
Lange gespart, endlich fließt Geld. Doch viele Kunden sind enttäuscht, wenn sie nach Jahren des Sparens ihre Schlussabrechnung ansehen. Die Finanzexperten der Stiftung Warentest erklären, warum die Auszahlung oft weit unter der Prognose von einst liegt – und wann es sich für Kunden lohnt, bei ihrer Lebensversicherung nachzuhaken.
Wenn der „mögliche“ Schlussüberschuss immer weiter sinkt
Michael Wenzel hat 29 Jahre lang eingezahlt – in eine Kapitallebensversicherung der Provinzial Nordwest. Doch mit der ausgezahlten Summe ist er nicht zufrieden; sie ist geringer als vorhergesagt. Beim Abschluss 1988 bekam der heute 61-Jährige mit 3,5 Prozent einen guten Garantiezins – also einen guten Zins auf seine Spareinlagen nach Abzug von Kosten. Heute gibt es für neue Verträge nur 0,9 Prozent. Doch der Wenzel in früheren Standmitteilungen in Aussicht gestellte „mögliche“ Schlussüberschuss sank im Vertragsverlauf um mehrere Tausend Euro – bis auf null am Vertragsende. So wie Wenzel sind viele Kunden enttäuscht, wenn sie nach Jahren des Sparens ihre Schlussabrechnung ansehen.
Unser Rat
- Laufender Vertrag.
- Haben Sie bereits einen Vertrag, halten Sie ihn durch. Wenn er länger als fünf Jahre läuft, sind meist die Abschlusskosten bezahlt und es fließt mehr von Ihrem Beitrag in Ihren Spartopf.
- Auszahlung.
- Wenn Ihr Vertrag abgelaufen ist und der Versicherer Ihnen Ihre Beteiligung an den Bewertungsreserven nicht darlegt, verlangen Sie Aufklärung. Berufen Sie sich dabei auf das Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 27. Juni 2018 (Az. IV ZR 201/17).
- Beschwerde.
- Informiert der Versicherer dann nicht, wenden Sie sich an Ombudsmann und Bundesfinanzaufsicht. Geprüft wird etwa, ob der Zeitpunkt der Beteiligung an Reserven korrekt ist.
- Vertragsprüfung.
- Sie können Ihren Vertrag von der Verbraucherzentrale Hamburg prüfen lassen. Dies kostet 85 Euro. Sie prüft unter anderem, ob die Rendite plausibel ist.
- Klage.
- Hat Ihre Beschwerde keinen Erfolg und haben Sie eine Rechtsschutzversicherung, verklagen Sie Ihren Versicherer. Das oben erwähnte BGH-Urteil ermutigt dazu. Selbst wenn die Bafin nach einer Beschwerde „keine Anhaltspunkte“ für eine Falschberechnung sehe, stehe dies „einem Anspruch des Klägers auf Überprüfung in einem zivilrechtlichen Verfahren nicht entgegen“, so der BGH.
- Neuer Vertrag.
- Schließen Sie zur Altersvorsorge keine Kapitallebensversicherung und keine der neu angebotenen privaten Rentenversicherungen mit abgesenkten Garantien ab („Neue Klassik“ und Indexpolicen). Sie erfahren nicht, wie viel vom Beitrag wirklich gespart wird. Außerdem ist die bei Vertragsschluss garantierte Leistung zu niedrig. Mehr in unserem Test Private Rentenversicherung: Neue Verträge bieten weniger Schutz.
Nur auf Garantieleistung bauen
Die Lebensversicherung ist eine komplizierte Anlageform. In ursprünglichen Berechnungen und jährlichen Mitteilungen informiert ein Versicherer über eine mögliche Auszahlungssumme. Sie setzt sich aus mehreren Teilen zusammen: der garantierten Leistung, der Überschussbeteiligung und eventuell noch Schlussüberschüssen und Bewertungsreserven (siehe Grafik).


