
In Gesellschaft blühen vor allem demenzerkrankte Pflegebedürftige auf.
Statt ins Heim können Pflegebedürftige in eine ambulant betreute WG ziehen. Mehr Individualität ist möglich – aber auch mehr Aufwand für Angehörige. test.de schildert die Vor- und Nachteile von Pflege-Wohngemeinschaften und erklärt, wie sie am besten organisiert ist.
Lockeres Zusammenleben
Ein möglichst freier Alltag
Im Vergleich zum klassischen Seniorenheim ist das Leben in einer Wohngemeinschaft lockerer. Angehörige und Bewohner entscheiden gemeinsam, ob und welche Aktivitäten stattfinden sollen. So lässt sich der Tagesablauf an die Bedürfnisse jedes Einzelnen anpassen. Studien zeigen: Das tut vor allem Demenzkranken gut. Sie blühen in einer Pflege-WG häufig auf. Personen mit hohem Bewegungsdrang werden meist ruhiger, Alltagskompetenzen kehren häufig noch einmal zurück.
Jeder hat sein eigenes Zimmer
In der Regel hat jeder Bewohner in einer Pflege-WG sein eigenes Zimmer. Küche, Ess- und Wohnraum sind für alle frei zugänglich. Flur und Bäder sind barrierefrei. Außerdem sorgen Haltegriffe dafür, dass die Senioren selbstständig überall hinkommen. Nur die Haustür lässt sich meist nicht so leicht öffnen.
Gemeinschaft sorgt für Geborgenheit
Pflege-WGs und andere alternative Wohnformen haben sich etabliert. Heike Nordmann vom Kuratorium Deutsche Altershilfe sagt: „Es gibt eine kontinuierliche Unterstützung für die Bewohner. Gleichzeitig schafft die Gemeinschaft eine gewisse Geborgenheit und ermöglicht einen Alltag, der sich nicht so sehr vom Leben im eigenen Haushalt unterscheidet.“
Unterschiedliche Regeln je nach Bundesland
Wie viele Pflege-WGs es in Deutschland gibt, ist schwer zu sagen. Das liegt daran, dass in jedem Bundesland andere Gesetze gelten. Der strukturelle Aufbau kann dadurch sehr verschieden sein. „Die meisten WGs werden von einem professionellen Träger geführt, der zum Beispiel die Abrechnung des Haushaltsgelds übernimmt oder den Einzug neuer WG-Bewohner koordiniert“, sagt Heike Nordmann.
Wenige WGs sind komplett privat organisiert
Für die wenig verbreiteten, komplett privat organisierten Wohngemeinschaften gelten meist niedrigere gesetzliche Vorgaben. So müssen die Pflegekräfte zum Teil keine bestimmten Voraussetzungen erfüllen. Das hat den Vorteil, dass auch Angehörige oder ehrenamtliche Helfer einen Teil der Pflege übernehmen können, wenn die Gruppe das wünscht.
Meist sind alle Pflegegrade vertreten
Auch hinsichtlich der Zusammensetzung unterscheiden sich die WGs. Meist sind alle Pflegegrade vertreten. In manchen sind alle Personen körperlich pflegebedürftig, aber geistig noch fit. Sie bekommen regelmäßig Besuch von einem Pflegedienst, nehmen ihr Leben ansonsten aber selbst in die Hand.
