinem Geschäftsbericht veröffentlichen. Wann genau das Unternehmen die Reserven bei der Auszahlung zuteilt, ist in den Versicherungsbedingungen geregelt, erklärt Bafin-Sprecher Pieper: „Der Versicherer kann sich nicht etwa einen beliebigen Zeitpunkt aussuchen.“
Tipp: Fragen Sie Ihren Versicherer, wie hoch seine Reserven zum Zeitpunkt der Vertragsauszahlung waren und warum Ihr Anteil daran nur gering ist. Beschweren Sie sich, wenn er ausweichend oder gar nicht antwortet. Ihre Ansprüche verjähren drei Jahre nach Vertragsende. Ihre Verträge wurden nach Februar 2020 fällig? Dann können Sie noch Ansprüche geltend machen.
Versicherte müssen beteiligt werden
Seit 2008 müssen Lebensversicherer ihre Kunden mit 50 Prozent an den Bewertungsreserven beteiligen. Dies gilt nicht nur für Kapitallebens- und private Rentenversicherungen, sondern auch für Riester- und Rürup-Rentenversicherungen sowie für von Versicherern angebotene Direktversicherungen, Pensions- und Unterstützungskassen für die betriebliche Altersvorsorge. Das ist gerecht, denn die Reserven wurden vor allem Dank der Beiträge der Kunden aufgebaut.
Sicherungsbedarf für ältere Verträge
Doch seit 2014 gibt es eine Einschränkung: Versicherer dürfen einen Sicherungsbedarf zurückhalten, um die garantierte Verzinsung von bis zu 4 Prozent für ältere Verträge finanzieren zu können.
Das hält der Bund der Versicherten (BdV) für nicht angemessen: Versicherer sollten vielmehr eine finanzielle Schieflage „hinreichend und nachprüfbar belegen“ müssen und Leistungen nicht streichen dürfen, „ohne Rechenschaft ablegen zu müssen“. Per Verfassungsbeschwerde will der Versichertenbund nun erreichen, dass Kunden stets angemessen an den Bewertungsreserven beteiligt und genau informiert werden.
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@spectre66: Der BGH hat die Revision des Klägers gegen das Urteil des OLG Stuttgart vom 14.11.2019 - 7 U 12/18 zurückgewiesen. Damit ist das Verfahren vor dem BGH zu Ungunsten des Versicherten ausgegangen.
www.bundesgerichtshof.de Entscheidungen Suche IV ZR 318/19
Die Gewinnabführung an den Mutterkonzern ist anderes zu behandeln als die Ausschüttung an Aktionäre. Für die Gewinnabführung gilt nicht das Verbot der Ausschüttung des Bilanzgewinnes. Der Versicherer darf zugleich gewinne an den Mutterkonzern abführen und zu Lasten der an den Bewertungsreserven zu beteiligenden Kunden einen Sicherungsbedarf für die Garantien der Altverträge einbehalten. (maa)
Ich muss bezüglich der Angabe nicht gezahlter Schlussüberschussbeteiligung und Beteiligung an den Bewertungsreserven zurückrudern. Diese (zwar recht überschaubaren) Zahlungen sind in der gezahlten garantierten Überschussbeteiligung enthalten und wurden in einem Nachsatz aber jeweils gesondert mit den entsprechenden Beträgen ausgewiesen.
@spectre66: Der Rechtsstreit ist noch nicht abschließend beendet. Das Urteil des OLG ging zugunsten der Allianz aus. Das OLG hat die Revision zum BGH zugelassen, die dort unter dem Aktenzeichen IV ZR 318/19 anhängig ist. (maa)
Wurde das in der zweiten Hälfte 2019 erwartete Urteil des Oberlandesgerichts bezüglich höherer Beteiligung an den Bewertungsreserven der Allianz zwischenzeitlich gesprochen? Mein Mann hat nach 31 Jahren treuer Ansparzeit zum 1.11. seine Lebensversicherung bei der Allianz ausbezahlt bekommen. Von der in 1989 prognostizierten Ablaufleistung sind noch ca. 63% übrig geblieben, Schlussüberschussbeteiligung und Beteiligung an der Bewertungsreserven gab es gar keine. Aber Hauptsache die Allianz kann sich im III. Quartal 20 über Rekordgewinne freuen... Da kommt man sich ganz schön betrogen vor!
@loosy8: Überschussanteile, die dem Vertrag in vergangenen Jahren gutgeschrieben wurden, fallen in den Deckungsstock des Vertrages und sind in der Zukunft mit dem Garantiezins zu verzinsen. Lässt sich ein Kunde diese Überschussanteile aus dem Deckungsstock auszahlen, fallen diese (und deren Renditen in der Zukunft) aus dem zu garantierenden Kapital heraus. (maa)