
Ein Leitungswasserschaden in einem Einfamilienhaus, eine Rechnung über 6 200 Euro und ein Versicherer, der davon nur die Hälfte zahlen will. Dieser Fall beschäftigte mehrere Gerichte. Jetzt hat der Bundesgerichtshof eine Grundsatzentscheidung getroffen.
Winterzeit ist Heizungszeit
So etwas kann passieren: Ein Hausbesitzer hatte es im Winter 2009 versäumt, vor den kalten Tagen die Heizungsanlage in seinem leer stehenden Einfamilienhaus zu leeren. Der einsetzende Frost beschädigte daraufhin die Anlage und es kam zu einem Leitungswasserschaden. Die Kosten für Notfallarbeiten, Schadenbeseitigung und Reparatur lagen bei rund 6 200 Euro. Versicherer Axa, bei dem der Hausbesitzer Kunde war, wollte davon aber nur die Hälfte zahlen. Begründung: Der Kunde habe seine Pflicht aus dem Wohngebäudeversicherungsvertrag verletzt, das leer stehende Gebäude regelmäßig zu kontrollieren. Der Geschädigte wollte jedoch den gesamten Schadensbetrag ersetzt haben. So ging der Streit vor Gericht – bis zum Bundesgerichtshof (BGH).
Versicherungsbedingungen nicht angepasst
Was die Sache kompliziert machte: Der Wohngebäudeversicherungsvertrag des Geschädigten lief schon einige Jahre und Axa hatte die Versicherungsbedingungen nicht - wie vom Gesetz vorgeschrieben - zum 1. Januar 2009 geändert. Dadurch gab es eine unklare Rechtslage. Sollten die im Vertrag vereinbarten Bedingungen oder neues Recht gelten? Das neue Recht ist kundenfreundlicher. Haben Versicherte grob fahrlässig gehandelt, gehen sie nicht mehr automatisch leer aus. Das „Alles-oder-Nichts-Prinzip“ ist abgeschafft. Bei grob fahrlässigem Verhalten des Kunden darf der Versicherer nun entsprechend der Schwere der Schuld die Zahlung kürzen. Das Besondere im Streitfall: Der Versicherer legte die alten Vertragsbedingungen zu Grunde, wollte aber eine Quotelung nach neuem Recht. Das ließ der BGH nicht gelten.
Versicherer für Säumnis abgestraft
Die Vertragsbedingungen der Axa für nicht genutzte Häuser sehen eine Kontrollpflicht für die wasserführenden Leitungen sowie eine Entleerungspflicht vor. Da der Kunde diese Pflicht verletzt hatte, wollte die Axa die Zahlung um die Hälfte kürzen. Der BGH entschied jedoch, „dass sich der Versicherer nicht mehr auf die Verletzung vertraglicher Obliegenheiten berufen kann“, wenn er die Bedingungen in einem Altvertrag nicht angepasst hat. Er muss in solchen Fällen grundsätzlich zahlen, auch wenn eine Pflichtverletzung des Kunden vorliegt. Die Pflichtverletzung bleibt in solchen Fällen „sanktionslos“, betont der BGH. Versicherer, die ihren Kunden keine neuen Bedingungen zur Verfügung gestellt haben, können nicht einfach nach neuen Regeln entscheiden, wenn die alten noch im Vertrag stehen (Az.: IV ZR 199/10).
Seit 2008 gilt neues Recht
Seit 2008 haben Versicherte mehr Rechte im Schadensfall. Seit diesem Zeitpunkt gilt das neue Versicherungsvertragsgesetz ( VVG-Reform ). Eine grundlegende Änderung betrifft den Umgang mit Obliegenheitsverletzungen, also wenn Kunden nicht wie vorgeschrieben mitwirken, einen Schaden rechtzeitig melden, mit der Polizei zusammenarbeiten oder Sicherheitsvorschriften nicht beachten (Klauseln verstehen: Kundenpflichten). Hatte ein Kunde in der Vergangenheit eine dieser Pflichten grob fahrlässig verletzt, musste der Versicherer im Schadensfall gar nichts zahlen. Das hat sich mit der VVG-Reform geändert. Das „Alles-oder-Nichts-Prinzip“ ist abgeschafft. An seine Stelle ist ein kundenfreundlicheres System der Quotelung getreten. Der Versicherer darf die Leistung nicht gleich ganz verweigern, er darf sie nur kürzen. Wie stark, hängt von der Schwere der Schuld des Versicherten ab. Vorgaben für die Quote gibt es allerdings nicht, die Richter entscheiden im Einzelfall und entwickeln nach und nach Quoten (Klauseln verstehen: Fahrlässigkeit).
