
Das Wesentliche ist eine gute Pflege. Doch ein Blick ins Kleingedruckte eines Pflegeheimvertrags ist empfehlenswert.
Sie gelten als Nebensache, sind im Streitfall aber entscheidend – Verträge zwischen Pflegeheim und Bewohner. Eine Recherche der Stiftung Warentest zeigt: Die meisten Heime halten ihr Kleingedrucktes lieber unter Verschluss. Das ist das ernüchternde Ergebnis einer Stichprobe bei 30 Heimen von wichtigen Betreibern wie Pro Seniore, Arbeiter Samariter Bund und Deutsches Rotes Kreuz. Nur 7 Seniorenheime ließen sich in die Karten schauen. Ein Heimbetreiber erwies sich als besonders transparent.
Mauer des Schweigens
Den Austausch mit zehn der wichtigsten Heimbetreiber dieses Landes hatten wir uns anders vorgestellt. Wir rechneten damit, auf geballte Kompetenz zu treffen – geschätzt bringen sie es zusammen auf über 450 000 Plätze in rund 6 000 Pflegeheimen. Doch es baute sich eine Mauer des Schweigens auf. Wir hatten um Einblick in Verträge gebeten, die sie mit Bewohnern schließen.
Das bietet unser Check von Pflegeheimverträgen
Testergebnisse. Die Stiftung Warentest hat die Verträge von 30 ausgewählten vollstationären Pflegeheimen in Deutschland untersucht, darunter Einrichtungen der großen Anbieter Deutsches Rotes Kreuz, Caritas und Orpea. Zwei Tabellen fassen die Untersuchungsergebnisse zusammen. Die erste Tabelle zeigt die 7 transparenten Pflegeanbieter, die zweite nennt die 23 Testverweigerer. Geprüft haben wir, ob die Verträge gegen Gesetze verstoßen oder Regelungen enthalten, die für Heimbewohner ungünstig sind – oder vorteilhaft.
Tipps. Die Experten der Stiftung Warentest erklären, wie Sie bei der Auswahl des Pflegeheims vorgehen sollten, und was bei Pflegeheimverträgen zu beachten ist.
Heft-Artikel. Sie können das PDF zum Artikel aus test 6/2018 kostenlos herunterladen.
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„Zu wenig Nutzen für das Heim“
23 von 30 Pflegeheimen lehnten es ab, Verträge offenzulegen – darunter alle angefragten der Privatkonzerne Alloheim, Orpea und Pro Seniore. Auch gemeinnützige Verbände, die gesellschaftlich stark verankert sind, ließen uns abblitzen. Vom Arbeiter Samariter Bund und dem Deutschen Roten Kreuz bekamen wir keine konkreten Verträge zu sehen. „Weiteren Überprüfungen, speziell vor Ort, können wir nicht zustimmen“, hieß es beim DRK-Heim in München. Bei der Arbeiterwohlfahrt, Caritas, Diakonie und Volkssolidarität erlaubte nur je eins von drei Häusern eine Überprüfung. Eine Pflegedirektorin der Volkssolidarität in Berlin sah „zu wenig Nutzen für das Heim“. Etliche sagten ohne Begründung ab oder versprachen Rückrufe, die nie kamen (Tabelle: Die Verweigerer). Warum so verschlossen?
„Die Qualität der Pflege“ entscheidet
Zeit ist im Pflegesektor ein kostbares Gut. Die Probleme der Branche sind allseits bekannt: die steigende Zahl an Bedürftigen, der hohe Zeit- und Kostendruck, die Überforderung der Helfer. Eine parlamentarische Anfrage der Grünen ergab: Derzeit sind 25 000 Fachkräftestellen deutschlandweit unbesetzt. Unser Besuch hätte die Heimleitung jedoch nur etwa zwei Stunden gekostet. Wir meinen: Geht es um das Wohlergehen alter oder kranker Menschen, sollte Transparenz nicht auf der Strecke bleiben – erst recht nicht, wenn man zu den Großen der Branche zählt.
Vertrag regelt das Wohn- und Betreuungsverhältnis
„Entscheidend für uns ... ist letztlich die Qualität der Pflege“, schrieb uns die private Kette Orpea. Der Vertrag sei weniger relevant. Eine Lappalie ist ein Heimvertrag jedoch nicht: Er regelt das Wohn- und Betreuungsverhältnis, legt unter anderem fest, welche Leistungen das Heim anbietet, wie viel für Unterkunft, Pflege und Verköstigung im Monat zu zahlen ist. Ungeprüft sollte niemand den Vertrag unterzeichnen.
Im Streitfall die Oberhand behalten

„Das Heim drängte auf eine höhere Pflegestufe. Ich konnte das nicht nachvollziehen.“ Angelika Hauser aus Spaichingen, 63 Jahre, kämpfte dafür, dass ihre Mutter die alte Pflegestufe behielt.