Jede Standmitteilung sieht anders aus
Kunden können auf einen Blick oft nicht erkennen, welche Bestandteile sicher sind und worauf sie überhaupt Anspruch haben. Dazu kommt: Jede Standmitteilung sieht anders aus, längst nicht überall sind alle Teile einzeln aufgeschlüsselt. Überschüsse sind aber in jedem Fall ungewiss. Dies gilt für eine Kapitallebensversicherung ebenso wie für eine private Rentenversicherung, Riester- oder Rürup-Rentenversicherung.
Streit über Beteiligung an Bewertungsreserven
Außer Enttäuschung über eine geringe Überschussbeteiligung gibt es auch Streit zwischen Versicherern und Kunden über die Beteiligung an den Bewertungsreserven. Sie entstehen, wenn der Marktwert einer Kapitalanlage des Versicherers über dem Anschaffungspreis liegt – wenn also der Wert der mit dem Kundengeld erworbenen Immobilien, Aktienanlagen oder Zinspapiere gestiegen ist.
Schlussüberschuss „zum Ausgleich“ gestrichen
Michael Wenzel ist doppelt betroffen: Er bekam weniger Überschussbeteiligung und sein Anteil an den Bewertungsreserven wurde um 10 Prozent gekürzt. Hintergrund: Versicherer haben immer den Gesamtbestand aller Kunden im Blick. So auch bei Wenzels Provinzial Nordwest. Das Unternehmen hatte die laufende Verzinsung, also die Summe aus garantiertem Zins und Zinsgewinnanteil, für den Durchschnitt aller Verträge für das Jahr 2017 – Wenzels Vertragsende – auf 2,25 Prozent festgelegt. Auch in den Jahren davor war Wenzels Garantiezins von 3,5 Prozent besser als die vom Versicherer festgelegte laufende Verzinsung. Bittere Konsequenz für Wenzel: Weil seine Garantie höher war, strich ihm die Provinzial Nordwest „zum Ausgleich“, so ihre lapidare Begründung, den Schlussüberschuss und kürzte ihm die Beteiligung an den Bewertungsreserven. Diese Einschnitte macht das Unternehmen, um seine Garantieversprechen für Altkunden zu erfüllen.
Abrechnungen intransparent
Weiteres Ärgernis ist die Intransparenz bis zum Schluss: Wie viel aus der jeweiligen Überschussquelle an den einzelnen Kunden fließt, schlüsselt der Versicherer nicht auf. Für die Gesamtheit aller Kunden gibt es dazu Angaben im Geschäftsbericht. Sie versteht aber „kein normaler Kunde“, sagt Versicherungsexperte Hermann Weinmann (Interview). Viele Finanztest-Leser sind mit ihrem Anteil an den Bewertungsreserven und der Information des Versicherers darüber nicht zufrieden. So klagt Finanztest-Leserin Doris Ruhig, die Mitteilung der Hannoversche Leben zu ihrer Ablaufleistung sei „keine transparente Abrechnung“. Petra Reuter bemängelt, die Huk Lebensversicherung habe nur die Versicherungssumme und die gesamten Überschussanteile genannt, jedoch „keine weiteren Aufschlüsselungen“ – auch nicht über die Bewertungsreserven.
Hilfe vom Bundesgerichtshof
Immer wieder fragen Kunden bei Versicherern nach ihrer Beteiligung an den Bewertungsreserven. Wenzel wandte sich zudem an die Versicherungsaufsicht Bafin. In seinem Fall war das vergeblich, doch andere Kunden waren dort erfolgreich. Mittlerweile wird der Streit zwischen Versicherern und Verbrauchern auch vor Gericht ausgetragen. Der Bundesgerichtshof (BGH) erklärte die seit 2014 geltende Kürzung der Bewertungsreserven aus festverzinslichen Wertpapieren zwar für rechtens. Doch die beklagte Versicherungsgesellschaft, die zum Ergo-Konzern gehörende Victoria, müsse begründen, weshalb sie die Auszahlung kürzt und warum der Kunde weniger Bewertungsreserven bekommt. Dieses Urteil ist für Kunden ein guter Hebel, um vom Versicherer eine transparente und nachvollziehbare Schlussabrechnung zu verlangen.
