Angst­störungen Was dagegen hilft

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Berechtigte Furcht ist gesund, zu viel davon macht krank: Angst­störungen gehören zu den häufigsten psychischen Leiden. test sagt, was gegen Ängste und Phobien hilft.

Wegen Angst vor Spinnen auf Karriere­chance verzichtet

Von morgens acht Uhr bis zum Nach­mittag: Acht Stunden saß Jana Neumann wie versteinert im Hausflur, starrte an die Wand. Schweiß­gebadet und wie gelähmt vor Angst, wartete sie auf Hilfe. Die war bitter nötig. Denn an der Wand saß eine Spinne. Und Jana Neumann hat eine Phobie. Ihre Furcht vor den acht­beinigen Tieren ist über­groß: Die heute 30-Jährige ist deshalb schon aus einem fahrenden Auto gesprungen. Sie hat den Platz in einer Wohn­gemeinschaft abge­lehnt, weil sich im Efeu vor ihrem Fenster Spinnen tummeln könnten. Und sie verzichtete auf einen attraktiven Ausbildungs­platz in Südafrika – aus Panik, die Tiere am Kap könnten größer sein als die zu Hause.

Jeder sechste Deutsche leidet an einer Angst­störung

Angst­störungen zählen zu den verbreitetesten psychischen Erkrankungen. Jeder sechste Deutsche ist betroffen, belegt eine repräsentative Studie des Robert-Koch-Instituts aus dem Jahr 2013. Am häufigsten sind spezi­fische Phobien, also die krankhafte Angst vor bestimmten Tieren, Gegen­ständen, Höhen oder auch Naturphänomenen. Bundes­weit ist etwa jeder Zehnte von solchen Störungen betroffen.

Manche sorgen sich rund um die Uhr

Drei Prozent aller Deutschen fürchten Situationen, in denen sie sich vor anderen blamieren könnten. Etwa eine Fest­rede im Familien­kreis zu halten, ist für sie nicht zu ertragen. Knapp 2 von 100 Deutschen sorgen sich fast rund um die Uhr. Allgemeine Lebens­risiken empfinden sie als existenz­bedrohend: Stets bangen sie, ein geliebter Mensch oder sie selbst könnten bei einem Unfall sterben oder über­fallen werden. Der Fach­begriff: generalisierte Angst­störung. Etwa gleich viele leiden unter einer Panikstörung. Sie befällt die Angst aus dem Nichts heraus – gepaart mit massiven körperlichen Begleit­erscheinungen wie Atemnot oder Herz­rasen.

Angst kann auch sinn­voll sein

Der Leidens­druck der Betroffenen ist immens. Dabei ist Angst grund­sätzlich ein sinn­volles und notwendiges Gefühl. In Situationen, die bedrohlich wirken, sendet das Gehirn auto­matisch Alarm­signale und der Körper reagiert prompt: Das Herz schlägt schneller, die Muskeln sind gespannt und alle Sinne geschärft. In einer echten Gefahrensituation wären wir nun bereit, zu fliehen oder zu kämpfen. Dieser Mecha­nismus war in der Urzeit über­lebens­wichtig.

Das Gehirn schlägt ohne Not Alarm

Angst­störungen - Was dagegen hilft

Spezi­fische Phobie. Etwa jeder zehnte Deutsche hat unter anderem Angst vor Naturphänomenen wie Gewitter. © Thinkstock

Wann und wie schnell ein Mensch in der heutigen Zeit Angst empfindet, unterscheidet sich je nach Naturell. Einigen wird schnell bang, anderen eher selten. Problematisch wird es, wenn die Ängste so zunehmen, dass sie sich nicht mehr kontrollieren lassen. Das Gehirn schlägt dann selbst in unbe­denk­lichen Situationen Alarm oder lässt schon abstrakte Risiken lebens­bedrohlich wirken. Der Anblick einer Hausspinne löst Panik aus; die Fahrt in einer voll besetzten U-Bahn setzt Betroffene so sehr unter Druck, dass sie das Gefühl haben, einen Herz­infarkt zu erleiden.

Vermeidungs­strategie verschärft das Leiden

Meist beginnt damit ein Teufels­kreis: Weil die Angst über­mächtig wird, fangen Betroffene an, gefürchtete Situationen oder Objekte zu meiden. Kurz­fristig mag das helfen. Insgesamt aber verschärft diese Strategie oft nur das Problem. „Lang­fristig meiden die Menschen immer mehr Orte und Aktivitäten, identifizieren stetig neue potenzielle Gefahren und schränken ihr Leben dadurch immer deutlicher ein“, warnt Jürgen Margraf, Professor für Klinische Psycho­logie und Psycho­therapie an der Ruhr-Universität Bochum.

