
Die Austauschschüler wünschen sich ein unvergessliches Jahr mit viel Spaß und neuen Freunden. © Getty Images / OJO Images
Mehr als 16 000 deutsche Schüler verbringen Monate oder sogar ein ganzes Schuljahr im Ausland. Veranstalter wie Stepin, AFS oder Ayusa organisieren Flug, Schulbesuch und Gastfamilie. Bitter für die Jugendlichen: Die meisten laufenden Programme sind vorzeitig abgebrochen worden. Außerdem ist ungewiss, ob Aufenthalte ab Sommer 2020 überhaupt stattfinden können. Viele fragen sich jetzt: Wie sollen wir uns verhalten? Was sind meine Rechte?
Geplante Abreise nach Kanada: Sommer 2020
Jahr für Jahr fiebern viele tausend Schüler ihrem Gastschulaufenthalt in den USA, Kanada, Irland, Australien oder Neuseeland entgegen. Sie besuchen dort mehrere Monate oder ein ganzes Schuljahr eine High School. Eine von ihnen ist die 15-jährige Anna D. aus Berlin. Sie möchte ab Sommer 2020 für zehn Monate in der kanadischen Atlantikprovinz Nova Scotia zur Schule gehen und in einer Gastfamilie wohnen. Etwa 15 000 Euro werden ihre Eltern bis zur Abreise für die Schule, den Flug und die Gastfamilie an die Austausch-Organisation überweisen.
Geld zurück bei Reisewarnung oder Einreisestopp
Annas Eltern haben den zehnmonatigen Aufenthalt bei Stepin gebucht, einem Veranstalter aus Düsseldorf. “Ich habe vom Krisenmanagement der Organisationen bisher einen guten Eindruck”, sagt ihre Mutter Daniela D.
Sie hat eine Mail von Stepin zum Stand der Planung erhalten. Auf der Internetseite gibt es außerdem aktuelle Informationen, für den Fall, dass Anna wegen eines kanadischen Einreisestopps nicht am Programm teilnehmen kann, oder das Auswärtige Amts die Reiserwarnung bis zum Zeitpunkt der Reise verlängert. Sie gilt als Indiz dafür, dass “unvermeidbare und außergewöhnliche Umstände” in der Zielregion herrschen. In diesem Fall dürften Annas Eltern gemäß Pauschalreiserecht kostenfrei vom Vertrag zurücktreten. Dies müssten sie Stepin per Brief mitteilen (hier hilft ein Musterbrief der Verbrauchzentralen), es denn die Organisation beendet den Vertrag von sich aus und kommt auf Annas Eltern zu.
Rückzahlung innerhalb von 14 Tagen
Den Reisepreis müsste Annas Familie von Stepin unverzüglich wiederbekommen, spätestens jedoch innerhalb von 14 Tagen nach dem Rücktritt. Schadenersatz steht ihnen aber nicht zu. Manche Veranstalter bieten Gutscheine an, die die Kunden aber nicht akzeptieren müssen. Es gibt zwar einen Gutschein-Vorschlag der Bundesregierung, dem aber die EU-Kommission zustimmen müsste.
Aktuell sieht es nicht so aus, als ob Gutscheine verpflichtend eingeführt werden. Stepin schreibt auf seiner Internetseite: „Sollte die weltweite Reisewarnung länger andauern, sprechen Sie uns bitte zu den Möglichkeiten einer Verschiebung des Programms an“. „Für uns ist das keine Alternative“, sagt Annas Mutter. Würde Anna ihr Gastschuljahr um ein Jahr verschieben, müsste sie ihre Leistungskurse zwischen der 11. und 12. Klasse unterbrechen. Auch eine Stornierung ist für sie keine Option.
Je früher Eltern stornieren, desto günstiger ist es
Manche Eltern überlegen jedoch die Buchung zu stornieren, weil sie vor der Pandemie gebucht haben und nun nicht mehr möchten, dass ihr Kind länger im Ausland ist. In diesem Fall müssen sie Stornokosten bezahlen, oft in Höhe der Anzahlung von 10 bis 20 Prozent des Reisepreises. Pauschale Stornoquoten in dieser Höhe nennen viele Veranstalter in ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen.
Grundsätzlich gilt: Je früher Reisende vom Vertrag zurücktreten, desto geringer sind die Stornokosten. Gesetzlich geregelt ist ihre Höhe nicht.
