Neue Chancen haben alle, die das erste Mal studieren oder eine Berufsausbildung machen. Sie können Musterprozesse mitgewinnen.
Die 19-jährige Studentin Suzana Blagojevic und die 22-jährige Alina Rudolphi können sich in einen Streit beim Bundesverfassungsgericht einklinken – genauso wie viele andere Studenten und Auszubildende. Ein Pilot will vor Gericht 74 286 Euro für seine Berufsausbildung absetzen. Ein Exstudent der internationalen Betriebswirtschaft streitet um 19 528 Euro für ein Auslandssemester. Sein Finanzamt soll zum Beispiel Flugkosten, Miete, Verpflegungspauschalen und andere Ausbildungskosten berücksichtigen.
Beide Männer klagen, weil sie ihre Ausgaben als Werbungskosten für die Einkünfte absetzen wollen, die sie mit ihrer Ausbildung später im Beruf erzielen. Das erlaubt das Finanzamt bisher nur Auszubildenden, die eine Lehre, ein duales Studium mit Arbeitsverhältnis oder Zweitausbildungen wie ein Masterstudium machen. Das trifft auf die Kläger nicht zu.
Eigene Situation vergleichen
Bei dem Piloten geht es um die erste Berufsausbildung, bei dem Exstudenten um das erste Studium. Weil beide keinen Arbeitsvertrag für ihre Ausbildung eingegangen sind, berücksichtigen die Finanzämter ihre Kosten nur als Sonderausgaben – und erkennen höchstens 4 000 Euro im Jahr an, seit 2012 maximal 6 000 Euro im Jahr.
Höhere Kosten fallen unter den Tisch. Meist geht die Steuerersparnis sogar gegen null, weil sich Sonderausgaben nur in den Jahren auswirken, in denen Studenten und Azubis Einkommen versteuern. Der Pilot und der Student haben mit ihrer Ausbildung keinen Cent Steuern gespart, weil ihnen das nötige Einkommen fehlte.
In Verfassungsstreit einklinken
Der Knackpunkt: Auszubildende wie die Kläger schneiden besser ab, wenn das Finanzamt ihre Ausbildungskosten als Werbungskosten anerkennen würde. Denn dann würden sie nach ihrer Ausbildung – als Berufstätige – viel Steuern sparen.
Beispiel Werbungskosten: 24 540 Euro Steuern und Solidaritätszuschlag würde der Pilot sparen und 8 653 Euro der frühere Studiosus, wenn beide alleinstehend sind und 2014 als Arbeitnehmer vor Abzug ihrer Ausbildungskosten 75 000 Euro Einkommen versteuern müssen.
Beim Bundesfinanzhof (BFH) waren die Männer schon erfolgreich. Die höchsten Steuerrichter halten den Sonderausgabenabzug für verfassungswidrig. Ausgaben für die erste Berufsausbildung oder das erste Studium seien immer Werbungskosten – auch ohne Arbeitsverhältnis. Die Richter haben insgesamt sechs Verfahren beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe vorgelegt (Special Mutmacher Sven Böckenberg).
Werbungskosten angeben
Profitieren von dem Streit wollen auch Suzana und Alina. Suzana studiert seit 2014 Wirtschaftsmathematik an der Uni Wuppertal. Alina macht seit 2012 eine Ausbildung zur Physiotherapeutin an einer Berufsfachschule in Rheine. Für beide ist es die erste Ausbildung ohne Arbeitsverhältnis und Einkommen. Das Finanzamt erkennt ihre Ausbildungskosten deshalb nur als Sonderausgaben an. Steuern sparen sie nicht.
Die Frauen wollen ihre Ausbildungskosten jetzt als Werbungskosten abrechnen. Alina lässt sich vom Lohnsteuerhilfeverein helfen, Suzana besorgt sich selbst beim Finanzamt die Vordrucke und kreuzt oben auf dem Mantelbogen an, dass sie eine Einkommensteuererklärung abgibt. Danach macht sie ihre allgemeinen Angaben und unterschreibt den Bogen auf der letzten Seite. Unter www.elster.de geht das online.
Dann trägt Suzana alle Ausbildungskosten (Tabelle: Ausbildungskosten abrechnen) auf der Anlage N als Werbungskosten ein. Bieten die Zeilen zu wenig Platz, kommt die Summe dort hin und die einzelnen Posten auf ein Extrablatt. Werbungskosten zieht das Finanzamt vom Verdienst ab oder von den Einkünften des Ehe- oder gesetzlichen Lebenspartners. So sinkt das zu versteuernde Einkommen.
