
Flüchtlinge warten oft Monate auf freie Plätze in staatlich finanzierten Deutschkursen. Da viele Neuankömmlinge ein Smartphone besitzen, wollte die Stiftung Warentest wissen: Können Apps beim Deutschlernen helfen? Zwölf Apps für arabischsprachige Erwachsene und Kinder waren im Test. Zwei sind empfehlenswert. Unseren Test haben wir auch ins Arabische übersetzen lassen.
Lange Wartezeiten bei Integrationskursen
Hunderttausende Flüchtlinge haben in den vergangenen Monaten Schutz vor Krieg und Verfolgung in Deutschland gesucht. Wer auf Dauer hier leben und heimisch werden möchte, muss vor allem eins: schnell Deutsch lernen. Denn Sprache ist die wichtigste Voraussetzung für Integration. Doch für die staatlich finanzierten Deutschkurse, die sogenannten Integrationskurse, gibt es sehr viel mehr Anwärter als freie Plätze. Asylbewerber warten mitunter Monate bis zum Kursbeginn (Deutschlernen im Integrationskurs).
Zwölf Apps für Erwachsene und Kinder im Test
Da viele Flüchtlinge ein Smartphone besitzen, wollte die Stiftung Warentest wissen, inwieweit Apps beim Deutsch lernen helfen können. In den Test haben wir zwölf Apps für Deutsch-Anfänger einbezogen, davon neun für Erwachsene und drei für Kinder. Weil die meisten Neuankömmlinge aus Syrien sind, lag der Fokus auf Angeboten, die für arabische Muttersprachler geeignet sind. Als Ausgangssprache sollte Arabisch einstellbar sein. War das nicht möglich, sollten die Apps zumindest so selbsterklärend sein, dass das Lernen auch ohne Hinweise auf Arabisch möglich ist. Die Produkte im Test sind entweder gratis oder kosten nur wenige Euro. Die zwei kostenpflichtigen bieten zumindest eine reduzierte Version kostenfrei an (Testergebnisse).
Vier Typen von Apps
Unter den geprüften Apps haben wir vier verschiedene Typen identifiziert: fünf Vokabeltrainer, vier Lernprogramme, zwei Lernspiele und ein Video-Tutorial (Testergebnisse). Mit Vokabeltrainern lassen sich hauptsächlich einzelne Wörter trainieren, um so den Wortschatz zu erweitern. Lernprogramme gehen über bloßes Vokabeltraining hinaus und präsentieren den Wortschatz zum Beispiel auch in längeren Dialogen und größeren thematischen Zusammenhängen. Lernspiele vermitteln Sprache auf unterhaltsame, spielerische Weise. Bei Video-Tutorials wird Sprache per Video gelernt.
Kein Ersatz für Sprachkurse
Eines war schon vor dem Test klar: Apps ersetzen keinen Sprachkurs. Wer Deutsch umfassend lernen möchte, muss die vier Sprachfertigkeiten Hören, Lesen, Schreiben und Sprechen regelmäßig trainieren. Hinzukommen sollte eine systematische Schulung von Grammatik und Wortschatz. Das kann ein guter Sprachkurs leisten, eine App nicht. Für kleine Lerneinheiten mit einfachen Inhalten, zum Beispiel fürs Vokabellernen, eignen sich einige der Apps aus dem Test aber durchaus.
Zwei sind empfehlenswert
Ohne Einschränkungen empfehlenswert sind zwei Apps für Erwachsene: das Lernprogramm „Ankommen“ vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) und das Lernspiel „Lern Deutsch - Stadt der Wörter“ vom Goethe-Institut. Beide Apps bauen Wortschatz auf, trainieren die Sprachfertigkeiten Hören, Lesen und Schreiben und bieten sogar einige Grammatikübungen (Testergebnisse). Das ist viel für dieses Medium.
Nah am Flüchtlingsalltag
Die erst im Januar veröffentlichte App Ankommen punktet vor allem, weil sie inhaltlich konsequent auf Flüchtlinge zugeschnitten ist und nah an ihrem Alltag bleibt. Die zwei Kapitel „Hallo, ich bin...“ und „Menschen in Deutschland“ statten Neuankömmlinge mit dem Wortschatz für die ersten Wochen in Deutschland aus. In abwechslungsreichen Übungen lernen sie zum Beispiel, Wörter zu buchstabieren, Zahlen (etwa Telefonnummern) zu verstehen und über sich und den eigenen Beruf Auskunft zu geben.
Lernen in der Comic-Stadt
„Lern Deutsch - Stadt der Wörter“ führt spielerisch in einfache Strukturen der deutschen Sprache ein. Der Spieler bewegt sich durch eine bunte Comic-Stadt und muss in verschiedenen Lernräumen – im Stadtzentrum, im Park, am Bahnhof – Wörter einsammeln und Aufgaben finden, mit denen er die gefundenen Vokabeln festigen kann. Zudem kann er seinen Wortschatz in Wettkämpfen mit anderen messen und einen Spielcharakter – Avatar – bauen. Thematisch auf den Flüchtlingsalltag zugeschnitten ist das Spiel zwar nicht, doch es dürfte wegen seiner Aufmachung vor allem jungen Erwachsenen Spaß machen. Schade, dass Nutzer zum Spielen eine ständige Verbindung zum Internet benötigen. W-Lan ist leider kein Standard in Flüchtlingsunterkünften.