Welche Stornoquoten angemessen sind
Die Berliner Rechtsanwältin Cornelia Ziervogel sagt zur Höhe der Stornokosten: „Der Bundesgerichthof hat Anzahlungen von 20 Prozent des Reisepreises als angemessen bewertet. Im Umkehrschluss kann man eine Stornopauschale von 20 Prozent als gerechtfertigt bewerten, wenn der Kunde mehrere Monate vor dem Reisetermin zurücktritt. Höhere Stornopauschalen müssen Kunden nur im Ausnahmefall akzeptieren und auch nur dann, wenn dem Reiseveranstalter bis zur Stornierung tatsächlich höhere Kosten entstanden sind und er dies auch belegen kann.“
Ob Eltern möglicherweise die Stornogebühren zurückfordern können, wenn die Corona-Pandemie und ihre Auswirkungen bis zum Reisebeginn anhalten, ist unter Juristen umstritten (siehe unser Special Corona und Reiserecht).
Erst einmal gilt: Verträge sind einzuhalten
Das Gastschuljahr muss vor dem Start ins Ausland komplett bezahlt werden, meistens in drei Raten. Annas nächste Rate, immerhin 40 Prozent des Gesamtpreises, wäre Anfang Juli fällig. Doch muss sie angesichts der Corona-Pandemie überhaupt bezahlt werden? “Ja”, sagt die Rechtsanwältin Ziervogel: “Verträge sind einzuhalten.“ Die Raten müssen so lange gezahlt werden, bis klar ist, dass die Reise wegen der Corona-Pandemie nicht durchführbar ist und eine Reisewarnung des Auswärtigen Amtes für den konkreten Reisetermin vorliegt oder ein Einreisestopp des Ziellandes.
Erst wenn dies zum Reisetermin der Fall sein sollte, könnten Annas Eltern die Zahlungen aussetzen und der Veranstalter müsste den kompletten Reisepreis zurückzahlen. Nach Ansicht von einigen Rechtsexperten und Verbraucherzentralen könnten sich Eltern auf die „Unsicherheitseinrede“ berufen und weitere Zahlungen aussetzen. Sie empfehlen dies aber ausschließlich Kunden mit einer Rechtsschutzversicherung oder solchen, die sich rechtlich beraten lassen (siehe unser Special Corona und Reiserecht).
Wenn der Veranstalter die Krise nicht übersteht
Annas Eltern und alle anderen, die ihre Raten weiterhin zahlen, fragen sich: Was passiert mit meinem Geld, wenn der Veranstalter pleite geht? Veranstalter von Gastschulaufenthalten sind gesetzlich verpflichtet, Kundengelder für den Fall einer Insolvenz zu versichern. Ob dies der Fall ist, sehen Annas Eltern am Sicherungsschein, den sie mit der Buchungsbestätigung erhalten haben. Die ausgebende Versicherung würde im Falle des Falles Kundengelder von allen versicherten Unternehmen bis zu einer Gesamtsumme von 110 Millionen Euro erstatten. Bei der Pleite der deutschen Tochterunternehmen von Thomas-Cook reichte diese Summe jedoch nicht aus. In diesem Fall sprang der Staat ein.
Geld zurück wegen mangelnder Vorbereitung
Eine Besonderheit für Gastschulaufenthalte ist im Bürgerlichen Gesetzbuches geregelt. Annas Eltern können auch kostenfrei von der Reise zurücktreten, wenn der Veranstalter Anna nicht angemessen auf das High-School-Jahr vorbereitet. Dies wäre etwa der Fall, wenn ihnen Stepin nicht bis 14 Tage vor Reisebeginn mindestens Name und Anschrift der Gastfamilie nennt. „Bei einigen Veranstaltern fehlt diese Information in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB)“, sagt Barbara Engler von der gemeinnützigen Aktion Bildungsinformation e.V.. Der Verein schreibt Veranstalter bei Verstößen in den Teilnahmebedingungen an, mahnt sie auch ab und berät Eltern bei der Programmauswahl.
Reiserücktrittsversicherung zahlt nicht bei generellen Krisen
Annas Mutter Daniela sagt: “Wir haben gleich nach der Buchung eine Reiserücktritt- und Abbruchversicherung bei der Würzburger Versicherung abgeschlossen.” Diese Versicherung erstattet die Stornokosten, wenn Anna aufgrund einer Krankheit nicht reisen kann. Die Versicherung, sie gehörte zu den Testsiegern in unserem Vergleich Reiserücktrittsversicherung, würde auch einspringen, wenn Anna kurz vor der Reise am Corona-Virus erkranken würde.