Nur wer die Klauseln versteht, kann sich im Streitfall wehren. Das zeigen die Erfahrungen von Angelika Hauser und Beate Breining, die für ihre Mütter kämpften. Angelika Hauser wehrte sich, als das Heim für ihre Mutter eine höhere Pflegestufe beantragen wollte. Sie konnte keine Verschlechterung bei ihrer Mutter erkennen, hätte pro Monat aber fast 300 Euro mehr zahlen müssen. Das Heim setzte sich über Vereinbarungen im Vertrag hinweg und rechnete eigenmächtig die höhere Stufe ab. Es waren die Gutachter des Medizinischen Diensts der Krankenkassen, die Angelika Hauser recht gaben: Das Heim musste die Erhöhung zurücknehmen.
Korian am transparentesten
Am transparentesten in der Untersuchung zeigte sich Heimbetreiber Korian: Alle angefragten Häuser der französischen Gruppe machten mit. Korian ist mit rund 25 000 Pflegeplätzen der größte private Anbieter in Deutschland.
Keine Verteuerung ohne Zustimmung
In den Verträgen, die wir einsehen konnten, fanden wir keine bis geringe Rechtsverstöße. Der gröbste: Entgelterhöhungen sollen laut den Verträgen dreier Häuser ohne Zustimmung des Bewohners erfolgen können (Tabelle: Die Transparenten). Das ist unzulässig, stellte der Bundesgerichtshof 2016 klar. Bewohner müssen schriftlich informiert werden, können zustimmen oder kündigen.
Komplexe Materie
Das Heimrecht ist sehr komplex. „Sowohl Landes- als auch Bundesgesetze können gelten und verschiedene Rechtsgebiete ineinandergreifen“, sagt Anwältin Ulrike Kempchen von der Bundesinteressenvertretung für alte und pflegebetroffene Menschen (Biva). Was in Verträgen steht, die uns nicht zugänglich waren, bleibt im Dunkeln.
Extra-Kosten stehen oft im Anhang
„Wir haben häufig etwas zu beanstanden“, sagt Karlheinz Börner. Der stellvertretende Leiter des Hessischen Amts für Versorgung und Soziales prüft regelmäßig Heimverträge. „Unter anderem kommt es vor, dass Regelleistungen, die jeden Monat zu bezahlen sind, als kostenpflichtige Zusatzleistung aufgeführt werden“, weiß er aus Erfahrung. Zusatzleistungen stehen oft in den Anhängen der Verträge.
Ungünstige und günstige Regelungen
Wir fanden sowohl in den Anhängen als auch in den Verträgen selbst ungünstige Regelungen. So sollen Bewohner dem Heim etwa ihre Einkommensverhältnisse offenlegen, wenn es sie beim Stellen von Anträgen unterstützt. Auch günstige Regelungen waren darunter wie das Recht, Kleintiere halten zu dürfen.
Begleitung zum Arzt gehört zu den Regelleistungen
Karlheinz Börner lässt in strittigen Punkten nicht locker. 2015 bestätigte das Bundesverwaltungsgericht die Sicht der hessischen Pflegeaufsicht: Die Begleitung von Heimbewohnern zu notwendigen Arztbesuchen sei eine Regelleistung und dürfe nicht extra kosten.
Für Bewohner kaum verständlich

„Meiner Mutter wurde nie gekündigt, obwohl klar war, dass das Heim schließt.“ Beate Breining aus Griesheim, 50 Jahre, war gezwungen, ihrer Mutter ein neues Heim zu suchen.
Nahezu alle Verträge im Test haben Verbesserungspotenzial. Angefangen bei der Schrift: Sie ist für die ältere Zielgruppe oft zu klein. Der Inhalt ist gespickt mit Verweisen auf Gesetze, die viele Menschen überfordern dürften. Dagegen werden Informationen dazu, wie Bewohner ihre Rechte wahrnehmen können, gern weggelassen. Wer den Vertrag verstehen will, muss nachhaken oder sich beraten lassen. „Viele kommen zu spät in die Beratung, wenn es bereits Konflikte gibt“, sagt Anwältin Kempchen. Heime beraten oft nicht ausreichend. Es fehlt an Ideen, Vertragsinhalte einfach zu vermitteln, etwa über Videos.
Heimleitung informiert oft schlecht
Erfahrungen von Angehörigen zeigen: Das Interesse mancher Heimleitung, über Vertragsinhalte zu informieren und sie einzuhalten, ist begrenzt. Denn im Streitfall machen ihnen aufgeklärte Verbraucher wie Angelika Hauser Stress. Beate Breining wünscht sich heute, sie hätte stärker auf ihr Recht gepocht. Als das Heim ihrer Mutter zum Großteil abgerissen wurde, suchte sie ihr selbst einen neuen Platz. Die Heimleitung hätte schriftlich kündigen, angemessene Umzugskosten übernehmen und gleichwertigen Ersatz nachweisen müssen, tat es aber nicht. Breining wurde fündig, jedoch nicht wie gewünscht im Heimatort.