Verlust feststellen lassen
Wer wie Suzana und Alina nichts oder zu wenig zum Verrechnen hat, kreuzt oben auf dem Mantelbogen an, dass ein Verlust festgestellt wird. Stimmt das Finanzamt zu, erlässt es einen Steuerbescheid mit negativen Einkünften und null Euro Einkommensteuer und schickt den Feststellungsbescheid über den Verlust. Dieser wird mit späteren Einkünften verrechnet.
Beispiel Verlust: Ein Single spart 1 603 Euro Steuer und Solidaritätszuschlag, wenn er im ersten Jahr nach der Ausbildung 30 000 Euro Einkommen versteuern muss und das Finanzamt davon noch einen Verlust von 5 000 Euro abzieht.
Einspruch gegen Steuerbescheid
Suzana Blagojevic und Alina Rudolphi müssen aber damit rechnen, dass ihr Finanzamt die Ausbildungskosten nicht als Werbungskosten anerkennt und auch keinen Verlust feststellt. Sie werden zwar einen Steuerbescheid mit null Euro Steuern erhalten – aber ohne negative Einkünfte, weil ihre Kosten Sonderausgaben sind und sie keine steuerpflichtigen Einnahmen haben.
Dagegen legen sie binnen eines Monats Einspruch ein und verweisen auf den Streit beim Bundesverfassungsgericht (Musterbrief Einspruch gegen Steuerbescheid). So bleibt ihr Fall offen.
Steuererklärung bis 2011 nachholen
Viele können auch vergangene Jahre noch abrechnen, wenn sie schon länger in Ausbildung sind oder diese in letzter Zeit beendet haben. Das geht zum Beispiel bis 2011, wenn die Steuererklärung freiwillig ist und bisher unterblieb, weil es keine Einnahmen gab. Berücksichtigt das Amt die Ausbildungskosten nicht als Werbungskosten und lehnt Verluste ab, sollte man Einspruch einlegen.
Für 2008 bis 2010 Verluste abrechnen
Selbst für die Jahre 2008 bis 2010 lassen sich nachträglich noch Verluste geltend machen, wenn die Steuererklärung freiwillig ist und jemand bisher keine gemacht hat. Dabei hilft die Klage einer Frau beim Bundesfinanzhof. Sie macht bis 2008 zurück Verluste geltend, weil sie der Meinung ist, dass die Verjährungsfrist für die Feststellung nach sieben Jahre endet (Az. IX R 22/14).
Wer sich anschließen will, rechnet Ausbildungskosten auf der Anlage N als Werbungskosten ab und beantragt im Mantelbogen die Verlustfeststellung. Zur Sicherheit sollte er den Verlustantrag nochmal in einem Extraschreiben stellen und auf den Streit beim Bundesverfassungsgericht hinweisen (Musterbrief Einspruch gegen Steuerbescheid).
Für 2008 sollten die Unterlagen so früh beim Finanzamt sein, dass vor dem 31. Dezember 2015 darüber entschieden ist. Dann endet die siebenjährige Verjährungsfrist.
Trotz Steuererklärung wird das Finanzamt keinen Steuerbescheid für 2008 bis 2010 erlassen. Denn dafür ist die Verjährungsfrist – anders als für die Verlustfeststellung – tatsächlich verstrichen. Die Verwaltung argumentiert aber außerdem: ohne Einkommensteuerbescheid kein Verlustfeststellungsbescheid. Dagegen wehrt sich die Klägerin. Betroffene legen Einspruch ein und berufen sich auf die Klage (Musterbrief Verluste in den Jahren 2008 bis 2010).
Sonderausgaben bevorzugen
Wer als Student oder Auszubildender neben dem Studium so viel verdient, dass sich seine Ausbildungskosten als Sonderausgaben voll auswirken, braucht den Verfassungsstreit nicht. Das ist der Fall, wenn im Steuerbescheid mindestens die Summe aus Ausbildungskosten und Grundfreibetrag zu versteuern ist. Der Freibetrag liegt im Jahr
- 2008 bei 7 664 (Paare: 15 328) Euro
- 2009 bei 7 834 (Paare: 15 668) Euro
- 2010–2012 bei 8 004 (Paare: 16 008) Euro
- 2013 bei 8 130 (Paare: 16 260) Euro
- 2014 bei 8 354 (Paare: 16 708) Euro
Beispiel Sonderausgaben: Ein Student hat 2013 Sonderausgaben von 6 000 Euro für Studiengebühren, Fachliteratur und Fahrten zur Uni abgerechnet. Im Steuerbescheid muss er aus einem Nebenjob 15 000 Euro Einkommen versteuern, bevor seine Ausbildungskosten abgehen. Sein zu versteuerndes Einkommen ist höher als der Grundfreibetrag und die Ausbildungskosten zusammen (8 130 + 6 000 Euro). Die Studienkosten wirken sich deshalb voll aus. Der Student spart als Single 1 334 Euro Steuern und Solidaritätszuschlag.