Landgericht Stuttgart spricht Allianz-Kunden höhere Beteiligung zu
Ferner hat das Landgericht Stuttgart einem Allianz-Kunden eine viel höhere Beteiligung an den Bewertungsreserven zugesprochen, als ihm der Versicherer ausgezahlt hat. Wenn der Versicherer Gewinne an den Mutterkonzern oder an Aktionäre abführe, dürfe er keinen „Sicherungsbedarf“ für die hohen Garantien der Altverträge einbehalten – auf Kosten der Beteiligung der Kunden an den Bewertungsreserven. Die Allianz prozessiert jedoch vor dem Oberlandesgericht weiter. Das Urteil wird in der zweiten Hälfte 2019 erwartet.
Steigende Gewinne bei Lebensversicherern
Lebensversicherer haben im Jahr 2017 mehr als 1,5 Milliarden Euro Gewinn an ihre Muttergesellschaften überwiesen, so die Bundesregierung. Fünf Jahre zuvor, im Jahr 2012, waren es knapp 364 Millionen Euro. In jedem Fall ist es Geld, das den Kunden bei der Ablaufleistung fehlt.
Leseraufruf: Schreiben Sie der Stiftung Warentest!
Haben Sie Hinweise oder Informationen zum Thema? Schicken Sie uns bitte eine E-Mail an bewertungsreserven@stiftung-warentest.de.
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@spectre66: Der BGH hat die Revision des Klägers gegen das Urteil des OLG Stuttgart vom 14.11.2019 - 7 U 12/18 zurückgewiesen. Damit ist das Verfahren vor dem BGH zu Ungunsten des Versicherten ausgegangen.
www.bundesgerichtshof.de Entscheidungen Suche IV ZR 318/19
Die Gewinnabführung an den Mutterkonzern ist anderes zu behandeln als die Ausschüttung an Aktionäre. Für die Gewinnabführung gilt nicht das Verbot der Ausschüttung des Bilanzgewinnes. Der Versicherer darf zugleich gewinne an den Mutterkonzern abführen und zu Lasten der an den Bewertungsreserven zu beteiligenden Kunden einen Sicherungsbedarf für die Garantien der Altverträge einbehalten. (maa)
Ich muss bezüglich der Angabe nicht gezahlter Schlussüberschussbeteiligung und Beteiligung an den Bewertungsreserven zurückrudern. Diese (zwar recht überschaubaren) Zahlungen sind in der gezahlten garantierten Überschussbeteiligung enthalten und wurden in einem Nachsatz aber jeweils gesondert mit den entsprechenden Beträgen ausgewiesen.
@spectre66: Der Rechtsstreit ist noch nicht abschließend beendet. Das Urteil des OLG ging zugunsten der Allianz aus. Das OLG hat die Revision zum BGH zugelassen, die dort unter dem Aktenzeichen IV ZR 318/19 anhängig ist. (maa)
Wurde das in der zweiten Hälfte 2019 erwartete Urteil des Oberlandesgerichts bezüglich höherer Beteiligung an den Bewertungsreserven der Allianz zwischenzeitlich gesprochen? Mein Mann hat nach 31 Jahren treuer Ansparzeit zum 1.11. seine Lebensversicherung bei der Allianz ausbezahlt bekommen. Von der in 1989 prognostizierten Ablaufleistung sind noch ca. 63% übrig geblieben, Schlussüberschussbeteiligung und Beteiligung an der Bewertungsreserven gab es gar keine. Aber Hauptsache die Allianz kann sich im III. Quartal 20 über Rekordgewinne freuen... Da kommt man sich ganz schön betrogen vor!
@loosy8: Überschussanteile, die dem Vertrag in vergangenen Jahren gutgeschrieben wurden, fallen in den Deckungsstock des Vertrages und sind in der Zukunft mit dem Garantiezins zu verzinsen. Lässt sich ein Kunde diese Überschussanteile aus dem Deckungsstock auszahlen, fallen diese (und deren Renditen in der Zukunft) aus dem zu garantierenden Kapital heraus. (maa)