Einige Versicherer schließen Erkrankungen infolge einer Pandemie aus. Würde sich Anna doch kurzfristig gegen das Auslandjahr entscheiden, zum Beispiel, weil ihr mögliche behördliche Anordnungen vor Ort zu streng sind, weil es eine Quarantäne- und Maskenpflicht gibt, Sportmöglichkeiten eingeschränkt sind oder nur stundenweiser Schulunterricht stattfindet, zahlt die Reiserücktrittsversicherung nicht. Falls dies erst im Laufe des Schuljahrs der Fall sein sollte, gilt das auch für ihre Reiseabbruchversicherung.
Viele mussten ihr Auslandjahr schon abbrechen
Expertin Engler erhält derzeit Anfragen von Eltern, deren Kinder ihr Gastschuljahr wegen der Pandemie abbrechen mussten und inzwischen wieder zu Hause sind. Manche haben fast drei Monate ihres Gastschuljahres verloren. Der Veranstalter muss ihnen nicht in Anspruch genommene Leistungen – sogenannte ersparte Aufwendungen – erstatten. Ob sie außerdem noch Schadenersatz verlangen dürfen, zum Beispiel wegen hoher zusätzlicher Kosten für den Rückflug, hängt davon ab, wie eingeschränkt ihr Alltag vor Ort war.
„Nur ein ungutes Gefühl reicht nicht aus”, sagt Engler. „Zum Zeitpunkt der Abreise muss es vor Ort erhebliche Einschränkungen im öffentlichen Leben gegeben haben, wie geschlossene Schulen, oder die Gastfamilie hat es abgelehnt, zu Pandemie-Zeiten weiterhin Verantwortung für das Gastkind zu übernehmen“, sagt sie. Sehr viel Geld wird es wohl nicht zurück geben. „Möglich wäre vielleicht die Rückerstattung nicht in Anspruch genommener Versicherungsleistungen des Gastlandes oder monatliche Zahlungen an die Gastfamilie”, so Anwältin Ziervogel. Sie rät zu einer einvernehmlichen Lösung mit dem Veranstalter, weil es für den Fall einer Pandemie noch keine Rechtsprechung gibt.
Immer noch Angebote für das Schuljahr 20/21
Babara Engler beobachtet, dass es immer noch Veranstalter gibt, die weiterhin Gastschulaufenthalte für das kommende Schuljahr anbieten. „Das ist riskant“, sagt sie. „Keiner weiß, welche Einschränkungen im Gastland Ende August noch gelten oder ob überhaupt genügend Gastfamilien gefunden werden.“. Von einer Buchung für Sommer oder Herbst ist daher abzuraten.
Tipp: Normalerweise werden die Schülerinnen und Schüler für das Gastschuljahr von ihren Heimatschulen beurlaubt. Der Deutsche Fachverband High School e.V. (DFH) hat eine Übersicht, über die rechtliche Situation in den einzelnen Bundesländern ins Netz gestellt. Wenn Sie eine Abreise ab Sommer 2020 gebucht haben, ist es wichtig, jetzt schon Kontakt zur Heimatschule aufzunehmen und zu klären, ob das Kind, regulär die gewünschte Klasse besuchen kann, falls das Auslandjahr abgesagt werden muss.
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@Fragenhilft31: Wir bitten um Verständnis, dass wir individuelle Rechtsberatungen hier nicht erteilen können. Wenn Sie hinsichtlich der Vertragsklauseln Beratungsbedarf haben, wenden Sie sich wegen einer rechtlichen Prüfung und Beratung bitte an die Verbraucherzentrale Ihres Bundeslandes (www.verbraucherzentrale.de). Wenn Sie erst jetzt einen Vertrag unterschreiben wollen (oder ist das jetzt eine Zusatzvereinbarung zu einem bereits bestehenden Vertrag?), steht unseres Erachtens auch die Frage im Raum, ob man im Januar (also in einem Vierteljahr) mit Blick auf die Pandemie-Entwicklung in den USA nach vernünftiger Betrachtung überhaupt von einem gedeihlichen Ablauf des Aufenthalts für Ihr Kind ausgehen kann. Aber das ist, genau wie das Akzeptieren umfangreicher vertraglicher Einschränkungen, letztlich Geschmackssache. (PH)
Guten Morgen, da es nur 1000 Zeichen gibt, ist es manchmal schwierig sich hinreichend zu erklären. Eben getätigte Frage bezieht sich auf die eingeforderte Unterschrift zu einem Vertragsabschluss für 01.2021/5Monate USA High School.