Kompromisse finden
In Demenz-WGs hingegen sind in der Regel tagsüber zwei Präsenzkräfte vor Ort, die den Haushalt organisieren. Oft werden sie von freiwilligen Helfern unterstützt. In einigen Gemeinschaften leisten die Präsenzkräfte auch die pflegerische Hilfe, in anderen kommen dafür externe Pfleger. In der Nacht ist meist eine Präsenzkraft vor Ort, die auch pflegerisch eingreifen kann. „Wichtig ist, dass man das Leben in dieser Form der Gemeinschaft mag“, sagt Heike Nordmann. „Eine Pflege-WG lebt davon, dass es eben kein Heim mit Vollversorgungsstruktur ist, sondern dass Bewohner und Angehörige sich einbringen und Kompromisse finden.“
Stichwort „alternative Wohnformen“
Wer sich vorstellen kann, so zu leben, sollte zunächst überlegen, ob eine Pflege-WG in der Nähe infrage kommt oder ob er selbst mit Freunden oder Geschwistern eine solche Gemeinschaft gründen möchte. Informationen über bestehende Pflege-WGs sind im Internet unter dem Stichwort „alternative Wohnformen“ und unter Angabe des Bundeslands zu finden. Auch in manchen Pflegestützpunkten und in den zuständigen Ministerien gibt es Ansprechpartner. Pflege-WGs kann man in der Regel besuchen und dort nach Details fragen.
Erst mal zur Probe wohnen
Wer eine bestimmte WG als neues Zuhause in Betracht zieht, sollte sich mit den Bewohnern und deren Angehörigen mindestens zum Kaffeetrinken verabreden. Noch besser: Die neue Mitbewohnerin wohnt erst mal zur Probe.
Anspruchsvolle Abrechnung
Je nach Mietspiegel, WG-Struktur und Grad der Pflegebedürftigkeit fallen die Kosten eines Platzes sehr unterschiedlich aus. Die Pflegekasse steuert ab Pflegegrad 2 zwischen 689 und 1 995 Euro an Sachleistungen für häusliche Pflege bei. Hinzu kommen pro Bewohner 214 Euro WG-Zuschlag – in allen Pflegegraden. Die Abrechnung ist anspruchsvoll: Weil eine Pflege-WG als ambulante Betreuung gilt, müssen die Kosten individuell aufgeschlüsselt werden. Miete, Haushaltskasse und Pflegeleistungen werden als einzelne Verträge getrennt abgerechnet. Bezahlt wird genau das, was geleistet wurde.
Aufwendiger für die Familie
„Die Angehörigen haben nicht nur mehr Mitsprache, sondern auch eine höhere Organisationspflicht“, sagt Heike Nordmann vom Kuratorium Deutsche Altershilfe. „Schon weil ein Monat mal 28, mal 31 Tage hat oder auch mal Verhinderungspflege oder Betreuungs- und Entlastungsangebote in Anspruch genommen werden, ändert sich die Abrechnung jeden Monat.“
Pro und kontra: Was für und was gegen eine WG spricht
Vorteile
Eine Pflege-WG bietet ihren Bewohnern im Idealfall eine Rundumversorgung, kombiniert mit einer individuellen Betreuung. In der Gemeinschaft können die Pflegebedürftigen einen Alltag erleben, der ihrem früheren Leben im eigenen Haushalt ähnelt. Im Vergleich zum Pflegeheim sind Vorlieben einzelner Bewohner leichter zu berücksichtigen. So sind häufig Haustiere erlaubt. Wer morgens länger schlafen oder jeden Abend einen Grießbrei essen möchte, kann das gern tun – wenn keine ärztlichen Vorgaben dagegen sprechen. Selbstbestimmung wird in einer Pflege-Wohngemeinschaft großgeschrieben. Der Bewohner kann seinen Neigungen nachgehen, zum Beispiel bei Musik- oder Bastelnachmittagen. Kann ein Pflegebedürftiger seine Wünsche nicht mehr klar äußern, haben seine Angehörigen die Möglichkeit, das Leben in seinem Sinne zu gestalten.