Angst vorm Tiger rettete Leben

Experten gehen davon aus, dass mehrere Faktoren die über­mäßigen Ängste begüns­tigen. Einer davon: die Natur. Was Menschen in Angst und Schre­cken versetzen kann, ist seit Jahr­tausenden in unseren Genen gespeichert. Niemand fürchtet sich vor Steck­dosen, viele aber vor Gewittern. Insekten versetzen uns in Panik, Blumen dagegen nicht. „Am häufigsten haben die Deutschen Angst vor Hunden, Katzen und Insekten“, sagt Borwin Bandelow, Leiter der Klinik für Psychiatrie und Psycho­therapie der Universitäts­medizin Göttingen. „Wir fürchten also die Nach­folger von Wölfen, Säbelzahntigern oder Gift­spinnen – jenen Tieren, die unsere Vorfahren bedrohten.“

Wurzeln liegen oft in der Kindheit

Auch Erfahrungen unserer Kindheit und Jugend können Angst­störungen begüns­tigen: Der schwarze Kater, der plötzlich aus Omas Kleider­schrank sprang, das heftige Gewitter in der Schülerfrei­zeit an der Ostsee: Es müssen keine lebens­gefähr­lichen Momente sein. Dennoch können sie der Nähr­boden für krankhafte Ängste werden. Andere über­nehmen ungewollt die Ängste ihrer Familien­angehörigen – vermutlich auch Jana Neumann. Als Kind hat sie fröhlich mit Spinnen gespielt. Ihrer Mutter waren die Tiere hingegen nicht geheuer. Das färbte ab: Mit 10 Jahren begann auch die Tochter, sich beim Anblick der Acht­beiner unwohl zu fühlen.

Psycho­therapie wirkt schnell

Abfinden muss sich mit über­mäßigen Ängsten niemand. In der Regel lassen sie sich erfolg­reich behandeln. Die kognitive Verhaltens­therapie gilt als die beste psycho­logische Methode. Unter Anleitung eines Therapeuten werden Patienten mit dem angst­auslösenden Objekt oder der Situation konfrontiert – und üben, die negativen Gefühle auszuhalten. Sie lernen, dass Panik genauso schnell geht, wie sie kommt, dass sie bei jeder weiteren Konfrontation schwächer wird und dass tatsäch­lich keine Gefahr besteht. „Sieben von zehn Phobie-Patienten geht es durch diese Behand­lung besser“, sagt Experte Bandelow. Oft reichen schon wenige Termine. Angst­störungen können auch mit Antide­pressiva behandelt werden. Dies mit Verhaltens­therapie zu kombinieren, ist am erfolg­reichsten.

Manche schaffen es ohne Hilfe

Einige Betroffene schaffen es sogar, die Angst allein zu besiegen. „Auf einen, der zur Behand­lung kommt, entfallen etwa zwei bis drei, die es ohne Hilfe schaffen“, schätzt Psycho­therapeut Margraf. Er rät aber, nicht zu lange zu zögern, wenn die Eigen­therapie nicht anschlägt. Angst­störungen können sonst chro­nisch werden.

Auge in Auge mit der Spinne

Und Jana Neumann? Auch sie ist inzwischen auf einem guten Weg. In ihrer ersten eigenen Wohnung stand sie kurz nach dem Einzug drei Stunden Auge in Auge mit einer Spinne. „Das war ein Kampf mit mir selbst“, erinnert sie sich. Sie habe sich laut zugeredet: „Du bist eine erwachsene Frau, reiß dich zusammen!“ Dann nahm sie ihren Mut zusammen und den Staubsauger zur Hand. Erfolg­reich. Inzwischen gelinge es ihr immer besser, die Tiere zu entfernen: Neulich saß eins sogar auf ihrem Kopf­kissen. Mit einiger Über­windung hat sie es weggesaugt. Und abends wieder in ihrem Bett geschlafen.

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Betah am 17.03.2021 um 14:01 Uhr
Die Angst im Kopf

Ich denke ebenfalls, dass es Verknüpfungen aus dem Kopf gibt, was diverse Ängste betrifft. Das habe ich vor allem bei meiner Großmutter erlebt, die häufig in einen psychischen Fluchtmechanismus fiel. Rein durch das gewohnte anschauen ihrer Fernsehsendungen und aus ihren Erinnerungen an schlimme Zeiten. Als Kind konnte ich das nicht einordnen, aber heute macht es für mich Sinn. Was Arachnophobie betrifft, habe ich die an dem Punkt überwunden, wo ich bei Reisen derart immens großen Spinnen begegnete, dass jeder Widerstand zwecklos war :) Eine auf Bali lief sogar über meine Beine. Seither sind die kleinen Dinger in unseren Breitengraden direkt meine Freunde geworden. Seit Monaten plagt mich leider wiederkehrende Existenzangst. Manchmal fast panikartig. Mit Lasea bekomme ich es gut wieder hin. Ich denke aber es liegt an der Ungewissheit, die sich täglich in mir breit macht. Wenn ich an meine Oma denke, bin ich dankbar, dass sie nicht mehr da ist. Sie wäre wohl sehr verstört dieser Tage.

psog.de am 27.05.2016 um 09:16 Uhr
Bei Spinnenphobie etc. okay, aber...

Bei weniger spezifischen Phobien, wie der angesprochenen Panikstörung oder der generalisierten Angststörung, aber auch bei Agoraphobie oder einer hypochondrischen Störungen ist es meiner Erfahrung nach meist nicht damit getan, sich mit angstauslösenden Situationen zu konfrontieren.
Vielmehr müssen auch Umstände im Leben der Betroffenen berücksichtigt werden, die eine Angststörung hervorgerufen haben und diese aufrechterhalten.
Beste Grüße.
Sebastian von http://www.psog.de