Drei weitere Apps brauchbar für Erwachsene
Für Erwachsene sind drei weitere Apps im Test durchaus brauchbar. Da sie nicht vollständig überzeugten, empfehlen wir sie nur eingeschränkt – aus unterschiedlichen Gründen. Das Lernprogramm „Einstieg Deutsch“ vom Deutschen Volkshochschul-Verband bietet vier für Flüchtlinge relevante Themenbereiche mit vielfältigen Übungen. Leider umfassen die in jedes Thema integrierten Wortschatztrainer insgesamt nur rund 220 Wörter. Das ist zu wenig. Da bieten das Lernprogramm von Learn Like Kids und der Vokabeltrainer von Fun Easy Learn mit rund 1 000 und sogar 6 000 Vokabeln deutlich mehr Umfang. Die App von Fun Easy Learn beschränkt sich allerdings darauf, einzelne Wörter, vor allem Substantive, vorzustellen. Vokabeln sollten aber in Sätze und Redewendungen eingebunden sein, denn Sprache lernt man besser im Zusammenhang. Das Problem bei der App von Learn Like Kids: Die Vokabelübungen sind monoton.
Für Kinder fehlen abwechslungsreiche Übungen
Auch die Apps für Kinder überzeugten nicht voll und ganz. Zwei sind immerhin eingeschränkt empfehlenswert: das Lernspiel „Deutsch für Kinder“ von Always Icecream and Clever Dragons und der Vokabeltrainer „Phase6 Hallo Deutsch Kinder“ von Phase6. Kindgerecht gestaltet sind beide – keine Frage. Doch in beiden Fällen könnten beispielsweise die Übungen abwechslungsreicher sein.
Fünf sind nicht zu empfehlen
Nicht zu empfehlen sind Apps, die keinerlei Übungen umfassen. Das war bei Ahmad Soboh, Itech Cloud Apps und Verlag Herder der Fall. Die App von Itech Cloud Apps fiel zudem durch ihr Datensendeverhalten auf: Sie übertrug Daten des Nutzers, ohne diese zu verschlüsseln. Das traf auch auf die Angebote von Goethe Verlag und Salla zu. Darum haben wir in allen diesen Fällen das Datensendeverhalten als „sehr kritisch“ bewertet – und die eigentlich eingeschränkt empfehlenswerten Apps als „nicht empfehlenswert“ eingestuft. Zudem geben weder Itech Cloud Apps noch Ahmad Soboh eine Anbieteradresse an – transparent ist das nicht.
Für Wortschatztraining geeignet
Der Test zeigt eines deutlich: Die Apps eignen sich, um Wortschatz zu trainieren. Die meisten schulen zudem das Hör- und Leseverständnis, viele auch das Schreiben. Freies Sprechen und Formulieren lernt man jedoch mit keiner App im Test. Das ist nur im Austausch mit anderen möglich, im Sprachkurs zum Beispiel oder mit ehrenamtlichen Lehrkräften (Tipps zum Deutschlernen). Lediglich an der Aussprache lässt sich per App feilen. Drei Produkte im Test bieten dafür Aufnahmetechnik. Den Mitschnitt kann der Nutzer aber nur mit einer Audio-Vorlage vergleichen – das ist alles. Da wäre heutzutage mehr möglich (Spracherkennung, Feedback in Form von Diagrammen).
Nichts für Analphabeten
Das deutsche Alphabet sollten Nutzer bereits kennen, wenn sie sich mit den Apps aus dem Test erste Deutschkenntnisse aneignen wollen. Für Analphabeten eignet sich leider keines der geprüften Produkte. Für sie wären Apps geeignet, die überwiegend auf Bild und Ton setzen und weniger auf Schriftsprache. In unserem Test trifft das auf die Apps von Herder Verlag und Salla zu. Beide Angebote können wir jedoch aufgrund anderer Schwächen nicht empfehlen (siehe Testkommentar in der Einzelproduktansicht in den Testergebnissen).
Tastatur auf deutsches Alphabet einstellen
Die Apps gibt es entweder für Android oder für iOs oder für beide Betriebssysteme. Zu beziehen sind sie über die jeweiligen Onlineshops Google Play Store und App Store (Testergebnisse). Die meisten sind dort aber nur zu finden, wenn der Nutzer ihre Namen mit den Schriftzeichen des deutschen Alphabets sucht. Dafür muss er sein Smartphone samt Tastatur auf die deutsche Sprache einstellen. Die Apps der Anbieter Ahmad Soboh, Itech Cloud Apps und Salla finden Nutzer wiederum nur über die arabischen Titel und eine Tastatur mit arabischen Schriftzeichen.
Ergänzend zum Sprachkurs nutzen
Auch wenn viele der getesteten Produkte noch Luft nach oben haben, können Apps eine gute Hilfe beim Spracherwerb sein. Das Lernen in „Häppchen“, auch Mikrolernen genannt, kann sehr effektiv sein, denn kleine Lerneinheiten bleiben länger im Gedächtnis (siehe auch Tipps zum Deutschlernen). Wer bis zu seinem Integrationskurs Wartezeit überbrücken muss, sollte eine der beiden empfehlenswerten Apps nutzen, unter Umständen kommt zusätzlich auch eine der eingeschränkt empfehlenswerten Apps in Frage. Übrigens: Diese Apps eignen sich nicht nur für die Wartezeit, sondern auch als Ergänzung zum Deutschkurs.