Manche Versicherer bleiben beim alten Recht
Nicht alle Versicherungsgesellschaften haben ihre alten Bedingungen rechtzeitig zum 1. Januar 2009 umgestellt. „Von den Unternehmen ist die Umsetzung wohl sehr unterschiedlich gehandhabt worden. Manche haben komplett umgestellt, manche nur teilweise, andere wiederum auch gar nicht,“ sagt Hasso Suliak vom Gesamtverband der Versicherungswirtschaft (GDV). Wie viele Versicherer ihre Vertragsbedingungen angepasst haben, weiß der GDV jedoch nicht.
Unklare Rechtslage ist beendet
Für Millionen Kunden, deren Versicherer den Vertrag nicht zum 1. Januar 2009 umgestellt hatte, blieb die Rechtslage bislang unklar. In Streitfällen entschieden manche Gerichte, dass Pflichtverletzungen von Kunden folgenlos bleiben, weil Versicherer alte und damit unwirksame Klauseln verwenden. Andere Gerichte wendeten trotz alter Klauseln das neue Recht an. Mit der unsicheren Rechtslage ist seit dem BGH-Urteil Schluss.
Für Hausbesitzer geht der Streit weiter
Der Streit um den Leitungswasserschaden zwischen der Axa und dem Geschädigten ist aber noch nicht endgültig vom Tisch. Die Axa-Versicherung kann ihrem Kunden möglicherweise vorwerfen, er habe gesetzliche Obliegenheiten verletzt. Hierbei kann es um die grob fahrlässige Herbeiführung des Versicherungsfalles oder eine Gefahrerhöhung gehen. Der Bundesgerichtshof hat den Fall an das Berufungsgericht, das Oberlandesgericht in Köln, zurückverwiesen.
Streitfall neu aufrollen
Versicherte, deren Vertragsbedingungen nicht umgestellt wurden, haben durch das BGH-Urteil eine Chance, innerhalb der Verjährungsfrist einen Versicherungsfall noch einmal aufzurollen. Voraussetzung ist allerdings, dass es um den Vorwurf einer vertraglichen Obliegenheitsverletzung ging und sie an der Quotelung, also Kürzung der Schadenssumme, nicht mitgewirkt haben. Ausgeschlossen sind also Streitfälle, bei denen Geschädigte mit ihrem Versicherer einen Vergleich abgeschlossen oder einer Entscheidung eines Regulierungsbeauftragten zugestimmt haben.
Mehr Rechte und mehr Schutz
VVG-Reform: Versicherungskunden haben seit 1. Januar 2008 mehr Rechte. Für Altverträge gilt die Reform seit 1. Januar 2009. Versicherer sind viel stärker als früher in der Pflicht, Kunden umfassend zu informieren und fair zu beraten. Das neue Versicherungsvertragsgesetz stärkt auch die Rechte der Kunden besonders in der Auto-Kaskoversicherung, bei Hausrat-, Wohngebäude-, Reisegepäck- und anderen Sachversicherungen.
Klauseln verstehen: Fahrlässigkeit Haben Kunden einen Schaden grob fahrlässig herbeigeführt, können sie trotzdem Geld von ihrer Versicherung bekommen. Das „Alles-oder-Nichts-Prinzip“ ist abgeschafft.
Klauseln verstehen: Kundenpflichten Versicherte haben nicht nur Ansprüche gegenüber dem Versicherer, sie müssen auch Pflichten erfüllen. Sonst gehen sie im schlimmsten Fall leer aus. „Obliegenheiten“ heißen diese Kundenpflichten im Versicherungsdeutsch.
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