Zusätzlich hätte ich gerne gewusst ob es rechtens ist, eine weiterhin bestehende Reisewarnung für die USA als ausserordentlichen Vertragskündigungsgrund ohne finanzielle Folgen abzulehnen. Und eben, wie bereits gefragt, ob es rechtens ist, die finanziellen Risiken ab Betretenes amerikanischen Bodens komplett auf uns als Familie abzuwälzen. Es erscheint fragwürdig, das ein im Gastlandgebiet erfolgender - im Extremfall schulbesuchsloser Alltag von uns hinzunehmen ist. Die Wahl des Zielgebiets erfolgt allein von der Seite der Stepin GmbH bzw. seitens des amerikanischen Partners. Wenn man unser Kind also in einen Gebiet schickt, wo die Situation schon vorher als nicht alltagstauglich klar ist, erscheint dies fraglich. Herzlichen Dank!
Wir sollen das unterschreiben: "Aufgrund d. durch d. Pandemie erfolgten Beschränkungen kann es hinsichtl. des Ausreisetermins zu Verzögerungen kommen. Sollte seit Vertragsabschluss bereits ein konkreter Ausreisetermin genannt worden sein, gilt dieser als vorläufig...Veränderungen (nur Homeschooling zB) sind Bestandteile des Alltages + der Normalität, sodass diese keine Beeinträchtigungen darstellen, die zu Rückerstattungsansprüchen führen würden...Die Durchführung der Quarantäne stellt eine zusätzliche Leistung dar Kosten hierfür müssen gesondert in Rechnung gestellt werden...Mit unserer Unterschrift bestätigen wir, dass wir die obigen Informationen + Hinweise zur Kenntnis genommen haben. Dieses Hinweisblatt haben wir bei Vertragsabschluss erhalten + in Kenntnis dieser Hinweise den Vertrag geschlossen. Wir erklären, dass wir aufgrund der oben gen. Einschränkungen keine Ansprüche auf Minderung des Reisepreises oder Rückzahlung gegenüber der Stepin GmbH geltend machen werden" Was tun?
@sansan29: Auch Sie können prüfen, ob Sie einen Vertrag abgeschlossen haben, für den das Pauschreiserecht gilt. Das können Sie unter anderem daran erkennen, dass Ihnen das "Formblatt zur Unterrichtung des Reisenden bei Verträgen über Gastschulaufenthalte nach § 651u des Bürgerlichen Gesetzbuchs" ausgehändigt wurde. Im Formblatt steht " Die Reisenden können bei Eintritt außergewöhnlicher Umstände vor Reisebeginn ohne Zahlung einer Rücktrittsgebühr vom Vertrag zurücktreten, beispielsweise wenn am Bestimmungsort schwerwiegende Sicherheitsprobleme bestehen, die die Pauschalreise voraussichtlich beeinträchtigen." Das Vorliegen einer Reisewarnung des Auswärtigen Amts vor Ort gilt als ein Indiz für außergewöhnliche Umstände. Wurde im Vertrag Anfang August als Reisetermin vereinbart, stellt die Reisewarnung für alle Reisen in Nicht-EU-Länder / für den Ort der Reise ein (starkes) Indiz für das Vorliegen einer erheblichen Reiseänderung i.S. von §651 g BGB dar. Und beim Vorliegen erheblicher Reiseänderungen können Pauschalreisende von Ihrem kostenlosen Rücktrittsrechts Gebrauch machen. Doch es bleibt abzuwarten, was die Rechtsprechung als erhebliche Reiseänderung bei Verträgen über einen Auslandsaufenthalt anerkennen wird.
Einer Verschiebung auf einen neuen Abreisetermin müssen Pauschalreisende nicht zustimmen. (maa)
Unser Sohn war ebenfalls für August 2020 geplant nach USA zu gehen. Konkret Texas über Orga MAP/Greenheart. Mit Hilfe der hier auf geführten Rechtslage und dem im Link verwiesenen Rücktrittsbrief der verbraucherschutz.de, haben wir vor einigen Tagen unser gesamtes Geld zurückbekommen. Von der Orga hieß es auch immer nur verschieben oder Stornogebühren, letztendlich, wenn dem Vertrag das o. e. Beiblatt nach §651 beihängt, ist man abgesichert, soweit eine Reisewarnung besteht. Und diese besteht bis 31.8 in die USA. Auch das nun Schülervisas verteilt werden und eine Einreise möglich ist, ändert nichts am Tatbestand der Reisewarnung mit all ihren Konsequenzen-laut unserem Anwalt. Uns hat dieser Bericht unheimlich geholfen- vielen Dank.