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- Ob Kosten für Arbeitsweg, Kitabeiträge oder Unterhalt – zusätzliche Freibeträge für solche Ausgaben bringen Angestellten direkt mehr Netto.
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- Ob Kita oder Au-pair – Eltern wollen ihren Nachwuchs in guten Händen wissen. Aufwendungen für die Aufsicht können sie sich teilweise über die Steuererklärung zurückholen.
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- Es ist Zeit, sich Geld vom Finanzamt zurückzuholen. Am meisten bekommt, wer jetzt alle Ausgaben geschickt abrechnet. Die Steuerexperten der Stiftung Warentest sagen,...
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@Feldrain: Dies ist nicht der Ort einer individuellen Beratung. Uns ist nicht bekannt, dass die Rechtsprechung hierin einen Steuerbetrug sieht. (maa)
Wie verhält es sich, wenn die Schulkosten für einen staatliche Schule schon in der Steuererklärung der Eltern angegeben wurden. Dort werden diese ja nur zu 50% angerechnet ... Ist der Restbetrag oder gar der gesamte als Ausbildungskosten in der Steuererklärung des Auszubildenend noch absetzbar. Wie genau ist hier der Sachverhalt?? Wohnungskosten, Fahrtkosten etc wurden bisher nicht geltend gemacht "sozusagen ein Privatstipendium" wurden bisher nicht in der elterlichen Steuererklärung geltend gemacht, ist ja aber anscheinend auch möglich, wie ich in einem Vorbeitrag gelesen habe... Welche Vorgehensweise empfehlen Sie ?
Danke
Vielen Dank für Ihre Antwort. Eine kleine Nachfrage noch:
Die Kosten für das Zimmer wurden aber schon von uns als Eltern bei unserer Steuererklärung geltend gemacht und vom Finanzamt auch anerkannt (Kind über 25 Jahre alt und deswegen konnten wir das Stipendium, was wir unserer Tochter gezahlt haben steuerlich geltend machen, dies haben wir jeweils genau aufgeschlüsselt in Unterkunftkosten, Krankenkassenbeitrag, Lebensunterhalt e.c).
Würden die Kosten für das Zimmer, wenn diese nun von unserer Tochter auch noch in ihrer eigenen Steuererklärung geletend gemacht wird, dann nicht doppelt geltend gemacht und wäre dies dann nicht ev. sogar Steuerbetrug ?
@Feldrain: Wenn der Mietvertrag von der Tochter abgeschlossen wurde und Sie als Eltern lediglich das Geld überweisen haben, handelt es sich um einen abgekürzten Zahlungsweg. In diesem Fall ist der Werbungskostenabzug für die Tochter möglich – vorausgesetzt, die Mietkosten sind dem Grunde nach Werbungskosten bei Ihrer Tochter. (maa)
vielen Dank zunächst, dass Sie darauf aufmerksam gemachen, dass Studenten eine Steuererklärung jetzt auch nachträglich machen sollten, wegen der ausstehenden höchstrichterlichen Entscheidung.
Könnten Sie uns hierzu eine Frage beantworten ?
Wir haben unserer Tochter monatlich 680 Euro Stippendium gezahlt, dieses haben wir genau aufgeschlüsselt mit den darauf entfallenden Wohnkosten in unserer Steuererklärung angegeben und dieses von uns gezahltest Stipendium wurde bei uns auch steuerlich berücksichtigt.
Kann unsere Tochter jetzt trotzdem dies (also die Kosten für ihr Zimmer) in ihrer eigenen Steuererklärung, die sie empfehlen rückwirkend noch zu machen, angeben ?
Sie arbeitet schon und könnte dadurch ggf. auch in den Genuß von einer größeren Summe Geld durch die steuerliche Berücksichtigung ihrer Kosten während des Studium ( Kosten für das Zimmer während des Studiums, was ja Arbeitsraum und Wohnraum zugleich war) kommen.