Nachteile
Das Leben in einer Wohngemeinschaft ist weniger durchorganisiert als in einer klassischen Pflegeeinrichtung. Das kann auch Nachteile haben. Je nach Bundesland finden etwa Qualitätskontrollen deutlichseltener statt als im Pflegeheim – oder überhaupt nicht. Dadurch kann es im schlimmsten Fall zu einer gefährlichen Vernachlässigung der Bewohner kommen. Die Finanzierung des WG-Lebens ist komplizierter zu regeln als Wohnen im Pflegeheim, weil es als ambulante Betreuung gilt. Mehrere Personen gewährleisten die Pflege und organisieren den Haushalt. Sie müssen beauftragt und bezahlt werden. Die Kosten sind nicht in jedem Monat gleich hoch. Angehörige müssen sich gut informieren und fortlaufend um die WG-Organisation kümmern.
Pflege-WG selbst gründen - In vier Schritten
Wer keine passende Pflege-Wohngemeinschaft findet, kann selbst eine gründen. Dafür sollten sich mindestens vier Personen zusammentun. Dann können sie die Zuschüsse der Pflegekassen gut nutzen.
Einigen. Die künftigen Mitbewohner sollten zusammenpassen, auch ihre Angehörigen. Sie sollten ähnliche Vorstellungen von einer Pflege-WG haben. Beispielsweise ist es gut, wenn alle gemeinsame Mahlzeiten oder Ausflüge mögen und nicht einer am liebsten für sich bleibt. Aber auch umgekehrt kann es passen, wenn alle Bewohner sich gern viel in ihrem eigenen Zimmer aufhalten.
Informieren. Die gesetzlichen Regelungen für Pflege-WGs sind von Bundesland zu Bundesland verschieden. Die Gruppe sollte sich zu den Details beraten lassen, etwa bei der Bundesinteressenvertretung der Nutzerinnen und Nutzer von Wohn- und Betreuungsangeboten im Alter und bei Behinderung (BIVA).
Planen. Die Gruppe sollte ein Konzept erarbeiten, wie das WG-Leben gestaltet und finanziert werden soll. Je nach Bundesland muss das mit der Heimaufsicht, dem Sozialhilfeträger oder weiteren offiziellen Stellen besprochen und genehmigt werden. In der Regel ist es sinnvoll, eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) zu gründen, um juristisch gemeinsam handeln zu können.
Realisieren. Dann muss noch der passende Wohnraum gekauft, gemietet oder umgebaut werden. Eine örtliche Wohnungsbaugesellschaft kann dabei helfen. Zu guter Letzt braucht die Gruppe einen Pflegedienst, der bereit ist, sich in das Gemeinschaftsprojekt einzufinden. Feste Bezugspersonen, sowohl in der Pflege als auch als Präsenzkräfte, sollen in der Gruppe und individuell für eine gute Lebensqualität sorgen.
Finanzieren. Die Pflegekasse zahlt für Pflegebedürftige ab Pflegegrad 1 bis 5 auf Antrag bis zu 4 000 Euro als Zuschuss für bauliche Maßnahmen, die die häusliche Pflege in der Wohnung ermöglichen, etwa Türverbreiterungen oder fest installierte Rampen und Treppenlifter, aber auch den pflegegerechten Umbau des Badezimmers.
Wohnen mehrere Pflegebedürftige zusammen, kann der Zuschuss bis zu viermal 4 000 Euro, also bis zu 16 000 Euro, betragen. Bei mehr als vier anspruchsberechtigten Personen wird der Gesamtbetrag anteilig auf die Bewohner aufgeteilt. Ein Zuschuss zur Wohnungsanpassung kann auch ein weiteres Mal gewährt werden, wenn die Pflegesituation sich so verändert hat, dass erneute Maßnahmen nötig werden.
Darüber hinaus können alle Pflegebedürftigen, die sich an der Gründung einer ambulant betreuten Wohngruppe beteiligen, bei ihrer Pflegekasse einmalig eine Förderung von bis zu 2 500 Euro beantragen. Je Wohngemeinschaft ist diese Förderung allerdings auf 10 000 Euro begrenzt. Bei mehr als vier anspruchsberechtigten Bewohnern wird der Gesamtbetrag anteilig auf sie aufgeteilt.
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